9654/AB XXIV. GP
Eingelangt am
11.01.2012
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BM für Gesundheit
Anfragebeantwortung
Alois Stöger
Bundesminister
Frau
Präsidentin des Nationalrates
Mag.a Barbara Prammer
Parlament
1017 Wien
GZ: BMG-11001/0321-I/A/15/2011
Wien, am 10. Jänner 2012
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Ich beantworte die an mich gerichtete schriftliche parlamentarische
Anfrage Nr. 9837/J des Abgeordneten Dr. Karlsböck und weiterer Abgeordneter nach den mir vorliegenden Informationen wie folgt:
Einleitend ist festzuhalten, dass zur vorliegenden Anfrage eine Stellungnahme des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger eingeholt wurde, die im Folgenden auszugsweise wiedergegeben wird.
Frage 1:
Qualitativ hochwertige, wirksame und leistbare Arzneimittel stehen im österreichischen Gesundheitswesen jeder Patientin und jedem Patienten zur Verfügung. Arzneimittel, die nicht nur innovativ sind, sondern auch einen diagnostischen oder therapeutischen Fortschritt darstellen, spielen hier eine wichtige Rolle. Der korrekte Marktzugang der Arzneimittel basiert zunächst auf der Tätigkeit der nationalen und europäischen Behörden, beginnend mit der pharmazeutischen Betriebsbewilligung, der Sicherstellung der korrekten Durchführung klinischer Prüfungen, gegebenenfalls der Bereitstellung des sogenannten „scientific advice“ an die Antragsteller, der Durchführung der Zulassungsverfahren und der Überwachung nach der Vermarktung. Damit sollen die Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit der Arzneimittel sichergestellt werden. Mein Ressort leistet hier über das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen und die Bereitstellung einer leistungsfähigen Arzneimittelagentur (AGES PharmMed) wesentliche Beiträge zu einem funktionierenden österreichischen und europäischen Arzneimittelwesen.
Instrumente wie Health Technology Assessment (HTA) und Evidence based Medicine (EbM) sowie Expert/inn/engremien spielen bei der vergleichenden Beurteilung der Wirksamkeit von Arzneimitteln eine wichtige Rolle und sollen eine transparente, wissenschaftlich einwandfreie Beurteilung ermöglichen. So soll auch herausgefunden werden, welche Arzneimittel nicht nur als neu angepriesen werden, sondern auch in der vergleichenden wissenschaftlichen Analyse einen echten therapeutischen Fortschritt für unsere Patientinnen und Patienten darstellen. Gemeinsam mit der Bundesgesundheitskommission wurde von mir die nationale HTA-Strategie auf den Weg gebracht, die österreichische Ressourcen für HTA-Beurteilungen aufbauen, deren Qualität sichern und der generellen wissenschaftlichen Entscheidungsunterstützung im österreichischen Gesundheitswesen dienen soll.
Der österreichische Arzneimittelmarkt ist durch die Teilmärkte des stationären und des niedergelassenen Bereiches gekennzeichnet. In welcher Wertigkeit innovative Arzneimittel und Therapien für die österreichischen Patient/inn/en jeweils stärker in dem einen oder anderen Segment gegeben sind, kann durch die Rahmengesetzgebung nicht festgeschrieben werden. Die Gesetzesbestimmungen sehen jedenfalls vor, dass innovative Arzneimittel sowohl im stationären Bereich als auch im niedergelassenen Bereich (Erstattungskodex) rasch Eingang finden können. Dies ist z.B. daran erkennbar, dass bei Berechnung von EU-Durchschnittspreisen im Rahmen der Red Box Preisberechnungen des Erstattungskodex Österreich an vorderster Stelle zu finden sind, d.h. die wenigen Angaben aus anderen Ländern der EU weisen aus, dass innovative Arzneimittel im europäischen Vergleich in Österreich zu einem sehr frühen Zeitpunkt zur Anwendung gelangen.
Aus kranken- und unfallversicherungsrechtlicher Sicht ist festzuhalten, dass die Sozialversicherungsgesetze umfassende Ansprüche auf Krankenbehandlung normieren. Damit sind innovative Arzneimittel (so sie wirksam, zweckentsprechend und im Vergleich zu anderen Methoden kostengünstig sind) jederzeit zugänglich.
Eine Verpflichtung der gesetzlichen Krankenversicherung, alle „innovativen“ Arzneimittel ohne Rücksicht auf Wirkung, Zweck und Kosten aus öffentlichen Mitteln jedenfalls zu bezahlen, würde jedoch den Grundsätzen der Sparsamkeit und Zweckmäßigkeit der Krankenbehandlung widersprechen.
