9949/AB XXIV. GP
Eingelangt am 06.02.2012
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BM für Land- und Forstwirtschaft,
Umwelt und Wasserwirtschaft

Anfragebeantwortung
NIKOLAUS BERLAKOVICH
Bundesminister
An die Zl. LE.4.2.4/0212 -I 3/2011
Frau Präsidentin
des Nationalrates
Mag.a Barbara Prammer
Parlament
1017 Wien Wien, am 3. Feb. 2012
Gegenstand: Schriftl. parl. Anfr. d. Abg. z. NR Gerhard Huber, Kolleginnen und Kollegen vom 14. Dezember 2011, Nr. 10145/J, betreffend die Enteignung von ca. 18.000
Tirolerinnen und Tirolern wegen Wiedereinführung des geteilten Eigentums,
wegen des Fehlens von Verjährungs- und Ersitzungsregelungen, Einführung
einer „societas leonina“ als public private partnership „Gemeindegutsagrar-
gemeinschaft“ und Beseitigung der Rechtskraftwirkung von Bescheiden im
Sonderprivatrecht der ländlichen Bodenordnung für Gemeinschaftsbesitz
Auf die schriftliche parlamentarische Anfrage der Abgeordneten Gerhard Huber, Kolleginnen und Kollegen vom 14. Dezember 2011, Nr. 10145/J, teile ich Folgendes mit:
Zu den Fragen 1, 2, 15 bis 26, 37, 39 bis 41, 43 bis 46, 152, 198 bis 200, 202 und 208:
Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) und des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) sowie die Regelungen betreffend die Tiroler Gemeindegutsagrargemeinschaften sind bekannt.
Im Hinblick auf die nachfolgenden Fragebeantwortungen
sei eingangs darauf hingewiesen, dass sich die Kompetenz des Bundesministeriums
für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW) im
Bereich des Bodenreformrechts, dem auch das hier relevante Flurverfassungsrecht
zuzurechnen ist, auf die Grundsatzgesetzgebung (Art. 12 Abs. 1 Z 3 B-VG)
beschränkt, während die Ausführungsgesetzgebung und Vollziehung
des Bodenreformrechts Landessache sind. Dem BMLFUW kommen daher weder gegenüber
den erstinstanzlichen Agrarbehörden, noch gegenüber den
Landesagrarsenaten oder dem Obersten Agrarsenat (schon aufgrund der Eigenschaft
letzterer als unabhängige und weisungsfreie Kollegialbehörden mit
richterlichem Einschlag) Befugnisse als Aufsichtsbehörde zu. Mangels
Ingerenzmöglichkeit des BMLFUW sind daher Fragen der Vollziehung des
Bodenreformrechts vom Interpellationsrecht des Art. 52 B-VG nicht umfasst.
Insbesondere erübrigt sich die Beurteilung wiederholt angesprochener
erstinstanzlicher Bescheide bzw. zweitinstanzlicher Erkenntnisse. Die
Anfragebeantwortung ist dementsprechend auf Fragen der (Grundsatz)gesetzgebung
bzw. allgemeine Fragen des Bodenreformrechts beschränkt.
Zu den Fragen 3 bis 5, 8, 49, 50, 60 bis 63, 81, 95, 98, 114, 115, 119 bis 121, 128 bis 132, 140, 143, 144, 147, 148, 201, 204, 206, 207 und 209 bis 218:
Zum Substanzwert bzw. Substanzwertanspruch der Gemeinde ist – unter Vorgriff auf weitere Fragen zu dieser Thematik – zusammenfassend wie folgt auszuführen:
Den Erkenntnissen des VfGH vom 11.6.2008, B 464/07, vom 5.3.2010, B 984/09 und B 997/09, vom 10.12.2010, B 639/10 und B 640/10, und vom 28.2.2011, B 1645/10, sowie der Leitentscheidung des VwGH vom 30.6.2011, 2010/07/0091 ist zu entnehmen, dass im Falle einer aus Gemeindegut regulierten Agrargemeinschaft davon auszugehen ist,
- dass mit dem zwar verfassungswidrigen, aber rechtskräftigen Regulierungsakt das zivilrechtliche Eigentum am Regulierungsgebiet an die Agrargemeinschaft übergegangen, die Eigenschaft als Gemeindegut aber nicht untergegangen ist,
- dass sich durch diesen Eigentumsübergang das Eigentumsrecht der Gemeinde in ein Anteilsrecht an der Agrargemeinschaft verwandelt hat und dieses inhaltlich mit dem Recht auf Verfügung über den Substanzwert gleichzusetzen ist,
- dass der Substanzwert ausschließlich der Gemeinde zusteht und die übrigen Mitglieder der Agrargemeinschaft in Ansehung des Substanzwerts über keinerlei Rechte verfügen,
