8605/AB XXIV. GP
Eingelangt am 03.08.2011
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BM für Gesundheit
Anfragebeantwortung
Frau Präsidentin des Nationalrates Mag.a Barbara Prammer Parlament 1017 Wien |
Alois Stöger Bundesminister
|
GZ: BMG-11001/0206-I/A/15/2011
Wien, am 2. August 2011
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Ich beantworte die an mich gerichtete schriftliche parlamentarische
Anfrage Nr. 8741/J der Abgeordneten Dr. Spadiut, Kolleginnen und Kollegen nach den mir vorliegenden Informationen wie folgt:
Einleitend darf ich darauf hinweisen, dass eine sinnvolle Grenzziehung zwischen „suchterzeugenden“ und „nicht suchterzeugenden“ Medikamenten nicht möglich ist. Viele Medikamente können in einer Weise missbraucht werden, dass sich unter Umständen eine Abhängigkeit entwickelt. Suchtentwicklung kann aber nicht monokausal an einer Substanz oder einem Medikament festgemacht werden, sondern hat komplexe Ursachen und Zusammenhänge, von denen viele in der Person und ihrer Entwicklung begründet sind. Daher führen sogar opioidhaltige Arzneimittel, die indikationsbezogen für die Schmerztherapie eingesetzt werden, im Normalfall nicht zu einer Suchtentwicklung. Die Begriffe „suchterzeugende“ bzw. „nicht suchterzeugende“ Medikamente sind weder wissenschaftlich noch rechtlich definiert, sie können daher der Beantwortung nicht zugrunde gelegt werden. Ich beziehe mich in meinen Antworten auf jene Arzneimittel, die Substanzen im Sinne des Suchtmittelgesetzes enthalten. Anmerken möchte ich aber, dass jeglicher Medikamentenmissbrauch, mit oder ohne Suchtentwicklung, gesundheitsschädlich sein kann.
Frage 1:
Nach Auskunft der AGES PharmMed sind zum Stichtag 27. Juni 2011 in Österreich 507 Arzneispezialitäten zugelassen, die Suchtgifte oder psychotrope Stoffe enthalten.
Frage 2:
Laut Auswertung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger aus der maschinellen Heilmittelabrechnung wurden auf Rechnung der sozialen Krankenversicherung im Jahr 2010 verordnet:
· 3.068.217 Medikamentenpackungen an Arzneispezialitäten, die Suchtgift im Sinne des Suchtmittelgesetzes enthalten;
· 3.071.603 Medikamentenpackungen an Arzneispezialitäten, die psychotrope Stoffe im Sinne des Suchtmittelgesetzes enthalten.
Was die Aussagekraft der Daten betrifft, weise ich darauf hin, dass der sozialen Krankenversicherung nicht bekannt ist, wie viele Medikamente verschrieben werden, sondern lediglich, für wie viele Medikamente im niedergelassenen Bereich von der sozialen Krankenversicherung die Kosten zu übernehmen waren. Im Bereich der Psychopharmaka sind Medikamente wie beispielsweise die Benzodiazepine (vor allem die im Erstattungskodex angeführten Packungsgrößen) zum Großteil preislich günstiger als die Rezeptgebühr, sie scheinen daher in der Heilmittelabrechnung nicht auf. Andererseits sind auch jene Fälle miterfasst, in denen Patient/inn/en beispielsweise lediglich eine Packung erhalten haben. Weiters sind jene Arzneispezialitäten miterfasst, die in der Behandlung bereits suchtkranker Patientinnen und Patienten (Substitutionstherapie) eingesetzt werden.
Hinsichtlich verschriebener, jedoch von den Patient/inn/en selbst bezahlter Arzneimittel stehen mir keine Unterlagen zur Verfügung.
Fragen 3 und 4:
Laut Auskunft des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger sind vergleichende Auswertungen der Daten der Krankenversicherungsträger erst ab dem Jahr 2005 (Einführung des Erstattungskodex und Einteilung der Medikamente nach ATC-Gruppen) möglich. In der für die Beantwortung zur Verfügung stehenden Zeit konnten vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger Auswertungen der Daten der Wiener (WGKK), der Niederösterreichischen (NÖGKK) und der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse (StGKK) zur Verfügung gestellt werden.
