9840/AB XXIV. GP

Eingelangt am 27.01.2012
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BM für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

Anfragebeantwortung

 

 

 

 

 

 
NIKOLAUS BERLAKOVICH

Bundesminister

 

 

 

 

 

 

 

 

An die                                                                                                Zl. LE.4.2.4/0188-I 3/2011

Frau Präsidentin

des Nationalrates

Mag.a Barbara Prammer

Parlament

1017 Wien                                                                                        Wien, am 26. JAN. 2012

 

 

 

Gegenstand:   Schriftl. parl. Anfr. d. Abg. z. NR Gerhard Huber, Kolleginnen

und Kollegen vom 29. November 2011, Nr. 9982/J, betreffend

                        die Enteignung der Tiroler Grundbesitzer als Mitglieder von

                        Agrargemeinschaften („Urbarialgemeinden“)

 

 

 

Auf die schriftliche parlamentarische Anfrage der Abgeordneten Gerhard Huber, Kolleginnen und Kollegen vom 29. November 2011, Nr. 9982/J, teile ich Folgendes mit:

 

Zu den Fragen 1 und 26 bis 29:

 

Die dargestellte Thematik betreffend die Tiroler Gemeindegutsagrargemeinschaften ist bekannt.


Im Hinblick auf die nachfolgenden Fragebeantwortungen sei eingangs darauf hingewiesen, dass sich die Kompetenz des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW) im Bereich des Bodenreformrechts, dem auch das hier relevante Flurverfassungsrecht zuzurechnen ist, auf die Grundsatzgesetzgebung (Art. 12 Abs. 1 Z 3 B-VG) beschränkt, während die Ausführungsgesetzgebung und Vollziehung des Bodenreformrechts Landessache sind. Dem BMLFUW kommen daher weder gegenüber den erstinstanzlichen Agrarbehörden, noch gegenüber den Landesagrarsenaten oder dem Obersten Agrarsenat (schon aufgrund deren Eigenschaft als unabhängige und weisungsfreie Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag) Befugnisse als Aufsichtsbehörde zu. Die Anfragebeantwortung ist dementsprechend auf Fragen der (Grundsatz)gesetzgebung bzw. allgemeine Fragen des Bodenreformrechts beschränkt.

 

Zu den Fragen 2, 3, 24 und 30:

 

Eine Regelung im Flurverfassungs-Grundsatzgesetz (FGG) wird derzeit nicht für erforderlich erachtet, da es sich hier um eine spezifisch Tiroler Problematik handelt und der Tiroler Landesgesetzgeber die Grundsätze der Verfassungsgerichtshofserkenntnisse aus 1982 und 2008 bereits mit der Novelle LGBl. Nr. 7/2010 zum Tiroler Flurverfassungs-Landesgesetz 1996 (TFGL 1996) umgesetzt hat. Eine grundsatzgesetzliche Regelung wäre im Hinblick auf mögliche Widersprüche zu Regelungen in anderen Bundesländern bzw. mangels Relevanz für alle Bundesländer auch nicht tunlich.

 

Zu den Fragen 4 und 5:

 

Abgesehen davon, dass es sich beim Substanzwertanspruch der Gemeinden gemäß VfSlg. 9336/1982 und 18.446/2008 nicht um ein Sachenrecht handelt, besteht ein solcher gemäß der genannten Judikate nur im Falle von aus Gemeindegut regulierten Agrargemeinschaften, wie sie im Falle Tirols in § 33 Abs. 2 lit. c Z 2 TFLG 1996 definiert sind. Dass aus gemeinschaftlichem Eigentum der Nutzungsberechtigten regulierte Agrargemeinschaften von diesem Regime nicht betroffen sind, hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) mit Erkenntnis vom 10.12.2010, B 639/10 klargestellt. Im übrigen wird auf die Ausführungen zu Frage 2 verwiesen.

 

Sofern hier aus agrarbehördlichen Teilungsverfahren hervorgegangene Eigentumsverhältnisse angesprochen sind, ist Folgendes festzuhalten: Wie sich aus dem Erkenntnis des VfGH vom 22.2.2011, B 719/10, ergibt, lässt sich die Rechtsprechung des VfGH zum atypischen Gemeindegut nach dem TFLG 1996 auf Hauptteilungen nicht übertragen. Ein rechtskräftiger Hauptteilungsplan beendet somit die Eigenschaft von agrargemeinschaftlichen Grundstücken als Gemeindegut im Sinne des § 33 Abs. 2 lit. c Z 2 TFLG 1996 (VwGH 10.11.2011, Zl. 2010/07/0216; 10.11.2011, Zl. 2011/07/0126).

