8362/AB XXIV. GP
Eingelangt am
08.07.2011
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BM für Gesundheit
Anfragebeantwortung

Alois Stöger
Bundesminister
Frau
Präsidentin des Nationalrates
Mag.a Barbara Prammer
Parlament
1017 Wien
GZ: BMG-11001/0182-I/A/15/2011
Wien, am 7. Juli 2011
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Ich beantworte die an mich gerichtete schriftliche parlamentarische
Anfrage Nr. 8508/J der Abgeordneten Dr. Spadiut, Ursula Haubner, Kolleginnen und Kollegen nach den mir vorliegenden Informationen wie folgt:
Frage 1:
Eine der prioritären Maßnahmen des Nationalen Aktionsplan Ernährung (NAP.e) für 2011, die sich aus den zahlreich eingegangenen Stellungnahmen des letztjährigen Konsultationsverfahrens ergeben haben, ist die Ausarbeitung von einheitlichen und praktikablen Empfehlungen und/oder Standards für die verschiedenen Bereiche der Gemeinschaftsverpflegung. Da im Rahmen der Konsultation zum NAP.e als eine der prioritär zu behandelnden Zielgruppen auch Kinder identifiziert wurden, hat sich das Gesundheitsministerium für heuer die Erarbeitung von niederschwelligen Mindeststandards für die schulische Vor-Ort-Verpflegung vorgenommen. Ein entsprechender Entwurf für Mindeststandards für gesundheitsförderliche
Schulbuffets, der sich an bereits vorhandenen – leider wenig bekannten und unterschiedlich detaillierten bzw. unterschiedliche Themenfelder bedienenden - Leitfäden bzw. Empfehlungen orientiert, diese zusammenführt und weiterentwickelt, wurde im Rahmen einer Arbeitsgruppe mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft und Praxis erstellt. Dieses Dossier wird im Herbst der Nationalen Ernährungskommission, die mir als Beratungsgremium für alle ernährungsrelevanten Fragestellungen zur Seite steht, zur Beschlussfassung vorgelegt werden. Ich hoffe, dass bald ein österreichweiter einheitlicher, von ExpertInnen, den betroffenen Verkehrskreisen und auch den politischen EntscheidungsträgerInnen und Schulpartnern auch mitgetragener Mindeststandard für Schulbuffets vorliegt.
Da die Vision des NAP.e ein in Gesundheit gelebter Alltag in allen Lebensbereichen ist, wird für das kommende Jahr eine Adaptierung bzw. Differenzierung der finalisierten Empfehlungen für andere Settings der Gemeinschaftsverpflegung - darunter vorschulische und betriebliche Verpflegung - angestrebt.
Der Focus dieser Standards liegt auf der Ernährungsphysiologie bzw. Gesundheitsförderung. Es geht um eine Verbesserung und Optimierung des Angebots im Hinblick auf das unstrittige gesundheitsförderliche Potential einer ausgewogenen, an den Empfehlungen (Ernährungspyramide) orientieren Ernährungsweise (z.B. mehr Gemüse, mehr komplexe Kohlenhydrate, mehr Fisch, mehr Vollkorn, mehr dunkles Gebäck, weniger Fleisch, weniger Wurst, weniger Süßigkeiten, mehr kalorienarme Getränke, mehr Wasser, weniger Salz, etc.). Auch bestimmte Zubereitungsaspekte werden berücksichtigt (z.B. dünsten/grillen statt frittieren). Produktqualitätsaspekte wie ein bestimmter Bio-Anteil, ökologische Aspekte wie Saisonalität und Regionalität bzw. eine „Freiheit“ von Zusatzstoffen etc. stehen dabei nicht im Vordergrund, z.B. wären ein Obstsalat mit Orangen aus Italien im Angebot dem Bio-Leberkäse aus der Region vorzuziehen.
