8934/AB XXIV. GP

Eingelangt am 07.09.2011
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

BM für Finanzen

Anfragebeantwortung

 

 

Der Abgeordnete zum Nationalrat Dipl.-Ing. Gerhard Deimek und weitere Abgeordnete haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „die offenkundige Unzweckmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 bis 4:

Die „Richtlinie 2006/24/EG über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG“ verpflichtet die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zur Speicherung von bestimmten Kommunikationsdaten im Bereich der Telefonie und des Internets, für Zwecke der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von schweren Straftaten. Die Umsetzungsfrist (15. September 2007 für Telefoniedaten und 15. März 2009 bezüglich der Internetdaten) ließ Österreich bekanntlich verstreichen.

Der Europäische Gerichtshof verurteilte Österreich am 29. Juli 2010 wegen der Nichtumsetzung der Richtlinie 2006/24/EG und sprach aus, dass Österreich nicht innerhalb der vorgesehenen Frist seiner Umsetzungsverpflichtung nachgekommen ist. Die Bundesregierung legte schließlich in Umsetzung der Richtlinie die beiden Regierungsvorlagen 1074 und 1075 d.B. der XXIV. GP dem Nationalrat zur verfassungsmäßigen Behandlung vor. Der Nationalrat hat das Bundesgesetz, mit dem das Telekommunikationsgesetz 2003 – TKG 2003 geändert wurde, BGBl. I Nr. 27/2011, und das Bundesgesetz, mit dem die Strafprozessordnung 1975 und das Sicherheitspolizeigesetz geändert werden, BGBl. I Nr. 33/2011, beschlossen.


Das Bundesministerium für Justiz ist sich bewusst, dass bestimmte Kommunikationsformen bzw. Technologien von der Vorratsdatenspeicherung nicht erfasst werden und Umgehungsmöglichkeiten von der Speicherung von Kommunikationsdaten bestehen. So stellte auch die Europäische Kommission in ihrem Bewertungsbericht zur Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung (KOM(2011) 225 endgültig/2) fest, dass eine Reihe von immer gebräuchlicheren Formen der Kommunikation (etwa die Kommunikation über virtuelle private Netze) nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst werden. Die Europäische Kommission hat auf Basis ihrer Bewertung der Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG die Überarbeitung der Richtlinie in Aussicht gestellt und wird auch neue Technologien prüfen.

Dennoch sieht die Europäische Kommission in der Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich ein effizientes und nützliches Werkzeug für die Strafverfolgung. Ich meine, dass die Umsetzung in Österreich maßvoll ist und die Grundrechte des Einzelnen respektiert. Ich verweise in diesem Zusammenhang insbesondere auf die beschränkte Zulässigkeit der Auskunft über Vorratsdaten (§ 135 Abs. 2a StPO, dazu gleich unter Fragepunkt 5) und die umfassende Einbeziehung des Rechtsschutzbeauftragten der Justiz in Fälle der Auskunft über Vorratsdaten (§ 147 Abs. 1 StPO).

Zu 5:

Die Auskunft über Vorratsdaten unterliegt den strengen Zulässigkeitsbestimmungen des § 135 Abs. 2a StPO und bedarf einer gerichtlichen Bewilligung. Darüber hinaus obliegt dem Rechtsschutzbeauftragten gemäß § 147 Abs. 1 StPO die Prüfung und Kontrolle der Anordnung, Genehmigung, Bewilligung und Durchführung der Auskunft über Vorratsdaten. Auch im Falle einer Auskunft über Daten nach § 76a Abs. 2 StPO sind jedenfalls alle von der Ermittlungsmaßnahme betroffenen Personen nach deren Beendigung davon zu verständigen (§ 138 Abs. 5 StPO). Diesen Personen steht das Recht zu, in die Ergebnisse der Ermittlungsmaßnahme Einsicht zu nehmen, soweit ihre Daten einer Nachrichtenübermittlung, für sie bestimmte oder von ihnen gesendete Nachrichten betroffen sind (§ 139 Abs. 2 StPO). Zusätzlich steht diesen Personen, wie auch dem Beschuldigten, das Recht auf Vernichtung von Ergebnissen der Ermittlungsmaßnahme zu, sofern diese ohne Bedeutung für das Strafverfahren sind oder als Beweise nicht verwendet werden dürfen (§ 139 Abs. 4 StPO).

Zu 6 bis 8:

Die Terroranschläge von Madrid am 11. März 2004 und von London am 7. Juli 2006 haben gezeigt, dass gespeicherte Kommunikationsdaten einen entscheidenden Beitrag zur Aufklärung derartiger Verbrechen liefern können.


Zahlreiche weitere Fälle von schweren Straftaten (beispielsweise Mord, Entführung oder die Verbreitung von Kinderpornographie), für deren Aufklärung Vorratsdaten von entscheidender Bedeutung waren, werden im Bewertungsbericht der Europäischen Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zur Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung,  KOM(2011) 225 endgültig, S. 29f (s. http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM: 2011:0225:FIN:DE:PDF) angeführt. 

Im August 2006 wurde eine terroristische Gruppe in Großbritannien ausgeforscht, die Anschläge auf transatlantische Flüge mit selbst hergestellten Flüssigsprengstoffen geplant hatte. Bei der Ausforschung und späteren Verurteilung der Mitglieder dieser Gruppe dürften Vorratsdaten eine Rolle gespielt und damit zur Vereitelung dieser geplanten Anschläge beigetragen haben.

Zu 9:

Eine Schätzung des ab 1. April 2012 in Österreich zu speichernden Datenvolumens wäre unseriös, weil – insbesondere im Bereich des Internets – noch auf keine Erfahrungen zurückgegriffen werden kann.

Zu 10:

§ 102a TKG 2003 enthält eine ausführliche Regelung über die zu speichernden Datenkategorien. Ich bitte aber um Verständnis, dass ich der zuständigen Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie bezüglich der technischen Spezifikationen zur anzuwendenden Technologie für die Speicherung und Übertragung der Daten (§ 94 Abs. 3 und 4 TKG) nicht vorgreifen will.