7838/AB XXIV. GP
Eingelangt am 13.05.2011
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BM für Justiz
Anfragebeantwortung

DIE BUNDESMINISTERIN
FÜR
JUSTIZ
BMJ-Pr7000/0073-Pr 1/2011
An die
Frau Präsidentin des Nationalrates
W i e n
zur Zahl 7912/J-NR/2011
Die Abgeordneten zum Nationalrat Gabriele Binder-Maier, Genossinnen und Genossen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „die Anwendung des Haager Kindesentführungsübereinkommens (HKÜ)“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1:
Das Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung, BGBl. Nr. 512/1988 (im Folgenden HKÜ), wurde mit dem Bundesgesetz zur Durchführung des Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung, BGBl. Nr. 513/1988, umgesetzt. Dieses Durchführungsgesetz wurde mit dem Außerstreit-Begleitgesetz, BGBl. I Nr. 112/2003, novelliert.
Zu 2:
Seit dem zu 1. erwähnten Außerstreit-Begleitgesetz sind für die Entscheidung über Anträge, die aus dem Ausland einlangen, die Bezirksgerichte am Sitz des Gerichtshofs erster Instanz zuständig. Dies bewirkt eine Zuständigkeitskonzentration auf 16 Bezirksgerichte (in Wien: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; in Graz: Bezirksgericht Graz-Ost) für diejenigen Fälle, in denen Kinder widerrechtlich nach Österreich verbracht wurden oder in Österreich widerrechtlich zurückgehalten werden (vgl. Art. 3 des HKÜ). Seit 1. Jänner 2011 entscheidet auch beim Obersten Gerichtshof nur noch ein einziger Senat in jenen Fällen, in denen ein Antrag aus dem Ausland gestellt wurde (so genannter „incoming case“). Durch diese Spezialisierung soll vor allem sichergestellt werden, dass über Rückstellungsanträge nach dem HKÜ möglichst rasch entschieden wird, weil sich – trotz der nicht allzu hohen Anzahl von Anträgen aus dem Ausland pro Jahr (ca. 20 bis 30) – bei den befassten Richtern Erfahrungen mit der Anwendung des HKÜ sammeln lassen. In Österreich wird das HKÜ entsprechend den Leitlinien angewendet, die der Oberste Gerichtshof in seinen Entscheidungen zum HKÜ entwickelt hat.
Dabei ist insbesondere auf die – inzwischen ständige – Judikatur des Obersten Gerichtshofs hinzuweisen, wonach nicht etwa eine Rückgabe des Kindes an den anderen Elternteil stattzufinden hat (dies bleibt einer Regelung durch das für das Sorgerecht zuständige Gericht vorbehalten) sondern, dass das Kind in den Staat seines (bisherigen) gewöhnlichen Aufenthalts zurückkehrt. Die Rechtsprechung geht überwiegend davon aus, dass es unter Beachtung der Umstände des Einzelfalls dem „entführenden“ Elternteil zumutbar ist, gemeinsam mit dem Kind in den Herkunftsstaat zurückzukehren, weil es dann nicht zur Trennung (von der Hauptbezugsperson) kommen muss (vgl. Rechtssatz 0109515, u.a. OGH 22. März 2002, 1 Ob 51/02k; vgl. Rechtssatz 0074568 u.a. OGH 12. Mai 2009, 5 Ob 47/09m).
Zu 3:
Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat sich in den letzten Jahren insofern gewandelt, als zunächst von einer Rückgabe des Kindes an den antragstellenden Elternteil ausgegangen wurde. Dies führte dazu, dass insbesondere Mütter, die kleine Kinder widerrechtlich verbracht oder zurückgehalten haben, im Einzelfall mit Erfolg den Rückgabeverweigerungsgrund des Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ einwendeten, indem sie vorbrachten, dass durch die Rückgabe des Kindes eine dessen Wohl gefährdende Trennung von der Hauptbezugsperson drohe (vgl. u.a. OGH 15. Oktober 1996, 4 Ob 2288/96s; 11. November1999, 6 Ob 294/99z).