Frage 2:
Ziel der Gesundheitspolitik ist es, die Aufnahme von schädlichen Stoffen so weit wie möglich zu reduzieren. Es sind daher in jedem Fall an Hand der wissenschaftlichen Datenlage die gesundheitlichen Auswirkungen z.B. von Pflanzenschutzmitteln zu berücksichtigen, dies findet seinen Niederschlag in der Zulassungspraxis von Pflanzenschutzmitteln und deren Anwendungskontrolle (zuständig BMLFUW bzw. die Bundesländer) sowie der Festlegung von Rückstandshöchstmengen. Nach international anerkannten Verfahren der Risikobewertung wurden bzw. werden unter Einbindung aller relevanten Institutionen (Mitgliedstaaten, Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, Europäische Kommission) europaweit harmonisierte Höchstgehalte von Pestizidrückständen in Lebensmitteln festgelegt, die sicherstellen sollen, dass mit der theoretisch möglichen Aufnahmemenge kein gesundheitliches Risiko einhergeht. Die festgelegten Höchstmengen werden entsprechend dem wissenschaftlichen Kenntnisstand laufend evaluiert und erforderlichenfalls korrigiert. Spezielle darüber hinausgehende Standards zusätzlich für die Gemeinschaftsverpflegung sind derzeit nicht geplant (siehe Frage 1).
Frage 3:
Eingangs möchte ich klarstellen, dass Bioprodukte nicht „pestizidfrei“ sind. Tatsache ist, dass in biologisch produzierten Produkten tendenziell weniger Rückstände von Pflanzenschutzmitteln vorkommen. Auch für die herkömmlich produzierten Produkte gilt, dass diese den gesetzlichen Vorgaben entsprechen müssen und somit – nicht nur im Hinblick auf Pestizidrückstände - sicher sein müssen.
Ein entsprechender Erlass des BMG, um - wie angeregt – in österreichischen Schulen und Kindergärten ausschließlich die Verwendung von Bioprodukten vorzuschreiben - ist deshalb und auch mangels Zuständigkeit des BMG - nicht möglich.
Nach der aktuellen Studienlage gibt es keinen gesundheitswirksamen Unterschied im Nährstoffgehalt bei konventionellen oder biologisch erzeugten Produkten. Andere Parameter wie z.B. die Sortenwahl, das Klima während der Wachstumsperiode, Lager- und Transportgegebenheiten bzw. bei tierischen Produkten die Fütterung und generell auch die Verarbeitung im Rahmen des Lebensmittel- bzw. Speisenherstellungsprozesses spielen hier eine weitaus größere Rolle als die Produktionsmethode bio oder konventionell. Aus dem Blickwinkel der Gesundheitsförderung ist vielmehr von Bedeutung, wie die tägliche Ernährung zusammengestellt wird (z.B. weniger Fleisch, mehr Gemüse oder Folienkartoffeln statt Pommes etc.). Zwar sind die Rückstände an Nitrat und Pestiziden in biologisch erzeugten Waren aufgrund der geringeren Exposition gegenüber Pflanzenschutzmitteln marginal geringer - trotzdem sind auch bei Obst und Gemüse aus biologischem Anbau Gehalte an Nitrat und Pestiziden, die sich aufgrund langer Transportwege oder der Aufzucht in Glasgewächshäusern ergeben können, wie bereits eingangs erwähnt, messbar - somit ist auch ein Großteil der im Handel angebotenen biologischen Obst- und Gemüsesorten nicht frei von Rückständen.
Frage 4:
Im erwähnten Entwurf für ernährungsphysiologische Mindeststandards für Schulbuffets (nachweislich die Hauptquelle für die Schuljause) wird darauf verwiesen, dass ein bedarfsgerechtes Warenangebot auf ökologische Aspekte - die neben Saisonalität und Regionalität auch die biologische Komponente beinhalten - sowie Frische, Qualität und Vielfalt Rücksicht nehmen sollte. Im Rahmen eines großen Projektes im Laufe der nächsten zwei Jahre wird das BMG SchulbuffetbetreiberInnen auch aktiv unterstützen, den Mindeststandard umzusetzen (mobile Beratungsteams, Umsetzungshilfen, Hotline, Homepage, Anreizsysteme etc.).
Für die Schuljause „von Zuhause“ gibt es seitens des Ressorts zahlreiche Informations- und Aufklärungsbroschüren, die Eltern bei der Zusammenstellung einer bedarfsgerechten und gesundheitsförderlichen Schuljause unterstützen sollen, auch die verschiedenen Aktivitäten meines Ressorts und anderer Verkehrskreise im Rahmen des nationalen Aktionplans Ernährung (NAP.e) tragen zur Aufklärung und zu einer lebendigen Debatte zum Themenfeld „gesundheitsförderlich ernähren“ und damit zur Bewusstseinsbildung jedenfalls bei und sollen auch dazu führen, dass die Eltern ihre Verantwortung für die richtige Lebensmittelauswahl für die Schuljause
ihrer Kinder (neben den SchulbuffetbetreiberInnen, siehe oben) letztlich auch gerne und entsprechend informiert wahrnehmen.