Die Auswertungen der WGKK (Tab. 1 bis 3) und der NÖGKK (Tab. 4) der Verordnungen sowie der Heilmittelkosten (nur WGKK) für die Jahre 2005 bis 2010 bzw. bis inklusive April 2011 (NÖGKK) für die ATC-Gruppen N02A (Opioide), N05B (Anxiolytika) und N05C (Hypnotika und Sedativa) sind aus den Tabellen 1 bis 4 ersichtlich. Die ausgewerteten Daten lassen jedoch inhaltliche Interpretationen nur beschränkt zu, da nur Packungen aufscheinen, deren Kassenpreis über der gesetzlichen Rezeptgebühr – ausgenommen rezeptgebührbefreite Versicherte – liegt. Außerdem werden Medikamente der ATC-Gruppe N02A indikationsbezogen fast ausschließlich für die Schmerztherapie eingesetzt. Erfasst sind auch Patient/inn/en, die lediglich eine Packung erhalten haben.
Die Gruppe N07B (Mittel zur Behandlung von Suchterkrankungen) wurde nicht berücksichtigt, da diese Medikamente zur Substitutionsbehandlung (d.h. bei bestehender Abhängigkeit) eingesetzt werden.
Tab. 1 WGKK
N02A= Opioide |
||||
Pat. über 18 Jahre |
Pat. unter 18 Jahre |
|||
Jahr |
Anzahl |
Kosten |
Anzahl |
Kosten |
2005 |
288.393 |
6.762.124,15 |
715 |
12.148,95 |
2006 |
297.302 |
6.969.281,10 |
714 |
10.500,00 |
2007 |
313.657 |
6.993.426,30 |
1.018 |
13.003,15 |
2008 |
328.297 |
7.308.598,20 |
904 |
13.533,75 |
2009 |
329.963 |
7.352.532,50 |
916 |
19.444,50 |
2010 |
339.354 |
7.310.415,75 |
1.088 |
22.580,55 |
Tab. 2 WGKK
|
N05B= Anxiolytika |
|||
|
Pat. über 18 Jahre |
Pat. unter 18 Jahre |
||
Jahr |
Anzahl |
Kosten |
Anzahl |
Kosten |
2005 |
337.697 |
1.777.441,25 |
2.149 |
16.503,85 |
2006 |
306.825 |
1.713.802,75 |
2.087 |
16.771,20 |
2007 |
271.854 |
1.556.254,30 |
2.164 |
17.200,65 |
2008 |
301.768 |
1.702.664,40 |
2.248 |
17.303,25 |
2009 |
327.552 |
1.847.713,75 |
2.202 |
18.744,75 |
2010 |
331.159 |
1.867.948,15 |
1.914 |
14.253,65 |
Tab. 3 WGKK
|
N05C= Hypnotika und Sedativa
|
|||
|
Pat. über 18 Jahre |
Pat. unter 18 Jahre |
||
Jahr |
Anzahl |
Kosten |
Anzahl |
Kosten |
2005 |
263.580 |
340.081,60 |
779 |
1.102,15 |
2006 |
269.733 |
353.944,10 |
736 |
1.194,75 |
2007 |
296.477 |
388.965,60 |
713 |
1.263,75 |
2008 |
362.635 |
470.523,70 |
886 |
1.406,75 |
2009 |
406.251 |
526.232,45 |
994 |
1.744,15 |
2010 |
421.231 |
545.161,55 |
1.099 |
4.653,05 |
Tab. 4 NÖGKK
Verordnungen N02A |
|||||||
Jahr |
Altgrp |
AnzPat |
AnzPkg |
Altgrp |
AnzPat |
AnzPkg |
AnzPkg gesamt |
2005 |
< 18 |
266 |
479 |
> 18 |
46.698 |
249.082 |
249.561 |
2006 |
< 18 |
251 |
394 |
> 18 |
48.478 |
272.275 |
272.669 |
2007 |
< 18 |
232 |
396 |
> 18 |
49.578 |
296.502 |
296.898 |
2008 |
< 18 |
250 |
509 |
> 18 |
51.050 |
324.104 |
324.613 |
2009 |
< 18 |
224 |
479 |
> 18 |
50.101 |
333.602 |
334.081 |
2010 |
< 18 |
219 |
480 |
> 18 |
50.449 |
352.871 |
353.351 |
2011* |
< 18 |
81 |
186 |
> 18 |
27.834 |
112.425 |
112.611 |
Verordnungen N05B und N05C |
|||||||
Jahr |
Altgrp |
AnzPat |
AnzPkg |
Altgrp |
AnzPat |
AnzPkg |
AnzPkg gesamt |
2005 |
< 18 |
722 |
1.678 |
> 18 |
38.958 |
268.708 |
270.386 |
2006 |
< 18 |
793 |
1.830 |
> 18 |
32.688 |
251.290 |
