7794/AB XXIV. GP

Eingelangt am 06.05.2011
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0067-Pr 1/2011

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 7874/J-NR/2011

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Maier und GenossInnen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Europäischer Haftbefehl und Übergabeverfahren – Anwendung durch die Mitgliedstaaten bzw. Österreich im Jahr 2010“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1:

Die Anwendung des Europäischen Haftbefehls ist weiterhin als überaus erfolgreich zu beurteilen. Die Übergabeverfahren können innerhalb kurzer Zeit abgeschlossen werden, sodass die Betroffenen möglichst rasch vor die zuständigen Justizbehörden des Ausstellungsstaates gebracht werden und dort ihre Verteidigungsrechte wahrnehmen können.

Für das Jahr 2009 haben alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Bulgarien und Italien statistische Daten dem Ratssekretariat zur Verfügung gestellt, die als Ratsdokument Dok. 7551/7/10 veröffentlicht worden sind.


Auf Grund der Kritik der 4. Runde der gegenseitigen Begutachtung werden in mehreren Mitgliedstaaten gesetzliche Änderungen und praktische Anstrengungen unternommen, um eine Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Ausstellung von Europäischen Haftbefehlen einzuführen, weil es für die Ausstellung eines Haftbefehls genügt, dass die Taten im Ausstellungsstaat mit einer Freiheitsstrafe von mindestens 12 Monaten bedroht sind.

Zu 2:

Alle Mitgliedstaaten haben den Europäischen Haftbefehl umgesetzt und wenden diesen an.

Die Länderberichte der 4. Runde der gegenseitigen Begutachtung hinsichtlich der praktischen Anwendung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl sind veröffentlicht worden und im öffentlichen Register der Ratsdokumente unter http://register.consilium.eu.int abrufbar.

Zu 3:

Die im Abschlussbericht über die 4. Runde der gegenseitigen Begutachtung hinsichtlich der praktischen Anwendung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl enthaltenen Schlussfolgerungen und die als Konsequenz derselben ausgesprochenen Empfehlungen sind aus dem öffentlich zugänglichen Ratsdokument Nr. 8302/4/09 Rev. 4 ersichtlich.

Zu 4 bis 14:

Die Statistik über den Europäischen Haftbefehl wird auf Grundlage der von allen Mitgliedstaaten angenommenen Frageliste geführt, die als Ratsdokument Dok. 8111/05 veröffentlicht wurde. Die Mitgliedstaaten sollen die Fragen bis zum 1. Mai des Folgejahres beantworten, soweit dies auf Grundlage ihrer nationalen Gesetzgebung möglich ist.

Statistische Daten der Mitgliedstaaten für das Jahr 2010 sind bislang vom Ratssekretariat nicht veröffentlicht worden und sind auch sonst nicht den österreichischen Behörden zugänglich.

Ich ersuche um Verständnis, dass ich derzeit die an mich gerichteten Fragen aus diesem Grund nicht zu beantworten vermag. Auch die Arbeiten zur Übermittlung der österreichischen Daten sind derzeit noch im Gange.


Zu 15:

Eine weitere gegenseitige Evaluierung der „praktischen Anwendung des Europäischen Haftbefehls und der entsprechenden Übergabeverfahren“ zwischen den Mitgliedstaaten ist derzeit nicht vorgesehen.

Jeder Mitgliedstaat hat den Rat bis Mitte 2011 über die Aktionen und Maßnahmen zu informieren, die er auf Grund der an ihn gerichteten Empfehlungen getroffen hat oder treffen wird. Im Hinblick darauf wird derzeit im Bundesministerium für Justiz geprüft, ob und gegebenenfalls welche Aktionen und Maßnahmen durch Österreich in diesem Zusammenhang zu setzen sind. Im Hinblick darauf, dass die österreichische Umsetzungsgesetzgebung zum Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl allerdings ohnehin weitestgehend mit den im Abschlussbericht enthaltenen Empfehlungen im Einklang steht, wird sich für Österreich voraussichtlich nur ein geringer Handlungsbedarf ergeben.

Zu 16:

Beim Leitfaden zum Europäischen Haftbefehl handelt es sich um ein Handbuch, das den mit Fällen des Europäischen Haftbefehls befassten Richtern und Staatsanwälten die Anwendung des Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl in der Praxis erleichtern und nach Möglichkeit eine einheitliche Anwendung der enthaltenen Regelungen sicherstellen soll.

Das ursprüngliche Handbuch wurde als Ratsdokument Dok. 14782/1/07 öffentlich. Die revidierte und aktuelle Version des Handbuchs ist als Ratsdokument Dok. 17195/10 ebenfalls öffentlich zugänglich und wird in allen Amtssprachen herausgegeben werden.

Zu 17:

Das Bundesministerium für Justiz wurde vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes, dem die zentrale Koordinierung der Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union obliegt, mit dem folgenden derzeit noch beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängigen Vorabentscheidungsverfahren befasst, das der Klärung der unten wiedergegebenen Vorlagefragen (kursiv geschrieben) der Auslegung des Rahmenbeschlusses Nr. 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten dienen soll:

- Rechtssache Rs C-42/11 ("Lopes Da Silva Jorge"):

„1. Steht das Diskriminierungsverbot des Art. 12 EG nationalen Rechtsvorschriften wie Art. 695-24 des Code de procédure pénale entgegen, die die Möglichkeit der Verweigerung der Vollstreckung eines zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe ausgestellten Europäischen Haftbefehls auf den Fall beschränken, dass es sich bei der gesuchten Person um einen französischen Staatsbürger handelt und dass die zuständige französische Justizbehörde sich dazu verpflichtet, die Vollstreckung selbst vorzunehmen?

2. Steht die Umsetzung des Verweigerungsgrundes in Art. 4 Nr. 6 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI in innerstaatliches Recht im Ermessen der Mitgliedstaaten, oder ist sie zwingend geboten, und kann ein Mitgliedstaat insbesondere eine Maßnahme einführen, die eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit darstellt?“

Weitere noch anhängige Verfahren wurden von dem für die innerstaatliche Koordinierung von Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zuständigen Bundeskanzleramt nicht zur Kenntnis gebracht.

Der Gerichtshof der Europäischen Union veröffentlicht alle Vorlagefragen und Entscheidungen auf seiner Website http://www.curia.eu.

Zu 18:

Ich befürworte grundsätzlich eine Verbesserung der im Rahmen der Europäischen Union erstellten Statistik über die Anwendung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl.

Die Kommission hat in ihrem Bericht vom 11. April 2011 an das Europäische Parlament und den Rat über die seit 2007 erfolgte Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, Ratsdokument Dok. 8977/11, angekündigt, alles zu unternehmen, um die Mängel im Statistikfragebogen zu beseitigen und die Erhebung statistischer Daten zu verbessern. Nach Vorliegen der entsprechenden Verbesserungsvorschläge durch die Europäische Kommission wird das Bundesministerium für Justiz dazu Stellung nehmen.

Es ist jedoch zu betonen, dass die Umstellung einer bestehenden Statistik einer Vorbereitungsphase von mindestens einem Jahr bedarf, weil die erforderlichen statistischen Daten entweder im Berichtsweg oder durch Umstellung der Registerführung erhoben werden müssen.

. Mai 2011

 (Dr. Beatrix Karl)