6478/AB XXIV. GP
Eingelangt am 06.12.2010
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind
möglich.
BM für Justiz
Anfragebeantwortung

DIE BUNDESMINISTERIN
FÜR
JUSTIZ
BMJ-Pr7000/0251-Pr 1/2010
An die
Frau Präsidentin des Nationalrates
W i e n
zur Zahl 6543/J-NR/2010
Der Abgeordnete zum Nationalrat Harald Vilimsky und weitere Abgeordnete haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Anwaltstag 2010“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1 und 2:
Alle gesetzlichen Maßnahmen, die geeignet sind, Bürgerrechte zu beschränken, nur in geringst möglichen Ausmaß und nur soweit notwendig zu setzen, halte ich für vernünftig; ich habe stets eine behutsame Vorgehensweise im Bereich der Grundrechtseingriffe begrüßt. Im Bereich der StPO besteht im Zusammenhang mit besonders eingriffsintensiven Maßnahmen, etwa der optischen und akustischen Überwachung, durch Einrichtung eines Rechtschutzbeauftragten mit umfangreichen Prüf- und Kontrollbefugnissen (§ 147 StPO) eine laufende Evaluierung.
Die mit Fragepunkt 2 angesprochenen (und in der Anfrageeinleitung wiedergegebenen) Bedenken, wonach in den letzten Jahren unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung eine Fülle von Maßnahmen getroffen worden seien, die allesamt zu Lasten von Grund- und Freiheitsrechten der Bevölkerung gingen, kann ich nicht teilen. Im Bereich der Terrorismusbekämpfung erfolgte die notwendige Erweiterung der Tatbestände – auch im Hinblick auf internationale Übereinkommen – sehr maßhaltend.
Erst kürzlich wurden mit dem Bundesgesetz, mit dem die Rechtsanwaltsordnung, die Notariatsordnung, das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung 1975 geändert werden, BGBl. I Nr. 38/2010, unter anderem auch Änderungen der §§ 278 und 278b StGB vorgenommen, die am 1. Juli 2010 in Kraft getreten sind. Mit diesem Bundesgesetz wurde der Wortlaut des § 278 Abs. 2 StGB geändert und die Definition der kriminellen Vereinigung auch um jene Vereinigung erweitert, die auf die Begehung der in § 278d Abs. 1 StGB genannten Vergehen (Terrorismusfinanzierung) ausgerichtet ist. Da die meisten der in § 278d Abs. 1 StGB genannten Vergehen bereits durch die bisherige Definition der kriminellen Vereinigung erfasst sind, kommt dieser Erweiterung eine Auffangfunktion zu, mit der Art. 6 des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus umgesetzt werden soll. Folglich wurde auch § 278b Abs. 1 und 3 StGB entsprechend angepasst und nunmehr klargestellt, dass die Organisation der Terrorismusfinanzierung selbst jedenfalls strafbar ist. Die Ausdehnung der Definition einer terroristischen Vereinigung in Abs. 3 stellt klar, dass eine solche Vereinigung auch dann vorliegt, wenn die Vereinigung nur auf Terrorismusfinanzierung, nicht aber auf die Ausführung terroristischer Straftaten nach § 278c StGB ausgerichtet ist. Die Aufnahme des § 278d StGB in § 278b Abs. 1 StGB ist eine Folge dieser erweiterten Definition der terroristischen Vereinigung und pönalisiert das Anführen einer solchen Vereinigung selbst dann, wenn sich diese auf das bloße Finanzieren von Terrorismus nach § 278d StGB beschränkt. Dadurch wurde der Forderung der Sonderempfehlung II der FATF sowie der Kritik im Prüfbericht zu Österreich entsprochen.
Bereits diese Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit zeigen deutlich, dass die Anpassung der Tatbestände stets sehr ausgewogen und zurückhaltend erfolgt.
Zu 3 bis 7:
Am 1. Jänner 1998 ist das Bundesgesetz, mit dem besondere Ermittlungsmaßnahmen zur Bekämpfung organisierter Kriminalität in die Strafprozessordnung eingeführt wurden (BGBl. I Nr. 105/1997), in Kraft getreten. Die Bestimmungen über den automationsunterstützten Datenabgleich sind bereits am 1. Oktober 1997 in Kraft getreten, jene über die optische und akustische Überwachung nach § 149 Abs. 1 Z 3 StPO (alt) hingegen erst am 1. Juli 1998. Durch das Strafrechtsänderungsgesetz 2001 (BGBl. I Nr. 130/2001) wurden die Bestimmungen über die optische und akustische Überwachung von Personen unter Verwendung technischer Mittel und der automationsunterstützte Datenabgleich ohne weitere Befristung in den Rechtsbestand aufgenommen.