- dass es verfassungsrechtlich geboten ist, den Anspruch der Gemeinde auf den Substanzwert des Gemeindegutes z.B. im Wege der Einräumung von Zustimmungs- und Mitwirkungsrechten in den Organen der Agrargemeinschaft, der Einrichtung zweier Rechnungskreise, der Einräumung von Einsichts- und Entnahmerechten zu wahren und dementsprechend die Verfügungsbefugnisse der Agrargemeinschaft als bloß formale Eigentümerin zu beschränken,
- dass der Anteil der Gemeinde am Gemeindegut als Surrogat ihres ursprünglichen, durch die Regulierung beseitigten Alleineigentums als Eigentum iSd Art. 5 StGG bzw. Art. 1 1.ZPEMRK anzusehen ist, wobei die Rechtsposition der Agrargemeinschaft denselben Schutz genießt,
- dass zwar die Feststellung von Gemeindegut und der damit verbundene Substanzwertanspruch der Gemeinde in diese Rechtsstellung der Agrargemeinschaft eingreifen, aber keine Verletzung des Grundrechts auf Eigentum der Agrargemeinschaft darstellen, und
- dass agrargemeinschaftliche Anteilsrechte (zu denen auch der Substanzwertanspruch der Gemeinde zählt) öffentlich-rechtlicher Natur sind, daher nur durch Entscheidung der Agrarbehörde begründet, geändert oder aufgehoben werden können und - im Unterschied zu Privatrechten - sohin eine Verjährung der Anteilsrechte der Gemeinde bzw. eine Ersitzung durch die Agrargemeinschaft im Umfang des Rechtes an der Substanznutzung nicht in Frage kommt.
Beim Substanzwertanspruch der Gemeinde handelt es sich somit nicht um ein Privatrecht, sondern um ein als Ausfluss des vormaligen Alleineigentums der Gemeinde mit der Regulierung entstandenes Surrogat desselben, das nun in Form eines agrargemeinschaftlichen Anteilsrechts besteht und damit ein öffentliches (Vermögens-)Recht darstellt.
Im Tiroler Flurverfassungsrecht ist der Substanzwert eines agrargemeinschaftlichen Grundstückes in § 33 Abs. 5 Tiroler Flurverfassungslandesgesetz 1996 (TFLG 1996) definiert und steht zufolge dieser Bestimmung der Gemeinde zu. Der Tiroler Landesgesetzgeber hat mit der Novelle des TFLG 1996 LGBl. 7/2010, das Erkenntnis des VfGH vom 11.6.2008, B 464/07, umgesetzt.
Aufgrund der seitens des VfGH und des VwGH ergangenen Entscheidungen und deren - vom VfGH als verfassungskonform bestätigten - Umsetzung im TFLG 1996 im Jahr 2010 erscheinen die (sehr spezifischen) Verhältnisse betreffend die Tiroler Gemeindegutsagrargemeinschaften ausreichend geklärt. Es besteht daher für den Bundesgesetzgeber keine Veranlassung für legistische Maßnahmen.
Zu den Fragen 6, 70, 90, 91, 133, 162, 181 und 205:
Die Fragestellungen betreffen keinen Gegenstand der Vollziehung des BMLFUW im Sinne des Art. 52 B-VG. Auf die Zuständigkeit des Bundeskanzlers wird hingewiesen.
Zu den Fragen 7, 76, 78 bis 80, 88, 93, 96, 99 bis 101, 109, 110, 122 und 127:
Es wird auf das Erkenntnis des VwGH vom 30.6.2011, 2010/07/0091, verwiesen, aus dem hervorgeht, dass sich das der Gemeinde zukommende Recht auf den Substanzwert gerade nicht in Form eines zivilrechtlichen Miteigentums verwirklicht, sondern als agrargemeinschaftliches Anteilsrecht, das als solches zur Geltung gebracht werden können muss. Es geht daher nicht um die Frage eines „geteilten Eigentums“ in Form eines Substanzeigentums („Verfügungseigentums“) und eines Nutzungseigentums (das Eigentumsrecht verbleibt nämlich bei der aus der Gesamtheit aller Anteilsberechtigten – wozu im Fall einer Gemeindegutsagrargemeinschaft auch die Gemeinde gehört – gebildeten Agrargemeinschaft), sondern es handelt sich um die Frage der Zuordnung und Bestimmung der Anteilsrechte der Agrargemeinschaftsmitglieder. Von einem „geteilten Eigentum“ kann somit keine Rede sein.
