7827/AB XXIV. GP
Eingelangt am 11.05.2011
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BM für Gesundheit
Anfragebeantwortung

Alois Stöger
Bundesminister
Frau
Präsidentin des Nationalrates
Mag.a Barbara Prammer
Parlament
1017 Wien
GZ: BMG-11001/0123-II/A/9/2011
Wien, am 10. Mai 2011
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Ich beantworte die an mich gerichtete schriftliche parlamentarische
Anfrage Nr.7996/J des Abgeordneten Pirklhuber, Freundinnen und Freunde nach den mir vorliegenden Informationen wie folgt:
Frage 1:
Dieser Grenzwert von 370 Bq/kg stammt aus der Verordnung (EG) Nr. 733/2008 des Rates über Einfuhren aus Drittländern nach dem Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl und gilt für Milch und Milcherzeugnisse sowie Säuglingsnahrung. Für alle sonstigen Erzeugnisse gilt ein Grenzwert von 600 Bq/kg. Festgelegt wurden diese Grenzwerte auf EU-Ebene in der ursprünglichen Verordnung für Einfuhren aus Drittländern (VO EWG 737/90) auf Basis von wissenschaftlichen Risikoanalysen.
Anzumerken ist hierzu, dass diese Grenzwerte für Importe aus in der Verordnung genannten Drittländern, die vom Tschernobyl-Unfall betroffenen waren/sind, festgelegt wurden. Japan ist in dieser Verordnung nicht genannt. Entsprechend einer Empfehlung der Kommission sollten diese Grenzwerte auch zur Beurteilung von Lebensmitteln mit Herkunft EU herangezogen werden.
Die Nachweisgrenze ist ein Maß für die Empfindlichkeit eines Analyseverfahrens. Sie ist somit etwa ein Kriterium dafür, ob ein Verfahren zur Kontrolle der Einhaltung eines Grenzwertes überhaupt geeignet ist. Sie hat aber keine Bedeutung hinsichtlich der gesundheitlichen Relevanz von radioaktiven Stoffen.
Frage 2:
Gesundheitliche Auswirkungen von Radioaktivität und Strahlung sind laufend Gegenstand von diversen Forschungsprojekten. Die Risikofaktoren, auf denen die oben genannten Grenzwerte der „Tschernobyl-Verordnung“ basieren, werden durch die laufenden Forschungen im Wesentlichen bestätigt, weshalb eine Änderung dieser Grenzwerte bislang nicht erforderlich war.
Frage 3:
Wegen der großen Bedeutung von Milch in der Ernährung von Menschen, insbesondere von Kindern wurde in der ersten Zeit nach dem Tschernobyl-Unfall praktisch die gesamte Milch kontrolliert. Als Grenzwertüberschreitungen praktisch ausgeschlossen werden konnten, wurde auf eine regelmäßige Überwachung von etwa 50 ausgewählten Rohmilchtouren (verteilt auf ganz Österreich) umgestellt, die in etwas reduzierter Form (knapp 40 Touren) bis heute aufrecht erhalten wird. Die Touren wurden unter Berücksichtigung der Kontaminationssituation und der Produktionsmengen so ausgewählt, dass sie einen repräsentativen Überblick über die Belastung der gesamten in Österreich produzierten Milch liefern. Daneben wurden noch einige Touren in besonders stark belasteten Gebieten in das Routinekontroll-programm aufgenommen. Zu Beginn erfolgten die Probenahmen monatlich, im Laufe der Zeit wurde schrittweise auf ein Intervall von zwei Monaten umgestellt.
Grenzwerteüberschreitungen gab es nur in der ersten Zeit nach dem Tschernobyl-Unfall. Die betroffene Milch durfte nicht in Verkehr gebracht werden. Nachgewiesen kann Cäsium-137 in der Milch, resultierend aus dem Tschernobyl-Unfall, aus einigen höher kontaminierten Regionen bis heute noch werden. Die Werte liegen jedoch bei wenigen Bq/l und somit klar unter den zulässigen Werten. Im Mittel liegt der Cäsium-137-Gehalt der österreichischen Milch schon seit Jahren deutlich unter 1 Bq/l.