Die Änderung der Rechtsprechung dahin, dass die Rückstellung der Kinder „nur“ in den Staat ihres bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltes sicherzustellen ist und es den (Familien-)Gerichten dieses Staates obliegt, zu entscheiden, bei welchem Elternteil und gegebenenfalls in welchem Land die Kinder in Zukunft betreut werden sollen, entspricht der internationalen Auslegung des HKÜ in der weit überwiegenden Zahl der Mitgliedstaaten zum HKÜ.
Zu 4:
Nach Art. 3 des Übereinkommens gilt das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes als widerrechtlich, wenn
a) dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und
b) dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte.
Das unter Buchstabe a) genannte Sorgerecht kann insbesondere kraft Gesetzes, auf Grund einer gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung oder auf Grund einer nach dem Recht des betreffenden Staates wirksamen Vereinbarung bestehen.
Nach Art. 5 des HKÜ umfasst das „Sorgerecht“ die Sorge für die Person des Kindes und insbesondere das Recht, den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen. Die Frage, welcher Person das Sorgerecht zusteht, ist nach Art. 3 HKÜ nach dem Recht des Staates zu beurteilen, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Im Fall der Verbringung eines Kindes aus Frankreich, wo es seinen ständigen Aufenthalt hatte, nach Österreich ist daher das Sorgerecht nach französischem Recht zu beurteilen.
Zu 5:
Die Brüssel IIa-Verordnung nimmt direkt auf das HKÜ Bezug und setzt dieses somit voraus. Alle Mitgliedstaaten der EU sind auch Mitgliedstaaten des HKÜ. Die Brüssel IIa-Verordnung ergänzt und modifiziert das HKÜ in einigen Bereichen. Diese Bestimmungen sind dann anzuwenden, wenn beide betroffenen Staaten Mitgliedstaaten der EU – mit Ausnahme von Dänemark – sind.
Zu 6:
Das Verhältnis zwischen dem HKÜ und der Brüssel IIa-Verordnung lässt sich wegen der zu 5. dargestellten Ergänzungsfunktion der Verordnung nicht in ein einfaches Verhältnis des Vorrangs der einen gegenüber der anderen Rechtsquelle bringen. Vielmehr setzt die (vorrangige) Anwendung der Regeln der Brüssel IIa-Verordnung die Anwendung des HKÜ zwischen den Mitgliedstaaten der EU voraus.
Manche Ergänzungsbestimmungen sind prozessualer Natur: So ist das ausreichend reife Kind während des Verfahrens zu hören (Art. 11 Abs. 2 Brüssel IIa-Verordnung), ebenso der Antragsteller vor Abweisung seines Antrags (Art. 11 Abs. 5 Brüssel IIa-Verordnung).
Neben verstärkten Informationsverpflichtungen der betroffenen Gerichte schränkt die Brüssel IIa-Verordnung in materieller Hinsicht insbesondere die Verweigerung der Rückgabe nach Art. 13 HKÜ ein. So kann ein Gericht die Rückgabe eines Kindes auf Grund des Art. 13 HKÜ nicht verweigern, wenn nachgewiesen ist, dass angemessene Vorkehrungen getroffen wurden, um den Schutz des Kindes nach seiner Rückkehr zu gewährleisten. Besonders bleibt gemäß Art. 10 der Brüssel IIa-Verordnung die Zuständigkeit des Gerichts des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts (= Ursprungsgericht) im Falle eines widerrechtlichen Verbringens oder Zurückhaltens länger aufrecht, sodass dieses Gericht – selbst im Falle einer Verweigerung der Rückstellung im HKÜ-Verfahren – unter bestimmten Voraussetzungen die Rückführung des Kindes in den Ursprungsstaat anordnen kann (vgl. Art. 10 in Verbindung mit Art. 11 Abs. 8 und in Verbindung mit Art. 42 der Brüssel IIa-Verordnung).
