6956/AB XXIV. GP
Eingelangt am 01.02.2011
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BM für Justiz
Anfragebeantwortung
DIE
BUNDESMINISTERIN
FÜR
JUSTIZ
BMJ-Pr7000/0316-Pr 1/2010
An die
Frau Präsidentin des Nationalrates
W i e n
zur Zahl 7065/J-NR/2010
Die Abgeordnete zum Nationalrat Carmen Gartelgruber und weitere Abgeordnete haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Zwangsehen in Österreich“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1 und 2:
Die Gerichtliche Kriminalstatistik wertet einen vom Strafregisteramt übermittelten Auszug aus dem Strafregister aus, wobei Verurteilungen dem führenden Delikt – das für den Strafsatz maßgebend ist – zugeordnet werden. Da Zwangsehen – wie bereits in der parlamentarischen Anfrage ausgeführt – zusammen mit anderen Begehungsweisen als schwere Nötigung gemäß § 106 StGB bestraft werden, liegen lediglich Verurteilungszahlen zu § 106 StGB vor. Eine Aufgliederung auf die verschiedenen Teilmengen – u.a. Zwangsehen – ist nicht möglich.
Die unterschiedlichen Begehungsweisen werden auch in den elektronischen Registern der Justiz (nur) einheitlich erfasst; ein Herausrechnen der Fälle der Ehenötigungen aus allen anderen über die Deliktseintragung nach § 106 Abs. 1 Z 3 StGB erfassten Verfahren ist nicht möglich.
Es liegen daher keine eigenen Statistiken zu Zwangsehen vor.
Das Bundesministerium für Justiz arbeitet jedoch an einer kontinuierlichen Verbesserung der Datengrundlagen und hat dazu eine eigene Arbeitsgruppe eingesetzt, deren Ergebnisse (wie z.B. die erste umfassende Erledigungsstatistik) zuletzt im Sicherheitsbericht 2009 publiziert wurden.
Zu 3 bis 5, 8 und 9:
Bis 2006 galt eine Zwangsehe als Privatanklagedelikt, sodass betroffene Frauen oftmals unter großen emotionalen Druck gerieten, da sie selbst die Anklage einbringen mussten. Um es den Betroffenen leichter zu machen, sich gegen die Zwangsheirat zu wehren, wurde durch das Strafrechtsänderungsgesetz 2006, BGBl. I Nr. 56/2006, der privilegierende Tatbestand der Ehenötigung nach § 193 StGB abgeschafft und gleichzeitig § 106 Abs. 1 Z 3 StGB um die Tathandlung der Nötigung zur Eheschließung ergänzt. Dadurch wurde die bisher bestehende mehrfache Begünstigung des nötigenden Ehepartners beseitigt und dieser sowie andere an der Nötigung mitwirkende Dritte einer klaren einheitlichen Sanktion unterstellt. Die Erfassung aller an der Tat beteiligten Personen nach § 106 Abs. 1 Z 3 StGB erleichtert die strafgerichtliche Verfolgung des präsumtiven Ehepartners, weil keine Privatanklage mehr erforderlich ist. Da die Zwangsheirat nunmehr ein Offizialdelikt ist, kann auch ein Dritter, ohne Zustimmung der betroffenen Frauen und Mädchen, gegen die Zwangsehe rechtlich vorgehen. Während die Ehenötigung nach § 193 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht war, ist die Nötigung zur Eheschließung nach § 106 Abs. 1 Z 3 StGB mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bedroht. Darüber hinaus wurde durch die Aufnahme der Nötigung zur Eheschließung in die Bestimmung des § 106 Abs. 1 Z 3 StGB – welcher auch die Strafbarkeit der Nötigung zur Prostitution oder zur Mitwirkung an einer pornographischen Darbietung normiert – die gesetzgeberische Wertung des Deliktes als besonders schwerer Eingriff in die Entscheidungsfreiheit des Opfers betont.
Angesichts dieser Maßnahmen und der generalpräventiven Wirkung des Straftatbestandes sehe ich derzeit keinen legislativen Reformbedarf.