Der Landesgesetzgeber fügte im Gefolge der Rechtsprechung des VfGH zu Gemeindegutsagrargemeinschaften mit der Novelle des T-FLG 1996, LGBl. 7/2010, Bestimmungen ein, um die spezielle Art des Gemeindegutes im Gesetz abzubilden. Der VfGH hat mit Erkenntnissen vom 10.12.2010, B 639/10, B 640/10, und vom 28.2.2011, B 1645/10, die Verfassungskonformität der § 33 Abs. 2 lit. c Z 2, § 33 Abs. 5, § 35 Abs. 7, § 36 Abs. 2 und § 37 Abs. 6, 7 und 8 TFLG 1996 in der Fassung der genannten Novelle unter mehreren Gesichtspunkten geprüft und bejaht.
Zu Frage 9:
Es wird auf die unter Fußnote 55 in dieser parlamentarischen Anfrage zitierte Judikatur verwiesen.
Zu den Fragen 10 bis 14, 27, 38, 48, 51 bis 59, 64 und 86:
Hat die historische Agrarbehörde durch
Regulierungsbescheid auf Basis des jeweiligen T-FLG die Feststellung getroffen,
dass agrargemeinschaftliche Grundstücke als Gemeindegut im Sinne der
jeweils geltenden Tiroler Gemeindeordnung (TGO) vorliegen, so entfaltet dies
Rechtswirkungen für die Zukunft. Eine der Folgen dieser Feststellung ist
angesichts der Zuweisung des Eigentums an die Agrargemeinschaft, dass der
Substanzwert an solchen Grundstücken der Gemeinde zukommt (vgl. VwGH
30.6.2011, 2010/07/0091).
Der Substanzwertanspruch der Gemeinde ist daher eine Folgewirkung des Verlustes
des Eigentums der Gemeinde im Rahmen der Regulierung.
Zur Frage der Kenntnis oder Absicht der historischen Agrarbehörde wird auf das Erkenntnis des VwGH vom 30.6.2011, 2010/07/0091, sowie auf Folgeerkenntnisse wie z.B. VwGH 13.10.2011, 2011/07/0001, verwiesen. Demnach ist entsprechend der ständigen Rechtsprechung des VwGH der Spruch eines Bescheides nach seinem äußeren Erscheinungsbild, also objektiv auszulegen (vgl. u.a. VwGH 30.6.1998, 98/08/0129, und VwGH 28.1.2004, 2000/12/0311). Für die Bedeutung einer Aussage im Spruch eines Bescheides ist weder maßgeblich, wie sie die Behörde oder der Verfasser des Bescheidtextes verstanden wissen wollte (vgl. VwGH 11.12.1990, 90/07/0104 und VwGH 30.6.1998, 98/08/0129) noch wie sie der Empfänger verstand (vgl. u.a. VwGH 21.5.1991, 91/07/0027, und VwGH 28.1.2004, 2000/12/0311).
Der VfGH hat in seinem Erkenntnis VfSlg. 18.446/2008 ausgeführt, dass der Substanzwert am Gemeindegut seit jeher der Gemeinde zugestanden ist (was in ihrem Alleineigentum zum Ausdruck kam) und nicht erst aufgrund des Erkenntnisses VfSlg. 9336/1982 mit der Novelle LGBl. 18/1984 in das TFLG Eingang gefunden hat. Der Umstand, dass eine Regulierung der Sechziger Jahre das Eigentum am Gemeindegut der Agrargemeinschaft zugeordnet und der Gemeinde einen Anteil nur nach Maßgabe der Nutzungen zugebilligt hat, dispensiert demgemäß heute nicht vom verfassungsrechtlichen Gebot, den der Gemeinde zustehenden, wenngleich bisher nicht berücksichtigten, Substanzwert im Falle einer Teilung zu berücksichtigen und gegebenenfalls schon vorher die Anteile neu festzustellen.
