6812/AB XXIV. GP

Eingelangt am 18.01.2011
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BM für Unterricht, Kunst und Kultur

Anfragebeantwortung

 

Bundesministerium für

Unterricht, Kunst und Kultur

 

 

Frau                                                                                                              Geschäftszahl:                BMUKK-10.000/0339-III/4a/2010

Präsidentin des Nationalrates

Mag. Barbara Prammer

Parlament

1017 Wien

 

 

 

Wien, 13. Jänner 2011

 

Die schriftliche parlamentarische Anfrage Nr. 7006/J-NR/2010 betreffend die Legalität und Legitimität der IGGiÖ sowie der Wahlen der islamischen Glaubensgemeinschaft, die die Abg. Dr. Harald Walser, Kolleginnen und Kollegen am 26. November 2010 an mich richteten, wird wie folgt beantwortet:

 

Zu Fragen 1 und 2:

Es ist bekannt, dass es an der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) Kritik gibt, die ihren Ausdruck auch in Beschwerde gegen Bescheide des Kultusamtes gefunden hat. Die in den Medien genannten Kritikpunkte wurden teilweise bereits vor den Bescheid­erlassungen vorgebracht und sind in die Bescheidbeschwerden eingeflossen. Sie sind daher Gegenstand von Verfahren vor den Höchstgerichten. Unbeschadet der Tatsache, dass die Ergebnisse der gerichtlichen Verfahren abzuwarten sind, darf auf folgendes hingewiesen werden:

 

Im Jahr 1912 wurde das Islamgesetz erlassen und die darin vorgesehene Verordnung über die Erfordernisse der inneren Organisation ist zunächst nicht ergangen.

1973 wurde erstmals ein Antrag auf Anerkennung einer islamischen Kultusgemeinde in Wien gestellt. 1979 reichte der Muslimische Sozialdienst, ein Verein nach dem Vereinsgesetz, eine Verfassung für die IGGiÖ ein. In der Folge wurden mit GZ 9.076/7-9c/79 mit Bescheid vom 2. Mai 1979 die Gründung der Wiener Religionsgemeinde und die Verfassung genehmigt. Aufgrund der Wahlen in der Religionsgemeinde Wien wurde mit GZ 9.076/10/-9c/80 am 11. Dezember 1980 eine Bestätigung über die Anzeige der Wahlen und damit die Außen­vertretung der IRG Wien ausgestellt. Im Zuge innerer Konflikte in der Religionsgemeinde Wien wurde die Entgegennahme einer Anzeige über neue Vertretungsbefugte mit Bescheid vom 27. März 1985, GZ 9.076/4-9c/85, abgelehnt.


Im Jahr 1986 wurden aufgrund von Eingaben der IGGiÖ mit Bescheid vom 2. Mai 1986, GZ 9.076/8-9c/86, Änderungen der Verfassung der IGGiÖ genehmigt. Gegen den Bescheid aus 1985, GZ 9.076/4-9c/85, war eine Bescheidbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) eingebracht worden. Aufgrund dieser Beschwerde hob der VfGH mit Erkenntnis vom 10. Dezember 1987 die Wortfolge „nach hanefitischem Ritus“ im Islamgesetz auf, somit war nicht nur eine Rechtsschule, sondern der gesamte Islam, anerkannt. Mit Erkenntnis vom 29. Februar 1988, B 308/85, V 11/87, hob er den Bescheid über die Anerkennung aus dem Jahr 1979, GZ 9.076/7-9c/79 auf, da es sich um eine Verordnung handle und diese nicht richtig kundgemacht sei.

