8135/AB XXIV. GP

Eingelangt am 03.06.2011
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Bundeskanzler

Anfragebeantwortung

 

 

An die

Präsidentin des Nationalrats

MagBarbara PRAMMER

Parlament

1017     W i e n

 

GZ: BKA-353.110/0087-I/4/2011

Wien, am 1. Juni 2011

 

 

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Zinggl, Kolleginnen und Kollegen haben am 4. April 2011 unter der Nr. 8218/J an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend Anzahl der Ortschaften in Kärnten, in denen zweisprachige Ortstafeln auf­zustellen wären, gerichtet.

 

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

 

Zu den Fragen 1 bis 4:

Ø  Sind nach geltendem Recht in allen Ortschaften Kärntens beim Vorhandensein einer slowenischen Minderheit von mehr als 10% zweisprachige Ortstafeln auf­zustellen?

Ø  In wie vielen und welchen Ortschaften müssten nach der geltenden Rechtslage, den Berechnungen des BKA zufolge, zweisprachige Ortstafeln (bzw. Ortsbezeich­nungstafeln) derzeit stehen? Mit der Beantwortung 6997/AB geben Sie als Be­rechnungsgrundlage die beiden letzten statistischen Erhebungen an.

Ø  Welche dieser Ortschaften sind im Slowenischen wortident mit den deutschen Ortsnamen?

Ø  Welche dieser Ortschaften haben weniger als 30 EinwohnerInnen?


Der Verfassungsgerichtshof versteht in ständiger Rechtsprechung auch Ortschaften als Verwaltungsbezirke im Sinn des Art. 7 Z 3 des Staatsvertrages von Wien (StV v. Wien) (beginnend mit dem Erkenntnis VfSlg. 16.404/2001; jüngst VfGH 24.2.2011, V 124/10 u.a.).

 

Unter dem Begriff des Verwaltungsbezirkes mit „gemischter Bevölkerung“ im Sinn dieser Bestimmung ist nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtsho­fes ein Gebiet zu verstehen, in dem „eine größere Zahl der dort wohnenden Perso­nen zur Minderheit gehören“ muss bzw. für das ein „nicht ganz unbedeutender (Min­derheiten)Prozentsatz“ vorliegt. Dem Begriff sei ein Verständnis beizulegen, das sich an den tatsächlichen, d.h. – gegebenenfalls – ortschaftsbezogenen, Siedlungs­schwerpunkten der betreffenden Volksgruppe orientiert (vgl. VfSlg. 15.970/2000, 16.404/2001, VfGH 24.2.2011, V 124/10 u.a.). Der Verfassungsgerichtshof  qualifi­zierte  in dem Zusammenhang Ortschaften, die „über einen längeren Zeitraum  be­trachtet,  einen Minderheitenprozentsatz von mehr als 10%“ aufweisen, als  Verwal­tungsbezirke mit gemischter Bevölkerung in diesem Sinn (beginnend mit VfSlg. 16.404/2001). Bei den diesbezüglichen Feststellungen könne von einer vergröberten statistischen Erfassung ausgegangen werden; mangels anderer zuverlässiger Daten sei dabei vor allem auf die einschlägigen statistischen Erhebungen (betreffend die Zahl österreichischer Staatsbürger mit slowenischer Umgangssprache bzw. der slo­wenisch Sprechenden an der Wohnbevölkerung insgesamt) im Rahmen der Volks­zählungen abzustellen (vgl. z.B. VfSlg. 18.019/ 2006, 18.478/2008, VfGH 24.2.2011, V 124/10 u.a.).

 

Die jüngsten zur Verfügung stehenden Daten wurden im Zuge der letzten Volkszäh­lung 2001 erhoben. Das mittlerweile in Kraft getretene Registerzählungsgesetz (BGBl. I Nr. 33/2006) sieht keine Erhebung der Umgangssprache mehr vor. Die Validität der über zehn Jahre alten Daten reduziert sich mit fortschreitender Zeit immer mehr. Für Ortschaften unter einer bestimmten Größenordnung ergeben sich zusätzli­che Verwertbarkeitsschranken aus datenschutzrechtlichen Gründen.

 

Auf dieser verfassungsrechtlichen Basis und unter diesen faktischen Voraussetzun­gen wurden in meinem Auftrag von Staatssekretär Dr. Josef Ostermayer ausführliche Gespräche mit allen Beteiligten, nämlich den Bürgermeistern der betreffenden Ge­meinden, den Heimatverbänden,  den politischen Parteien und den Organisationen  der


 Kärntner Slowenen, geführt. Gemeinsam mit Landeshauptmann Gerhard Dörfler hat Staatssekretär Dr. Josef Ostermayer mehrere Verhandlungsrunden mit den Ver­treten der Kärntner Slowenen (dem Zentralverband Slowenischer Organisationen un­ter der Leitung von Dr. Marjan Sturm, dem Rat der Kärntner Slowenen unter der  Lei­tung von Dr. Valentin Inzko und der Gemeinschaft der Kärntner Slowenen und Slo­weninnen unter der Leitung von Bernard Sadovnik) und mit den Bürgermeistern der betroffenen Gemeinden geführt.

 

Am 26. April 2011 konnte zwischen den genannten Gesprächspartnern eine Einigung über ein Gesamtpaket erzielt werden, die in folgendem, von den Verhandlungspart­nern unterzeichneten „Memorandum“ festgehalten wurde:

 

Memorandum

 

betreffend zweisprachige „topographische Aufschriften“, die Amtssprache sowie Maßnahmen für die Zusammenarbeit mit der slowenischsprachigen Volksgruppe

 

Die Unterzeichnenden kommen überein:

 

1.    Eine verfassungsrechtliche Lösung mit folgendem Inhalt soll im Sommer 2011 umgesetzt werden:

 

2.    Es wird festgehalten, dass keine sogenannte „Öffnungsklausel“ vorgesehen ist.

 

3.    Es wird vereinbart, dass es zu keiner „Minderheitenfeststellung“ kommt.


4.    Die Kärntner Landesregierung wird ein Dialogforum für die Entwicklung des ge­mischtsprachigen Gebietes einrichten. Zusammensetzung: je ein(e) Vertreter/-in aller im Landtag vertretenen Parteien, die Mitglieder der Landesregierung bzw. ein von diesen namhaft gemachter Vertreter, je ein(e) Vertreter/-in der sloweni­schen Organisationen, ein(e) Vertreter/-in der Enotna Lista sowie sechs Bürger­meister/-innen (je zwei aus den Bezirken Völkermarkt und Klagenfurt Land, je einer/eine aus den Bezirken Villach Land und Hermagor). Themenbezogen kön­nen weitere Experten/-innen zu den Beratungen des Dialogforums beigezogen werden. Eine Koordinationsstelle wird beim Volksgruppenbüro im Amt der Kärnt­ner Landesregierung eingerichtet.

 

5.    Die Arbeiten am Volksgruppengesetz „neu“ werden unter enger Einbindung der Volksgruppe zügig fortgeführt.

 

6.    Die Abstimmungsspende seitens des Bundes - aus Anlass der Wiederkehr der Volksabstimmung 1920 – soll gemäß Ministerratsvortrag € 4 Mio. betragen. Die Auszahlung und Abwicklung wird direkt durch den Bund erfolgen. Ein entspre­chendes Gesetz ist bis Sommer 2011 geplant.  Die  Aufteilung der Mittel soll mit Einbindung der Volksgruppe und den betroffenen Gemeinden  erfolgen.  Unter  an­derem sollen daraus die slowenische Musikschule/Glasbena Sola, private und öf­fentliche Kindergärten, sowie weitere Projekte der Gemeinden erfolgen.

 

7.    Der Slowenischen Musikschule kommt eine zentrale Bedeutung zu. Die Finan­zierung wird durch Bund, Land und private Beiträge erfolgen. Die Republik Slowe­nien wird eingeladen, sich an der Projektfinanzierung zu beteiligen. Es ist beab­sichtigt, die Finanzierung und die Organisationsstruktur der Musikschule syste­misch zu lösen. Eine entsprechende Arbeitsgruppe mit Vertretern der Landesre­gierung und Vertretern der slowenischen Musikschule wird eingerichtet.

 

8.    Das BG/BRG für Slowenen als Bildungsinstitution mit Slowenisch als Unter­richtssprache soll bei der Unterrichtsorganisation und -entwicklung durch eine schulbezogene erhöhte WE-Zuteilung (ca. 70 WE) unterstützt werden. Im Bereich der Schulentwicklung werden am BG/BRG für Slowenen neue Modelle (neue Unter-/Mittelstufe bzw. nahtstellenübergreifende Projekte) zur Intensivierung des Slowenischspracherwerbs erarbeitet und mit entsprechender Unterstützung des BMUKK eingeführt.

 

9.    Der Bund (BMUKK) prüft wohlwollend, ob es im Rahmen der budgetären Bedin­gungen möglich ist, darüber hinaus weitere Werteinheiten (WE) für einzelne Pro­jekte des slowenischsprachigen Unterrichts zur Verfügung zu stellen.

 

10.  Der im Bundeskanzleramt eingerichtete Volksgruppenbeirat für die slowenische Volksgruppe wird in Zusammenarbeit mit Experten/-innen Empfehlungen für die Förderungswürdigkeit von mehrsprachigen Kindergärten erarbeiten.

 

LH Gerhard Dörfler                                             StS Dr. Josef Ostermayer

Dr. Valentin Inzko               Bernard Sadovnik               Dr. Marjan Sturm

 

Klagenfurt                 26. April 2011“


 

Die Bundesregierung plant, dem Nationalrat eine diese Einigung legistisch umset­zende Regierungsvorlage betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Volksgruppen­gesetz geändert wird, so rechtzeitig vorzulegen, dass dieses noch vor dem Sommer beschlossen werden und in Kraft treten kann.

 

Mit freundlichen Grüßen