In den im ASVG geregelten Erstattungskodex werden gemäß § 31 Abs. 3 Z 12 ASVG jene für Österreich zugelassenen, erstattungsfähigen und gesichert lieferbaren Arzneispezialitäten aufgenommen, die nach den Erfahrungen im In- und Ausland und nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft eine therapeutische Wirkung und einen Nutzen für die Patient/inn/en im Sinne der Ziele der Krankenbehandlung (§ 133
Abs. 2 ASVG) annehmen lassen. Gerade durch die Einführung des Erstattungskodex soll die Versorgung der Patient/inn/en mit hochwertigen Arzneimitteln zu ökonomisch gerechtfertigten Preisen gesichert werden.
In diesem Zusammenhang verweise ich auf die entsprechenden Rechtsgrundlagen, insbesondere die Verfahrensordnung zur Herausgabe des Erstattungskodex nach § 351g ASVG (VO-EKO, www.avsv.at , Nr. 47/2004 idgF.). Neue Medikamente mit einem für die Patient/inn/en im Vergleich zu vorhandenen Präparaten medizinisch-therapeutischen Mehrnutzen dürfen auch mehr kosten und werden aufgrund dieses Mehrnutzens von der sozialen Krankenversicherung erstattet. Produkte hingegen, welche keinen zusätzlichen Nutzen für Patient/inn/en bieten, werden nur dann in den Erstattungskodex aufgenommen und damit von der Krankenversicherung erstattet, wenn sie einen ökonomischen Vorteil bieten.
Darüber hinaus möchte ich auf § 19a des Bundesgesetzes über Krankenanstalten und Kuranstalten hinweisen, wonach die Träger von Krankenanstalten hinsichtlich der Auswahl und des Einsatzes von Arzneimitteln Arzneimittelkommissionen einzurichten haben. Diese haben bei der Erfüllung ihrer Aufgaben u.a. von dem Grundsatz auszugehen, dass bei Krankenanstalten, die ganz oder teilweise der Forschung und Lehre einer medizinischen Universität dienen, zu gewährleisten ist, dass diese ihre Aufgaben auf dem Gebiet der universitären Forschung und Lehre uneingeschränkt erfüllen können. Bei der Verordnung von Arzneimitteln für die Versorgung nach der Entlassung sollen - wenn medizinisch vertretbar - die Regeln des niedergelassenen Bereichs herangezogen werden.
Frage 2:
Laut Mitteilung des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen wurden seit dem Jahr 2008 bis zum Stichtag 24. November 2011 insgesamt 4164 Zulassungen für Arzneispezialitäten erteilt.
Davon wurden im Wege des zentralisierten Zulassungsverfahrens 614 Arzneispezialitäten von der EU-Kommission zugelassen. Nach Absolvierung eines dezentralen Verfahrens bzw. des Verfahrens der gegenseitigen Anerkennung wurden vom 1. Jänner 2008 bis 24. November 2011 insgesamt 3.010 Arzneispezialitäten zugelassen, rein national kam es in diesem Zeitraum zu 540 Zulassungen.
Zu den Fragen 3 bis 5 wurde seitens des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger Folgendes mitgeteilt:
„Frage 3:
Zwischen 1. Jänner 2008 und 31. Dezember 2011 wurden 2.092 Arzneispezialitäten auf Antrag des vertriebsberechtigten Unternehmens in die Rote Box des Erstattungskodex aufgenommen.
Frage 4:
Von den 2.092 Packungen wurden zwischen 1. Jänner 2008 und 31.10.2011 im Zuge des Verfahrens zur Aufnahme in den Erstattungskodex 1.480 Arzneispezialitäten in die Gelbe oder Grüne Box des Erstattungskodex übernommen.
Frage 5:
Der Rote Bereich des Erstattungskodex enthält generell nur zeitlich befristet jene Arzneispezialitäten, die erstmalig am österreichischen Markt lieferbar sind und für deren Aufnahme in den Erstattungskodex ein Antrag gestellt wurde. Es ist also der Regelfall, dass Arzneispezialitäten nicht lange im Roten Bereich verbleiben, da sie in der Regel rechtskonform in den Grünen oder Gelben Bereich des Erstattungskodex übergeführt werden. Naturgemäß gibt es eine Anzahl von Fällen, in welchen die Aufnahmevoraussetzungen strittig und Verfahren anhängig sind.
Von den 612 Arzneispezialitäten (2.092 abzüglich 1.480, vgl. Fragen 3 und 4) wurden zwischen 1. Jänner 2008 und 31. Oktober 2011 259 Packungen aus dem Erstattungskodex gestrichen (zum Teil auch wegen Zurückziehung des Antrages). Zu den restlichen 353 Packungen waren zum 31. Oktober 2011 die jeweiligen Verfahren noch nicht abgeschlossen.“
Fragen 6 und 8:
Grundsätzlich ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass in den Aufgabenbereich meines Ressorts insbesondere die Gewährleistung der Sicherheit, der Qualität und Wirksamkeit von Arzneimitteln fällt, dies in enger Zusammenarbeit mit den Partnern in der EU. Agenden der Forschung und Entwicklung von neuen Therapieformen fallen in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung.
