9807/AB XXIV. GP

Eingelangt am 18.01.2012
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

BMJ-Pr7000/0327-Pr 1/2011


Republik Österreich
die bundesministerin für justiz

 

 

Museumstraße 7

1070 Wien

 

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E-Mail: team.pr@bmj.gv.at

 

 

Frau
Präsidentin des Nationalrates

 

 

Zur Zahl 9927/J-NR/2011

Der Abgeordnete zum Nationalrat Heinz-Christian Strache und weitere Abgeordnete haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „elektronisch überwachter Hausarrest für ,Kinder­schänder´“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 bis 4:

Der in der Anfrage angeführte Strafgefangene wurde mit Urteil vom 18. Februar 2010, rechts­kräftig seit 9. Dezember 2010, wegen strafbarer Handlungen gegen die sexuelle Integrität zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Ich ersuche um Verständnis, dass mir eine detaillierte Beantwortung der an mich gerichteten Fragen, die auf die Bekanntgabe des Inhalts eines Gerichtsakts abzielen, aufgrund meiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur Wahrung der Amtsverschwiegenheit, des Datenschutzes und mit Blick auf die Bestimmungen der Strafprozessordnung über die Akteneinsicht nicht möglich ist.

Zu 5 bis 55:

Auch die nachfolgende Darstellung des Verfahrensablaufs unterliegt – bezogen auf den konkreten Strafgefangenen – den erwähnten (überwiegend verfassungs-)gesetzlichen Einschränkungen, sodass mir eine Beantwortung im gewünschten Detaillierungsgrad verwehrt ist.

Der Betroffene trat am 20. Jänner 2011 in der Justizanstalt Wien-Simmering eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 21 Monaten an und wird daher auch im Falle der Versagung einer bedingten Entlassung spätestens am 20. Oktober 2012 mit Strafende in Freiheit zu entlassen sein. Ein Ausspruch des Gerichtes gemäß § 266 StPO liegt nicht vor.

Am 4. April 2011 ersuchte der Betroffene um Weiterführung des Strafvollzuges in Form des elektronisch überwachten Hausarrests (eüH). Am 5. Juli 2011 wurde er zum Zweck der Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit in die Justizanstalt Korneuburg überstellt. Die Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter (BEST) hat zum Betroffenen zunächst am 17. März 2011 routinemäßig Stellung genommen. Derartige Stellungnahmen werden mithilfe der zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Unterlagen (in der Regel das Urteil, eine Strafregisterauskunft etc.) verfasst. Sie enthalten eine vorläufige Einschätzung der Problematik und eine Risikokategoriezuordnung mithilfe statistisch-nomothetischer Verfahren. Eine weitere Stellungnahme auf breiterer Informationsgrundlage (Einbeziehung des Strafaktes) wurde wegen des Antrags auf eüH (§ 156d Abs. 3 StVG) durch die BEST am 15. Juni 2011 verfasst.

Im Zuge der Vorbereitung einer Entscheidung über die bedingte Entlassung nach Verbüßung der Hälfte gab die BEST am 5. September 2011 eine weitere Stellungnahme ab. Ergänzend wurden die bis dahin abgegebenen Stellungnahmen im Zuge des Verfahrens über eine Be­willigung des eüH am 4. Oktober 2011 durch die BEST zusammengefasst und mit Rücksicht auf zwischenzeitig hinzugekommene Informations­quellen aktualisiert. Inhalte dieser Stellungnahmen können aus Gründen des Datenschutzes nicht bekannt gegeben werden. Im Ergebnis ließen diese Stellungnahmen übereinstimmend die Annahme gerechtfertigt erscheinen, der Betroffene werde bei Einhaltung der ihm auf­erlegten Bedingungen die Vollzugsform des eüH nicht miss­brauchen (§ 156c Abs. 1 Z 4 StVG).

Bei der Gewährung des eüH geht es darum, ob nach menschlichem Ermessen die umfassende Erwartung zu rechtfertigen ist, dass ein Straftäter diese Vollzugsform nicht missbrauchen werde. Im vorliegenden Fall ist überdies noch zu bedenken, dass eine Haftentlassung in Freiheit spätestens zum 20. Oktober 2012 jedenfalls erfolgen muss.

