9136/AB XXIV. GP
Eingelangt am
14.11.2011
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BM für Gesundheit
Anfragebeantwortung

Alois Stöger
Bundesminister
Frau
Präsidentin des Nationalrates
Mag.a Barbara Prammer
Parlament
1017 Wien
GZ: BMG-11001/0260-I/A/15/2011
Wien, am 14. November 2011
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Ich beantworte die an mich gerichtete schriftliche parlamentarische
Anfrage Nr. 9236/J des Abgeordneten Dr. Karlsböck und weiterer Abgeordneter nach den mir vorliegenden Informationen wie folgt:
Fragen 1, 7 und 9:
Das österreichische Medizinproduktegesetz enthält in Umsetzung der europäischen Medizinprodukterichtlinie 93/42/EWG den Begriff des „Einmal-Produktes“. Dabei handelt es sich um ein Medizinprodukt, das zum einmaligen Gebrauch an einer einzigen Person bestimmt ist. Weiters enthält die Richtlinie den Begriff der „Zweckbestimmung“, worunter jene Verwendung zu verstehen ist, für die das Medizinprodukt nach den Angaben des Herstellers in der Kennzeichnung, Gebrauchsanweisung oder dem Werbematerial bestimmt ist.
Der vom Hersteller in der Kennzeichnung vorgesehene „einmalige Gebrauch“ des Medizinproduktes ist somit Teil der vom Hersteller intendierten und im europäischen Konformitätsbewertungsverfahren zu berücksichtigenden Zweckbestimmung.
Die Wiederaufbereitung von derartigen Medizinprodukten ist nur zulässig, wenn diese einem neuerlichen Konformitätsbewertungsverfahren als wiederaufbereitbare Medizinprodukte entsprechend der europäischen Medizinprodukterichtlinie 93/42/EWG unter Einbeziehung einer benannten Stelle unterzogen wurden.
Unter den genannten Voraussetzungen lassen bereits die bestehenden medizinprodukterechtlichen Vorschriften eine Wiederaufbereitung von sogenannten Einmal-Produkten zu.
Die Europäische Kommission hat im Rahmen der anstehenden Novelle der Medizinprodukteregelungen auch Maßnahmenvorschläge für die Regelung der Wiederaufbereitung von Medizinprodukten, auch von Einmal-Produkten, angekündigt.
Fragen 2 und 3:
Neben den Konformitätsbewertungsaspekten, die für die Sicherheit der Patient/inn/en, Anwender/innen und Dritte und die hochqualitative medizinische Versorgung der Patient/inn/en entscheidend sind, müssen darüber hinaus auch ethische, haftungsrechtliche, wirtschaftliche und ökologische Gesichtspunkte der Wiederaufbereitung von Einmal-Medizinprodukten in Betracht gezogen werden.
Hinsichtlich der Sicherheitsaspekte wurde seitens des Gesundheitsressorts eine hygienisch-medizinische Risikoanalyse beauftragt, die zu dem eindeutigen Ergebnis kommt, dass eine Wiederaufbereitung von Einmal-Produkten mit erheblichen Gesundheitsrisiken verbunden ist, durch die Patient/inn/en, gegebenenfalls auch Anwender/innen und Dritte massiv gefährdet werden können.
Seitens des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie wurde die Wiederaufbereitung von Einmal-Produkten im Rahmen eines Projektes mit dem Titel „SUPROMED Aufbereitung und Wiederverwendung von Einweg-Medizinprodukten unter Nachhaltigkeitsaspekten - Einführung in Österreich“ hinsichtlich ökologischer und ökonomischer Aspekte untersucht und im Jahr 2007 in Form eines Berichtes publiziert.