Frage 4:
Fleischuntersuchungen wurden wie Milchkontrollen auch von Anfang an durchgeführt. Dabei lag der Schwerpunkt auf höher kontaminierten Regionen. Nach einer zeitlichen Verzögerung wurden v.a. in Rind-, Kalb- und Schweinefleisch wegen der Verwendung von kontaminierten Futtermitteln erhöhte Radiocäsium-Werte festgestellt. Durch entsprechende Fütterungsverbote und Fütterungspläne konnte die Anzahl der Grenzwertüberschreitungen gering gehalten werden. Geflügelfleisch war selbst in der Anfangsphase wegen der geringen Kontamination der Futtermittel kaum belastet. Die Kontrolle von Fleisch, insbesondere von Rindfleisch, wird auch heute noch routinemäßig durchgeführt. Die Medianwerte liegen unter 1 Bq/kg. In seltenen Fällen werden Werte von bis zu einigen zehn Bq/kg gefunden. Bezüglich der Belastung von Wildfleisch verweise ich auf die Antworten zu Frage 9.
Frage 5:
Auch die Kontrolle von Gemüse wurde unmittelbar nach Eintreffen der radioaktiv kontaminierten Luftmassen aufgenommen. Freilandgemüse war damals stark belastet, weshalb ein österreichweites Verkaufsverbot ausgesprochen wurde. Nachwachsendes Gemüse war dann kaum mehr kontaminiert, da die Aufnahme von Radiocäsium aus dem Boden sehr gering ist. Zu Grenzwertüberschreitungen kam es nur bei direkt kontaminiertem Gemüse. Die Kontrolle von Gemüse erfolgt heute stichprobenartig sowie im Rahmen von Schwerpunktprogrammen. Wenn überhaupt, wird Radiocäsium dabei in sehr geringen Mengen nachgewiesen (wenige mBq/kg).
Frage 6:
Trinkwasser wurde in der ersten Zeit nach dem Tschernobyl-Unfall umfangreich untersucht. Dabei wurden in Zisternen- und Brunnenwässern, die über den Luftpfad direkt kontaminiert wurden, geringe Mengen an Radioaktivität festgestellt. Weiters wiesen Karstquellen, die von Wasser mit kurzer Verweilzeit im Boden und Gestein gespeist werden, anfangs leicht erhöhte Radioaktivität auf, die rasch wieder zurückging. Von den Grenzwerten waren diese Kontaminationen weit entfernt. Aus Grundwasser gewonnenes Trinkwasser war und ist bis heute praktisch nicht kontaminiert, da Radiocäsium in den obersten Bodenschichten fixiert ist und somit kaum ins Grundwasser gelangen kann. Einige Zeit nach dem Unfall in Tschernobyl wurde das umfassende Kontrollprogramm auf ein Routineprogramm umgestellt, das auch heute noch durchgeführt wird. Im Wesentlichen wird dabei das Trinkwasser der Landeshauptstädte auf monatlicher Basis untersucht. Radioaktive Stoffe aus dem Tschernobyl-Unfall werden dabei nicht gefunden. Neben diesem Routineprogramm wurden in den letzten Jahren von meinem Ressort österreichweite Untersuchungen an Trink- und Grundwässern auf Radioaktivität in Auftrag gegeben. Diese Untersuchungen dienten in erster Linie der Erhebung natürlicher Radionuklide, es wurden aber auch Analysen auf künstliche Radioaktivität durchgeführt. Letztere wurde dabei, wenn überhaupt, nur in sehr geringen Mengen gefunden.
Frage 7:
Seit einigen Jahren werden auch Analysen von Menüs (Gesamtnahrung) durchgeführt. Diese erfolgen auf monatlicher Basis durch die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES). Meist weisen diese Proben kein Radiocäsium auf, in wenigen Fällen werden geringe Mengen gefunden (< 1 Bq/kg).
Frage 8:
Aufgrund der deutlich höheren Bioverfügbarkeit von Radiocäsium in Waldböden im Unterschied zu Ackerböden sind Waldprodukte wie Wildpilze und Beeren noch immer vergleichsweise stark mit Radiocäsium belastet. Seit dem Tschernobyl-Unfall wurden routinemäßig bzw. im Rahmen von speziellen Projekten sehr viele Wildpilze und sonstige Waldprodukte aus Österreich untersucht. In höher belasteten Regionen treten bei bestimmten Pilzarten, insbesondere bei Maronenröhrlingen und Reifpilzen, gelegentlich noch Grenzwertüberschreitungen auf. Die als Speisepilze bei uns sehr beliebten Eierschwammerl und Steinpilze weisen jedoch kaum Radiocäsium über dem Grenzwert auf. Die Mittelwerte liegen für diese zwei Arten weit unter dem Grenzwert von 600 Bq/kg. Erhöhte Werte, aber kaum Grenzwertüberschreitungen, treten bei wildwachsenden Beeren auf. Neben der Untersuchung österreichischer Wildpilze erfolgt auf Basis einer EU-Verordnung (737/90; kodifiziert mit 733/2008) eine lückenlose Kontrolle aller Importe von Wildpilzen aus Drittländern, die vom Reaktorunfall von Tschernobyl betroffen waren. Bislang wurden dabei keine Grenzwertüberschreitungen festgestellt.
