9551/AB XXIV. GP
Eingelangt am
28.12.2011
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BM für Justiz
Anfragebeantwortung
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BMJ-Pr7000/0287-Pr 1/2011 |
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Museumstraße 7 1070 Wien
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Tel.: +43 1 52152 0 E-Mail: team.pr@bmj.gv.at
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Frau
Präsidentin des Nationalrates
Zur Zahl 9662/J-NR/2011
Die Abgeordnete zum Nationalrat Mag. Gisela Wurm und GenossInnen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend die bisherigen Erfahrungen mit der sogenannten „elektronischen Fußfessel“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1:
Es wurden bislang (Stand 15. November 2011) rund 1 100 formelle Anträge auf Strafvollzug im elektronisch überwachten Hausarrest gestellt und hievon 476 bewilligt (die übrigen wurden abgewiesen, zurückgezogen oder es wurde über sie noch nicht entschieden).
Zu 2:
Bisher erfolgten 21 Widerrufe, davon in fünf Fällen nach Z 1, in neun Fällen nach Z 2, in zwei Fällen nach Z 4 und in fünf Fällen nach Z 5 des § 156c Abs. 2 StVG.
Zu 3:
Bisher wurde in fünf Fällen die Anhaltung im elektronischen Hausarrest im Rahmen von Untersuchungshaft genehmigt. Die Zahl der darauf gerichteten Anträge wird nicht gesondert erfasst.
Zu 4:
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder des Beschuldigten kann die Untersuchungshaft gemäß § 173a Abs. 1 StPO als Hausarrest fortgesetzt werden, der in der Unterkunft zu vollziehen ist, in welcher der Beschuldigte seinen inländischen Wohnsitz begründet hat. Es handelt sich beim Hausarrest daher lediglich um eine Modalität der Untersuchungshaft. Die Bestimmungen über die Untersuchungshaft sind somit anwendbar; sämtliche Haftvoraussetzungen nach § 173 StPO müssen vorliegen. Ferner darf der Sicherungszweck der Untersuchungshaft nicht durch Anwendung gelinderer Mittel (§ 173 Abs. 5 StPO) erfüllt werden. Der Beschuldigte hat jedoch soweit sozial integriert zu sein, dass erwartet werden kann, er werde in Anbetracht der elektronischen Überwachung keine Handlungen setzen, deren Abwehr die Untersuchungshaft dient.
Der Anwendungsbereich des elektronisch überwachten Hausarrestes ist im Bereich der Untersuchungshaft naturgemäß wesentlich enger als jener beim Vollzug einer Freiheitsstrafe. Es muss eine Balance gefunden werden, damit einerseits der elektronisch überwachte Hausarrest dann nicht angeordnet wird, wenn die Untersuchungshaft durch gelindere Mittel substituiert werden kann, andererseits muss aber auch der Zweck der Anhaltung, nämlich den angezogenen Haftgründen entgegenzuwirken, durch den elektronisch überwachten Hausarrest erreicht werden können. Dies erfordert eine genaue und exakte Darstellung der konkreten Gegebenheiten und Umstände des Einzelfalles, wie die Lebensverhältnisse des Beschuldigten, soziale Bindungen und die Möglichkeit einer Beschäftigung.
Insgesamt ist der Vollzug der Untersuchungshaft durch elektronisch überwachten Hausarrest daher nicht als Regel-, sondern als Ausnahmefall konzipiert. Die Entscheidung, ob die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Untersuchungshaft in Form eines elektronisch überwachten Hausarrests gegeben sind, obliegt im jeweiligen Einzelfall dem gebundenen Ermessen der unabhängigen Rechtssprechung.
Zu 5 bis 7:
Zum Stichtag 15. November 2011 hatten bereits 476 Personen Haft im elektronisch überwachten Hausarrest (eüH) absolviert, zum Stichtag waren 150 Personen im Hausarrest angehalten (2,5% der Strafhäftlinge). Insgesamt wurden bereits rund 40.000 Hafttage im eüH verbracht, wofür ein Kostenersatz von insgesamt rund 380.000 Euro vorgeschrieben wurde. Derzeit liegen die Haftzahlen im Jahresschnitt um rund 165 Personen über den Zahlen des Vorjahres. Damit konnte die Steigerung gegenüber dem Vorjahr praktisch zur Gänze im Weg des elektronisch überwachten Hausarrests abgefangen werden und mussten insoweit keine zusätzlichen Haftraumkapazitäten in den Justizanstalten bereitgestellt werden.
Die Einsparungen liegen also in erster Linie in den vermiedenen Mehrkosten für zusätzliche Haftplätze bzw. in Ersparnissen im Bereich der medizinischen Betreuung und sonstigen Versorgung. Der Mehrwert des eüH geht weit darüber hinaus (kein Verlust des Arbeitsplatzes,
der Wohnung, der sozialen Beziehungen). Kalkuliert man den durchschnittlichen Hafttag zu Vollkosten von 100 Euro, so liegen die Kosten für einen Hafttag im elektronisch überwachten Hausarrest deutlich darunter. Für die Kosten der Überwachungshard- und -software und die Erhebungen sowie die Betreuung durch Neustart wird derzeit ein maximaler Kostenersatz von 22 Euro/Tag eingehoben.
Mit Entschließung des Nationalrates vom 9. Juli 2010, 118/E XXIV. GP, wurde die Bundesministerin für Justiz ersucht, dem Nationalrat binnen zwei Jahren nach In-Kraft-Treten der Bestimmungen zum elektronisch überwachten Hausarrest einen Bericht über die Anwendung und Auswirkungen des Strafvollzuges durch elektronisch überwachten Hausarrest mit besonderer Blickrichtung auf den Bereich des Opferschutzes vorzulegen. Dieser Bericht dient dazu, dem Gesetzgeber die Möglichkeit zu geben, über allfällige Nachbesserungen nachzudenken. Im Hinblick auf die vorzunehmende Evaluierung scheinen legistische Änderungen vor diesem Zeitpunkt nicht indiziert.
Zu 8:
Im Grünbuch der Kommission vom 14. Juni 2011 zur Anwendung der EU-Strafrechtsvorschriften im Bereich des Freiheitsentzugs (KOM 2011 (327) endgültig) nimmt sich die Europäische Kommission des Themas an, inwieweit Fragen des Freiheitsentzugs das gegenseitige Vertrauen und damit die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen und generell die justizielle Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union beeinflussen. Hinsichtlich der Untersuchungshaft wird speziell thematisiert, ob einheitliche Mindestnormen bei der Überprüfung der Gründe für die Untersuchungshaft und/oder hinsichtlich der gesetzlichen Höchstdauer der Untersuchungshaft das Vertrauen der Mitgliedstaaten untereinander stärken können. Zur Frage der Überprüfung der Erforderlichkeit einheitlicher EU-Mindestnormen im Bereich der Untersuchungshaft wurde ein Fragenkatalog an die Mitgliedstaaten gesendet.
Zur Beurteilung eines allfälligen legistischen Anpassungsbedarfs im Bereich der innerstaatlichen Bestimmungen zur Untersuchungshaft bleibt die abschließende Beurteilung der im Grünbuch aufgeworfenen Fragen sowie möglicher daran anknüpfender Rechtsakte auf europäischer Ebene abzuwarten.
Wien, . Dezember 2011
Dr. Beatrix Karl