8402/AB XXIV. GP
Eingelangt am 11.07.2011
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
BM für Justiz
Anfragebeantwortung
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Albert Steinhauser, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Entwicklungen beim elektronisch überwachten Hausarrest“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1 bis 3:
Zum Stichtag 1. Mai 2011 befanden sich 111 Personen im elektronisch überwachten Hausarrest (eüH), davon 88 „Frontdoor“ und 23 „Backdoor“ (zur Erläuterung der Begriffe siehe die Ausführungen zu den Fragepunkten 6 bis 12). Als absolute Neuerung im österreichischen Strafvollzug wird der Hausarrest von den Vollzugsbehörden gut angenommen. Selbstverständlich müssen erst praktische Erfahrungen gesammelt werden, auf deren Grundlage diese Vollzugsform weiter zu entwickeln ist. Die Bedingungen für den Vollzug von Untersuchungshaft im eüH sind eng gefasst und sollen insbesondere ein „Net-Widening“, also die Verhängung oder Fortsetzung von Untersuchungshaft im eüH bei Personen, über die sonst gar keine Haft verhängt würde, hintanhalten. Bislang wurden drei Personen in Untersuchungshaft in Form des eüH angehalten, in einem Fall wurde diese Haftform durch das angerufene Oberlandesgericht bestätigt, in einem weiteren nicht, im dritten unterblieb eine Anfechtung der bewilligenden Gerichtsentscheidung. Die Vollzugsbehörden sind bemüht, die Gerichte mit den erforderlichen Informationen zu versorgen und die administrativen Vorgänge zu vereinfachen. Im Hinblick auf die jedenfalls erforderliche günstige Risikoprognose scheint mir aber ein allzu großer Druck dahin, möglichst rasch möglichst viele Personen in den eüH mit den damit verbundenen Freiheiten zu bringen, nicht zweckmäßig.
Zu 4 und 5:
Bis Ende April wurden 393 Erhebungen von Neustart durchgeführt und 227 Personen tatsächlich in den eüH übernommen. In elf Fällen wurde der eüH bis Ende April 2011 abgebrochen, in keinem Fall auf Wunsch des Insassen.
Zu 6 bis 12:
Strafgefangene und Untersuchtshäftlinge haben mit Stichtag 1. Mai 2011 rund 15.000 Hafttage im elektronisch überwachten Hausarrest zugebracht. Legt man die Grenzkosten in der Höhe von 11 Euro pro Tag und Insassen zugrunde, ergibt dies einen Einsparungsbetrag von 165.000 Euro; legt man die Durchschnittskosten von 102 Euro pro Tag und Insassen zugrunde, ergibt dies einen Einsparungsbetrag von 1,5 Mio Euro.
Wesentliche Faktoren der Einsparungen entziehen sich aber einer Bezifferung und zwar:
In der Frontdoorvariante:
Die betroffenen Personen können während der Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe im familiären Verband verbleiben und ihren Arbeitsplatz sowie ihre Wohnung behalten. Sie zahlen weiterhin ihre Beiträge in das Pensions- und Sozialversicherungssystem ein und sind in der Regel außer kranken- und unfall- auch noch pensionsversichert. Es entstehen der öffentlichen Hand auch keine (zusätzlichen) Kosten für die Unterstützung der Familienangehörigen des Strafgefangenen. Es bedarf keines Reintegrationsaufwandes, keiner Arbeitslosenunterstützung nach der Haft und keiner Wohnversorgung durch die öffentliche Hand in der Zeit nach der Haft.
In der Backdoorvariante:
Der Insasse wird bereits bis zu einem Jahr vor seiner Entlassung in einem hohen Maß überwacht in die Gesellschaft eingegliedert, womit seine Chancen auf eine gelungene Resozialisierung und damit auf geringere volkswirtschaftliche Kosten aus weiteren strafbaren Handlungen deutlich steigen. Indem der Insasse ein zur Deckung des Lebensunterhalts ausreichendes Einkommen und eine Beschäftigung samt Versicherungsschutz nachzuweisen hat, muss er nicht wie intramural überwiegend aus öffentlichen Mitteln erhalten werden.