Frage 9:
Es ist allgemein bekannt, dass seit dem Reaktorunfall von Tschernobyl in Wildfleisch teilweise noch erhöhte Werte an Radiocäsium auftreten. Insbesondere Wildschweine sind davon betroffen, da Wildschweine im Boden wühlen und dabei mit Radiocäsium kontaminierte Erde schlucken. Die Ergebnisse einer vom Gesundheitsministerium in Auftrag gegebenen AGES-Studie zur Belastung von Wildbret zeigen, dass etwa 10 % der untersuchten Wildschweine und etwa 4 % der untersuchten Rehe Cäsium-137-Werte über dem Grenzwert von 600 Bq/kg aufweisen. Der mit Abstand höchste gemessene Wert liegt bei etwa 6000 Bq/kg, also 10-fach über dem Grenzwert. Zu erwähnen ist jedoch, dass diese Zahlen nicht repräsentativ für Österreich sind, da im Rahmen des Projektes vorwiegend Wild aus durch den Tschernobyl-Unfall höher belasteten Gebieten untersucht wurde. Die Anzahl der Grenzwertüberschreitungen für Gesamtösterreich liegt jedenfalls deutlich darunter. Zwar treten bei Wildschwein und Reh in einigen Fällen noch Grenzwertüberschreitungen auf, die Mittelwerte für diese zwei Gattungen liegen laut AGES-Studie mit 250 Bq/kg bzw. 126 Bq/kg jedoch klar unter dem Grenzwert von 600 Bq/kg. Für eine strahlenhygienische Bewertung sind eher die Mittelwerte von Bedeutung, und weniger die Höchstwerte. Aufgrund der erwähnten stärkeren Probenahme in höher belasteten Regionen liegen die tatsächlichen Mittelwerte in Österreich auch noch deutlich unter den im Rahmen der AGES-Studie erhobenen.
Die Konsumrate von Wildfleisch beträgt in Österreich etwa 0,5 kg pro Person und Jahr. Davon ist der weitaus überwiegende Teil sogenanntes Gatterwild, das in der Regel kaum mit Radiocäsium belastet ist. Die Strahlenbelastung der österreichischen Bevölkerung durch den Konsum von Wildfleisch ist daher entsprechend gering und stellt trotz gelegentlicher Grenzwertüberschreitungen praktisch kein gesundheitliches Risiko dar.
Neben in regelmäßigen Zeitabständen in Auftrag gegebenen Studien zur Wildfleischbelastung wird in Österreich routinemäßig Wildfleisch auch stichprobenartig kontrolliert. Die Ergebnisse dieser Kontrollen stehen im Einklang mit den Ergebnissen der erwähnten AGES-Studie.
Betreffend Maronenröhrlinge verweise ich auf die Antwort zu Frage 8.
Frage 10:
Wie zu Frage 8 bereits ausgeführt, wird auf Basis einer EU-Verordnung (737/90; kodifiziert mit 733/2008) eine lückenlose Kontrolle aller Importe von Wildpilzen aus Drittländern, die vom Reaktorunfall von Tschernobyl betroffen waren, durchgeführt. Bislang wurden dabei keine Grenzwertüberschreitungen festgestellt.
Sonstige Kontrollen an importierten Produkten erfolgen auf Basis von Stichproben und im Rahmen von Schwerpunktprojekten. Im Rahmen eines von meinem Ministerium in Auftrag gegebenen und im Jahr 2010 abgeschlossenen Projektes wurden 252 Lebensmittelproben aus 12 Drittländern auf Radiocäsium untersucht. 195 Proben wiesen kein Cäsium-137 auf, 46 Proben hatten einen Gehalt von weniger als 1 Bq/kg, 8 Proben einen Gehalt zwischen 1-10 Bq/kg und in 2 Proben (Schwarzer Tee aus der Türkei) wurden Cäsium-137-Werte von 27 bzw. 90 Bq/kg gefunden.