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) besteht auch die grundsätzliche Möglichkeit der Wertung eines agrarbehördlich genehmigten Parteienübereinkommens als Hauptteilung im Sinne des § 33 Abs. 2 lit. c Z 2 TFLG 1996. Fand eine gesetzmäßige Abwicklung der vermögensrechtlichen Verhältnisse am Gemeindegut in der Form statt, dass nach Berechnungen über die Wertigkeit der Rechte und der Grundflächen eine Teilung vorgenommen wurde, der zufolge zum einen die Gemeinde lastenfreie Grundflächen und zum anderen die Agrargemeinschaft Eigentum an ehemaligen Gemeindegutsgrundstücken erhielt, und war ein solcher Vorgang Gegenstand eines agrarbehördlich genehmigten Übereinkommens, so wäre dies einer Hauptteilung gleichzuhalten (VwGH 15.9.2011, Zl. 2010/07/0106; 13.10.2011, Zl. 2011/07/0001; vgl. auch 13.10.2011, Zl.  2011/07/0079).

 

Zu Frage 6:

 

Agrargemeinschaftliche Anteilsrechte, zu denen auch der Substanzwertanspruch der Gemeinde zählt, sind öffentlich-rechtlicher Natur und können daher nur durch Entscheidung der Agrarbehörde begründet, geändert oder aufgehoben werden. Im Unterschied zu Privatrechten kommt daher eine Verjährung der Anteilsrechte der Gemeinde bzw. eine Ersitzung der Agrargemeinschaft im Umfang des Rechtes an der Substanznutzung nicht in Frage. Diesbezüglich wird auf folgende Erkenntnisse  des VwGH verwiesen: Erkenntnis vom 30.6.2011, Zl. 2010/07/0091, bzw. die darin zitierten Erkenntnisse des VwGH vom 24.7.2008, Zl. 2007/07/0100 und vom 21.10.2004, Zl. 2003/07/0107.

 

Zu Frage 7:

 

Nein. Hiezu wird auf die Beantwortung zu Frage 6 verwiesen.

 

Zu den Fragen 8, 15, 19, 20 und 23:

 

Es wird auf die Erkenntnisse des VfGH vom 11.6.2008, B 464/07, vom 5.3.2010, B 984/09 und B 997/09, vom 10.12.2010, B 639/10 und B 640/10, und vom 28.2.2011, B 1645/10, sowie des VwGH vom 30.6.2011, Zl. 2010/07/0091, verwiesen, aus denen sich ergibt, dass im Falle einer aus Gemeindegut regulierten Agrargemeinschaft davon auszugehen ist,

      dass die Regulierung sich auf die Regelung der Nutzungsrechte beschränken hätte müssen und insofern verfassungswidrig war, jedoch in Rechtskraft erwachsen ist,

      dass zwar mit dem rechtskräftigen Regulierungsakt das zivilrechtliche Eigentum am Regulierungsgebiet an die Agrargemeinschaft übergegangen ist, die Eigenschaft als Gemeindegut aber nicht untergegangen ist,

      dass sich durch diesen Eigentumsübergang das Eigentumsrecht der Gemeinde in ein Anteilsrecht an der Agrargemeinschaft verwandelt hat und dieses inhaltlich mit dem Recht auf Verfügung über den Substanzwert gleichzusetzen ist,

      dass dieser Anteil der Gemeinde am Gemeindegut als Surrogat ihres ursprünglichen Alleineigentums als Eigentum iSd. Art. 5 StGG bzw. Art. 1 1.ZPEMRK ist, wobei die Rechtsposition der Agrargemeinschaft denselben Schutz genießt und

      dass zwar die Feststellung von Gemeindegut und der damit verbundene Substanzwertanspruch der Gemeinde in diese Rechtsstellung der Agrargemeinschaft eingreifen, aber keine Verletzung des Grundrechts auf Eigentum der Agrargemeinschaft darstellen.

 

Zu den Fragen 9, 17 und 18:

 

Es wird auf das Erkenntnis des VwGH vom 30.6.2011, Zl. 2010/07/0091, verwiesen, aus dem hervorgeht, dass sich das der Gemeinde zukommende Recht auf den Substanzwert gerade nicht in Form eines zivilrechtlichen Miteigentums verwirklicht, sondern als agrargemein­schaftliches Anteilsrecht, das als solches zur Geltung gebracht werden können muss. Es geht daher nicht um die Frage eines „gespaltenen Eigentums“ in Form eines Substanz- und Nutzungseigentums (das Eigentumsrecht verbleibt nämlich bei der aus der Gesamtheit aller Anteilsberechtigten – wozu im Fall einer Gemeindegutsagrargemeinschaft auch die Gemeinde gehört – gebildeten Agrargemeinschaft), sondern es handelt sich um die Frage der Zuordnung und Bestimmung der Anteilsrechte der Agrargemeinschaftsmitglieder. Von der „Neuerschaffung eines Miteigentums entgegen Art. 7 StGG 1967“ kann somit keine Rede sein.