Zu 6 und 7:
Im Bereich des Strafverfahrens haben Opfer einer Nötigung zur Eheschließung Anspruch auf kostenfreie psychosoziale und juristische Prozessbegleitung, soweit dies zur Wahrung der prozessualen Rechte der Opfer unter größtmöglicher Bedachtnahme auf ihre persönliche Betroffenheit erforderlich ist (§ 66 Abs. 2 StPO). Psychosoziale Prozessbegleitung umfasst die Vorbereitung der Betroffenen auf das Verfahren und die damit verbundenen emotionalen Belastungen sowie die Begleitung zu Vernehmungen im Ermittlungs- und Hauptverfahren. Das Bundesministerium für Justiz beauftragt geeignete Opferschutzeinrichtungen mit der Durchführung von Prozessbegleitung und übernimmt die Kosten. Um eine weitere Viktimisierung zu vermeiden, besteht die Möglichkeit, Opfer der Nötigung zur Eheschließung bereits im Ermittlungsverfahren abgesondert und schonend zu vernehmen, wodurch die direkte Konfrontation mit dem oder den Tätern vermieden werden kann (§ 165 StPO). Zum Schutz vor weiterer Verfolgung brauchen Opfer und Zeugen der Nötigung zur Eheschließung ihren Wohnort im Strafverfahren nicht offenzulegen (§ 161 Abs. 1. StPO).
Ich bin mir bewusst, dass Schutzmaßnahmen für Opfer einer Nötigung zur Eheschließung einen breiten, multidisziplinären Ansatz erfordern. Es ist aber auch zu beachten, dass im Strafverfahren die Rechte des Beschuldigten auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK) zu berücksichtigen sind. Die Ausgewogenheit der Beschuldigtenrechte und der Opferschutzmaßnahmen steht im Mittelpunkt der hier dargestellten Bestimmungen.
Zu 10 und 12:
Das Bundesministerium für Justiz finanziert die Prozessbegleitung im Wege von rund 50 Opferhilfeeinrichtungen, bei denen Opfern zum Teil Betreuung in ihrer Muttersprache angeboten wird. Wo eine solche nicht möglich ist, können fremdsprachige Opfer im Rahmen der Prozessbegleitung ÜbersetzerInnen in Anspruch nehmen, deren Kosten das Bundesministerium für Justiz trägt. Darüber hinaus finanziert das Bundesministerium für Justiz den Opfer-Notruf 0800 112 112. Dieser bietet von Straftaten betroffenen Menschen rund um die Uhr bundesweit und kostenlos eine kompetente Beratung in rechtlicher, psychosozialer und praktischer Hinsicht sowie – wenn erforderlich – eine gezielte Weiterverweisung an die im konkreten Fall am besten geeignete Opferhilfeeinrichtung. Für die Prozessbegleitung und den Opfernotruf steht insgesamt ein Betrag von 5 Millionen Euro zur Verfügung.
Zu 11:
Zu den vom Bundesministerium für Justiz finanzierten Opferhilfeeinrichtungen gehören der Verein LEFÖ – Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen, der bundesweit Betroffene des Frauenhandels betreut, und der Weisse Ring, dem der Betrieb des Opfer-Notrufs obliegt.
Zu 13 und 14:
Die mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2006, BGBl. I Nr. 56/2006, getroffenen Maßnahmen, insbesondere die Ausgestaltung der Nötigung zur Eheschließung in § 106 Abs. 1 Z 3 StGB als Offizialdelikt und die Anhebung der Strafrahmen, haben die Effektivität der Strafverfolgung entscheidend verbessert. Dadurch, dass die Nötigung zur Eheschließung in die Bestimmung des § 106 Abs. 1 Z 3 StGB – welcher auch die Strafbarkeit der Nötigung zur Prostitution oder zur Mitwirkung an einer pornographischen Darbietung normiert – aufgenommen wurde, hat der Gesetzgeber meiner Ansicht nach seine Wertung des Deliktes sehr deutlich zum Ausdruck gebracht.
Aus meiner Sicht gewährleisten die gesetzlichen Vorgaben eine wirksame Strafverfolgung.
. Februar 2011
(Mag. Claudia Bandion-Ortner)