8494/AB XXIV. GP

Eingelangt am 18.07.2011
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

BM für Justiz

Anfragebeantwortung

Zur Zahl 8588/J-NR/2011

Die Abgeordnete zum Nationalrat Angela Lueger und GenossInnen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Umsetzung BVG Kinderrechte“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 bis 7:

Österreich wurde in der Gewissheit Vertragspartei des Übereinkommens über die Rechte des Kindes, dass die im Übereinkommen normierten Rechte des Kindes und die Achtung seiner besonderen Bedürfnisse in der österreichischen Rechtsordnung im Wesentlichen bereits gewährleistet sind. In diesem Sinne sind auch die im Bundesverfassungsgesetz (B-VG) über die Rechte von Kindern getroffenen Regelungen als umgesetzt zu betrachten. Mit der Vollziehung des B-VG über die Rechte von Kindern ist die Bundesregierung betraut. Die legistische Zuständigkeit liegt beim Bundeskanzleramt.

Kinderrechtsrelevante Bestimmungen finden sich in der gesamten österreichischen Rechtsordnung, ohne dass sie sich immer einzelnen Normen oder Ressorts zuordnen ließen. Alle Bestimmungen des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern besitzen jedoch allgemeine Geltung und Bedeutung und sind daher selbstverständlich auch in meinem Ressort zu beachten. Die Gewährleistung der Rechte von Kindern und der Schutz ihrer Interessen und Bedürfnisse sind mir, meinen AmtsvorgängerInnen und dem Justizressort selbstverständlich schon vor dem In-Kraft-Treten des B-VG über die Rechte von Kindern Verpflichtung, Auftrag und Anliegen gewesen. Die gesamte Gesetzgebung und Vollziehung war schon bisher und ist weiterhin verpflichtet und angehalten, die Kinderrechte und die Interessen Minderjähriger zu beachten sowie dabei die Minderjährigen im ihrem Alter entsprechenden Ausmaß selbst und im Übrigen ihre gesetzlichen Vertreter oder Interessensvertreter (z.B. die im Antrag erwähnten Kinder- und Jugendanwaltschaften) einzubeziehen. Das Kindschaftsrecht (einschließlich des dazugehörigen Verfahrensrechts) ist seit langem vom bestimmenden Grundsatz der bestmöglichen Gewährleistung des Kindeswohls charakterisiert. Es ist mir ein Anliegen, diesen Grundsatz im Zuge der geplanten Reform des Kindschaftsrechts noch deutlicher im Gesetz zum Ausdruck zu bringen und näher zu konkretisieren.

Jeder Gesetzesentwurf wird auf Verfassungskonformität und damit auch auf seine Konformität mit dem Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern geprüft. Eine spezifische Partizipation von Kindern findet über geeignete und anerkannte Interessensvertretungen der Kinder statt (namentlich die Kinder- und Jugendanwaltschaften der Länder).

Die Bewusstseinsbildung für Kinderrechte wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit aktiv unterstützt. So finden sich gezielte Informationen über Kinderrechte sowohl auf der Justiz-Website als auch im Justiz-Intranet (dazu noch zu den Fragepunkten 8 bis 11). Auf der Justiz-Website (www.justiz.gv.at) sind insbesondere im Bereich Home/Bürgerservice/Publikationen Informationsfolder zum Kinderbeistand für Eltern, Kinder und Jugendliche sowie eine Information und Studie zur Prozessbegleitung abrufbar. Im Justiz-Intranet sind im Bereich Schulung & Wissen/Broschüren-Infoblätter beispielsweise Informationen zum Kinderbeistand, eine Studie zur Prozessbegleitung, Informationen zur besseren Identifizierung von Opfern von Kinderhandel und Berichte der Begleitforschung zum Projekt „Kinderbeistand“ zu finden.

Zu 8 bis 11:

Von 1. Jänner 2006 bis 30. Juni 2008 wurde im Rahmen eines vom Bundesministerium für Justiz durchgeführten (vom Familienressort mitfinanzierten) Modellprojekts das Institut eines „Kinderbeistands“ in der Praxis erprobt. Das Modellprojekt war ursprünglich an vier Standorten eingerichtet und auf einen Zeitraum von achtzehn Monaten (bis 30. Juni 2007) angelegt. Es wurde in der Folge räumlich auf 24 weitere Bezirksgerichtssprengel und zeitlich bis 30. Juni 2008 ausgeweitet. Nach den Ergebnissen der sozialwissenschaftlichen Begleitforschung haben alle involvierten Personen – Eltern, Kinder, Richterinnen und Richter sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter der Jugendwohlfahrt – die Tätigkeit der Kinderbeistände als eine Unterstützung für die Kinder erfahren. Auch hat sich gezeigt, dass der Kinderbeistand in der überwältigenden Mehrheit der über 70 dokumentierten Fälle den Kindern Unterstützung und Entlastung geboten hat.