 

Mit 2. August 1988 wurde die Verordnung des Bundesministers mit Inkrafttreten 30. August 1988, betreffend die Islamische Glaubensgemeinschaft (aufgrund des § 1 Islam­gesetz) erlassen und unter BGBl. Nr. 466/1988 kundgemacht. Mit Bescheid vom 30. August 1988, GZ 9.076/11-9c/88, zugestellt am 1. September 1988, wurde die Verfassung der Islamischen Religionsgesellschaft vom 2. Mai 1979 mit den Änderungen vom 2. Mai 1986 genehmigt. Mit 16. September 1988, GZ 9.076/10-9c/88, wurden die Vorlage der Wahl­ergebnisse des Obersten Rates und des Schurarates und damit die Außenvertretungsbefugnis des Vorsitzenden des Obersten Rates, des Vorsitzenden und Stellvertreters sowie des General­sekretärs des Schurarates bestätigt.

 

Im Jahr 1997 teilte Präsident Dr. Abdelrahimsai mit Schreiben vom 5. September mit, dass aufgrund seiner Erkrankung Anas Schakfeh bis auf weiteres seine Aufgaben wahrnehmen wird. Mit Schreiben vom 13. Februar 1999 teilte die IGGiÖ eine Verfassungsänderung mit, die mit Bescheid vom 22. Juni 1999, GZ 9.076/1-9c/99, genehmigt wurde. Mit Schreiben vom 26. Jänner 2000 teilte die IGGiÖ die Wahlergebnisse aufgrund des Ablebens des Präsidenten Abdelrahimsai zum Obersten Rat mit und es wurde diese Mitteilung mit Schreiben vom 21. Februar 2000 bestätigt. Die IGGiÖ zeigte mit Schreiben vom 8. Juli 2002, die am 30. Juni 2002 stattgefundene neue Konstituierung, nach den vorangegangenen Wahlen in den Religionsgemeinden, des Schurarates und des Obersten Rates an. Diese Anzeige wurde mit Schreiben vom 31. Juli 2002, GZ 9.070/12-KA/c/02, bestätigt.

 

Art. 34 der Verfassung der IGGiÖ sieht derzeit vor, dass die Funktionsperiode des Schurarates sechs Jahre, jedenfalls aber bis zum Zusammentritt des nächsten Schurarates, dauert. Sie sieht für die Beschlussfähigkeit des Schurarates kein Präsensquorum vor. Für Änderungen der Verfassung ist in Art. 36 Z 11 das erhöhte Konsensquorum von 2/3 der Stimmen vorgesehen. Aufgrund der vorgelegten Unterlagen waren bei der Sitzung am 27. Juni 2009 22 natürliche Personen anwesend. Für weitere 5 Personen erfolgte eine Vertretung durch eine Vollmacht.

 

Von den anwesenden 22 natürlichen Personen stimmten 2 Personen gegen die Anträge auf Genehmigung der neuen Verfassung, Wahlordnung und Kultusumlagenordnung, 20 stimmten dafür. Bei 22 Personen ist eine 2/3 – Mehrheit der abgegeben Stimmen bei 15 Stimmen erreicht. Die erforderliche Mehrheit wurde daher erreicht. Die Frage der Vertretung mittels Vollmacht stellt sich sohin nicht.

 

Rechtlich ergibt sich daraus Folgendes:

Zur Frage der Genehmigung der Religionsgemeinden ist grundsätzlich festzuhalten, dass das Anerkennungsgesetz aus 1874 für die Errichtung von Kultusgemeinden eine staatliche Genehmigung vorsieht. Das Islamgesetz 1912 stellt gegenüber dem Anerkennungsgesetz 1874 eine lex specialis dar, wie sich aus den Erläuterungen (Beilage 1, der XX Session des Herren­hauses 1910) eindeutig ergibt. Die Regelung der äußeren Verhältnisse wurde einer Regelung durch Verordnung vorbehalten. Diese Verordnung ist unter BGBl. Nr. 466/1988 ergangen (Islamverordnung). Darin ist die Festlegung von Religionsgemeinden als verpflichtender Regelungsinhalt für die innerkonfessionelle Verfassung vorgesehen. Die Festlegung von Kultus­gemeinden wird daher abweichend von der allgemeinen Regelung des Anerkennungs­gesetzes 1874 an die Verordnung und von dieser an die Verfassung der Glaubensgemeinschaft delegiert. Die bisherigen, derzeitige und vorliegende neue Verfassung(en) enthielten bzw. enthält eine solche Regelung und erlangen bzw. erlangten daher die Kultusgemeinden, hier Religionsgemeinden genannt, durch die Genehmigung der Verfassung Rechtspersönlichkeit.

