1090 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIV. GP

 

Bericht

des Ausschusses für Arbeit und Soziales

über die Regierungsvorlage (1068 der Beilagen): Europäische Sozialcharta (revidiert)

Die Europäische Sozialcharta (revidiert) wurde am 7. Mai 1999 anlässlich einer Veranstaltung zum 50‑jährigen Bestehen des Europarats vom Bundesminister für auswärtige Angelegenheiten unterzeichnet.

Sie ist am 1. Juli 1999 in Kraft getreten und wurde mittlerweile von Albanien, Andorra, Armenien, Aserbaidschan, Belgien, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Estland, Finnland, Frankreich, Georgien, Irland, Italien, Litauen, Malta, Moldawien, Montenegro, den Niederlanden, Norwegen, Portugal, Rumänien, Russland, Schweden, Serbien, Slowakei, Slowenien, Türkei, Ukraine, Ungarn und Zypern ratifiziert.

Ziel der Europäischen Sozialcharta (revidiert) ist eine Modernisierung und Anpassung der Europäischen Sozialcharta von 1961, BGBl. Nr. 460/1969, an die geänderte rechtliche Situation in den Mitgliedstaaten, insbesondere auch unter Berücksichtigung des EU‑Rechts. Es wird den Entwicklungen Rechnung getragen, die seit der Abfassung der Charta im Jahr 1961 im Arbeitsrecht und in der Gestaltung der Sozialpolitik eingetreten sind.

Die Europäische Sozialcharta (revidiert) ist ein umfassender völkerrechtlicher Vertrag, der alle in der Charta von 1961 und in dem von Österreich am 4. Dezember 1990 unterzeichneten Zusatzprotokoll zur Europäischen Sozialcharta vom 5. Mai 1988 garantierten Rechte mit den erforderlichen Änderungen sowie eine Reihe neuer Rechte in einer einzigen Übereinkunft zusammenfasst.

Wesentliche Änderungen der bereits in der Sozialcharta von 1961, BGBl. Nr. 460/1969, verankerten Rechte:

‑       Verlängerung des bezahlten Jahresurlaubs von zwei auf vier Wochen.

‑       Unterrichtung des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin über den wesentlichen Inhalt des Arbeitsvertrags.

‑       Neudefinition der nationalen Politik auf dem Gebiet der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer/innen, die vorrangig auf die Beseitigung oder Verringerung der Ursachen der Gefahren in der Arbeitsumwelt abzielt.

‑       Festsetzung eines Mindestalters für die Zulassung zur Beschäftigung in bestimmten gefährlichen oder gesundheitsschädlichen Berufen mit 18 Jahren und Anhebung der Altersgrenze für die Begrenzung der Arbeitszeit von Jugendlichen von 16 auf 18 Jahre.

‑       Neugestaltung der Schutzbestimmungen für Frauen:

         Um dem Gleichheitsgrundsatz Rechnung zu tragen, wurde die entsprechende Bestimmung der Charta so geändert, dass sie Frauen ausschließlich im Fall der Mutterschaft schützt. Der Mutterschaftsurlaub wurde von zwölf auf vierzehn Wochen, die Mindestdauer des Kündigungs­schutzes für Schwangere auf den Zeitraum ab Meldung der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs verlängert. Die Regelung der Nachtarbeit wurde geschlechtsneutral gefasst und das Verbot der Beschäftigung mit Untertagearbeiten im Bergbau und sonstigen gefährlichen, gesundheitsschädlichen oder beschwerlichen Arbeiten auf die Fälle der Mutterschaft eingeschränkt.

‑       Besondere Maßnahmen zur Umschulung und Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen.

‑       Bezugnahme auf die Europäische Ordnung der Sozialen Sicherheit.

‑       Neufassung und Erweiterung der Rechte behinderter Menschen:

         Verankerung des Rechts behinderter Menschen auf Eigenständigkeit, insbesondere das Recht auf eigenständige Lebensführung, sowie auf soziale Eingliederung und auf Teilhabe am Leben der Gemeinschaft.