Innovative Arzneimittel sind immer forschungs- und kostenintensiveren Kriterien ausgesetzt. Die Registrierung solcher innovativer Arzneimittel erfolgt daher in der Regel auf europäischer Ebene bei der EMA. Eine Unterstützung für die Entwicklung innovativer Arzneimitteltherapien kann somit sinnvollerweise nur in einem europäischen Kontext gesehen werden.
In einer freien Marktwirtschaft liegt es primär an den Unternehmen, welche Ressourcen in Forschung und Entwicklung und welche in andere Bereiche, wie z.B. Marketing, fließen und welche Arzneimittel beforscht werden.
Besondere
Rahmenbedingungen wurden legistisch jedenfalls auf europäischer Ebene bei
den sogenannten Orphan Drugs gestaltet, weil hier für kleine Gruppen von
Patient/inn/en eine wirtschaftlich vertretbare Produktentwicklung durch besondere
Maßnahmen gewährleistet werden soll.
Bedingt durch den Umstand, dass die Forschung auf die Entwicklung
von Arzneimitteln ausgerichtet ist, die für den gesamteuropäischen
Markt bestimmt sind, werden von den forschenden Arzneimittelkonzernen auch
hinsichtlich der Forschungskompetenz Konzentrationen im Forschungsbereich
vorgenommen.
In diesem Zusammenhang darf darauf verwiesen werden, dass Österreich als einer der kleinen Arzneimittelhersteller im Rahmen der EU außerordentlich hohe Forschungskompetenz aufweist und daher mit außergewöhnlich hohen Forschungskapazitäten im Arzneimittelmarkt ausgestattet ist.
Wenngleich für die Beurteilung der Situation des Arbeitsmarktes das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz zuständig ist und Forschungsförderung im Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung ressortiert, halte ich es dennoch für wichtig, Arbeitsplätze im Bereich der Forschung zu erhalten und zu fördern. Hinsichtlich meiner Qualifizierungsinitiative „Competence Mall Initiative“ gemeinsam mit den österreichischen Life Science Clustern darf ich auf meine Ausführungen zu den Fragen 9 und 10 verweisen.
Frage 7:
Voraussetzung für die arzneimittelrechtliche Zulassung einer Arzneispezialität ist ‑ entsprechend den einschlägigen europarechtlichen Vorgaben - der Nachweis der Wirksamkeit und das Vorliegen eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses. Dabei ist es für die arzneimittelrechtliche Zulassung unerheblich, ob es sich dabei um sogenannte „me-too“-Präparate oder bei Vorliegen der Voraussetzungen um Generika handelt.
Aus Sicht der Leistungserbringer sind Produkte mit gleichem Nutzen wie andere vorhandene Alternativen, soweit sie ökonomische Vorteile für die Versichertengemeinschaft bieten, zu begrüßen, weil sie zu mehr Wettbewerb führen.
Fragen 9 und 10:
Da gerade kleine Forschungsunternehmen und Start-ups im Rahmen der Entwicklung biotechnologischer Arzneimittel besondere Träger der Innovation sind, werden diese Unternehmungen im Rahmen der „Competence Mall Initiative (CMI)“von meinem Ressort mit regulatorischem und normativem Know-how unterstützt. Die Competence Mall Initiative ist eine gemeinsame Qualifizierungsinitiative meines Ressorts mit den österreichischen Life Science Clustern und weiteren Kooperationspartnern aus dem universitären und Fachhochschul-Bereich sowie weiteren Expert/inn/en. Scientific Advice kann zusätzlich im Wege der AGES PharmMed angesprochen werden.
Nicht unerwähnt lassen will ich, dass die von mir ergriffenen Maßnahmen zur Sicherung einer nachhaltigen Budgetgebarung der Krankenkassen auch langfristig die Verfügbarkeit der echten Therapiefortschritte für die österreichischen Patientinnen und Patienten sichern.
Frage 11:
Da bereits jetzt im Erstattungskodex „Orphan Drug Produkte“ Berücksichtigung finden, obwohl in zahlreichen Ländern der EU aus Budgetgründen „Orphan Drug Produkte“ für die Patientinnen und Patienten erst gar nicht in Anwendung kommen bzw. finanziert werden können und sich im internationalen Vergleich zeigt, dass Österreich insbesondere im Bereich der onkologischen Präparate eine führende Rolle einnimmt, ist die Überarbeitung des Erstattungskodex hinsichtlich der Förderung innovativer Arzneimittel zur Zeit nicht erforderlich.
Auch seitens des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger wird in diesem Zusammenhang festgehalten, dass im Sinne der Patient/inn/en jedem Antrag eines vertriebsberechtigen Unternehmens auf Aufnahme einer innovativen Arzneispezialität, welche einen medizinisch-therapeutischen Mehrnutzen bietet, positiv gegenübergestanden wird.