Frage 11:
Basierend auf einer Empfehlung der DG SANCO vom 15. März 2011 wurde EU-weit begonnen, Lebensmittelimporte aus Japan auf Radioaktivität zu kontrollieren. In Österreich erfolgte dies von Beginn an lückenlos. Mit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 297/2011 vom 25. März 2011 wurden Sondervorschriften für die Einfuhr von Lebensmitteln aus Japan erlassen. Darin wird für Lebensmittel aus vom Fukushima-Unfall betroffenen bzw. daran angrenzenden japanischen Provinzen (12 namentlich in der Verordnung genannte japanische Präfekturen) ein Attest der japanischen Behörden gefordert, das die Einhaltung der EU-Grenzwerte für Radioaktivität bestätigt (inklusive Analysezeugnis). Für Lebensmittel aus sonstigen Regionen Japans ist durch die japanische Behörde deren Herkunft zu bescheinigen. Importe sind zwei Tage vor dem Import den jeweiligen Behörden in den betroffenen Mitgliedsstaaten zu melden. Auf europäischer Ebene ist ein Mindestprozentsatz für zusätzliche messtechnische Kontrollen bei Einfuhren von Lebensmitteln aus Japan festgelegt
(10 % für Produkte mit Herkunft aus den 12 genannten Präfekturen, 20 % für Produkte aus den sonstigen Regionen Japans).
Österreich kontrolliert weiterhin alle Direktimporte aus Japan (100 %-Kontrolle; Erlass des Gesundheitsministeriums). Die Importe werden erst freigegeben, wenn die Ergebnisse der Analysen vorliegen, die klar darlegen, dass die Produkte keine überhöhte Radioaktivität aufweisen. Im Sinne der größtmöglichen Transparenz und Information der Öffentlichkeit in dieser sensiblen Thematik habe ich entschieden, dass alle Ergebnisse auch auf der Homepage des Gesundheitsministeriums veröffentlicht werden. Bei den bisherigen sechs Direktimporten von Lebensmitteln (Lebensmittel, Lebensmittelzutaten oder Lebensmittelzusatzstoffe) aus Japan wurden fünfmal keine und einmal eine sehr geringe Radioaktivität festgestellt.
Hinsichtlich der Grenzwerte wurde bei der ersten „Japan-Verordnung“ (Durchführungsverordnung VO EU Nr. 297/2011) auf eine EU-Grenzwerte-Verordnung für radiologische Notstandssituationen zurückgegriffen. Obwohl nicht gesundheitsgefährdend, erschienen diese Grenzwerte als unnötig hoch, weshalb Österreich auch gegen diese erste „Japan-Verordnung“ gestimmt hatte. Ich habe mich in der Folge für eine Senkung der Grenzwerte in verschiedenen EU-Foren eingesetzt, beide zuständigen Kommissare angeschrieben und auch am Gesundheitsministerrat in Gödöllö das Thema Grenzwerte für Japan-Importe von Lebensmitteln angesprochen. Erfreulicherweise erfolgte dann bald darauf mit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 351/2011 vom 11. April 2011 eine deutliche Senkung der Grenzwerte. Nachwievor gilt für die „Japan-Verordnung“ (somit für die festgelegten Grenzwerte bzw. Kontrollvorgaben), dass diese vorläufig bis Ende Juni 2011 gilt und monatlich überprüft werden muss. Die Mitgliedsstaaten sind aufgefordert, die Ergebnisse der vorgegeben Kontrollen an die EU-Kommission zu melden. Bisher haben keine der von den Mitgliedsstaaten durchgeführten Analysen Anlass zur Sorge gegeben.
Frage 12:
Es war von Anfang an nicht auszuschließen, dass sehr geringe Mengen der aus dem Kernkraftwerk Fukushima freigesetzten Radionuklide über atmosphärische Strömungen auch nach Österreich gelangen. Seit dem 23. März 2011 sind solche Radionuklide, insbesondere Iod-131, Cäsium-134 und Cäsium-137, auch bei uns in der Luft in Spuren nachweisbar (ca. 1 mBq/m³ für Iod-131, einige µBq/m³ für Radiocäsium). Aus gesundheitlicher Sicht sind diese Konzentrationen sowohl hinsichtlich der Atemluft als auch hinsichtlich der Lebensmittelproduktion aber unbedenklich.