9716/AB XXIV. GP

Eingelangt am 13.01.2012
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

BMJ-Pr7000/0305-Pr 1/2011


Republik Österreich
die bundesministerin für justiz

 

 

Museumstraße 7

1070 Wien

 

Tel.: +43 1 52152 0

E-Mail: team.pr@bmj.gv.at

 

 

Frau
Präsidentin des Nationalrates

 

 

Zur Zahl 9787/J-NR/2011

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Ewald Stadler, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Schwachstellen im österreichischen Justizsystem“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1:

Ja.

Zu 2, 4 und 9:

Zum Vorwurf „unübersehbarer, zahlreicher und gravierender Schwachstellen“ sowie des Vorliegen eines „archaischen, einem modernen Rechtsstaat nicht würdigen Strafrechts“ ist eingangs darauf hinzuweisen, dass die Struktur und Systematik des strafrechtlichen Vor­verfahrens vor Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes BGBl. I Nr. 19/2004 mit 1. Jänner 2008 auf die nicht mehr zeitgemäßen Vorstellungen des historischen Gesetzgebers des Jahres 1873 zurückging.

 


Die Reform des strafprozessualen Ermittlungsverfahrens war von klar umrissenen Zielen geleitet, die einerseits ein modernes Strafverfahren ermöglichen und andererseits eine strikte Trennung zwischen staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsleitung und gerichtlicher Kontrolle vorsehen sollten. Das österreichische Ermittlungsverfahren nach der erneuerten StPO dient im Übrigen nunmehr vielen Staaten, die sich gerade in Reformüberlegungen befinden, als Vorbild eines modernen, auf rechtsstaatlichen Prinzipien aufgebauten Strafprozesses (siehe z.B. die Reform in der Schweiz).

Es lässt sich nicht in Abrede stellen, dass – wie bei allen Gerichten und Behörden – auch bei der Staatsanwaltschaft Fehler passiert sind und passieren. Zu diesem Zweck sieht die neue Strafprozessordnung umfassende Rechtsschutzmöglichkeiten vor, die vor dem Jahr 2008 in dieser Form nicht vorhanden waren (z.B. Einspruch wegen Rechtsverletzung nach § 106 StPO). Auf das engmaschige staatsanwaltschaftliche Berichtswesen und die jüngere Rechts­entwicklung auch nach dem Inkrafttreten der Strafprozessreform kann verwiesen werden, nämlich:

·         Transparenz erteilter Weisungen

·         Berichtspflicht gegenüber dem Nationalrat

·         Kontrolle im Wege des Rechtsschutzbeauftragten bzw. der Generalprokuratur

·         Ausbau des „Vier-Augen-Prinzips“ bei der Staatsanwaltschaft

Zur Kritik an der „Umkehrung der Verfahrenslogik“ möchte ich anmerken, dass der Grundsatz der Offizialmaxime nach § 2 Abs. 1 StPO genauso unverändert weiterbesteht, wie das Prinzip, dass nur dann mit Anklage vorgegangen werden darf, wenn bei Beurteilung der Sach- und Rechtslage eine Verurteilung wahrscheinlicher als ein Freispruch ist (vgl. § 210 Abs. 1 StPO).  

Bei der Prüfung, ob die Anklage voraussichtlich zum Erfolg führen wird, hat die Staatsanwaltschaft bei ausreichend geklärtem Sachverhalt die Tat- (Beweis-)Frage, die Schuldfrage (etwa im Hinblick auf die Zurechnungsfähigkeit) sowie die Rechtsfrage (insbesondere im Hinblick auf Tatbildmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Verjährung) zu beurteilen. Dabei hat sie von der herrschenden Rechtsansicht auszugehen. Andere vertretbare Rechtsansichten berechtigen jedoch ebenfalls zur Anklageerhebung, nicht jedoch dazu, den Fall durch Abstandnahme von der Verfolgung der gerichtlichen Entscheidung zu entziehen.