Auf Grundlage dieser Erkenntnisse wurde das Kinderbeistand-Gesetz ausgearbeitet und gegen Ende des Jahres 2009 beschlossen. Es ist (in seinen Kernbereichen) am 1. Juli 2010 in Kraft getreten. Der Beobachtungszeitraum seit dem In-Kraft-Treten des Gesetzes umfasst also noch nicht einmal ein ganzes Jahr. Nachhaltige Erkenntnisse, liegen mir daher noch nicht vor.


Der Kinderbeistand ist ein – bedeutsamer – Faktor, der dazu beiträgt, den Bedürfnissen der Kinder in kindschaftsrechtlichen Gerichtsverfahren Rechnung zu tragen. Er soll als Sprachrohr des Kindes dienen und es im Verfahren entlasten. Er artikuliert die Wünsche und Bedürfnisse des Kindes und kann dadurch oft dazu beitragen, dass Eltern wieder stärker auf die Bedürfnisse des Kindes achten. 

Zusätzlich zur Einrichtung des Kinderbeistands sollte nach Möglichkeiten gesucht werden, um darauf hinzuwirken, dass Streitigkeiten der Eltern über Obsorge und Besuchsrecht nicht eskalieren und rasch wieder beigelegt werden können. Insbesondere ist es mir ein Anliegen, gerichtliche Verfahren über die Obsorge oder das Recht auf persönliche Kontakte zu einem Kind zu beschleunigen. Je länger ein solches Verfahren dauert, umso größer ist die Gefahr einer Verhärtung der Fronten und einer damit verbundenen Beeinträchtigung der Bedürfnisse des Kindes; schon die während der Dauer des Verfahrens bestehende Ungewissheit stellt eine Belastung für jedes Kind dar, die umso größer ist, je länger das Verfahren dauert.

Als eine Maßnahme zur Beschleunigung kindschaftsrechtlicher Gerichtsverfahren setze ich mich für die Einrichtung einer Familiengerichtshilfe ein. Dem Gericht an die Seite gestellte Fachkräfte aus den Bereichen der Sozialarbeit, Pädagogik und Psychologie könnten vom Gericht beauftragt werden, die Parteien zu informieren, Erhebungen durchzuführen und Stellungnahmen abzugeben. Sie könnten gleich zu Beginn eines Verfahrens ein „Clearing“ durchführen, das die wesentlichen Konfliktpunkte und denkbaren Wege zu deren Beseitigung aus sozialarbeiterischer und psychologischer Sicht aufbereitet. Daraus sollte entweder eine gütliche Einigung der Eltern oder zumindest eine rasche Klarheit über die zweckmäßige weitere Vorgehensweise resultieren. Unter anderem könnte das Clearing der Familiengerichtshilfe in jenen Fällen, in denen das Kind eines Kinderbeistands bedarf, diesen Bedarf frühzeitig aufzeigen und so dazu beitragen, dass Kinderbeistände häufiger und frühzeitiger bestellt werden.

Im Zuge des In-Kraft-Tretens des Kinderbeistand-Gesetzes informierte das Bundesministerium für Justiz über Intranet alle Gerichte bundesweit über die wesentlichen Inhalte sowie die verfahrensrechtliche Umsetzung der Neuregelung und stellte dazu im Intranet ein Muster eines gerichtlichen Anforderungsschreibens an die Justizbetreuungsagentur zur Namhaftmachung von geeigneten Personen als Kinderbeistand in Form einer Musterverfügung zur Verfügung. Dieses Informationsmaterial ist auch weiterhin im Intranet der Justiz abrufbar.

Die Frage, ob im konkreten Pflegschaftsverfahren ein Kinderbeistand bestellt wird, hängt allerdings von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, deren Beantwortung der unabhängigen Rechtssprechung vorbehalten ist.


Mit Stichtag 31. Mai 2011 gibt es insgesamt 146 Fälle, in denen ein Kinderbeistand bestellt wurde.

Informationen zum Kinderbeistand bieten neben der bereits genannten Justiz-Website ferner der Folder der Justizbetreuungsagentur (JBA) sowie deren Website (unter: http://www.jba.gv.at/?kinderbeistand). Ein besonderes Budget ist für diese Informationsmaßnahmen nicht veranschlagt.