253.120 |
2007 |
< 18 |
885 |
1.798 |
> 18 |
26.941 |
236.559 |
238.357 |
2008 |
< 18 |
877 |
1.693 |
> 18 |
36.020 |
298.524 |
300.217 |
2009 |
< 18 |
884 |
1.632 |
> 18 |
37.849 |
323.787 |
325.419 |
2010 |
< 18 |
756 |
1.465 |
> 18 |
37.604 |
324.647 |
326.112 |
2011* |
< 18 |
328 |
587 |
> 18 |
16.876 |
81.461 |
82.048 |
Quelle: FOKO (SA30/SA830-Abrechnung NÖGKK) * inkl. 04/2011 |
In der folgenden Auswertung der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse (STGKK) war eine Differenzierung nur hinsichtlich der Altersgruppen unter bzw. über 20 Jahre möglich:
Tab. 5 StGKK
|
2006 |
% Verteilung |
2007 |
% Verteilung |
2008 |
% Verteilung |
2009 |
% Verteilung |
2010 |
0-20 |
10.434 |
2,7% |
12.044 |
3,1% |
12.545 |
2,9% |
13.411 |
3,0% |
12.601 |
über 20 |
371.833 |
97,3% |
381.465 |
96,9% |
416.932 |
97,1% |
436.992 |
97,0% |
455.117 |
Verordnungen gesamt |
382.267 |
100,0% |
393.510 |
100,0% |
429.477 |
100,0% |
450.402 |
100,0% |
467.718 |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
%Veränderung zum Vorjahr* |
|
|
2,9% |
|
9,1% |
|
4,9% |
|
3,8% |
|
|||||||||
* Steigerung 2008 bedingt durch die Einführung der Rezbef. f. Amb.+Stat. In der Auswertung sind folgende Medikamentengruppen enthalten: ATC-Code N02 Analgetika, wenn diese das Rezeptzeichen SG, S1, S5 oder P1 haben (Mundidol, Vendal, Hydal, Vilan,…) ATC-Code N07 andere Mittel für das Nervensystem (Substitutionspräparate), wenn diese das Rezeptzeichen SG, S1, S5 oder P1 haben (Subutex, Substitol,Kapanol, Compensan, Xyrem) ATC-Code N06BA04 Psychostimulantien (Methylphenidat), wenn diese das Rezeptzeichen SG, S1, S5 oder P1 haben (Concerta, Ritalin, Medikinet) ATC-Code R05DA Opium-Alkaloide und Derivate, wenn diese das Rezeptzeichen SG, S1, S5 oder P1 haben (Paracodin, Codipertussin) ATC-Code N05BA Benzodiazepin-Derivate, wenn diese das Rezeptzeichen SG, S1, S5 oder P1 haben (Gewacalm, Xanor, Temesta, Lexotanil,…) Erklärung Rezeptzeichen: SG: Suchtgift S1: Pharmazeutische
Spezialitäten mit erleichterten Abgabebestimmungen für Suchtgifte,
die dem Wiederholungsverbot unterliegen, inkl. jener Präparate, S5: Pharmazeutische Spezialitäten mit erleichterten Abgabebestimmungen für Suchtgifte. Verschreibung auf Rezept – fünfmalige Wiederholung möglich. P1: Pharmazeutische
Spezialitäten mit erleichterten Abgabebestimmungen für psychotrope
Stoffe, die dem Wiederholungsverbot unterliegen. |
Frage 5:
Die Ärztinnen und Ärzte sind verpflichtet, die Patient/inn/en bei jeder Medikamentenverordnung über die Risiken und möglichen Neben- und Wechselwirkungen aufzuklären. Derartige Verschreibungen fallen wie alle Medikamentenverordnungen unter die ärztliche Aufklärungs- und Sorgfaltspflicht. Eine besondere Vorschrift besteht nach der Suchtgiftverordnung für die Substitutionsbehandlung, wonach eine solche Behandlung nur begonnen werden darf, wenn die Patient/inn/en über die möglichen Risiken und Rahmenbedingungen der Behandlung einschließlich möglicher Nebenwirkungen des Substitutionsmittels aufgeklärt wurden.
