8593/AB XXIV. GP

Eingelangt am 29.07.2011
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Stefan Markowitz, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Durchsetzung von Besuchsrechtsbeschlüssen“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1:

Diese Frage lässt sich automationsunterstützt – also über eine Auswertung der Verfahrensautomation Justiz (VJ) – nicht beantworten, weil diese Daten nicht strukturiert gespeichert werden. Eine Beantwortung wäre nur über Berichtsaufträge an die Präsidenten der Oberlandesgerichte möglich; eine manuelle Auswertung im Zuge einer bundesweiten Aktenrecherche übersteigt allerdings den vertretbaren Verwaltungsaufwand bei Weitem, insbesondere dann, wenn die Anfrage – wie hier – auf keinen Zeitraum eingeschränkt wurde.

Die VJ gibt nur Auskunft über die Anzahl der Besuchsrechts- und Obsorgeanträge (ab 2008):

 

Besuchsrechtsanträge

Obsorgeanträge

2010

5.689

29.691

2009

6.923

28.775

2008

8.134

24.018

 

Zu 2:

Nach § 110 Abs. 1 AußStrG ist im Verfahren zur Durchsetzung einer gerichtlichen oder gerichtlich genehmigten Regelung des Besuchsrechts eine Vollstreckung nach der Exekutionsordnung ausgeschlossen. Das Gericht hat auf Antrag oder von Amts wegen angemessene Zwangsmittel nach § 79 Abs. 2 AußStrG anzuwenden (§ 110 Abs. 2 AußStrG). Angemessene Zwangsmittel zur Durchsetzung der Besuche sind nach § 79 Abs. 2 AußStrG und der Gerichtspraxis insb. Geldstrafen (Z 1) und in vereinzelten Fällen auch die Beugehaft (Z 2).

Die Höhe der Geldstrafe richtet sich nach § 359 EO (§ 79 Abs. 2 Z 1 AußStrG). Beim ersten Verstoß gegen die gerichtliche Anordnung eines Besuchsrechts kann als Richtwert ein Drittel des Monatseinkommens herangezogen werden (LG Eisenstadt 29.8.2002, 20 R 84/02f, EFSlg 100.257; LGZ Wien 8.9.2005, 48 R 263/05i, EFSlg 113.015). Eine Geldstrafe von 100 Euro wird vom Obersten Gerichtshof (OGH) als zu niedrig eingestuft (OGH 1.6.2010, 1 Ob 67/10z = iFamZ 2010/181, 271). Das Argument, dass die Verhängung von Geldstrafen gegen den Obsorgeträger den zu leistenden Naturalunterhalt und das Kindeswohl gefährde, wird von der Rechtsprechung streng gehandhabt (OGH 1 Ob 107/09f, 9.6.2009 = EF-Z 2009/120, 182 (Beck) = Zak 2009/455, 292 = iFamZ 2009/184, 280; OGH 5 Ob 257/09v, 19.1.2010 = iFamZ 2010/111, 147).

Die Anordnung von Beugehaft kommt dann in Betracht, wenn die Verhängung von Geldstrafen erfolglos war bzw. sinnlos oder unzulässig ist, weil mangels Einkommens oder Vermögens diese nicht einbringlich sind oder doch den Unterhalt des Kindes gefährden würden. Die höchste zulässige Gesamtdauer beträgt ein Jahr. Zunächst wird Beugehaft im Ausmaß von wenigen Stunden angeordnet (vgl. Pesendorfer, Die Durchsetzung des Besuchsrechts, iFamZ 2011, 64).

Das Gericht ist in der Auswahl der Zwangsmittel frei (RIS-Justiz RS0116042).

Zu 3:

Von der Anordnung jeder Vollzugsmaßnahme ist abzusehen, wenn sie dem Kindeswohl zuwiderläuft (RIS-Justiz RS0008614). Die Wahrung des Kindeswohls macht die besondere Schwierigkeit in der Vollstreckung von Obsorge- und Besuchsrechtsbeschlüssen aus.

Zu 4 bis 8, 11 und 12:

Die Fähigkeit, die Bindung des Kindes zum anderen Elternteil zu respektieren und sie mitzutragen, stellt auch nach der Rechtsprechung (vgl. nur OGH 1 Ob 40/08a und mit weiteren Nachweisen Beck, Kinder brauchen beide Eltern – Neue Wege im Kindschaftsrecht, EF-Z 2010, 226) einen wichtigen Aspekt der Obsorgekompetenz dar, das Fehlen derselben kann das Kindeswohl gefährden und einen Obsorgewechsel nach sich ziehen. Der Obsorgeentzug kann sich aber nicht als Sanktion gegen den das Besuchsrecht des Kindes vereitelnden Elternteil legitimieren. Immer ist Voraussetzung, dass der Verbleib des Kindes bei einem Elternteil dessen Wohl gefährdet.