Zu 12:

Die Bestellung eines Kinderbeistands endet nach § 104a Abs. 5 AußStrG mit der rechtskräftigen Erledigung der Sache. Dementsprechend gilt die Bestellung des Kinderbeistands grundsätzlich schon von Gesetzes wegen für die gesamte Dauer des Verfahrens. Zusätzlich hat der Kinderbeistand das Verfahren und dessen Ergebnisse abschließend mit dem Kind zu besprechen (§ 104a Abs. 5 Satz 3 AußStrG). Eine vorzeitige Enthebung des Kinderbeistands durch das Gericht ist (nur) dann vorgesehen, wenn es das Wohl des Kindes erfordert (§ 104a Abs. 5 Satz 2 AußStrG). Dies könnte nach den Erläuterungen der Regierungsvorlage des Kinderbeistand-Gesetzes (486 d. B. XXIV. GP) z.B. dann der Fall sein, wenn der Kinderbeistand untätig bleibt oder wenn es zwischen Kind und Kinderbeistand zu einem erheblichen Vertrauensbruch gekommen ist.

Die Anwendung des Gesetzes im Einzelfall obliegt den unabhängigen Gerichten.

Zu 13:

Nein. Alle Pflegschaftsgerichte können sich im Bedarfsfall an die Justizbetreuungsagentur wenden und um Namhaftmachung einer geeigneten Person als Kinderbeistand ersuchen. Die Justizbetreuungsagentur gibt sodann dem Gericht die Daten des Kinderbeistandes bekannt, welches in der Folge die genannte Person zum Kinderbeistand bestellt. 

Zu 14:

Geeignet für die Aufgabe des Kinderbeistands sind nur Personen, die die fachlichen und persönlichen Voraussetzungen erfüllen. Als Kinderbeistände kommen nur Personen in Betracht, die unbescholten sind sowie über eine Ausbildung an einer Akademie oder Fachhochschule für Sozialarbeit, an einer Fachhochschule oder Bildungsanstalt für Sozialpädagogik, über ein abgeschlossenes Studium der Pädagogik, Bildungswissenschaften oder Psychologie, über eine abgeschlossene Ausbildung zum Psychotherapeuten, Klinischen Psychologen, Gesundheitspsychologen oder psychoanalytisch-pädagogischen Erziehungsberater oder eine vergleichbare hochwertige Ausbildung (so genannte Quellenberufe) verfügen. Darüber hinaus müssen sie eine einschlägige Berufserfahrung in einem psychosozialen Beruf aufweisen. Im Besonderen müssen sie über eine mehrjährige berufliche Erfahrung im Umgang mit Minderjährigen unterschiedlicher Altersstufen und mit Scheidungsfamilien verfügen sowie mit dem Forschungsstand über die Belastung von Kindern durch Trennung bzw. Scheidung (Trennungsdynamik) vertraut sein (so genannte Grundqualifikationen). Das Auswahlverfahren ist von der JBA zu organisieren. Es erfolgt in drei Stufen und soll zunächst eine schriftliche Bewerbung mit Nachweis der formalen Kriterien, dann ein persönliches Vorstellungsgespräch gegenüber der Auswahlkommission und schließlich eine konkrete Aufgabenstellung, die im Rahmen eines Assessment-Centers gelöst werden muss und von der Kommission zu beurteilen ist, umfassen. Die Auswahlkommission besteht aus externen Experten und einem Vertreter/einer Vertreterin der JBA. Personen, die grundsätzlich als Kinderbeistände in Betracht kommen, müssen sich darüber hinaus durch die Absolvierung eines einheitlichen Curriculums Zusatzqualifikationen und Spezialkenntnisse, insbesondere in den Bereichen Familien-, Jugendwohlfahrts- und Verfahrensrecht (Grundlagen), Kommunikation (insbesondere mit Kindern) und Krisenmanagement/konstruktive Konfliktlösung, aneignen.

Zu 15 und 16:

Das Fortbildungsangebot für RichterInnen umfasst regelmäßig Veranstaltungen, in denen auf Kinderrechte Bezug genommen wird und Themen wie „Kindesmissbrauch“, „Umgang mit minderjährigen Missbrauchsopfern in Zivil- und Strafverfahren“, „schonende Vernehmung“, „Auswirkung von Trennung/Scheidung auf Kinder und Jugendliche“ und „Opferrechte“ behandelt werden. Zudem wird für JugendrichterInnen (und JugendstaatsanwältInnen) ein eigenes Curriculum abgehalten, das unter anderem Themen aus den Gebieten Sozialarbeit, Entwicklungspsychologie und Fragetechnik mit Fokus auf den Umgang mit Minderjährigen behandelt. Als Reaktion auf aktuelle gesetzliche Änderungen werden Fortbildungsveranstaltungen auch kurzfristig angeboten, so zum Beispiel die Seminarreihe „Das neue Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ)“ im April und Mai 2011 in allen Sprengeln der vier Oberlandesgerichte.

Im Rahmen der Fortbildungsveranstaltungen werden den TeilnehmerInnen auch Schulungsunterlagen mit aktuellen gesetzlichen Bestimmungen zur Verfügung gestellt.