Ergänzend ist festzuhalten, dass sich die Rechtslage durch die Novelle des T-FLG 1996, LGBl. 7/2010, nicht geändert hat: Durch die Aufsplittung der lit. c des § 33 Abs. 2 TFLG 1996 in zwei Tatbestände wurde weder der Begriff des Gemeindegutes neu gefasst oder ihm ein neues Verständnis gegeben noch der Begriff des Gutes einer Gemeinschaft von Nutzungsberechtigten. Der Gesetzgeber versuchte vielmehr, infolge des Erkenntnisses des VfGH VfSlg. 18.446/2008 die dort angesprochene spezielle Art des Gemeindegutes im Gesetz abzubilden. Der VfGH hat im Erkenntnis vom 10.12.2010, B639/10, B640/10, bestätigt, dass der im Erkenntnis VfSlg. 18.446/2008 definierte Begriff des Gemeindegutes mit jenem des § 33 Abs. 2 lit. c Z 2 TFLG 1996 idF LGBl. 7/2010 identisch ist. Am Begriffsverständnis des Gemeindegutes nach den Gemeindeordnungen bzw. – im Gegensatz dazu – des Gutes einer Gemeinschaft von Nutzungsberechtigten wurde somit nichts verändert (VwGH 13.10.2011, 2010/07/0163). Der VwGH anerkennt wegen des neu herausgebildeten Tatbestandes des § 33 Abs. 2 lit. c Z 2 TFLG 1996 und der daran geknüpften weiteren Rechtsfolgen auch ein Feststellungsinteresse der Agrargemeinschaften sowie der Gemeinden daran, welche Qualifikation ihre agrargemeinschaftlichen Grundstücke aufweisen. Diese Feststellung hat sich aber - mangels Änderung der entscheidungswesentlichen Begriffe des Gemeindegutes bzw. des Gutes der Nutzungsberechtigten - an den bisher ergangenen rechtskräftigen und bindenden Feststellungen der Qualifikation der agrargemeinschaftlichen Grundstücke zu orientieren.
Zu den Fragen 28 bis 30 und 102 bis 108:
Im Umgang mit den hier gegenständlichen Begriffen/Rechten ist eine klare Trennung von öffentlichen und privaten Rechten mitsamt den jeweiligen Rechtsfolgen bzw. Schutzmechanismen vorzunehmen:
- Substanzwertanspruch der Gemeinde: Entgegen der Fragestellung handelt es sich hierbei nicht um ein Privatrecht, sondern um ein als Ausfluss des vormaligen Alleineigentums der Gemeinde mit der Regulierung entstandenes Surrogat desselben, das nun in Form eines agrargemeinschaftlichen Anteilsrechts besteht und damit ein öffentliches Recht darstellt. Von einem (privatrechtlichen) Miteigentum iSd. Art. 7 StGG kann daher keine Rede sein. Als öffentlich-rechtliches Vermögensrecht kommt dem Substanzwertanspruch der Rechtsschutz des Art. 5 StGG zu (VfGH 10.12.2010, B 639/10 und B 640/10).
- Eigentum der Agrargemeinschaft: dieser allein (kein geteiltes Eigentum) kommt das bücherliche, zivilrechtliche Eigentum am Regulierungsgebiet zu, das denselben Schutz gemäß Art. 5 StGG genießt wie der Substanzwertanspruch der Gemeinde. Den Eingriff des öffentlich-rechtlichen Substanzwertanspruchs in das zivilrechtliche Eigentum der Agrargemeinschaft hat der VfGH als verfassungskonform bestätigt (VfGH 10.12.2010, B 639/10 und B 640/10).
- Die Anteilsrechte der Mitglieder sind ausschließlich als öffentlich-rechtliche Nutzungsrechte zu qualifizieren und kommt diesen auch nur in diesem Umfang der Schutz des Art. 5 StGG zugute. Da sich Substanzwertanspruch und Anteilsrecht der Mitglieder als jeweils öffentliche Rechte komplementär verhalten, stellt der Substanzwertanspruch der Gemeinde keinen Eingriff in die Rechte der Mitglieder dar.
Ergänzend wird auf die Beantwortung der Fragen 3 u.a. sowie der Fragen 7 u.a. verwiesen.
Zu den Fragen 31 und 32:
Eigentum, Besitz und sonstige dingliche Rechte sind zivilrechtliche Rechte bzw. Kategorien, welche im agrarbehördlichen Verfahren eine Rolle spielen können.
Zu den Fragen 33 bis 35, 89, 111 bis 113, 134 bis 136, 142, 145, 146 und 203:
Die Fragestellungen betreffen keinen Gegenstand der Vollziehung des BMLFUW im Sinne des Art. 52 B-VG.
Zu Frage 36:
Es wird neuerlich auf das Erkenntnis des VwGH vom 30.6.2011, 2010/07/0091, verwiesen, aus dem hervorgeht, dass sich das der Gemeinde zukommende Recht auf den Substanzwert gerade nicht in Form eines zivilrechtlichen Miteigentums verwirklicht, sondern als agrargemeinschaftliches Anteilsrecht. Die Frage betreffend „nacktes Eigentum verbunden mit land- und forstwirtschaftlichem Nutzungsrecht“ und „Substanzwertanspruch“ auf Basis des ABGB erübrigt sich daher.