In jüngster Zeit hat sich v.a. die Europäische Kommission mit den komplexen Aspekten der Wiederaufbereitung von Einmal-Produkten beschäftigt. Um das höchstmögliche Maß an Gesundheitsschutz sicherzustellen und eine fundierte und unabhängige wissenschaftliche Analyse der Problematik zu erhalten, beauftragte die Europäische Kommission den Wissenschaftlichen Ausschuss „Neu auftretende und neu identifizierte Gesundheitsrisiken“ (SCENIHR), eine wissenschaftliche Stellungnahme zur Sicherheit wiederaufbereiteter Medizinprodukte, die zum einmaligen Gebrauch in Verkehr gebracht wurden, abzugeben. Der Ausschuss wurde insbesondere gebeten zu prüfen, ob die Verwendung wiederaufbereiteter Einmal-Medizinprodukte ein Risiko für die menschliche Gesundheit darstellt und gegebenenfalls dieses Risiko zu beschreiben sowie festzustellen, unter welchen Bedingungen oder bei welcher Verwendung die Wiederaufbereitung von Einmal-Medizinprodukten ein Risiko darstellt.
In seinen Schlussfolgerungen zu den gesundheitlichen Erwägungen zur Wiederaufbereitung von Einmal-Medizinprodukten stellt der Ausschuss drei bedeutende Risiken und Gefahren fest, und zwar Restkontamination, Rückstände chemischer Stoffe, die im Wiederaufbereitungsverfahren verwendet wurden, und Leistungsveränderung eines Einmal-Medizinprodukts durch die Wiederaufbereitung.
Ein spezifisches Problem ist die Beseitigung der Prionenkontamination, da die Prioneninaktivierung nur durch aggressive Reinigungsverfahren erreicht werden kann, denen die üblicherweise verwendeten Materialien nicht standhalten.
Um mögliche Gefahren, die mit der Wiederaufbereitung bestimmter Einmal-Medizinprodukte einhergehen, zu erkennen und zu verringern, muss der gesamte Wiederaufbereitungszyklus von der Einsammlung dieser Einmal-Medizinprodukte nach dem (ersten) Gebrauch bis zur endgültigen Sterilisation und der Auslieferung ebenso wie die funktionelle Leistung des Produkts bewertet und validiert werden.
Das Risiko ist am höchsten, wenn das wiederaufbereitete Einmal-Medizinprodukt in einem kritischen Verfahren eingesetzt wird, d.h. in einem invasiven medizinischen Eingriff. Im Gegensatz dazu ist das Risiko der Verwendung wiederaufbereiteter Einmal-Medizinprodukte in nicht-kritischen medizinischen Verfahren viel geringer.
Die Europäische Kommission hat die gesundheitlichen, ethischen, haftungsrechtlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Aspekte der Wiederaufbereitung von Einmal-Medizinprodukten nach eingehender Prüfung in einem „Bericht über die Wiederaufbereitung von Medizinprodukten in der Europäischen Union gemäß Artikel 12a der Richtlinie 93/42/EWG“ im August 2010 veröffentlicht. Dieser Bericht enthält neben den deutlichen o.a. Hinweisen auf die gesundheitlichen Risiken und Gefahren der Wiederaufbereitung u.a. folgende Schlussfolgerungen:
Ethische Aspekte:
„Wie in der Stellungnahme des SCENIHR betont, kann die Verwendung eines wiederaufbereiteten anstelle eines neuen Einmal-Medizinprodukts ein zusätzliches Risiko für den Patienten bedeuten. Daher erhebt sich die Frage der Patienteninformation und der aufgeklärten Zustimmung, bevor der Patient sich der medizinischen Behandlung unterzieht. Darüber hinaus kann die Wiederaufbereitung von Einmal-Medizinprodukten unterschiedliche Niveaus der gesundheitlichen Versorgung schaffen und damit zur Ungleichbehandlung von Patienten führen.“
Wirtschaftliche Aspekte:
„Bisher lässt sich anhand der vorliegenden wirtschaftlichen Daten keine Schlussfolgerung über die Kosteneffizienz der Wiederaufbereitungspraxis für Einmal-Medizinprodukte ziehen, wenn dabei ein ausreichendes Maß an Qualität und Sicherheit erzielt werden soll. Eine solche Kosteneffizienz wäre in Langzeitstudien mit einer hohen Anzahl von Patienten und einer klaren Berechnung der direkten und indirekten Kosten zu belegen.“