Frage 5:
Im Rahmen des Kinder-Umwelt-Surveys 2003/06 wurden vom deutschen Umweltbundesamt Stoffwechselprodukte von Organophosphaten und Pyrethroiden im Urin einer repräsentativen Stichprobe von 3 - 14-Jährigen untersucht. In praktisch allen Proben fanden sich die Abbauprodukte, was für ein universelles Vorkommen dieser Stoffe spricht, wobei diese nicht nur aus dem landwirtschaftlichen Bereich kommen, sondern auch aus dem gewerblichen und privaten Bereich. Hinsichtlich der Verteilung wurde festgestellt, dass die Werte mit dem Alter abnehmen, Angehörige höherer sozialer Schichten höhere Werte im Urin haben und auch Mädchen höhere Werte haben als Buben. Grundsätzlich bedeutet das Auffinden dieser Stoffe im Urin noch nicht, dass damit auch die Gesundheit beeinträchtigt ist.
Auch
sind die Ausführungen von Global 2000 hinsichtlich Humanbiomonitoring und
andere ähnliche Studien bekannt, die jedoch keinen monokausalen
Zusammenhang mit Pestiziden herstellen, sondern bei denen Bioindikatoren
untersucht werden, die eventuell auf die Exposition gegenüber
Pflanzschutzmitteln hinweisen, ein monokausaler Zusammenhang kann und darf hieraus
allerdings nicht abgeleitet werden. Prinzipiell ist festzuhalten, dass ohne
eine sorgfältige und detaillierte Erhebung sämtlicher möglicher
Kontaminationsquellen (d.h. Erhebung der Lebensumstände der betreffenden
Personen) ein direkter Zusammenhang mit dem Auftreten von Alkylphosphaten im
Urin mit möglichen Rückständen von Organophosphaten auf/in
Lebensmitteln nicht herstellbar ist. Eine mögliche, jedoch unbekannte
Exposition gegenüber anderen strukturell ähnlichen Chemikalien, die
keine Pflanzenschutzmittel sind, wie z.B. Bioziden oder Flammschutzmitteln, ist
ebenfalls denkbar. Obwohl nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Auftreten
der Metaboliten von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen auf Rückstände in
Lebensmitteln zurückzuführen ist, ist zu bedenken, dass durchaus auch
andere Quellen in Frage kommen. Ähnliche oder gleiche Organophosphate, wie
sie im Pflanzenschutz Verwendung finden, werden auch als Biozide, z.B. zur
Schädlingsbekämpfung, eingesetzt. Gerade Diethylphosphat, das ja bei
allen Probanden nachgewiesen wurde, ist auch ein Flammschutzmittel (z.B. www.umweltbundesamt.at/fileadmin/site/
umweltthemen/gesundheit/fact_sheets/Fact_Sheet_Trisphosphate.pdf bzw.
Studie des Umweltbundesamtes „LUKI – Luft und Kinder - Einfluss der
Innenraumluft auf die Gesundheit von Kindern in Ganztagsschulen“ www.gendermedizin.at/inhalt/
Download/LUKI_Studie.pdf). Da gerade in öffentlichen Gebäuden,
wie z.B. Schulen, die Brandschutzbestimmungen besonders streng sind, könnte
dort möglicherweise eine höhere Exposition gegenüber derartigen
Stoffen vorkommen.
Festzuhalten
ist, dass die von Global 2000 veröffentlichten Messwerte im Urin unter den
Humanbiomonitoring-Referenzwerten der deutschen „Kommission
Human-Biomonitoring“ liegen. (Dimethylphosphat im Morgenurin: Kinder
(3-14 Jahre) 75 µg/l; Allgemeinbevölkerung: 135 µg/l; Diethylphosphat
im Morgenurin: Kinder (3-14 Jahre) 30 µg/l; Allgemeinbevölkerung 16
µg/l). (siehe auch www.umweltdaten.de/
gesundheit/monitor/tabelle-ref-werte-biozide_2009.pdf). Diese Referenzwerte
sind zwar rein statistisch ermittelte Werte und erlauben keinen
Rückschluss auf die gesundheitliche Relevanz, Überschreitungen deuten
jedoch auf eine erhöhte Exposition gegenüber bestimmten Substanzen
bzw. Substanzgruppen hin.