 

Zu den Fragen 10 bis 13:

 

Hier sei auf die zu Frage 1 erläuterte Kompetenzverteilung in Angelegenheiten der Bodenreform verwiesen. Mangels aufsichtsbehördlicher Befugnis des BMLFUW erübrigt sich die Beurteilung erstinstanzlicher Bescheide, wie dem hier angesprochenen.

 

Zu Frage 14:

 

Diese Fragestellung stand rechtlich nicht im Raum und war daher nicht Gegenstand der zusammenfassenden Stellungnahme des Bundes. Im Übrigen wird auf die Beantwortung zu Frage 9 verwiesen.


Zu Frage 16:

 

Hiezu sei zunächst auf die Beantwortung zu Frage 8 bzw. zu Frage 9 verwiesen. Ergänzend sei klargestellt, dass im Umgang mit den hier gegenständlichen Begriffen/Rechten eine klare Trennung von öffentlichen und privaten Rechten mitsamt den jeweiligen Rechtsfolgen bzw. Schutzmechanismen vorzunehmen ist:

      Substanzwertanspruch der Gemeinde: Entgegen der Fragestellung handelt es sich hierbei nicht um ein Privatrecht, sondern um ein als Ausfluss des vormaligen Alleineigentums der Gemeinde mit der Regulierung entstandenes Surrogat desselben, das nun in Form eines agrargemeinschaftlichen Anteilsrechts besteht und damit ein öffentliches Recht darstellt. Von einem (privatrechtlichen) Miteigentum iSd. Art. 7 StGG kann daher keine Rede sein. Als öffentlich-rechtliches Vermögensrecht kommt dem Substanzwertanspruch der Rechtsschutz des Art. 5 StGG zu (VfGH 10.12.2010, B 639/10 und B 640/10).

      Eigentum der Agrargemeinschaft: Dieser allein (kein geteiltes Eigentum) kommt das bücherliche, zivilrechtliche Eigentum am Regulierungsgebiet zu, das denselben Schutz gemäß Art. 5 StGG genießt wie der Substanzwertanspruch der Gemeinde. Den Eingriff des öffentlich-rechtlichen Substanzwertanspruchs in das zivilrechtliche Eigentum der Agrargemeinschaft hat der VfGH als verfassungskonform bestätigt (VfGH 10.12.2010, B 639/10 und B 640/10).

      Die Anteilsrechte der Mitglieder schließlich sind ausschließlich als öffentlich-rechtliche Nutzungsrechte zu qualifizieren und kommt diesen auch nur in diesem Umfang der Schutz des Art. 5 StGG zugute. Da sich Substanzwertanspruch und Anteilsrecht der Mitglieder als jeweils öffentliche Rechte komplementär verhalten, stellt der Substanzwertanspruch der Gemeinde keinen Eingriff in die Rechte der Mitglieder dar.

 

Eine Umgehung von Art. 5 und 7 StGG kann daher nicht vorliegen.

 

Zu Frage 21:

 

Der im Falle des Vorliegens einer „Gemeindegutsagrargemeinschaft“ bestehende Substanzwertanspruch der Gemeinde ist mit den genannten Bestimmungen des Flurverfassungsgrundsatzgesetzes 1951 vereinbar:

      Gemäß § 22 Abs. 1, der die Ansprüche der Teilgenossen beinhaltet, hat im Falle einer Teilung jede Partei Anspruch auf den Wert ihres Anteils an den agrargemeinschaftlichen Liegenschaften, im Falle einer Gemeinde bestünde dieses Anteilsrecht im Substanzwertanspruch.

      § 22 Abs. 2 betrifft nur im Grundbuch als Eigentümer eingetragene Gemeinden, somit nicht Fälle von Gemeindegutsagrargemeinschaften.

      Auch § 23 stellt hinsichtlich der Ansprüche der Parteien bei Regulierungen auf das jeweils festgestellte Anteilsrecht der Parteien ab, im Falle einer Gemeinde bestünde dieses wiederum im Substanzwertanspruch.