Die Funktionsperiode des Schurarates hat bereits am 30. Juni 2008 geendet, der Fortbestand beruht daher auf der Regelung „jedenfalls aber bis zum Zusammentritt des nächsten Schurarat“ in Art. 34 der derzeitigen Verfassung der IGGiÖ. Die Sitzung des Schurarates hatte daher eine Grundlage in einer rechtskräftigen Verfassung.

Die Verfassung, Wahlordnung und Kultusumlagenordnung wurden mit der innerkonfessionell erforderlichen Mehrheit beschlossen. Der Antrag entsprach daher den innerkonfessionellen Erfordernissen der derzeit gültigen Verfassung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich.

 

Die innere Organisation ist Teil der Selbstverwaltung der Kirchen und Religionsgesellschaften und daher dem Handeln von Verwaltungsbehörden entzogen, sofern nicht Erfordernisse für die Außenvertretung, wie sie für die Islamische Glaubensgemeinschaft in der Islamverordnung 1988 festgelegt sind, berührt sind und nicht gegen andere Rechtsnormen verstoßen wird.

 

Das Islamgesetz 1912 und die Islamverordnung 1988 legen fest, dass die Anhänger des Islam anerkannt sind und in der Verfassung die Erfordernisse der Zugehörigkeit, die Art des Beitrittes und die Rechte und Pflichten der Gemeindeangehörigen im Hinblick auf die Gemeinde­verwaltung zu regeln sind. In der Verfassung wird die Art der Zugehörigkeit in Art. 1 Abs. 1 geregelt, die in Art. 1 Abs. 5 genannten Angehörigen entsprechen den Mitgliedern einer Religionsgemeinde. Die Frage der Wahlberechtigung ergibt sich aus dem erforderlichen Regelungsinhalt der Rechte und Pflichten der Gemeindeangehörigen.

 

Den einzelnen, in der Verfassung festgelegten, Religionsgemeinden wird in der Art. 6 der Verfassung Rechtspersönlichkeit zuerkannt. Dazu ist festzuhalten, dass, wie oben ausgeführt, die Errichtung von Kultusgemeinden, hier Religionsgemeinden genannt, durch die Islam­verordnung 1988 als verpflichtender Regelungsinhalt für die innerkonfessionelle Verfassung vorgesehen ist. Die vorliegende Verfassung enthält eine solche Regelung und erlangen daher die Religionsgemeinden durch die behördliche Genehmigung der Verfassung Rechts­persönlichkeit für den staatlichen Bereich im Rahmen der Regelungen der Verfassung der Islamischen Glaubensgemeinschaft.

 

In Art. 20 werden anerkannte Moscheen und Fachvereinigungen eingerichtet. Dieser Begriff legt nahe, dass es auch andere Formen von Moscheen und Fachvereinigungen geben könnte, welchen nicht die Stellung einer innerkonfessionellen Anerkennung zukommt. Dazu ist festzu­halten, dass dem Grundsatz der Exklusivität im österreichischen Staatskirchenrecht entsprechend, keine islamischen oder muslimischen konfessionellen Vereinigungen außerhalb der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich bestehen können. Falls Zusammen­schlüsse von Muslimen eine religiöse Praxis ohne Anerkennung durch die IGGiÖ entfalten, so üben sie dabei, unbeschadet ihrer Vertretung durch die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich, ihr Recht auf freie individuelle Religionsausübung aus, was aufgrund Art. 14 Staats­grundgesetz 1867 jedermann zusteht. Die in der Verfassung der IGGiÖ vorgesehenen inner­konfessionellen Instrumente zur Durchsetzung der innerkonfessionellen Ordnung, insbesondere die Möglichkeit des Ausschlusses, sind auf die handelnden Personen anwendbar. Es kommt dabei allenfalls kultisch tätigen Personen keine Rechtsstellung als Seelsorger, Religionsdiener o.ä. einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft zu und können an anderen als von der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich geführten oder nach Art. 20 anerkannten Moscheen keine Bestellungen von Seelsorgeorganen erfolgen. Auf allenfalls bei solchen Gruppen tätige Personen sind daher die in verschiedenen Gesetzen anknüpfenden Regelungen für Seelsorger keinesfalls anwendbar.