         Beratung, schulische und berufliche Bildung soll soweit wie möglich im Rahmen des allgemeinen Systems erfolgen.

‑       Klarstellung, dass das Recht auf Schutz der Familie auch Einelternfamilien umfasst.

‑       Verbesserung des Schutzes der Kinder und Jugendlichen außerhalb der Arbeitswelt.

Aus dem von Österreich am 4. Dezember 1990 unterzeichneten Zusatzprotokoll zur Europäischen Sozialcharta vom 5. Mai 1988 wurden folgende Rechte übernommen:

‑       Chancengleichheit und Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.

‑       Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer/innen oder ihrer Vertreter/innen.

‑       Beteiligung der Arbeitnehmer/innen oder ihrer Vertreter/innen an der Festlegung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Arbeitsumwelt.

‑       Das Recht älterer Menschen auf sozialen Schutz.

Folgende neue Rechte wurden verankert:

‑       Das Recht auf Schutz bei Kündigung.

‑       Schutz der Forderungen der Arbeitnehmer/innen bei Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers/ihrer Arbeitgeberin.

‑       Das Recht der Arbeitnehmer/innen auf Würde am Arbeitsplatz, das auch den Schutz vor sexueller Belästigung umfasst.

‑       Das Recht der Arbeitnehmer/innen mit Familienpflichten auf Chancengleichheit und Gleichbehandlung.

‑       Schutz der Arbeitnehmervertreter/innen im Betrieb.

‑       Information und Anhörung der Arbeitnehmervertreter/innen in den Verfahren bei Massenentlassungen.

‑       Schutz gegen Armut und soziale Ausgrenzung.

‑       Recht auf Wohnung.

Die Europäische Sozialcharta (revidiert) wurde so abgefasst, dass sie zwar eine eigenständige Übereinkunft darstellt, jedoch dem gleichen Überwachungsmechanismus wie die Charta von 1961 unterliegt.

Die Europäische Sozialcharta (revidiert) sieht nicht die Kündigung der alten Charta vor. Nimmt jedoch ein Vertragsstaat die Bestimmungen der Europäischen Sozialcharta (revidiert) an, so finden die entsprechenden Bestimmungen der ursprünglichen Charta und ihres Protokolls auf diesen Staat keine Anwendung mehr. Die Staaten sind damit nicht gleichzeitig durch Verpflichtungen auf verschiedenen Ebenen gebunden.

Durch die Ratifikation der Europäischen Sozialcharta (revidiert) verpflichtet sich jede Vertragspartei

         a) Teil I als eine Erklärung der Ziele anzusehen, die sie entsprechend dem einleitenden Satz jenes Teils mit allen geeigneten Mitteln verfolgen wird;

         b) mindestens sechs der folgenden neun Artikel als für sich bindend anzusehen: 1, 5, 6, 7, 12, 13, 16, 19 und 20;

         c) zusätzlich so viele Artikel oder Absätze des Teils II auszuwählen und als für sich bindend anzusehen, dass die Gesamtzahl der Artikel oder Absätze, durch die sie gebunden ist, mindestens sechzehn Artikel oder dreiundsechzig nummerierte Absätze beträgt.

Die Europäische Sozialcharta (revidiert) kann nicht ratifiziert werden, ohne zumindest die den Bestimmungen der Charta von 1961 entsprechenden und bereits angenommenen Bestimmungen zu ratifizieren.

Das Begutachtungsverfahren hat ergeben, dass Österreich das Ratifikationserfordernis erfüllt, da 6 Kernartikeln bzw. 76 nummerierten Absätzen (Mindesterfordernis: 16 Artikel, darunter 6 Kernartikel, oder 63 nummerierte Absätze) durch die innerstaatliche Rechtslage entsprochen wird.

Gemäß Artikel A Abs. 2 der Europäischen Sozialcharta (revidiert) sind dem Generalsekretär des Europarats gleichzeitig mit der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde jene Artikel oder Absätze zu notifizieren, zu deren Erfüllung sich der ratifizierende Staat nach Artikel A Absatz 1 lit. b und c verpflichtet. Diese Erklärung wird im Falle der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde durch Österreich die in den Erläuterungen zu Teil III, Artikel A der Charta als durch Österreich erfüllt angeführten Artikel bzw. Absätze anzuführen haben.