Der Anspruch der Gemeinde auf den Substanzwert des Gemeindegutes gebietet es verfassungsrechtlich, die Verfügungsbefugnisse der Agrargemeinschaft als bloß formale Eigentümerin zu beschränken (vgl. VfGH 28.2.2011, B 1645/10). Im Übrigen wird auf die Beantwortung der Fragen 7 u.a. bzw. 10 u.a. verwiesen.
Zu den Fragen 42 und 118:
Der VfGH qualifiziert in seinem Erkenntnis vom 28.2.2011, B 1645/10, den Vorwurf, das Erkenntnis VfSlg. 18.446/2008 sei auf Grundlage eines mangelhaft festgestellten Sachverhalts gefällt worden, als nicht zutreffend. Der VfGH habe seine Rechtsanschauung, dass die Agrargemeinschaft Mieders aus atypischem Gemeindegut hervorgegangen sei, mit Blick auf den vom Landesagrarsenat beim Amt der Tiroler Landesregierung als belangte Behörde festgestellten Sachverhalt zum Ausdruck gebracht. Diesbezüglich hätte jedoch die beschwerdeführende Agrargemeinschaft Mieders im Verfahren zu VfSlg. 18.446/2008 Feststellungsmängel nicht geltend gemacht. Vielmehr sei - wie der VfGH im genannten Erkenntnis auch ausdrücklich festgehalten habe - in keinem Verfahrensstadium davon die Rede gewesen, dass es sich etwa nicht um Gemeindegut gehandelt habe oder dass (rechtswidrigerweise) beabsichtigt gewesen sei, aus dem Gemeindegut eine "reine Agrargemeinschaft" zu machen.
Im Übrigen wird auf die Beantwortung der Fragen 1 u.a. verwiesen.
Zu Frage 47:
Der VfGH bezieht sich auch in seinem Erkenntnis VfSlg. 18.446/2008 auf die Bestimmung des § 36 Abs. 2 lit. d TFLG 1952 (entsprach im Zeitpunkt des Erkenntnisses § 33 Abs. 2 lit. c TFLG 1996 in der Verfassung vor der Novelle LGBl. 7/2010).
Zu Frage 65:
Nein.
Zu den Fragen 66 bis 69, 71 bis 75, 87, 116, 117, 124 und 125:
Die Bestimmungen der §§ 22 und 23 Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1951 regeln die Ansprüche der Teilgenossen bei einer Teilung bzw. die Ansprüche der Parteien im Falle einer Regulierung. Zufolge dieser Bestimmungen sind die Anteilsrechte der Parteien maßgeblich für den Ausgleichsanspruch im Teilungsverfahren bzw. für den Anspruch auf die wirtschaftlich zulässigen Nutzungen im Regulierungsverfahren.
Durch die Anknüpfung der Ansprüche der Parteien an das jeweilige Anteilsrecht ist im Falle des Vorliegens einer „Gemeindegutsagrargemeinschaft“ der zugunsten der Gemeinde bestehende Substanzwertanspruch der Gemeinde mit den genannten Bestimmungen des Flurverfassungs-Grundsatzgesetzes 1951 vereinbar, handelt es sich doch beim Substanzwertanspruch um ein solches agrargemeinschaftliches Anteilsrecht (VfGH 10.12.2010, B 639/10 und B640/10). Daraus sowie aus der zu Fragebeantwortung 3 u.a. angeführten Judikatur ergibt sich, dass dieses Anteilsrecht „Substanzwertanspruch“ im Falle einer Teilung oder Neuregulierung zur Geltung gebracht werden können muss.
Aus den zuvor genannten Gründen ist auch der hier angesprochene § 34 Abs. 1 TFLG 1996, der die Teilhabe einer substanzberechtigten Gemeinde an einer Gemeindegutsagrargemeinschaft weder an Eigentum noch an ein walzendes Anteilsrecht oder eine Nutzung knüpft sondern ex lege vorsieht, als grundsatzgesetzkonform zu betrachten. Diesbezüglich sei auch auf die nachstehenden Erkenntnisse verwiesen:
- Nach dem Erkenntnis des VfGH VfSlg. 18.446/2008 erlaube die Beseitigung des Zwanges, das Ausmaß der Mitgliedschaft auch beim Gemeindegut ausschließlich an den Nutzungsrechten zu orientieren durch VfSlg. 9336/1982, nunmehr die Berücksichtigung des Substanzwertes. Das sei nach Auffassung des VfGH auch verfassungsrechtlich geboten. Die das Gemeindegut repräsentierenden Agrargemeinschaften dürfen nach dem Erkenntnis VfSlg. 9336/1982 nicht mehr ohne Bedachtnahme auf den Substanzwert geteilt werden, sofern er bei dieser Gelegenheit erstmals zutage tritt. Gegebenenfalls müssen schon vorher die Anteilsrechte angepasst werden. Andernfalls würde man die verfassungswidrige Behandlung von Gemeindegut weiter fortsetzen. Der Umstand, dass eine Regulierung der Sechziger Jahre das Eigentum am Gemeindegut einer Agrargemeinschaft zugeordnet und der Gemeinde einen Anteil nur nach Maßgabe der Nutzungen zugebilligt habe, dispensiere heute nicht vom verfassungsrechtlichen Gebot, den der Gemeinde zustehenden, wenngleich bisher nicht berücksichtigten Substanzwert im Falle einer Teilung zu berücksichtigen und gegebenenfalls schon vorher die Anteile neu festzustellen.
