8234/AB XXIV. GP

Eingelangt am 27.06.2011
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Maier und GenossenInnen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Druck, Drohungen, Nötigungen oder Tätlichkeiten gegenüber RechtsvertreterInnen (Rechtsanwälte) und deren MitarbeiterInnen“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

 

Zu 1 und 5:

Aus der Verfahrensautomation Justiz (VJ) stehen mir dazu keine Daten zur Verfügung, weil prozessuale Vorgänge im Zusammenhang mit den nachgefragten strafrechtlich relevanten Vorfällen nicht nach der Berufsgruppe der Opfer (hier RechtsanwältInnen und deren MitarbeiterInnen) gespeichert werden.

Trotz des damit verbundenen erheblichen Verwaltungsaufwandes erging aus Anlass dieser Anfrage ein Berichtsauftrag an die Präsidenten der Oberlandesgerichte, die Oberstaatsanwaltschaften sowie die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs und die Generalprokuratur. Dem Bundesministerium für Justiz wurden folgende Vorfälle gemeldet:

2006: ein Vorfall (Drohung gegen einen Rechtsanwalt) im Sprengel der Staatsanwaltschaft (StA) Steyr;

2007: ein Vorfall im Sprengel des Landesgerichts (LG) Eisenstadt;

2008: insgesamt zwei Vorfälle, davon einer (Drohung eines Pflegegeldklägers gegen einen Rechtsanwalt) im Bereich des Arbeits- und Sozialgerichts Wien und einer im Sprengel des LG Eisenstadt;

2009: insgesamt drei Vorfälle, davon einer im Sprengel der StA Korneuburg (Drohung einer Verpflichteten bei einer Zwangsversteigerung gegen einen Rechtsanwalt), einer im Sprengel des LG Salzburg (Bedrohung eines Rechtsanwalts) und einer im Sprengel des LG Wien (Attacke auf eine Rechtsanwältin).


2010: insgesamt 24 Vorfälle, davon 14 im Sprengel des LG für Zivilrechtssachen Wien (davon 13 Bedrohungen einer Rechtsanwältin in derselben Sachwalterschaft und eine Drohung eines weiteren Besachwalteten gegen seinen Rechtsanwalt), zwei Vorfälle im Sprengel der StA Wien (versuchte Nötigung gegen einen Rechtsanwalt; Drohung gegen einen Rechtsanwalt) sowie je ein Vorfall im Sprengel des LG für Strafsachen Graz (Brandattentat gegen einen Rechtsanwalt), im Sprengel des LG Linz (Drohung gegen eine Rechtsanwältin als vormalige Sachwalterin), im Sprengel des LG Salzburg (Bedrohung eines Rechtsanwalts durch die die Verfahrenshilfe genießende Partei), im Sprengel der StA Linz (telefonische Drohung aus der Justizanstalt gegen einen Rechtsanwalt), im Sprengel der StA Klagenfurt (Drohung gegen eine Rechtsanwältin), im Sprengel der StA Korneuburg (Verletzung eines Angestellten des  Rechtsanwalts durch einen Besachwalteten), im Sprengel der StA St. Pölten (Verletzung des Rechtsanwalts der ehemaligen Lebensgefährtin) und im Sprengel der StA Innsbruck (angebliche Nötigung eines Rechtsanwalts wegen Honorarstreitigkeiten).

Zwei Rechtsanwälte wurden in diesen Jahren direkt im Rahmen einer gerichtlichen Verhandlung bedroht (je ein Fall im Sprengel des LG Klagenfurt und im Sprengel des LG für Zivilrechtssachen Graz).

Zu 2:

Die Justiz ist bemüht, ein möglichst hohes Sicherheitsniveau in Gerichtsgebäuden, dazu gehört auch der Schutz aller darin befindlichen Personen (unabhängig von der Berufgsruppe), zu gewährleisten. Dazu  ist neben baulichen, technischen, organisatorischen und legistischen Maßnahmen die richtige Einstellung zu Sicherheitsvorkehrungen erforderlich. In diesem Sinne wurden alle Behörden- und Dienststellenleitungen aufgerufen, für ihren Zuständigkeitsbereich das Bewusstsein für Sicherheit bei den Bediensteten zu schärfen und die Umsetzung und Einhaltung der Sicherheitsrichtlinie sicherzustellen.

Darüber hinaus wurden insbesondere folgende technische und organisatorische Sicherheitsmaßnahmen in die Wege geleitet:

-        Ausbau der Alarmierungs- und Notrufsysteme (mit direkter Verbindung zur jeweiligen Sicherheitsdienststelle) sowie der technischen Sicherung der Eingänge von Gerichtsgebäuden (Gegensprechanlagen mit Videokameras);

-        Ausweitung der Sicherheitskontrollen nach §§ 3 ff GOG auch auf kleinere Bezirksgerichte;

-        Ausbau der Kompetenzen der bei jeder Dienststelle zu bestellenden Sicherheitsbeauftragten;

-        Schulung der Dienststellenleitungen, Sicherheitsbeauftragen und Bediensteten der Gerichte und Staatsanwaltschaften;


-        Erstellung von Notfallsmappen und Sicherheitsbroschüren für alle Dienststellen;

-        Einrichtung von Krisenstäben bei den Oberlandesgerichten;

-        Verstärkte Zusammenarbeit der Dienststellenleitungen mit Sicherheitsbehörden und Einsatzorganisationen.

Nach Maßgabe der finanziellen und technischen Möglichkeiten soll der Sicherheitsstandard bei den Gerichten laufend verbessert werden. Im April 2010 wurde die überarbeitete „Allgemeine Richtlinie für Sicherheitsstandards in Gerichtsgebäuden“ herausgegeben, die auch der Beantwortung der thematisch ähnlichen Parlamentarischen Anfrage Zl. 7377/J-NR/2011 angeschlossen war.

