7412/AB XXIV. GP
Eingelangt am 24.03.2011
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BM für Justiz
Anfragebeantwortung

DIE BUNDESMINISTERIN
FÜR
JUSTIZ
BMJ-Pr7000/0021-Pr 1/2011
An die
Frau Präsidentin des Nationalrates
W i e n
zur Zahl 7508/J-NR/2011
Die Abgeordneten zum Nationalrat Karl Öllinger, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „FPÖ-Comic – Ermittlungsergebnisse ohne Ermittlungen?“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1 und 2:
Bei der Staatsanwaltschaft Wien sind (geschätzte) 800 Anzeigen im Zusammenhang mit der gegenständlichen Wahlwerbeaussendung der FPÖ Wien eingelangt. Die erste Anzeige langte am 30. September 2010 bei der Staatsanwaltschaft Wien ein und wurde zu Aktenzahl 501 St 115/10a erfasst.
Zu 3 bis 5:
Das Ermittlungsverfahren wurde am 30. September 2010 gemäß § 26 Abs. 1 und 2 StPO an die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt abgetreten, weil dort zu diesem Zeitpunkt ein weiteres Verfahren gegen eine angezeigte Person anhängig war.
Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt hat das Verfahren umgehend mit der Begründung rückabgetreten, dass die in § 40 Abs. 1 Mediengesetz normierte Kompetenzvorschrift der Zuständigkeit des Zusammenhangs nach § 26 Abs. 1 StPO vorgehe.
Zu 6 und 7:
Im konkreten Fall waren ausschließlich rechtliche Fragen im Zusammenhang mit der inkriminierten und der Staatsanwaltschaft Wien vorliegenden Broschüre zu prüfen. Dazu ist im strafrechtlichen Ermittlungsfall die Staatsanwaltschaft berufen. Zur Einholung eines Sachverständigengutachtens bestand daher kein Anlass.
Zu 8 bis 10:
Die Staatsanwaltschaft Wien hat den Sachverhalt umfassend rechtlich geprüft und gelangte – bezogen auf den Vorwurf der Verhetzung – zur Ansicht, dass der Tatbestand sowohl des § 283 Abs. 1 StGB als auch jener des Abs. 2 leg. cit. bereits in objektiver Hinsicht nicht erfüllt ist. Die Oberstaatsanwaltschaft Wien erachtete die Rechtsansicht der Staatsanwaltschaft Wien als vertretbar und trat dem Einstellungsvorhaben bei.
Das Bundesministerium für Justiz wurde im Wege eines Vorhabensberichtes der Oberstaatsanwaltschaft Wien vom 11. November 2010 von der beabsichtigten Verfahrenseinstellung informiert. Die zuständige Fachabteilung meines Hauses hat das übereinstimmende Vorhaben der staatsanwaltschaftlichen Behörden im Ergebnis genehmigend zur Kenntnis genommen, insbesondere weil der primär inkriminierten Darstellung („Steinschleuder-Comic“) ein Auffordern oder Aufreizen zu einer feindseligen Handlung gegen eine bestimmte Gruppe im Sinne des § 283 Abs. 1 StGB nicht unterstellt werden kann und ihr – zumindest im Zweifel – die Eignung, bei anderen den Entschluss zu einer feindseligen Handlung gegen türkischstämmige Migranten zu erwecken, nicht zukommt. Die Aufforderung oder Aufreizung zu einer feindseligen Gesinnung reicht hingegen zur Verwirklichung des Tatbestands nicht aus. Was die Tatbestandsmäßigkeit in Richtung § 283 Abs. 2 StGB betrifft, so ist bei dem – im Gesamtkontext der Broschüre zu betrachtenden – „Steinschleuder-Comic“ zwar eine in einem Appell an Gefühle und Leidenschaften bestehende tendenziöse Aufreizung zu Hass und Verachtung nicht zwingend auszuschließen, jedoch war zu beachten, dass der erkennbare Aussagekern der Darstellung, nämlich das parteiprogrammatische Ziel der FPÖ, die Zuwanderung von Menschen islamischen Glaubens (die im Comic mit „Türken“ gleichgesetzt werden) zum „Schutz des christlichen Abendlandes“ zu „stoppen“ bzw. einen EU-Beitritt der Türkei zu verhindern, für sich genommen nicht geeignet ist, das durch § 283 StGB geschützte Rechtsgut des öffentlichen Friedens zu gefährden. Es kann zudem vertretbar argumentiert werden, dass die Einkleidung dieses Aussagekerns in die Form eines Comics den Rahmen des bei dieser Kunstform Erlaubten nicht überschreitet und der Durchschnittsbetrachter der Wahlbroschüre eine Reduktion der überspitzten Darstellung auf den politischen Aussagekern durchaus vornehmen kann, ohne daraus Hass und Verachtung gegen die stellvertretend in Form des „Mustafa“ dargestellte Gruppe (des türkischen Volkes) abzuleiten.
Zu 11:
Eine Befassung des Nationalrats konnte unterbleiben, weil die Staatsanwaltschaft Wien bereits aufgrund der Prüfung der Vorwürfe nach Studium der Broschüre sowie der Anzeigen zur Ansicht gelangte, dass keine Ermittlungsmaßnahmen zu setzen sind, die eine Zustimmung des Nationalrats zur behördlichen Verfolgung eines Abgeordneten notwendig gemacht hätten.
. März 2011
(Mag. Claudia Bandion-Ortner)