- Mit Erkenntnis vom 5.3.2010, B 984/09 und B 997/09, hat der VfGH erkannt, dass - im Falle einer Gemeinde ohne ursprünglichem Anteilsrecht - entsprechend VfSlg. 18.446/2008 „die Wirkung des Umstandes, dass das Gemeindegut auf Grund eines Regulierungsverfahrens in das Eigentum der Agrargemeinschaft übertragen wurde, nicht die Beseitigung der Eigenschaft als Gemeindegut, sondern nur der Verlust des Alleineigentums der Gemeinde und dessen Verwandlung in einen Anteil an der neu gebildeten Agrargemeinschaft sein konnte“ . Mit der (verfassungswidrigen) Übertragung des Eigentums am Gemeindegut an die Agrargemeinschaft habe die beschwerdeführende Gemeinde somit auch Anteil an der Agrargemeinschaft und sei - damit korrespondierend - auch Mitglied der Agrargemeinschaft.
- Weiters hat auch der VfGH in seinem Erkenntnis vom 28.2.2011, B 1645/10, festgehalten, dass die Gemeinde nach Maßgabe des § 34 Abs. 1 TFLG 1996 idF LGBl. 7/2010 Mitglied der Agrargemeinschaft sei und durch diese Regelung der Judikatur des VfGH zur Regelung der Eigentumsverhältnisse im Zusammenhang mit Agrargemeinschaften und insbesondere dem Gemeindegut (VfSlg. 18.446/2008) Rechnung getragen werde. Es sei auch zu berücksichtigen, dass dem Gesetzgeber bei der Abgrenzung des Mitgliederkreises eines Selbstverwaltungskörpers ein großer rechtspolitischer Gestaltungsspielraum eingeräumt ist (zuletzt VfSlg. 18.731/2009). Der VfGH hat mit diesem Erkenntnis somit im Ergebnis die Verfassungskonformität des § 34 Abs. 1 TFLG 1996 bestätigt.
Zu den Fragen 77 und 82 bis 85:
Der VwGH hat in seinem Erkenntnis vom 16.9.1999, 96/07/0179, darauf hingewiesen, dass in der rechtlichen Beurteilung agrarischer Nutzungsrechte stets zwischen solchen Rechten zu unterscheiden ist, die Rechte an eigener Sache sind, und solchen Rechten, die Rechte an fremder Sache sind. Als agrarische Nutzungsrechte an – im weitesten Sinne dieses Wortes – „eigener“ Sache sind jene Berechtigungen anzusehen, die einer Stammsitzliegenschaft oder einer Person am Gemeinschaftsgut der Agrargemeinschaft zustehen, an welcher die Stammsitzliegenschaft oder Person beanteilt ist. Solche Berechtigungen unterliegen dem Regime der Flurverfassungs-Landesgesetze.
Von diesen Berechtigungen strikt zu unterscheiden sind jene agrarischen Nutzungsrechte, die auf fremdem Grund ähnlich privatrechtlichen Servitutsrechten zumeist in Form von Weide- oder Holzbezugsberechtigten bestehen. Diese Berechtigungen unterliegen rechtlich nicht dem Regime der Flurverfassungs-Landesgesetze, sondern jenem der in Ausführung des Grundsatzgesetzes 1951 über die Behandlung der Wald- und Weidenutzungsrechte sowie besonderer Felddienstbarkeiten, BGBl. Nr. 103/1951, ergangenen Wald- und Weideservitutenlandesgesetze. Diese Gesetze sehen auch die Ablöse von Einforstungsrechten vor.
In seinem Erkenntnis vom 10.11.2011, 2010/07/0216, hat der VwGH zwar festgehalten, dass die Ablöse eines Einforstungsrechtes und das damit bewirkte Ende einer Belastung von Grundstücken (des Einforstungsverpflichteten) mit einer solchen Berechtigung dem Ergebnis einer Teilung einer Agrargemeinschaft vergleichbar ist. Auch diese Maßnahme führt zum Ende einer von vielen (oder aller) Berechtigungen an ein und derselben Sache zugunsten eindeutiger Zuordnung an einen ausschließlich Berechtigten in Form des freien Eigentums. Ein dem Ablöseverfahren im Wald- und Weideservitutenrecht vergleichbares Ablöseverfahren kennt das Flurverfassungsrecht jedoch nicht.