Zu 7:
Die Brüssel IIa-Verordnung definiert die Begriffe „widerrechtliches Verbringen“ und „widerrechtliches Zurückhalten“ nicht abweichend vom HKÜ, sie verwendet dieselben Begriffe. Dies ist als Verweis auf das HKÜ zu verstehen. Dies ergibt sich auch aus dem Erwägungsgrund Nr. 17 der Brüssel IIa-Verordnung, in dem festgehalten wird, dass das HKÜ durch die Verordnung ergänzt wird, aber weiterhin Anwendung findet. Bei der rechtlichen Prüfung ist daher zu beachten, dass diese Begriffe im vollkommenen Einklang mit dem HKÜ auszulegen sind. Gleiches ergibt sich nun aus dem Haager Übereinkommen vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern (Kinderschutzübereinkommen), BGBl. III Nr. 49/2011, das ungeachtet seiner viel späteren Ratifizierung Vorbild für die Brüssel IIa-Verordnung war und selbstverständlich im Einklang mit dem der selben Institution entsprungenen HKÜ auszulegen ist.
Zu 8:
Wie bereits unter Punkt 4. angeführt, wird die Frage des Sorgerechts nach dem Recht desjenigen Staates beurteilt, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Für die Beurteilung des Sorgerechts spricht Art. 3 Abs. 1 HKÜ als selbstständige Kollisionsnorm eine Gesamtverweisung auf das Recht im Staat des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts, also einschließlich dessen IPR, aus (vgl. Rechtssatz 0074559 OGH 11. Juli 1990, 1 Ob 614/90). Mit Inkrafttreten des Haager Übereinkommens vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern (Kinderschutzübereinkommen 1996) in Österreich mit 1. April 2011 ist auch zu beachten, dass sich das anzuwendende Recht nach den Art. 15 ff des Übereinkommens grundsätzlich immer nach dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes richten wird, wenn es in einem Vertragsstaat des KSÜ seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; damit werden die nationalen international-privatrechtlichen Regelungen überlagert, sodass als Konsequenz die Staatsangehörigkeit des Kindes für die Frage des anzuwendenden Rechts keine Rolle mehr spielen wird.
Zu 9:
Das Kindeswohl wird im HKÜ nicht definiert, der Begriff wird jedoch insbesondere in der Präambel verwendet. Daher ist auf Definitionsebene kein Unterschied zum Begriff des Kindeswohls in der österreichischen Rechtsprechung auszumachen. Ziel und Zweck des HKÜ ist es, die ursprünglichen tatsächlichen Verhältnisse wiederherzustellen, um zu gewährleisten, dass das in einem Vertragsstaat bestehende Sorgerecht und Recht auf persönlichen Verkehr in den anderen Vertragsstaaten tatsächlich beachtet wird (Art. 1 HKÜ). Das Übereinkommen soll verhindern, dass für das Kind im Zufluchtsland eine Aufenthaltszuständigkeit begründet wird, die eine Abänderung der Obsorgeregelung im Herkunftsland ermöglicht. Eine solche Abänderung der Obsorgeregelung soll nämlich dem Ursprungsstaat vorbehalten bleiben. Das HKÜ trifft daher die übergeordnete Entscheidung, dass es dem Wohl aller Kinder grundsätzlich am besten entspricht, möglichst rasch in den Staat ihres bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltes zurückgebracht zu werden und nicht den Konsequenzen einer eigenmächtigen Entscheidung eines Elternteils ausgesetzt zu sein, dem nicht das alleinige Sorgerecht zukommt. Die Fragen, bei welchem Elternteil das Kind auf Dauer leben und von welchem Elternteil es überwiegend betreut werden soll, sowie ob das gemeinsame Sorgerecht aufrecht erhalten oder zu Gunsten eines alleinigen Sorgerechts abgeändert werden soll – somit die Wahrnehmung des konkreten Kindeswohls in einem unter Umständen zeitlich und inhaltlich umfangreichen Sorgerechtsverfahren – steht nur den Gerichten am bisherigen Aufenthaltsort des Minderjährigen zu. In diesem Sinne normiert Art. 16 HKÜ das Verbot für die Gerichte des „Zufluchtstaates“, über das Sorgerecht zu entscheiden, sobald ein Antrag nach dem HKÜ gestellt worden ist.