Der Betroffene erbringt im eüH gemeinnützige Leistungen für eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Das schriftlich erklärte Einverständnis in der Unterkunft des Betroffenen lebender Personen ist Voraussetzung für die Genehmigung des eüH. Dem Betroffenen wurde mit der Bewilligung auferlegt, die derzeit aufrechte regelmäßige Psychotherapie fortzusetzen und durch ein engmaschiges Risikomonitoring durch den Verein Neustart mit dem Fokus auf risikorelevante Veränderungen während des eüH – allenfalls im Einvernehmen mit der BEST – zu überwachen.

Eine Stellungnahme der BEST, wonach die Rückfallswahrscheinlichkeit im konkreten Fall hoch oder auch nur eher hoch eingeschätzt würde, lag nicht vor, ebenso wenig eine Weisung, unrichtige Auskünfte zu geben.

Ursprünglich war der 3. November 2011 für den Beginn der Anhaltung im eüH vorgesehen. Tatsächlich begann die Anhaltung im eüH am 9. November 2011. Angeordnet wurde die Verschiebung von der Vollzugsdirektion, weil es Probleme bei der Terminvereinbarung mit der Aufsichtszentrale gab.

Ich habe von der ergangenen Entscheidung – eine von bislang mehr als 500 bewilligenden Entscheidungen über eüH – durch die Medienberichterstattung erfahren.

Ein (Luxus-)Fahrzeug des Typs VW Touareg steht dem Strafvollzug nicht zur Verfügung. Die Überstellung erfolgte am 9. November 2011 mit einem Kombi der Justizwache Modell VW Touran, die in zahlreichen Justizanstalten in Verwendung stehen, fallweise auch zum Transport nicht sicherheitsgefährlicher Insassen. Eine Statistik darüber wird nicht geführt. Eine Verrechnung entstandener Fahrzeugkosten zwischen den einzelnen Justizanstalten findet nicht statt, ebenso wenig eine anlassbezogene Kostenrechnung.

Zur geltenden Gesetzeslage erlaube ich mir darauf hinzuweisen, dass die derzeit geltenden Bestimmungen über den eüH im Juli 2010 im Nationalrat einstimmig be­schlossen wurden. Ich habe aber o. Univ.-Prof. Dr. Klaus Schwaighofer im November 2011 beauftragt, zu prüfen, inwieweit Beschränkungen für die Gewährung des eüH (z.B. Ausnahme bestimmter Deliktsgruppen) möglich und sachgerecht sind.

Dieser ist in seinem mir nunmehr vorliegenden Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass das Gesetz ausreichende Vorkehrungen enthält, damit auf Grund eingehender individueller Prüfung nur solche Verurteilte in den Genuss dieser Vollzugsform kommen, die keine Gefahr für andere Personen darstellen können. In Bezug auf Sexualstraftäter ist als wichtige Vorsichtsmaßnahme insbesondere die Äußerung der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter (BEST) hervorzuheben (§ 156d Abs. 3 StVG). Weiters kommt Prof. Schwaighofer zu dem Schluss, dass ein gesetzlicher genereller Ausschluss bestimmter Deliktsgruppen von der Vollzugsform des eüH unter dem Aspekt des verfassungsgesetzlich verankerten Gleichheitsgrundsatzes sehr bedenklich ist. Zudem wäre ein derartiger Ausschluss mit der Systematik des StVG nicht vereinbar. Prof. Schwaighofer sieht somit keinen Bedarf für einen Ausschluss bestimmter Delikts­gruppen.

Die in der Anfrage angesprochenen Ausschussfeststellungen sind ressortweit bekannt und haben auch in den mit 1. Septem­ber 2010 ergangenen Einführungserlass zum eüH Eingang gefunden, aus dem ich nachstehende Passagen hervorhebe:

„Liegen der gegenständlichen oder einer früheren Verurteilung Delikte in Form von häuslicher Gewalt oder gegen (weiterhin) im gemeinsamen Haushalt lebende Personen zugrunde, ist darauf bei der Risikoabwägung besonderes Augenmerk zu legen. Bei Straftaten gegen Familienangehörige im Rahmen häuslicher Gewalt wird der EÜH nur in einer Unterkunft in Betracht kommen, in der nicht auch die Opfer leben, es sei denn, die Risikoabwägung … ergibt, dies wäre im Sinne der Opfer ausnahmsweise unbedenklich.“

„Bei dieser Prüfung ist dem Wohl aller im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen und zwar besonders jener, die nicht einsichts- und urteilsfähig sind (Kinder, psychisch kranke oder geistig behinderte Personen) ungeachtet vorliegender Zustimmungserklärungen von Amts wegen Rechnung zu tragen. Das gilt besonders, wenn der gegenständlichen oder einer früheren Verurteilung Delikte im Rahmen häuslicher Gewalt oder sonst gegen (weiterhin) im gemeinsamen Haushalt lebende Personen zugrunde liegen oder wegen anderer Umstände (etwa wegen einer früheren sicherheitspolizeilichen und/oder gerichtlichen Wegweisung) auf ein solches Risiko zu schließen ist bzw. eine durch Gewalt gekennzeichnete Beziehung zwischen der zu überwachenden Person und MitbewohnerInnen vorliegt. Wäre das Wohl auch nur einer Mitbewohnerin/eines Mitbewohners dadurch gefährdet, ist eine Bewilligung zu versagen.“

In diesem Sinne entspricht im Hinblick auf die Feststellung des Justizausschusses und des oben zitierten Rechtsgutachtens die Gewährung des eüH im engen Rahmen auch für Personen, die Straftaten gegen die geschlechtliche Selbstbestimmung begangen haben, dem geltenden rechtlichen Rahmen. Eine positive Risikoprognose ist in jedem Fall erforderlich, in Fällen wie dem vorliegenden ist der Maßstab dafür besonders streng.

Sollte der Betroffene die Bedingungen des eüH schwerwiegend oder trotz Mahnung verletzen oder sich der Verdacht einer strafbaren Handlung ergeben, wäre mit dem Widerruf des Hausarrests vorzugehen und der Betroffene in die Anstalt zu übernehmen.

 

Zu 56 bis 63:

Mit Stichtag 1. Dezember 2011 befanden sich 160 Personen im eüH. Davon verbüßten zwei Personen Freiheitsstrafen wegen strafbarer Handlungen gegen die Freiheit, 84 wegen strafbarer Handlungen gegen fremdes Vermögen, 30 wegen strafbarer Handlungen gegen Leib und Leben, acht wegen strafbarer Handlungen nach dem Suchtmittelgesetz, 28 wegen sonstiger strafbarer Handlungen und außer dem Betroffenen die nachstehenden sieben Personen wegen strafbarer Handlungen gegen die sexuelle Integrität. Informationen im gewünschten Detaillierungsgrad zu diesen Personen sind mir aus den erwähnten (überwiegend verfassungs)gesetzlichen Einschränkungen verwehrt.

Bei keiner dieser Personen wurde bisher (5. Jänner 2012) ein Widerruf erforderlich. Bisher haben mehr als 1.200 Personen Anträge auf den Vollzug von Strafhaft im eüH gestellt, eine deliktsbezogene Statistik liegt jedoch insoweit nicht vor. Bis 1. Jänner 2012 wurden 539 Personen in den eüH übernommen. Eine umfassende Statistik über die Begründungen in jenen Fällen, in denen ein eüH nicht zustande gekommen ist, wird nicht geführt. Jeder Fall und jeder Antragsteller ist individuell zu beurteilen und insbesondere die Risikoprognose einzelfallbezogen zu treffen. Mir ist die Sensibilität der Thematik bewusst, ich weise aber darauf hin, dass in allen Fällen des eüH die betroffenen Straftäter in längstens einem Jahr jedenfalls in Freiheit zu entlassen sein würden. Die Anhaltung im eüH ermöglicht eine engmaschige Betreuung durch Sozialarbeit (Bewährungshilfe) und die Erteilung von Auflagen, die neuerliche Straftaten verhindern können und sollen.

 

Wien,      . Jänner 2012

 

 

 

Dr. Beatrix Karl