Zu den Fragen 92, 97, 188, 189 und 192 bis 197:
Es wird darauf hingewiesen, dass dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft keine Kompetenz zur Überprüfung von höchstgerichtlichen Erkenntnissen zukommt und die darin zum Ausdruck gebrachten Leitsätze nicht seiner Disposition unterliegen.
Zu Frage 94:
Art 12 Abs. 1 Z 3 B-VG regelt den Kompetenztatbestand „Bodenreform, insbesondere agrarische Operationen und Wiederbesiedelung“. Gemäß dem maßgebenden Erkenntnis des VfGH vom 21.3.1931, VfSlg. 1390/1931, sind unter Maßnahmen der Bodenreform jene nicht unter Art. 10 B-VG fallenden Aktionen auf dem Gebiete der Landeskultur zu verstehen, durch welche die gegebenen Bodenbesitzverhältnisse, Benützungsverhältnisse und Bewirtschaftungsverhältnisse den geänderten sozialen oder wirtschaftlichen Bedürfnissen entsprechend einer planmäßigen Neuordnung oder Regulierung unterzogen werden sollen.
Zu den Fragen 123 und 126:
In Angelegenheiten des Art. 12 B-VG, wie gegenständlich der Bodenreform gemäß Art. 12 Abs. 1 Z 3 B-VG, sind landesgesetzliche Regelungen u.a. dann verfassungswidrig, wenn sie dem Grundsatzgesetz widersprechen. Sind vom Bundesgesetzgeber keine Grundsätze aufgestellt, kann die Landesgesetzgebung gemäß Art. 15 Abs. 6 B-VG solche Angelegenheiten frei regeln.
Dabei erstreckt sich der historische Inhalt des Kompetenztatbestandes „Bodenreform" des Art 12 Abs. 1 Z 3 B-VG nach ständiger Judikatur des VfGH (vgl. VfSlg. 8151/1977, 11.856/1988, 12.415/1990, 28.2.2011, B 1645) wesensgemäß auch auf zivilrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Bodenreform. Zivilrechtliche Angelegenheiten sind also, soweit sie mit der Bodenreform zusammenhängen, nicht dem Kompetenztatbestand "Zivilrechtswesen" (Art. 10 Abs. 1 Z 6 B-VG), sondern dem Kompetenztatbestand "Bodenreform" zuzuordnen (vgl. z.B. VfSlg. 8151/1977). Für die Bodenreform geradezu typisch sind Maßnahmen, die der Neuregulierung oder der Änderung bestehender Regulierungen dienen (vgl. zB VfSlg. 1390/1931, 3649/1959; VfGH 6.10.1988 B 679/88).
Zu den Fragen 137 bis 139, 141 und 149:
Im Hinblick auf aus agrarbehördlichen Teilungsverfahren hervorgegangene Eigentumsverhältnisse ist auf das Erkenntnis des VfGH vom 22.2.2011, B 719/10, zu verweisen, aus dem sich ergibt, dass sich die Rechtsprechung des VfGH zum atypischen Gemeindegut nach dem TFLG 1996 auf Hauptteilungen nicht übertragen lässt. Ein rechtskräftiger Hauptteilungsplan beendet somit die Eigenschaft von agrargemeinschaftlichen Grundstücken als Gemeindegut im Sinne des § 33 Abs. 2 lit. c Z 2 TFLG 1996 (VwGH 10.11.2011, 2010/07/0216; 10.11.2011, 2011/07/0126).
Zu den Fragen 150, 153 bis 161, 164, 165, 175, 177 bis 180 und 182 bis 187:
Zur Thematik „Gemeindegut“ sei zunächst in kompetenzrechtlicher Hinsicht - ergänzend zu den Ausführungen zu den Fragen 123 u.a. - darauf hingewiesen, dass der VfGH in seiner Entscheidung VfSlg. 9336/1982 zwar die undifferenzierte Einbeziehung des Gemeindegutes in die Ordnung der rechtlichen Verhältnisse an agrargemeinschaftlichen Grundstücken für verfassungswidrig befand, jedoch kein Hindernis dafür sah, dass die Ordnung der Rechtsverhältnisse am Gemeindegut als Angelegenheit der Bodenreform behandelt und der Vollziehung durch die Agrarbehörden überantwortet wird.