Zu 10:
Die Rechtsprechung der österreichischen Gerichte zum HKÜ ist Ausdruck des Bemühens, einerseits die Ziele des Übereinkommens gemäß Art. 1, somit die sofortige Rückgabe widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbrachter oder zurückgehaltener Kinder sicherzustellen und zu gewährleisten, dass das in einem Vertragsstaat bestehende Sorgerecht und Recht auf persönlichen Verkehr in den anderen Vertragsstaaten tatsächlich beachtet wird, und andererseits die Ausnahmetatbestände des HKÜ zu beachten. Diese normieren in Einzelfällen auf Grund des konkreten Kindeswohls Ausnahmen von der Rückstellungsverpflichtung. Gleichwohl ist es wichtig zu betonen, dass auch die Zielverwirklichung des HKÜ der Absicherung des Kindeswohles dient, schafft es doch eine klare Zuständigkeitsverteilung und hindert general- und spezialpräventiv, dass Eigenmacht (mit der einer von zwei sorgeberechtigten Elternteile „vollendete Tatsachen“ schafft und den Rechtsschutz für den anderen erschwert) demjenigen Vorteile bringt, der die Familienrechte des anderen missachtet.
Zu 11:
In diesem Zusammenhang ist insbesondere Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ zu beachten, wonach die Rückgabe nicht anzuordnen ist, wenn die Person, Behörde oder sonstige Stelle, die sich der Rückgabe des Kindes widersetzt, nachweist (und nicht bloß behauptet), dass die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage gebracht wird. Gemäß Art. 13 Abs. 2 HKÜ kann es das Gericht ferner ablehnen, die Rückgabe anzuordnen, wenn festgestellt (und nicht bloß behauptet) wird, dass sich das Kind der Rückgabe widersetzt und dass es ein Alter und eine Reife erreicht hat, angesichts deren es angebracht erscheint, seine Meinung zu berücksichtigen.
Zu 12:
Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat das konkrete Kindeswohl – wie es sich gerade aus Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ ergibt – Vorrang vor dem vom Übereinkommen angestrebten Ziel, Kindesentführungen ganz allgemein zu unterbinden (vgl. Rechtssatz 0106455 u.a. OGH 17. Februar 2010, 2 Ob 8/10f). Ein konkretes Beispiel, in dem der Oberste Gerichtshofs wegen Gewaltanwendungen des Vaters eine Rückstellung verweigerte, bildet die Entscheidung vom 19. Juli 1997, 6 Ob 183/97y.
Da sich der Begriff des Sorgerechts in vielen Rechtsordnungen auf die römisch-rechtliche patria potestas bezieht, werden in anderen Rechtsordnungen für das Sorgerecht oft Begriffe verwendet, die mit „elterliche Gewalt“ übersetzt werden. Eine Suche mit dem Begriffen „Gewalt“ und „Kindesentführung“ in verschiedenen Rechtsdatenbanken führt daher zu einerseits sehr umfangreichen, andererseits aber nicht ausreichend spezifischen Ergebnissen, sodass es erforderlich wäre, jeden einzelnen Sachverhalt der zahlreichen Rechtsprechungsentscheidungen zu studieren, um jene Fälle herauszufiltern, in denen es im Sachverhalt tatsächlich um Fälle familiärer Gewalt ging.