Frage 6:
Studien oder Tests zu diesem Thema sind derzeit nicht geplant, da kein aktueller Anlass besteht (z.B. auffällige gesundheitliche Befunde bei Kindern, die mit einer Pestizidbelastung in Verbindung stehen könnten).
Frage 7:
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Pestizidbelastung bei Kindern und Jugendlichen sich nicht von der bei Erwachsenen unterscheidet. Ausnahmen sind dadurch gegeben, dass Kinder und teilweise auch noch Jugendliche (in Abhängigkeit vom Alter) einen höheren Stoffumsatz (Lebensmittel) pro Kilogramm Körpergewicht aufweisen und dies eine höhere Exposition gegenüber Stoffen in/auf Lebensmitteln bezogen auf Kilogramm Körpergewicht bedingt. Bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln und der Festlegung von Rückstandshöchstgehalten wird diesem Umstand Rechnung getragen (siehe auch Beantwortung zu Frage 8).
Informationen über die Situation in Österreich in Bezug auf Pestizidrückstände in Obst, Gemüse und anderen Lebensmitteln können folgenden Internetseiten entnommen werden:
www.ages.at/ages/ernaehrungssicherheit/rueckstaende-kontaminanten/
pflanzenschutzmittel-rueckstaende-in-lebensmittel/pestizidmonitoring/
www.bmg.gv.at/home/Schwerpunkte/VerbraucherInnengesundheit/Lebensmittel/
Lebensmittelkontrolle/Monitoringprogramme/Nationales_Rueckstandsmonitoring_
Obst_und_Gemuese
Frage 8:
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass im Rahmen der derzeit gängigen international anerkannten Verfahren der Risikobewertung EU-weit harmonisierte Höchstgehalte von Pestizidrückständen unter Einbindung aller relevanten Institutionen (Mitgliedstaaten, Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, Europäische Kommission) festgelegt wurden und werden. Aufgrund der Vorgangsweise ist gewährleistet, dass durch die theoretische Exposition, die bei den festgelegten Rückstandshöchstgehalten gegeben ist, kein gesundheitliches Risiko und damit einhergehend keine Überschreitung des ADI-Wertes (akzeptierbare tägliche Aufnahmemenge) bzw. des ARfD-Wertes (akute Referenzdosis) gegeben ist.
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hat aufgrund von Modell-berechnungen die Exposition der europäischen VerbraucherInnen abgeschätzt. Bei dieser Expositionsbewertung wurden Verzehrgewohnheiten in ganz Europa sowie auch bestimmter besonders empfindlicher Untergruppen der Bevölkerung, wie
beispielsweise Kinder und Säuglinge, berücksichtigt. Sollte der Fall eintreten, dass aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse bzw. Erfahrungen eine ADI-Wert-Überschreitung durch bestimmte Höchstgehalte möglich ist, werden diese neu evaluiert und gegebenenfalls korrigiert.
Frage 9:
Organophosphate haben als scheinbar homogene chemische Gruppe aufgrund der tatsächlichen Heterogenität der einzelnen zuordenbaren Substanzen auch unterschiedliche toxikologische Wirkungen. In vielen Fällen werden Organophospate sprachlich jedoch den insektizid-wirksamen Phosphorsäureestern, die als Biozide oder Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden, gleichgesetzt.
Die Wirkung beim Menschen beruht auf einer Hemmung der Acetylcholinesterase. Diese ist für den Abbau des Acetylcholins, einer Überträgersubstanz im Nervengewebe, verantwortlich. Wird das Enzym gehemmt, kommt es zur Anhäufung von Acetylcholin und damit zur Erregung der unwillkürlichen Muskulatur in vegetativen Organstrukturen (z.B. Herz-Kreislaufsystem, Lunge, Verdauungstrakt) mit Gefäßerweiterung, Blutdrucksenkung, Verlangsamung des Herzschlages, Atemnot, Pupillenverengung, erhöhtem Speichel- und Schweißfluss, Bauchkrämpfen bis hin zum Tod durch Atemstillstand. Dies ist jedoch von der Dosis abhängig; bisher sind derartige Wirkungen bei Kindern nur in Verbindung mit Unglücksfällen (beispielsweise versehentliches Trinken aus einer Flasche mit Schädlingsbekämpfungsmittel) festgestellt worden. Bei Einhaltung des ADI- bzw. ARfD-Wertes sind entsprechende Wirkungen nicht zu erwarten.