Für die Betreuung und die Technik sind seit der Einführung des elektronisch überwachten Hausarrestes rund 1,17 Mio Euro (inklusive Anlaufkosten) aufgewendet worden. Die oben genannten Einsparungsbeträge veranschaulichen die positiven Auswirkungen des eüH. Vor Inkrafttreten insbesondere der Bestimmungen über den eüH war nicht klar, in welchem Ausmaß abstrakt in Betracht kommende Personen von der Möglichkeit einer entsprechenden Antragstellung Gebrauch machen würden und wie sich die Rechtsprechung der Gerichte, aber auch der Vollzugskammern entwickeln würde
Der Nationalrat hat mich ersucht, den eüH innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren zu evaluieren, zudem wird die Entwicklung natürlich auch laufend beobachtet. Mit der Ermöglichung von Alkoholkontrollen ohne Aufsuchen der überwachten Person wurde das System bereits weiterentwickelt. Es finden laufend Schulungs- und Evaluierungsveranstaltungen statt. Ich bin zuversichtlich, dass sich die neue Vollzugsform über kurz oder lang auch in Österreich gut etablieren wird.
Zu 13 bis 15:
Eine Erhebung der Zahl der FreigängerInnen im Februar 2011 im Vergleich zum Jahr davor hat einen Rückgang um rund 6% (20 Personen) gezeigt. Die Zahl der FreigängerInnen wird außer durch die Einführung des eüH in erster Linie durch die Bereitschaft privater und öffentlicher Institutionen, Arbeitsverschaffungsverträge abzuschließen, bestimmt. Für diese Bereitschaft sind auch die Wirtschaftslage und die Güte der Arbeitskraft der Freigänger maßgeblich. Eine quantitative Zurechnung zu einzelnen, zum Teil auch gegenläufig wirkenden Ursachen ist mir nicht möglich.
Zu 16:
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Gewährung von Ausgängen bzw. Vollzugslockerungen im weiteren Sinn machen keinen Unterschied danach, ob der Insasse in Form des eüH angehalten wird. Die individuelle Handhabung dieser Bestimmungen durch die Vollzugsbehörden hat sich nach der Person des Insassen zu richten, wird aber auch evaluiert werden.
Zu 17 und 18:
Der Bestandvertrag für die Außenstelle Judenburg der Justizanstalt Leoben wurde per Jahresende 2011 gekündigt; für die Außenstelle Meidling im Thale der Justizanstalt Stein wurde ein Verkaufsprozess eingeleitet, dessen Ausgang noch ungewiss ist.
Zu 19 bis 21:
Für den Betrieb der Überwachungszentrale an sieben Tagen der Woche rund um die Uhr sind acht Beamte des Exekutivdienstes vorgesehen, deren exekutivdienstliche Kernaufgaben darin bestehen, die Insassen zu überwachen, mit ihnen Kontakt zu halten und auf Alarme und Fehlermeldungen adäquat zu reagieren. Mit einem Teil ihrer Arbeitskapazität erfassen und modifizieren diese Bediensteten auch die Aufsichtsprofile, die von Neustart gemeinsam mit den InsassInnen entworfen und den Vollzugsbehörden zur Genehmigung übermittelt werden. Derzeit befindet sich der eüH in einer Einführungs- und Ausbauphase, bei der auch die internen Prozesse evaluiert und erforderlichenfalls überarbeitet werden. Die technische Anbindung des Überwachungssystems an die im Strafvollzug eingesetzte Integrierte Vollzugsverwaltung (IVV) im Wege einer Schnittstelle ist in Umsetzung und ich gehe davon aus, dass damit eine Entlastung für die Zentrale verbunden sein wird.