Es wird jedoch auch auf die Beantwortung der Fragen 2 und 3 verwiesen, aus denen sich ergibt, dass nach der bestehenden Rechtsprechung der Einwand, dass der andere Elternteil möglicherweise gewalttätig sei, regelmäßig nicht zu einer Abweisung der Rückstellungsentscheidung (nämlich nicht zu diesem Elternteil, sondern in das Land, dessen Pflegschaftsjurisdiktion die ursprünglich zutreffende war) führt.
Zu 13:
Es ist Österreich und somit auch dem österreichischen Gesetzgeber nicht möglich, die internationalen Rechtsgrundlagen (HKÜ, Brüssel IIa-Verordnung), die die Grundlage für die entsprechenden Rückstellungsentscheidungen sind, einseitig und allein abzuändern.
Sowohl die meritorische Entscheidung (ob das Kind zurückzustellen ist oder nicht) als auch der konkrete Vollzug einer bereits getroffenen Rückstellungsentscheidung (§ 110 Außerstreitgesetz) ist Aufgabe der Gerichte. Auf Grund der Unabhängigkeit der Rechtsprechung ist es dem Bundesministerium für Justiz als Verwaltungsbehörde nicht möglich, auf die unabhängigen Entscheidungen der Gerichte Einfluss zu nehmen.
In Zusammenhang mit der Fragestellung erlaubt sich das Bundesministerium für Justiz auf folgende allgemeine Überlegungen hinzuweisen: Es ist immer eine äußerst schwierige und delikate Entscheidung, wie im Falle von massiven Auseinandersetzungen zwischen den Eltern die von einem Teil im Verfahren vorgebrachten Hinweise auf familiäre Gewalt zu bewerten und welche Konsequenzen im Sinne des Kindeswohles konkret zu treffen sind. Ein Gericht, das in einem anderen Staat situiert ist, als in dem Staat, in dem es zu den Vorfällen von familiärer Gewalt gekommen ist, ist – vom Standpunkt der Staatengemeinschaft als Ganzes gesehen – zur Beurteilung dieser Frage deutlich schlechter geeignet als ein Gericht am bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes. Dass jeder Elternteil mehr Vertrauen zu den Gerichten seines Ursprungsstaates haben mag, liegt nicht nur in der Natur der Sache, sondern war einer der wesentlichen Gesichtspunkte, welche die Einführung des HKÜ notwendig erscheinen ließen. Die Eigenmacht eines von zwei sorgeberechtigten Elternteilen soll aber eben nicht das maßgebliche Kriterium für eine Zuständigkeitsverschiebung oder gar die Beurteilung des Kindeswohls sein.
Zu 14:
Hierzu ist auf die Beantwortung aller übrigen Fragen, insbesondere auf Frage 5 und 6, zu verweisen und nochmals festzuhalten, dass es die rechtspolitische Entscheidung aller EU-Mitgliedstaaten ist, dass die familiengerichtlichen Verfahren im Land des bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltes der Minderjährigen zu führen sind. Das hindert selbstverständlich nicht daran, das System weiterentwickeln zu helfen und in manchen Bereichen, wie insbesondere der Gewaltschutzkomponente, zu verbessern. Solche Schritte können aber nicht auf Grund der alleinigen Informationen einer Verfahrensbetroffenen in einem Einzelfall getroffen werden.
Zu 15:
Zur Beantwortung wird auf die Beantwortung der Frage 4 (Maßgeblichkeit des Rechts des Staates des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts) verwiesen.
Zu 16:
Im Fall B. fehlt es beiden Elternteilen bestimmt nicht allgemein am Rechtsschutzinteresse, daher werden auch sowohl in Österreich als auch in Frankreich gerichtliche Verfahren geführt.
Soweit mit dieser Frage an einer einzelnen Formulierung in einer der mittlerweile mehreren Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs, in der ein in erster Instanz nicht beantragtes Begehren mangels Beschwer nicht aufgegriffen wurde, im konkreten Fall Anstoß genommen werden soll, kann ich darauf schon auf Grund der Unabhängigkeit der Gerichte nicht näher eingehen.
. Mai 2011
(Dr. Beatrix Karl)