Die Einhaltung dieser Prinzipien bei sämtlichen Staatsanwaltschaften wird im Rahmen der Dienst- und Fachaufsicht überprüft.

 

 


Zu 3:

Neben der laufenden ressortinternen Evaluation und der zahlreichen Gesprächsplattformen mit Praktikern liegt mit dem Endbericht des Projektes zur wissenschaftlichen Evaluation der Umsetzung des Strafprozessreformgesetzes („PEUS“, Band 149 in der Schriftenreihe des BMJ - „Die Rechtspraxis des Ermittlungsverfahrens nach der Strafprozessreform – Eine rechtstatsächliche Untersuchung“) eine objektive und ausführlich be­gründete Studie vor, die zu einer sachlichen Diskussion beitragen soll, um Verbesserungs­vorschläge aufzugreifen.

Schon während dieser Evaluation wurde die Rechtsentwicklung genau beobachtet und auf Kritikpunkte reagiert. Im Bereich der Kontrolle der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit ist hier insbesondere auf das strafrechtliche Kompetenzpaket (spK, BGBl. I Nr. 108/2010) und die damit umgesetzten verstärkten Kontrollrechte des Rechtsschutzbeauftragten sowie die Veröffentlichung von Begründungen der Staatsanwaltschaft über die Einstellung des Er­mittlungsverfahrens (§ 35a StAG) zu verweisen.

Schließlich wird sich auch der Unterausschuss des Justizausschusses zur Vorbehandlung des Berichts (III-272 d.B.) der Bundesministerin für Justiz betreffend die Rechtspraxis des Ermittlungsverfahrens nach der Strafprozessreform aufgrund der Entschließung des Nationalrates vom 5. November 2009, 53/E XXIV. GP, auf parlamentarischer Ebene mit der gesamten Thematik befassen.

Zu 5 bis 7:

Im Rahmen der des staatsanwaltschaftlichen Berichtswesens verfolgt und beaufsichtigt das Bundesministerium für Justiz Strafverfahren, an denen wegen der Bedeutung der aufzuklärenden Straftat oder der Person des Tatverdächtigen ein nicht bloß räumlich begrenztes besonderes öffentliches Interesse besteht, oder in denen noch nicht hinreichend geklärte Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen sind. Gleiches gilt für Strafverfahren gegen Mitglieder eines allgemeinen Vertretungskörpers, wenn ein Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit des Mitglieds nicht jedenfalls auszuschließen ist.

In Wahrnehmung meiner Aufsichts- und Weisungsbefugnisse, zur Förderung einheitlicher Rechtsanwendung sowie zur Berichterstattung gegenüber gesetzgebenden Körperschaften, ihren Organen und internationalen Organisationen bin ich gemäß § 8a Abs. 3 StAG darüber hinaus berechtigt, auch in Einzelfällen Berichte abzufordern und mache von diesem Recht auch Gebrauch.

Im Rahmen der Dienst- und Fachaufsicht wird selbstverständlich auch die effiziente Verfahrensführung und die Beachtung des Beschleunigungsgebots (§ 9 Abs. 1 StPO) überwacht, wobei auch die jeweiligen GruppenleiterInnen besonderes Augenmerk auf eine straffe Verfahrensführung zu legen haben.


Im Übrigen darf ich darauf hinweisen, dass ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensbeschleunigung seit 1. Dezember 2011 ein elektronischer Workflow für das Berichts­wesen zur Verfügung steht und auch die zuletzt vermehrt zur Anwendung gekommene mündliche Erörterung der Sachbehandlung in bestimmten Verfahren nach § 29a Abs. 2 StAG einer Vereinfachung und Beschleunigung sowohl der Bericht­erstattung als auch der Aus­übung der Fachaufsicht dient.     
Zu 8:

Ja, ich verweise dazu aber auf meine Ausführungen zu den Fragen 5 bis 7.

 

Wien,      . Jänner 2012

 

 

 

Dr. Beatrix Karl