Seit Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes (BGBl. I Nr. 19/2005) sind die Bestimmungen über die optische und akustische Überwachung von Personen im § 136 StPO geregelt. Eine solche Überwachung ist grundsätzlich von der Staatsanwaltschaft aufgrund einer gerichtlichen Bewilligung der Anordnung anzuordnen. Lediglich im Fall einer Entführung oder Geiselnahme (§ 136 Abs. 1 Z 1 StPO) kann die Kriminalpolizei die Überwachung von sich aus ohne gerichtlich bewilligte Anordnung durchführen. Die Bestimmungen über den automationsunterstützten Datenabgleich sind nunmehr in den §§ 141 bis 143 StPO geregelt, die im Wesentlichen den bisherigen Regelungen entsprechen. Die Überprüfung und Kontrolle der Anordnung, Genehmigung, Bewilligung und Durchführung der Ermittlungsmaßnahmen nach §§ 136 Abs. 1 Z 3 und 141 StPO obliegen nach § 147 StPO dem Rechtsschutzbeauftragten.
Nach § 10a Abs. 2 StAG haben die Staatsanwaltschaften über Strafsachen, in denen eine optische oder akustische Überwachung von Personen nach § 136 StPO oder ein automationsunterstützter Datenabgleich nach § 141 StPO angeordnet wurden, den Oberstaatsanwaltschaften alljährlich einen Bericht vorzulegen, dem in den Fällen einer optischen und akustischen Überwachung nach § 136 Abs. 1 Z 2 StPO und Z 3 die Auswertung der betreffenden gerichtlichen Beschlüsse anzuschließen ist. Diese Berichte haben insbesondere zu enthalten:
Die Oberstaatsanwaltschaften haben diese Berichte zu prüfen, sie gegebenenfalls richtigstellen zu lassen oder sonstige erforderliche Verfügungen zu treffen. Sie haben dem Bundesministerium für Justiz einen Gesamtbericht über besondere Ermittlungsmaßnahmen samt den Auswertungen der bewilligten Anordnung zu übermitteln (§ 10a Abs. 3 StAG). Das Bundesministerium für Justiz hat auf Grundlage der Berichte der Staatsanwaltschaften und des Berichtes des Rechtschutzbeauftragten alljährlich dem Nationalrat, dem Datenschutzrat und der Datenschutzkommission einen Gesamtbericht über den Einsatz besonderer Ermittlungsmaßnahmen zu erstatten, soweit diese aufgrund einer gerichtlichen Bewilligung durchgeführt wurden (§ 10a Abs. 4 StAG).
Aufgrund dieser Berichtspflicht und der Erstattung eines Gesamtberichtes an den Nationalrat, den Datenschutzrat und die Datenschutzkommission werden die Überwachungsmaßnahmen laufend geprüft und evaluiert. Die übermittelten Berichte der Staatsanwaltschaften bringen deutlich zum Ausdruck, dass auch nach der Verschiebung der Leitungsbefugnis des Ermittlungsverfahrens an die Staatsanwaltschaft ein äußerst sorgfältiger Umgang mit diesen besonderen Ermittlungsmaßnahmen gepflogen wird. Aus den Berichten ist auch erkennbar, dass die Prüfung durch die Staatsanwaltschaften, was die Verhältnismäßigkeit und die Einschätzung des Tatverdachts anbelangt, sehr gewissenhaft vorgenommen wird, was auch vom Rechtschutzbeauftragten in seiner Stellungnahme bestätigt wird. Auch der Rechnungshof hat in seinem Bericht über ausgewählte Ermittlungsmaßnahmen (Reihe Bund 2008/10) festgestellt, dass sich der „große Späh- und Lauschangriff“ aus ermittlungstaktischer Sicht zur wirksamen Kriminalitätsbekämpfung bewährt hat. Diese Einschätzung wird durch die Berichte der Staatsanwaltschaften und das beigegebene Zahlenmaterial klar belegt.
Es wird daher – gerade im Hinblick auf die Intensität des Grundrechtseingriffs – eine laufende Überprüfung und Evaluierung durch das Bundesministerium für Justiz vorgenommen, um sicherzustellen, dass ein maßvoller Umgang mit diesen Ermittlungsmaßnahmen ausgeübt wird.
Eine laufende und begleitende Evaluation sämtlicher in der StPO vorgesehenen Überwachungsmaßnahmen hielte ich hingegen für überschießend, sie würde auch die der Strafjustiz zur Verfügung stehenden Kapazitäten überfordern.
Zu 8:
Ich war in dieser Zeit auf Dienstreise im Ausland.
. Dezember 2010
(Mag. Claudia Bandion-Ortner)