8590/AB XXIV. GP

Eingelangt am 29.07.2011
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BM für Gesundheit

Anfragebeantwortung

 

 

 

 

Frau

Präsidentin des Nationalrates

Mag.a Barbara Prammer

Parlament

1017 Wien

Alois Stöger

Bundesminister

 

 

 

 

GZ: BMG-11001/0201-I/A/15/2011

Wien, am 29. August 2011

 

 

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

 

Ich beantworte die an mich gerichtete schriftliche parlamentarische

Anfrage Nr. 8678/J der Abgeordneten Dr. Spadiut, Kolleginnen und Kollegen nach den mir vorliegenden Informationen wie folgt:

 

Frage 1:

Der Zahl der opioidabhängigen Menschen kann man sich nur mit wissenschaftlichen Schätzverfahren annähern. Als dafür zur Verfügung stehende Methode kommt die im Auftrag meines Ressorts durchgeführte Prävalenzschätzung des problematischen Drogenkonsums zum Einsatz. Unter problematischem Drogenkonsum wird der häufigere Gebrauch sogenannter harter Drogen, der häufig mit körperlichen, psychischen und/oder sozialen Problemen einhergeht, verstanden. Die Prävalenzschätzung bezieht sich auf Opiate bzw. den polytoxikomanen Konsum unter Beteiligung von Opiaten. Die jeweils aktuellen Daten werden in dem von der Gesundheit Österreich GmbH, Österreichisches Bundesinstitut für Gesundheitswesen (GÖG/ÖBIG) im Auftrag meines Ressorts und der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) veröffentlichten Drogenbericht ausgewiesen. Die zuletzt aktuelle Schätzung für den Berichtszeitraum 2009/2010 ergab eine Prävalenzrate zwischen 25.000 und maximal 37.000 betroffenen Personen in Österreich. Schätzungen auf Bundesländerebene sind nicht zielführend und werden nicht durchgeführt, weil das Ergebnis wegen der geringen Fallzahlen der für einzelne Bundesländer zugrunde liegenden Datenquellen mit zu großen Unschärfen behaftet wäre.

 

Zum Stichtag 1. März 2011 waren im bundesweiten Substitutionsregister insgesamt 13.461 Personen als in Substitutionsbehandlung stehend gemeldet, die Aufschlüsselung nach Bundesländern stellt sich wie folgt dar:

 

Bundesland

B

K

S

St

T

V

W

Anzahl d. Behandlungen

227

431

1839

1138

434

1185

730

561

6687

 

Bei 229 Personen war eine Bundeslandzuordnung nicht möglich, da die entsprechenden Meldedaten fehlten.

 

Frage 2:

Mit Stand 20. Juni 2011 waren auf der seit 16. Juni 2011 von den Bezirksverwaltungsbehörden zentral beim Bundesministerium für Gesundheit zu führenden Liste insgesamt 625 zur Substitutionsbehandlung qualifizierte Ärztinnen und Ärzte verzeichnet. Die Aufschlüsselung nach Bundesländern stellt sich wie folgt dar:

 

Bundesland

Zahl der zur Substitutionsbehandlung qualifizierten Ärztinnen und Ärzte

Burgenland

18

Niederösterreich

58

Oberösterreich

78

Steiermark

36

Kärnten

16

Salzburg

10

Tirol

40

Vorarlberg

11

Wien

358

Gesamt

625

 

Bis zum In-Kraft-Treten (16. Juni 2011) der Novelle zur Weiterbildungsverordnung orale Substitution, BGBl. II Nr. 179/2011, erfolgte die Führung der Liste ausschließlich auf Ebene der Bezirksverwaltungsbehörden, ein Datenstand aus 2007 ist meinem Ressort daher nicht verfügbar.


Frage 3:

Die im Jahr 2007 auf Verordnungsebene eingeführten sicherheitsbezogenen Rahmenbedingungen und qualitativen Weiterbildungsauflagen wurden von Teilen der Ärzteschaft in der praktischen Anwendbarkeit als zu restriktiv kritisiert und die eingeführten Weiterbildungsauflagen mit zum Anlass genommen, sich aus der Substitutionsbehandlung zurückzuziehen. Vor allem in ländlichen Regionen haben sich daraus Probleme für die Versorgung der Patientinnen und Patienten abgezeichnet, auf die ich nach meinem Amtsantritt zunächst mit einer Verlängerung der Übergangsfristen reagiert habe, wodurch der Ärzteschaft mehr Zeit für die notwendigen Weiterbildungserfordernisse zur Verfügung stand. In der Folge habe ich mit dem notwendigen Augenmaß die von Seiten der Ärztinnen und Ärzte als zu sehr die Therapie einschränkend oder hinsichtlich der Weiterbildung zu ausufernd empfundenen Regelungen zurückgenommen. Insbesondere wurde bei den Weiterbildungsstandards differenziert, weiters wurden die Auflagen für jene Ärztinnen und Ärzte, die bereits auf ein Arzneimittel eingestellte Patientinnen und Patienten ausschließlich weiterbehandeln, deutlich reduziert. Ferner wurden zu weitgehende Beschränkungen beim therapeutischen Entscheidungsspielraum zurückgenommen. Ziel war es, die Ärzteschaft in dieser Behandlungsform halten und die Qualität der Substitutionsbehandlung sichern zu können, ohne die angesichts des Missbrauchspotenzials suchtgifthaltiger Arzneimittel erforderlichen Standards und Kontrollen preiszugeben. Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang die Stärkung der Kommunikation zwischen Bundes- und Länderebene auch unter Einbindung der ärztlichen Standesvertretung und der suchttherapeutischen Fachexpertise. Ich habe diese Schiene institutionalisiert, da den Problemen nur im Zusammenwirken aller Verantwortlichen begegnet werden kann.

 

Aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht ist festzuhalten, dass einzelne Krankenversicherungsträger einen bestehenden Bedarf festgestellt und im Bereich des Leistungs- bzw. Vertragspartnerrechtes reagiert haben. So wurden beispielsweise seitens der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse infolge der Änderung der Suchtgiftverordnung und Einführung der Weiterbildungsverordnung orale Substitution mit 1. Oktober 2007 drei neue Abrechnungspositionen („Erst- bzw. Wiedereinstellung“, „Weiterbehandlung von Drogenkranken im Rahmen einer Substitutionsbehandlung“ und „Abgabe einer Zweitmeinung im Rahmen einer Substitutionsbehandlung“) geschaffen, um den zusätzlichen Aufwand für die Ärztinnen und Ärzte abzugelten. Um das Angebot zu verbessern, wurde mit Wirksamkeit 1. April 2008 auch für Wahlärztinnen und Wahlärzte die Möglichkeit einer Direktverrechnung der „Substitutionspositionen“ geschaffen. Zusätzlich wurden spezialisierte Einrichtungen geschaffen, die in erster Linie für Ersteinstellungen zur Verfügung stehen und als Unterstützung für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte dienen (z.B. für Beratung bei „schwierigen“ Patientinnen und Patienten).

 

Frage 4:

Ich verkenne nicht die Bedeutung der Schaffung adäquater Honorarpositionen für die behandelnde Ärzteschaft in allen Bundesländern als einen Schritt zur Optimierung der Versorgungssituation im Bereich der Substitutionsbehandlung, verweise aber auf die Autonomie der Krankenversicherungsträger in diesem Bereich. Die Einführung und Honorierung von Leistungspositionen ist den vom Hauptverband im Namen und mit Zustimmung der Krankenversicherungsträger mit den örtlich zuständigen Ärztekammern abzuschließenden Gesamtverträgen (Honorarordnungen) vorbehalten. Dieser Umstand bedingt, dass es österreichweit einheitliche Honorierungssysteme der Krankenversicherungsträger und damit auch eine einheitliche Regelung im Bereich der Substitutionsbehandlung nicht gibt. Eine bestimmende Einflussnahme auf die Inhalte der Gesamtverträge kommt mir im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben nicht zu. Ich begrüße und unterstütze aber jedenfalls alle Bemühungen, überall zu tragfähigen Lösungen zu kommen. Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass die Verrechenbarkeit einer Substitutionsbehandlung nicht von einer spezifischen Abrechnungsposition - Sonderleistungspositionen zur Behandlung im Rahmen der Substitutionstherapie enthalten die Honorarordnungen der Oberösterreichischen, Tiroler und Wiener Gebietskrankenkasse - abhängt. Im Rahmen der  Krankenbehandlung ist schon nach dem Gesetz davon auszugehen, dass entsprechende Leistungen bei allen Krankenversicherungsträgern verrechenbar sind. Bei manchen Trägern stehen entsprechende Positionen der Honorarordnung (z.B. „Ausführliche Therapeutische Aussprache“) bzw. sonstige Verrechnungsmöglichkeiten zur Abrechnung zur Verfügung, andere haben besondere Zugänge zur Betreuung suchtkranker Personen gewählt.

 

So hat die Burgenländische Gebietskrankenkasse gemeinsam mit der Landesärztekammer für Burgenland im Juli 2010 ein Pilotprojekt gestartet und damit eine Abrechnungsmöglichkeit für ihre Vertragsärztinnen und -ärzte geschaffen. Die Kärntner Gebietskrankenkasse hat für die Substitutionsbehandlung Verträge mit Drogenambulanzen an den Standorten Klagenfurt und Villach. Die Drogenambulanz Villach plant in den Bezirken Spittal/Drau, Klagenfurt und Völkermarkt zusätzliche Außenstellen, um eine wohnortnähere Versorgung zu gewährleisten.

 

Die Salzburger Gebietskrankenkasse finanziert über das LKF-System die Drogenambulanz an der Christian Doppler-Klinik. Weiters besteht mit der Substitutionsstelle in Salzburg über den Salzburger Landesverband für Psychohygiene eine vertragliche Finanzierungsvereinbarung (Pauschalabgeltung pro Quartal). Darüber hinaus bestehen Verträge hinsichtlich der Drogenberatungsstelle in St. Johann und in Zell am See.

Ich bin daher zuversichtlich, dass die Versicherungsträger in ihrem Zuständigkeitsbereich die erforderlichen Maßnahmen setzen.

Frage 5:

Ja, ich sehe in der Substitutionsbehandlung eine wichtige Therapieform, mit der bei vielen Suchtkranken eine Risikoreduzierung sowie eine wesentliche gesundheitliche und soziale Stabilisierung und Verbesserung ihrer Lebenssituation erreicht werden kann. Die gewünschte prozentuelle Bewertung ist aber nicht möglich, weil sich nur im Einzelfall aufgrund entsprechender Anamnese und Diagnostik die Indikation zur Substitutionsbehandlung beurteilen lässt. Ich verweise dazu auf meine Antwort zu Frage 2 der parlamentarischen Anfrage Nr. 1459/J vom 25. Mai 2009. Jedenfalls ist es aber wichtig, dass möglichst viele Menschen, für die diese Behandlungsform in Betracht kommt, in die Substitutionsbehandlung  aufgenommen und darin auch gehalten werden können. In der zu verzeichnenden kontinuierlich steigenden Zahl der Behandlungen zeigt sich die zunehmende Akzeptanz und Inanspruchnahme der Substitutionsbehandlung als wichtigem Ansatz zur Therapie und Risikominimierung bei den Suchterkrankungen.

 

Fragen 6 und 7:

Als Gesundheitsminister muss ich versuchen, durch die Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Behandlung auch dem Missbrauch von Arzneimittel möglichst enge Grenzen zu setzen. Dieses Ziel steht aber in einem Gesamtkontext mit anderen Zielen. Es geht darum, die Zugangsbarrieren zur Behandlung so gering wie möglich zu halten und gleichzeitig die Anforderungen an eine bestmöglich auf die individuelle Patientin bzw. den individuellen Patienten abgestimmte Behandlung sowie die zur Minimierung des Arzneimittelmissbrauchs notwendigen Sicherheits- und Kontrollregulative so gut wie möglich auszubalancieren. Die Umsetzung obliegt dann im Einzelfall den Ärztinnen und Ärzten und den Gesundheitsbehörden, die damit verbundenen Herausforderungen sind im Alltag sicher nicht immer leicht zu bewältigen. Gerade deshalb sind Weiterbildung und der kontinuierliche kollegiale Austausch in der Ärzte- und Amtsärzteschaft wichtig. Restriktivere Maßnahmen können zwar das Ausmaß der missbräuchlichen Verwendung der Arzneimittel auf der einen Seite reduzieren, erschweren aber andererseits den Zugang von Suchtkranken zur Behandlung, wodurch die missbräuchliche Verwendung von illegalen Drogen zunimmt. Hier geht es also grundsätzlich um eine Abwägung, bei der eine ständige Anpassung an rezente Entwicklungen notwendig ist, um ein gutes Gesamtergebnis zu erzielen. Wir bemühen uns laufend um optimale Kompromisse. Das e-card-System kann dazu beitragen, mögliche Missbrauchsfälle an die Ärzteschaft zu kommunizieren und auf diese Weise Missbrauch verhindern. Es werden nach Mitteilung des Hauptverbandes laufend Auswertungen bzw. Analysen der Verordnungen für Substitutionspatientinnen und -patienten durchgeführt, um Hinweise auf eventuellen Missbrauch zu erhalten. Bei Auffälligkeiten im Rahmen der Datenauswertungen oder im Anlassfall (z.B. durch Hinweise) werden die verschreibenden Ärztinnen und Ärzte oder auch die Versicherten kontaktiert. Die genaue zahlen- und datenmäßige Erfassung von Arzneimittelmissbräuchen ist aber nicht möglich, da die betroffenen Suchtkranken nicht offen über Verstrickungen in diese Aktivitäten berichten und man von bekannt gewordenen Fällen auch nicht auf die Gesamtheit schließen kann.

Frage 8:

Ja, ich werde in Umsetzung des Regierungsübereinkommens der Bundesregierung für die XXIV. GP eine Suchtpräventionsstrategie mit besonderem Augenmerk auf die Gefährdung von Kindern und Jugendlichen in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode erarbeiten. Das Ergebnis soll im Jahr 2013 vorliegen.

 

Frage 9:

Meinem Ressort obliegt es, auf Grundlage der ihm nach dem Suchtmittelgesetz zu übermittelnden Hinweise und Ergebnisse von Leichenöffnungen und Obduktionen  jene Todesfälle zu erfassen und zu analysieren, die in einem kausalen Zusammenhang mit Drogenkonsum stehen. Sinn und Ziel der Auswertungs- und Analysearbeiten ist es, daraus Erkenntnisse für die Prävention zu gewinnen. Unter diesem Blickwinkel wäre natürlich die Kenntnis der genauen Hintergründe tödlicher Überdosierungen zu Präventionszwecken bei jedem einzelnen einschlägigen Todesfall sinnvoll. Mein Ressort ist für seine Aufgabe aber nur gesetzlich berechtigter Nutznießer der Ergebnisse jener Untersuchungen, die von den nach der Strafprozessordnung, nach den das Leichen- und Bestattungswesen regelnden Landesgesetzen und nach den krankenanstaltenrechtlichen Bestimmungen Anordnungsbefugten veranlasst  werden. Eine Zuständigkeit oder Einflussmöglichkeit des Bundesministers für Gesundheit  hinsichtlich der Vollständigkeit der Obduktionen besteht nicht. Aus gesundheitspolitischer Sicht ist die umfassende  Auswertung der zur Verfügung stehenden Obduktionsergebnisse und  Beschreibung der  Hintergründe tödlicher Überdosierungen zu Präventionszwecken jedenfalls auch dann sinnvoll, wenn nicht alle Fälle lückenlos erfasst werden können. Die Arbeit liefert auch einen wichtigen Beitrag zum Gesamtbild, das sich aus den insgesamt verfügbaren Daten und Informationen zur Einschätzung Drogensituation insgesamt ergibt.

Frage 10:

In meinem Ressort wird seit einigen Jahren ein Schwerpunkt auf die Verbesserung der epidemiologischen Datenbasis im Drogenbereich gelegt. Insbesondere werden standardisiert Daten zu den Charakteristika der Patientinnen und Patienten aus den Suchthilfeeinrichtungen erhoben und ausgewertet, außerdem stehen Daten aus der Substitutionsbehandlung zur Verfügung. Insofern sind die Datenlage und der Einblick deutlich besser als bei vielen anderen Krankheiten und Problemen, wo ausschließlich die eher unspezifischen Krankenhausentlassungsdaten vorliegen. Abgesehen von diesen Routinedaten gibt es aber wenig Informationen über die verschiedenen Gruppen von Patientinnen und Patienten, qualitative wissenschaftliche Studien in diesem Bereich wären sicherlich sinnvoll; mir kommt jedoch keine Einflussnahme auf die limitierten Forschungsmittel zu.