Eine Verletzung der entsprechenden Bestimmungen des AußStrG über die Durchsetzung von pflegschaftsgerichtlichen Beschlüssen durch ein Rechtsprechungsorgan würde prinzipiell einen Verstoß gegen die geltende Rechtsordnung darstellen, wofür RichterInnen nach den Maßgaben der §§ 101 Abs. 1 iVm 57 Abs. 1 RStDG disziplinär zur Verantwortung gezogen werden können.

In Art. 2 Abs. 1 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern ist der Anspruch des Kindes auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen normiert (vgl. auch Art. 9 Abs. 3 Kinderrechte-Konvention und Art. 24 Abs. 3 Grundrechte-Charta). Die mangelnde Durchsetzung der Besuchsregelungen kann aber auch eine Verletzung des Privat- und Familienlebens des besuchsberechtigten Elternteils iSd Art. 8 EMRK darstellen (vgl. EGMR 1.12.2009, 8673/05, 9733/05, iFamZ 2010/42). Diese grundrechtliche Situation findet auf einfachgesetzlicher Ebene in § 148 ABGB und den Vorschriften über die Regelung und Durchsetzung von Besuchskontakten im AußStrG (§§ 104 ff und 110 AußStrG) durchaus ihren Niederschlag. 

Zu 9:

Das Gericht ist – wie erwähnt – bei der Auswahl der Zwangsmittel frei. Die Aufzählung der Mittel in § 79 Abs. 2 AußStrG ist zudem nur beispielhaft.  Neben dem „Verweis“ – der zum Anlass genommen werden kann, dem Elternteil die möglichen weiteren Folgen einer Besuchsverweigerung zu erläutern – wird derzeit in der Richterschaft diskutiert (siehe mit weiteren Nachweisen Pesendorfer, iFamZ 2011, 64 ff), ob nicht auch eine Abnahme von Urkunden und Auskunftssachen (§ 79 Abs. 2 Z 4 AußStrG) – wenngleich unter Umständen weitgreifend und mit dem Besuchsrecht in der Regel nicht unmittelbar zusammenhängend – eine verhältnismäßige Sanktion darstellt. Überlegt wird derzeit auch, welche Rolle – ebenfalls de lege lata – ein Kinderbeistand bei der Durchsetzung von Besuchen spielen könnte (vgl. Horak/Pesendorfer in Barth/Deixler-Hübner [Hrsg], Handbuch des Kinderbeistandsrechts [2011]).

Der Besuchsberechtigte kann allenfalls weitere Ansprüche aus vereitelten Besuchen geltend machen:

Denkbar ist bei hartnäckiger Vereitelung die Verwirkung des (nach-) ehelichen Unterhalts (EFSlg 122.526 (zu § 94 Abs. 2 ABGB); RIS-Justiz RS0078152 (zu § 74 EheG); Hopf/Kathrein, Eherecht2, § 74 EheG Anm 7.).

Möglicher Schaden kann entstehen durch frustrierte Aufwendungen, die der Besuchsberechtigte für den vereitelten Besuch getätigt hat, z.B. Kosten für verfallene Eintrittskarten für den Besuch einer Veranstaltung mit dem Kind, Kosten für einen Mietwagen, um mit dem Kind ins Grüne zu fahren oder allgemein (LGZ Wien 22.3.1990, 47 R 2008/90, EFSlg 63.237; LGZ Wien 3.10.1989, 44 R 651/89, EFSlg 61.583; Thunhart in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3, § 148 Rz 26).


Verhindert ein Elternteil grundlos den Kontakt des anderen Elternteils zum Kind, so kann dies im Verhältnis zu diesem Elternteil (mit dem er etwa [noch] verheiratet ist und daher ein Erbrecht hat) Erbunwürdigkeit nach sich ziehen oder einen Enterbungsgrund darstellen.

Kommt trotz Bereitschaft des nicht mit der Obsorge betrauten Elternteils ein persönlicher Verkehr mit dem Kind nicht regelmäßig zustande, so stehen die Rechte des § 178 ABGB auf Äußerung und Information nicht nur in wichtigen, sondern auch in minder wichtigen Angelegenheiten zu. Ausgenommen von diesen Angelegenheiten sind nur jene des täglichen Lebens.

Zu 10:

Nach § 108 letzter Satz AußStrG findet jedenfalls keine Durchsetzung eines Besuchsrechtsbeschlusses gegen den Willen eines mündigen, d.h. zumindest vierzehnjährigen Minderjährigen statt. Mündige Minderjährige sind in Pflegschaftsverfahren selbständig verfahrensfähig und können daher – theoretisch – auch Anträge auf Durchsetzung etwa eines Besuchsrechtsbeschlusses stellen (in der Praxis werden sich solche Jugendliche auch ohne Gericht durchzusetzen wissen). Für jüngere Minderjährige könnte sich die Bestellung eines Kinderbeistands auch noch im Vollstreckungsstadium empfehlen (Horak/Pesendorfer in Barth/Deixler-Hübner, Handbuch des Kinderbeistandsrechts).