Ökologische Aspekte:
„Bisher hat noch keine umfassende Untersuchung alle Umweltauswirkungen der Wiederaufbereitung von Einmal-Medizinprodukten im Vergleich zu deren Entsorgung nach einmaligem Gebrauch qualitativ gegeneinander abgewogen. Die vorliegenden Daten konzentrieren sich hauptsächlich auf die Abfallreduzierung, die die Wiederaufbereitung von Einmal-Medizinprodukten in gewissem Umfang darstellt. Es sind jedoch noch verschiedene weitere Faktoren, wie die Umweltauswirkungen des Transports, der Verbrauch von Energie und Ressourcen sowie der Einsatz chemischer Desinfektionsmittel, zu berücksichtigen.“
Frage 4:
Von meinem Ressort ist eine Kontaktnahme und Meinungsaustausch mit einem führenden Vertreter der International Experts Group for Medical Device Reprocessing erfolgt. Wie bereits ausgeführt, erfolgte eine eingehende Prüfung der gesundheitlichen, ethischen, haftungsrechtlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Aspekte der Wiederaufbereitung von Einmal-Medizinprodukten vor kurzem bereits durch die Europäische Kommission, die sich auf die unabhängige wissenschaftliche Analyse der Problematik durch den Wissenschaftlichen Ausschuss „Neu auftretende und neu identifizierte Gesundheitsrisiken“ (SCENIHR) stützt. Die Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Berichte von SCENIHR und der Europäischen Kommission sind auch für Österreich richtungsweisend, zur Prüfung derartiger Aktivitäten sind geeignete europäische Zulassungsstellen (benannte Stellen) berufen.
Fragen 5 und 6:
Fragen zur Wiederaufbereitung von Einmal-Produkten wurden in den vergangenen Jahren wiederholt von österreichischen Krankenhäusern und Trägergesellschaften an das Gesundheitsressort gestellt und entsprechend der Rechts- und Sachlage beantwortet. Konkrete Praktiken der Wiederaufbereitung von Einmal-Produkten in österreichischen Krankenanstalten sind dem Bundesministerium für Gesundheit bislang nicht bekannt geworden.
Frage 8:
Der aktuelle Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat betont, dass bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der Wiederaufbereitung von Einmal-Produkten komplexe Überlegungen anzustellen sind. Die Kommission konstatiert auf der Basis der Recherchen des wissenschaftlichen Ausschusses: „In Anbetracht dessen gibt es zurzeit nur wenige und dürftige wissenschaftliche Belege und wirtschaftliche Bewertungen zum Nachweis, dass die Praxis der Wiederaufbereitung von Einmal-Medizinprodukten insgesamt zu Kosteneinsparungen führt. Laut einer 2008 veröffentlichten systematischen Auswertung der Literatur zur wirtschaftlichen Analyse der Wiederaufbereitung von Einmal-Medizinprodukten liegen trotz routinemäßiger Anwendung dieser Verfahren nur wenige Belege von ausreichender Qualität in der veröffentlichten Literatur vor. Die veröffentlichten Belege für die Kosteneffizienz der Wiederaufbereitung von Einmal-Medizinprodukten sind nicht schlüssig, und die Verfasser kamen selbst zu dem Ergebnis, ihre Auswertung zeige, dass sich keine Kosteneffizienz der Wiederaufbereitung von Einmal-Medizinprodukten feststellen lasse.“ Abschließend wird von der Kommission festgestellt: „Bisher lässt sich anhand der vorliegenden wirtschaftlichen Daten keine Schlussfolgerung über die Kosteneffizienz der Wiederaufbereitungspraxis für Einmal-Medizinprodukte ziehen, wenn dabei ein ausreichendes Maß an Qualität und Sicherheit erzielt werden soll.“