In rechtshistorischer Hinsicht sei auf die Darstellung der Entwicklung des Gemeindegutsbegriffs im Flurverfassungsrecht in der Leitentscheidung des VwGH vom 30.6.2011, 2010/07/0091, verwiesen. Diese geht im Wesentlichen davon aus, dass eine rechtskräftige Feststellung von agrargemeinschaftlichen Grundstücken als Gemeindegut im historischen Regulierungsbescheid nach den damals geltenden Bestimmungen des TFLG Rechtswirkungen für die Zukunft entfalte, was bedeute, dass infolge der Zuweisung des Eigentums an die Agrargemeinschaft durch den Regulierungsbescheid der Substanzwert an diesen Grundstücken der Gemeinde zukomme. Im Einzelnen hält der VwGH fest,
- dass der Tiroler Landesgesetzgeber bereits 1909 - im Unterschied zum „(Grundsatz)gesetz betreffend die Teilung gemeinschaftlicher Grundstücke und die Regulierung der hierauf bezüglichen gemeinschaftlichen Benützungs- und Verwaltungsrechte“ vom 7.6.1883, RGBl. Nr. 94 (TRRG), - im diesbezüglichen Ausführungsgesetz T.R.L.G. nicht nur die im Grundsatzgesetz enthaltene Kategorie der Grundstücke einer Gemeinschaft von Nutzungsberechtigten kannte, sondern ergänzend als weitere Kategorie agrargemeinschaftlicher Grundstücke das einer gemeinsamen Benützung nach Maßgabe der Gemeindeordnung 1866 unterliegende Gemeindegut,
- dass entsprechend VfSlg. 9.336/1982 bereits in den Erkenntnissen VfSlg. 4229/1962 und 5666/1968 klargestellt worden sei, dass unter Gemeindegut im Sinne des Flurverfassungsrechts jenes zu verstehen sei, dessen Rechtsgrundlage ausschließlich die Gemeindeordnungen gewesen seien und dass dieses Gemeindegut im Sinne der Gemeindeordnungen nicht nur formell, sondern auch in materiell-rechtlicher Hinsicht Eigentum der Gemeinde sei, das nur insofern beschränkt sei, als es mit öffentlich-rechtlichen Nutzungsrechten belastet sei, sodass die Substanz und ein allfälliger Überschuss der Nutzungen der Gemeinde als solcher zugeordnet bleiben, weshalb auch der VwGH davon ausgehe, dass unter „Gemeindegut“ im Vollzugsbereich des TFGL (1952) allein das Gemeindegut der politischen Gemeinde im Sinne der damals geltenden Gemeindeordnung zu verstehen war,
- dass sich angesichts der Beibehaltung der Systematik einer klaren Trennung von Gemeindegut und Eigentum einer Gemeinschaft von Nutzungsberechtigten in nachfolgenden Novellen des Tiroler Flurverfassungsrechts bis zum gegenständlich relevanten TFLG 1952 nicht davon gesprochen werden könne, dass die historische Feststellung von Gemeindegut gemäß § 36 Abs. 2 lit. d TFLG 1952 unterschiedliche inhaltliche Deutungen zuließe und dass zudem aus Verwaltungsakten bekannt sei, dass es durchaus auch Feststellungen des Eigentums einer Gemeinschaft von Nutzungsberechtigten gemäß § 36 Abs. 2 lit. b TFLG 1952 gab (s. VwGH 30.6.2011, 2010/10/07/0074, 2011/07/0039, 2011/07/0050) und
- dass die mit dem historischen Regulierungsbescheid getroffene Feststellung von Gemeindegut für die Zukunft wirke und sich ein Eingehen auf weitere rechtshistorische Fragestellungen erübrige.
Hinsichtlich der Rechtsfolgen der historischen Feststellung von Gemeindegut im Rahmen von Regulierungsverfahren sei auf die Beantwortung der Fragen 3 u.a. sowie 10 u.a. verwiesen.
Zu den Fragen 151, 163, 166 bis 174 und 176:
Die Fragestellungen betreffen keinen Gegenstand der Vollziehung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft im Sinne des Art. 52 B-VG. Auf die Zuständigkeit der jeweils angesprochenen Landesgesetzgeber wird hingewiesen.
Zu den Fragen 190 und 191:
§ 15 Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1951 idgF. sowie dessen Vorgängerregelung in BGBl. Nr. 256/1932 definieren bzw. definierten den Begriff der agrargemeinschaftlichen Grundstücke. Bestimmungen betreffend die Zuständigkeit der Agrarbehörden in Teilungs- und Regulierungsverfahren finden bzw. fanden sich in den jeweiligen §§ 33 f. leg. cit..
Der Bundesminister: