Minderheitsbericht
gemäß § 42 Abs. 4 GOG
der Abg. Dr. Alexander Van der Bellen, Mag. Werner Kogler und Mag. Albert Steinhauser
zum Bericht des Verfassungsausschusses zur Regierungsvorlage: Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion zwischen dem Königreich Belgien, der Republik Bulgarien, dem Königreich Dänemark, der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Estland, Irland, der Hellenischen Republik, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, der Italienischen Republik, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, dem Großherzogtum Luxemburg, Ungarn, Malta, dem Königreich der Niederlande, der Republik Österreich, der Republik Polen, der Portugiesischen Republik, Rumänien, der Republik Slowenien, der Slowakischen Republik, der Republik Finnland und dem Königreich Schweden (1725 d.B.)
Die grüne Fraktion lehnt den sogenannten Fiskalpakt ab. Der Fiskalpakt stellt aus Grüner Sicht – bei aller Notwendigkeit der Reduktion struktureller Budgetdefizite – eine wirtschafts- und demokratiepolitische Fehlkonstruktion dar. Dafür gibt es aus Grüner Sicht im Wesentlichen drei Gründe:
Erstens bedroht die im Fiskalpakt festgelegte, scharfe und gleichzeitige europaweite Budgetkonsolidierung die gesamte europäische Wirtschaftskonjunktur. Dadurch sinken die Steuereinnahmen noch weiter und die Sparziele können unter diesen Umständen nicht erreicht werden. Insofern ist der Fiskalpakt aus volkswirtschaftlicher Sicht kontraproduktiv.
Zweitens bedeutet der Fiskalpakt einmal mehr die Flucht aus den EU-Verträgen, weil dieser eben nicht im Rahmen des EU-Rechts verankert wird, sondern als zwischenstaatlicher Vertrag. Das Europäische Parlament, die einzige direkt demokratisch legitimierte EU-Institution, wird aus der zukünftigen Budgetkoordination in Europa ausgegrenzt. Mit der Methode der Verstärkten Zusammenarbeit innerhalb des Europarechtes zu operieren wurde nicht einmal versucht. Mit dem Fiskalpakt ist ein demokratiepolitischer Tiefpunkt europäischer Krisenpolitik erreicht.
Drittens enthält der Fiskalpakt eine Reihe von Bestimmungen, die mit der österreichischen Verfassung nicht im Einklang stehen. Daher hätte vor der Ratifizierung des Fiskalpaktes eine entsprechende Verfassungsnovelle oder ein Bundesverfassungsgesetz, welches zu seinem Abschluss ermächtigt (beides mit 2/3-Mehrheit) beschlossen werden müssen. Zu den verfassungsrechtlichen Einwänden siehe im Detail Stefan Griller, Zusammenfassung und Präzisierung meiner Stellungnahme im Hearing vor dem Verfassungsausschuss am 28. 6. 2012 am Ende dieses Minderheitsberichts. Die Grünen werden daher dem Fiskalpakt und seiner Ratifikation im Nationalrat die Zustimmung verweigern und eine Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof anstreben, der die Verfassungskonformität dieses Vertrages prüfen soll.
Angesichts der schwerwiegenden wirtschaftlichen Probleme in Europa und der bisher fehlgeschlagenen Lösungsversuche bedarf es eines Perspektivenwechsels auf europäischer Ebene, der die Schaffung einer demokratisch-ökologisch-sozial verantwortlichen Wirtschafts-, Währungs- und Fiskalunion zum Ziel hat. Das ständige Hinterherlaufen von einem Krisenschauplatz zum nächsten muss genauso beendet werden wie die Intransparenz der Entscheidungen und ihre mangelnde demokratische Legitimierung. Undurchsichtige, zum Teil abenteuerliche, Konstruktionen außerhalb der EU-Verträge können nicht weiter mit Alternativlosigkeit argumentiert werden. Es reicht daher nicht aus, lediglich den Fiskalpakt, wie in Art. 16 vorgesehen, innerhalb von 5 Jahren in EU-Recht zu überführen. Wir treten für die Einberufung eines Europäischen Konvents ein, der die Lehren aus der Krise zieht und auf breiter demokratischer Basis Lösungsvorschläge hin zu einer stärkeren wirtschaftlichen Integration Europas erarbeitet. Im Konvent müssen die Weichen dahingehend gestellt werden, dass u.a. europäische Anleihen, eine handlungsfähige und demokratisch legitimierte europäische wirtschaftspolitische Steuerung, parlamentarische Mitentscheidung und Kontrolle europäischen Regierens sowie ein Übergang von der Einstimmigkeit zur qualifizierten Mehrheit in Steuerfragen möglich werden. Das Ergebnis dieses Konvents muss dann in einer europaweiten Volksabstimmung bestätigt werden. Nur so kann die notwendige Legitimation für das europäische Projekt durch alle EU-BürgerInnen gewährleistet werden.



Wien, 2012-07-02
Dr. Alexander Van der Bellen Mag. Werner Kogler Mag. Albert Steinhauser