 

Abschnitt A 4 und Art. 30 der Verfassung nehmen eine Definition der Seelsorge aus Sicht der Glaubensgemeinschaft vor und listen verschiedene Funktionen auf. Im Hinblick auf die Anknüpfung anderer Rechtsnormen an den Seelsorgebegriff wird festgehalten, dass die Verfassung der Islamischen Glaubensgemeinschaft keine rechtsverbindliche Definition des Seelsorgebegriffes vorzunehmen vermag.

Aus der vom Verwaltungsgerichtshof (VwGH) erarbeiteten Umschreibung des Begriffes Seelsorger, „eine Person, die Lehrer der Religion und Berater in religiösen Angelegenheiten ist, die den Gottesdienst und die ritualen Institutionen beaufsichtigen, der das Predigtamt, die Leitung des Gottesdienstes und die Entscheidung in Ritualfragen obliegt“, folgt, dass nicht alle in Art. 30 genannten Funktionsträger unter diesen Begriff subsumiert werden können. Während die Definition des VwGH auf den ersten Imam, Art. 30 Z 1, und die Kategorieseelsorger in Art. 30 Z 6 sicherlich zutrifft, ist sie bei den Z 2 und 3 zweifelhaft, aufgrund der anderen Beschaffenheit des Kultus im Islam aber als wahrscheinlich anzusehen, für die Z 4, 5 und 7 aufgrund mangels deren ausreichender eigener Entscheidungsbefugnis in konfessionellen Fragen jedenfalls auszuschließen. Da die Entscheidung im Einzellfall durch die für die mit der Vollziehung des jeweiligen Materiengesetzes beauftragte Behörde zu erfolgen hat, stehen die genannten Bestimmungen der Genehmigung der Verfassung nicht entgegen.

 

Zu Fragen 3 und 4:

Auf welche Art und Weise eine gesetzlich anerkannte Kirche oder Religionsgesellschaft ihre außenvertretungsbefugten Organe bestimmt fällt in die Autonomie derselben. Die Frage in wie weit diese Organe nach den anzuwenden innerkonfessionellen Regelungen zustande gekommen sind, bei welcher dem Staat eine gewisse, wenn auch eingeschränkte, Ingerenz zukommt, wird unter Berücksichtigung der dazu ergangenen Judikatur im Zusammenhang mit den Meldungen über diese an die Behörde zu klären sein. Derzeit ist eine Beurteilung nicht möglich.

 

Zu Frage 5:

Die Mitglieder der islamischen Glaubensgemeinschaft stammen zu einem erheblichen Teil aus Gebieten der Welt, die nicht das rechtsstaatliche Niveau Österreichs aufweisen, erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit demokratische Systeme kennen oder sogar bis vor Kurzem Kriegs­gebiete waren oder teilweise sind. Daraus können Sorgen und Ängste entstehen – Diese sind ein emotionaler Empfindungszustand, der sich einer rationalen Erfassung oder Begründung entzieht. Eine zentrale Aufgabe von Politik ist es, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen und sie gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern zu überwinden.

 

Die Bundesministerin:

 

Dr. Claudia Schmied eh.