Es handelt sich um folgende Artikel und Absätze:

Gemäß Artikel A Absatz 1 lit. b: Artikel 1, 5, 12, 13, 16 und 20.

Gemäß Artikel A Absatz 1 lit. c: Artikel 2 Absätze 2, 3, 4, 5, 6 und 7, Artikel 3 Absätze 1, 2, 3 und 4, Artikel 4 Absätze 1, 2, 3 und 5, Artikel 6 Absätze 1, 2 und 3, Artikel 7 Absätze 1, 2, 3, 4, 5, 7, 8, 9 und 10, Artikel 8 Absätze 1, 3, 4 und 5, Artikel 9, Artikel 10 Absätze 1, 2, 3, 4 und 5, Artikel 11 Absätze 1, 2 und 3, Artikel 14 Absätze 1 und 2, Artikel 15 Absätze 1 und 3, Artikel 17 Absätze 1 und 2, Artikel 18 Absätze 1, 2 und 4, Artikel 19 Absätze 1, 2, 3, 5, 6, 7, 9 und 12, Artikel 25, Artikel 26 Absatz 1, Artikel 27 Absätze 1 und 2 und Artikel 28.

Damit sind die Voraussetzungen für die Ratifikation gegeben. Um jedoch Auslegungsschwierigkeiten, die sich aus dem Nebeneinander innerstaatlicher und völkerrechtlicher, nicht unmittelbar anwendbarer Normen ergeben könnten, zu vermeiden, ist bei der Ratifikation der Europäischen Sozialcharta (revidiert) von der Möglichkeit des Ausschlusses der generellen Transformation gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 3 B-VG Gebrauch zu machen.

Die Europäische Sozialcharta (revidiert) hat gesetzändernden bzw. gesetzesergänzenden Charakter und bedarf daher der Genehmigung durch den Nationalrat gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 1 B‑VG. Die Europäische Sozialcharta (revidiert) hat keinen politischen Charakter. Sie ist der unmittelbaren Anwendung im inner­staatlichen Rechtsbereich nicht zugänglich, sodass die Erlassung von Gesetzen gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 3 B‑VG erforderlich ist. Da durch die Europäische Sozialcharta (revidiert) Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereichs der Länder geregelt werden, bedarf es überdies der Zustimmung des Bundesrats gem. Art. 50 Abs. 2 Z 2 B‑VG.

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat den gegenständlichen Staatsvertrag in seiner Sitzung am 15. März 2011 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer dem Berichterstatter Abgeordneten Karl Donabauer die Abgeordneten Karl Öllinger, Dr. Dagmar Belakowitsch-Jenewein und Ursula Haubner sowie der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Rudolf Hundstorfer.

Bei der Abstimmung wurde mit Stimmenmehrheit (dafür: S,V,G dagegen: F,B ) beschlossen, dem Hohen Haus die Genehmigung des Abschlusses dieses Staatsvertrages zu empfehlen.

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales vertritt weiters mit Stimmenmehrheit (dafür: S,V dagegen: F,G,B) die Auffassung, dass der gegenständliche Staatsvertrag der unmittelbaren Anwendung im innerstaatlichen Bereich nicht zugänglich ist und daher eine Beschlussfassung des Nationalrates im Sinne des Art. 50 Abs. 2 Z 3 B-VG erforderlich ist.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuss für Arbeit und Soziales somit den Antrag, der Nationalrat wolle beschließen:

1.      Der Abschluss des Staatsvertrages: Europäische Sozialcharta (revidiert) (1068 der Beilagen) wird gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 1 B-VG genehmigt.

2.      Dieser Staatsvertrag ist im Sinne des Art. 50 Abs. 2 Z 3 B-VG durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen.

Wien, 2011 03 15

                                 Karl Donabauer                                                                 Renate Csörgits

                                   Berichterstatter                                                                            Obfrau