 

Zu Frage 22:

 

Die „Gemeindegutsagrargemeinschaften“ im Sinne von VfSlg. 18446/2008 u.a. sind zwar nicht in dieser Begrifflichkeit, aber als mögliche Variante einer Agrargemeinschaft nach dem Flurverfassungsrecht samt dem daran geknüpften Substanzwertanspruch der Gemeinde seit dem Erkenntnis VfSlg. 9336/1982 bekannt, wobei der VfGH erst im Erkenntnis VfSlg. 18446/2008 und in Folgeentscheidungen nähere Aussagen zum Substanzwertanspruch der Gemeinde getroffen hat.

 

Zu Frage 25:

 

Die Frage ist unverständlich, da als (typische) „Gemeindegutsagrargemeinschaften“ gemäß VfGH (28.2.2011, B 1645/10) gerade solche gelten, die im grundbücherlichen Eigentum einer Agrargemeinschaft stehen.

 

Zu den Fragen 31 und 32:

 

Es wird auf die bereits zitierte Rechtsprechung des VfGH und auch des VwGH zu Gemeindegutsagrargemeinschaften verwiesen. Der VfGH erkannte die undifferenzierte Einbeziehung des Gemeindegutes in die Ordnung der rechtlichen Verhältnisse an agrargemeinschaftlichen Grundstücken für verfassungswidrig, hegte aber keine grundsätzlichen Bedenken gegen eine Behandlung der Ordnung der Rechtsverhältnisse am Gemeindegut als Angelegenheit der Bodenreform (VfSlg. 9336/1982).

 

Dass unter dem Gemeindegut jene Erscheinung zu verstehen ist, die in den früheren Gemeindeordnungen im Rahmen des Reichsgemeindegesetzes 1862 und den nachfolgenden Gemeindegesetzen geregelt war, hat der VfGH im Erkenntnis VfSlg. 9336/1982 klar festgehalten. Dies ergebe sich nicht nur aus dem durch die Gemeindeordnungen geprägten Ausdruck „Gemeindegut“, sondern auch aus dem Hinweis auf die Bestimmungen der Gemeindeordnungen im Flurverfassungs-Grundsatzgesetz. Nach den Ausführungen des VfGH in VfSlg. 9336/1982 habe dieser bereits in seinen Erkenntnissen VfSlg. 4229/1962 und 5666/1968 klargestellt, dass unter Gemeindegut im Sinne des Flurverfassungsrechts jenes zu verstehen sei, dessen Grundlage ausschließlich die Gemeindeordnungen gewesen seien.

 

Auch der VwGH stellte in seiner Leitentscheidung vom 30.6.2011, 2010/07/0091, im dort zu prüfenden Fall fest, dass angesichts der im zitierten Erkenntnis näher dargestellten Systematik der TFLGs und der ihnen vorangegangenen Gesetze davon auszugehen ist, dass unter dem Begriff „Gemeindegut“ im Zusammenhang mit § 36 Abs. 2 lit. d TFLG 1952 allein das Gemeindegut der politischen Gemeinde im Sinne der TGO 1966 zu verstehen war (vgl. weiters VwGH 13.10.2011, 2011/07/0079; 13.10.2011, 2010/07/0163).

 

Zu den Fragen 33 bis 42:

 

Es wird auf die der gegenständlichen Anfragebeantwortung beigeschlossene Ablichtung der Einlagebögen eines Aktes des Bundeskanzleramtes, Zl. 156.486-6/1935, verwiesen, welcher auch das in Frage 42 angesprochene Schreiben des Bundeskanzleramtes an die Landeshauptmannschaft Tirol vom 1.8.1935 enthält.

 

Zu Frage 43:

 

In das Gesetz vom 10.7.1935 betreffend die Gemeindeordnung für das Land Tirol, Landes-Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 36 vom 12.8.1935, wurden entsprechende Bestimmungen aufgenommen.

 

Zu den Fragen 44 und 45:

 

Die Definition des Gemeindegutes im § 68 Abs. 3 TGO 2001 nimmt auf die Rechtsprechung des VfGH (VfSlg. 9336/1982 – vgl. EB zur RV 70/01) Bedacht. § 74 TGO 2001 sieht vor, dass die Vorschriften in den Angelegenheiten der Bodenreform durch die TGO 2001 nicht berührt werden.

 

Der Bundesminister:

 

Anmerkung der Parlamentsdirektion:

 

Die vom Bundesministerium übermittelten Anlagen stehen nur als Image, siehe

Anfragebeantwortung (gescanntes Original)

zur Verfügung.