Zu 3:

Nach § 23 Abs. 2 RAO hat die Rechtsanwaltskammer innerhalb ihres Wirkungsbereiches die beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen der der Rechtsanwaltskammer angehörenden Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter wahrzunehmen, zu fördern und zu vertreten. Dabei obliegt der Rechtsanwaltskammer insbesondere auch die Wahrung der Ehre, des Ansehens und der Unabhängigkeit des Rechtsanwaltsstandes sowie die Wahrung der Rechte und die Überwachung der Pflichten ihrer Mitglieder.

Im Zusammenhang mit den in der Anfrage angesprochenen Fällen von möglichen Drohungen gegen Rechtsanwälte oder deren Mitarbeiter werden die Möglichkeiten der Kammer, „die Rechte ihrer Mitglieder zu wahren“, aber naturgemäß limitiert sein. Eine über das Gesagte hinausgehende gesetzliche Verpflichtung der Rechtsanwaltskammer zu einem Tätigwerden besteht jedenfalls nicht; auch eine besondere Meldepflicht existiert – jedenfalls nach den berufsrechtlichen Bestimmungen – nicht.

Zu 4 und 6 bis 8:

Nachdem Strafverfahren in der VJ nicht nach den hier relevierten Kriterien (Beruf des Opfers) gekennzeichnet sind, ist eine automationsunterstützte Auswertung nicht möglich. Eine händische Recherche würde einen unvertretbar hohen Aufwand bei den Strafverfolgungsbehörden auslösen, sodass ich um Verständnis ersuche, wenn ich keinen derartigen Auftrag erteilt habe.

Zu 9 und 10:

RechtsvertreterInnen, aber auch andere in der Rechtspflege tätige Personen wie etwa RichterInnen, Staatsanwälte/innen oder Sicherheitsbeamte/innen sind im Zusammenhang mit ihrer Berufsausübung oftmals einem erhöhten Risiko ausgesetzt, Opfer einer durch eine Verfahrenspartei begangenen, gegen Leib und Leben oder gegen die Freiheit gerichteten Straftat zu werden. Die in den jeweiligen Abschnitten des Besonderen Teiles des Strafgesetzbuches angeführten Delikte kommen in diesem Falle zur Anwendung, wobei es sich bei den in der Anfrage angeführten strafbaren Handlungen nach §§ 83ff, 105f und 107f StGB um Offizialdelikte handelt, die ein amtswegiges Führen eines Ermittlungsverfahrens durch die Kriminalpolizei bzw. Staatsanwaltschaft zur Aufklärung der in Rede stehenden Straftat(en) nach sich ziehen. Darüber hinaus können im Falle beharrlicher Verfolgung nach § 107a StGB aber auch zivilrechtliche Instrumente wie die Erlassung einer Einstweiligen Verfügung zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre gemäß § 382g EO vom Betroffenen beim örtlich zuständigen Bezirksgericht beantragt werden. Diese Maßnahmen zum Schutz von Opfern von Stalking wurden durch das mit 1. Juni 2006 in Kraft getretene Strafrechtsänderungsgesetz 2006 geschaffen.

Mit Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes, BGBl. I Nr. 19/2004, am 1. Jänner 2008 wurden Opferanliegen zudem verstärkt Gegenstand des Strafverfahrens und Opferrechte weiter ausgeweitet. Durch die Neugestaltung der Rechtsstellung des Tatopfers steht das Opfer dem Beschuldigten nunmehr grundsätzlich gleichberechtigt gegenüber. Es ist Verfahrensbeteiligter mit eigenständigen Informations- und Beteiligungsrechten. Zu den allen Opfern gemäß § 66 Abs. 1 StPO zustehenden Rechten gehört unter anderem das Recht auf Information, auf Akteneinsicht, auf kontradiktorische Vernehmungen von Beschuldigten und Zeugen und auf Teilnahme an Befundaufnahmen und Tatrekonstruktionen sowie das Recht, an der Hauptverhandlung teilzunehmen und dort Fragen zu stellen sowie die Fortführung eines durch die Staatsanwaltschaft eingestellten Verfahrens zu verlangen. Dieser Schutz kommt Opfern von Straftaten ohne Ansehen auf ihre Person bzw. ihre soziale Stellung zu. So können grundsätzlich auch RechtsvertreterInnen oder deren MitarbeiterInnen, die etwa durch Angriffe auf ihre Person besonders traumatisiert sind und unter den Opferbegriff des § 65 Abs. 1 lit a StPO fallen, Anspruch auf psychosoziale und juristische Prozessbegleitung gemäß § 66 Abs. 2 StPO haben.

Nicht zuletzt mit Blick auf diese in den letzten Jahren durchgeführten weitreichenden Reformen im Bereich des materiellen Strafrechts und des Strafprozessrechts erscheinen die bestehenden allgemeinen Regelungen des StGB und der StPO ausreichend, um auch für die in der Anfrage angeführte Personengruppe der RechtsvertreterInnen und ihrer MitarbeiterInnen wirksamen Schutz im Falle gegen sie gerichteter Straftaten sicherzustellen.

Schließlich dienen auch die Bestimmungen der §§ 1 bis 14 GOG über das Waffenverbot in Gerichten und dessen Durchsetzung sowie die Vorkehrungen gemäß der allgemeinen Richtlinie des Bundesministeriums für Justiz für Sicherheitsstandards in Gerichtsgebäuden dem Schutz des genannten Personenkreises (sowie aller anderen in Gerichtsgebäuden aufhältigen Personen) gegen gefährliche Angriffe.

Ein legistischer Änderungsbedarf besteht daher nicht.