Frage 6:
Auf die Möglichkeit einer Suchtentwicklung bei Einnahme des Medikaments wird sowohl in der Fachinformation als auch in der entsprechenden Gebrauchsinformation hingewiesen. Sämtliche der in Rede stehenden Medikamente sind nicht nur rezeptpflichtig und können daher nur über ärztliche Verschreibung bezogen werden, sondern unterliegen besonders strengen Abgabevorschriften. Zusätzliche Hinweise auf der Packung würden die Gefahr einer Verunsicherung der Patient/inn/en in sich bergen. Es bestünde das Risiko, dass dann wichtige Medikamente nicht mehr verordnet und/oder von Patient/inn/en nicht mehr genommen (z.B. abgesetzt) werden. Eine entsprechende Entwicklung würde großen Schaden anrichten und wäre kontraproduktiv.
Frage 7:
Die im internationalen Vergleich strengen Abgabebestimmungen in Österreich stellen eine Maßnahme dar, den übermäßigen Gebrauch von Arzneimitteln zu verhindern. Arzneispezialitäten, die unter die Suchtgiftverordnung fallen bzw. die nur zur einmaligen Abgabe (NR) verschrieben werden, dürfen nur in begrenzten Mengen abgegeben werden.
Auch hier sehe ich, nicht zuletzt wegen der möglichen kontraproduktiven Auswirkungen, im Moment keinen weiteren regulativen Handlungsbedarf bei den Verschreibungs- oder Abgabebestimmungen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die aufgrund der seinerzeitigen „ultima ratio“-Regel zu restriktive Verschreibung suchtgifthaltiger Arzneimittel in der Schmerzbehandlung, die dem Gesetzgeber im Jahr 1997 Anlass gab, die Regelung zu entschärfen. Medikamente sollen grundsätzlich verschrieben und eingenommen werden, wenn und solange dies auf Grund eines ärztlich festgestellten Krankheitsbildes indiziert und medizinisch geboten ist. Das gilt auch für Schmerzmittel, Substitutionsmedikamente oder Psychopharmaka. Auf den sinnvollen Umgang mit Arzneimitteln hinzuwirken ist ganz allgemein eine wichtige Aufgabe der ärztlichen Aus- und Fortbildung sowie der ärztlichen Bewusstseinsbildung bei den Patient/inn/en. Wichtig ist, dass dies auf Basis sachlicher und ausgewogener Ergebnisse umfassenden und kompetenten Expert/inn/endiskurses erfolgt, die Verantwortungsträger in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sind hier besonders gefordert. Darüber hinaus werden von der sozialen Krankenversicherung im Rahmen der Vertragspartnerkontrolle regelmäßig und systematisch Auswertungen bzw. Prüfungen der verordneten Heilmittel durchgeführt und bei Auffälligkeiten sowohl mit der verordnenden Ärztin/dem verordnenden Arzt als auch mit Patient/inn/en Kontakt aufgenommen. Auch im e-card-System kann die Ärztin bzw. der Arzt auf außergewöhnliche Auffälligkeiten in der Heilmittelversorgung von Patient/inn/en hingewiesen werden. Ob und welche weiteren Konsequenzen die Ärztin oder der Arzt daraus zieht, muss ihrer/seiner Verantwortung für die medizinische Behandlung überlassen bleiben.