2461 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIV. GP
Bericht
des Justizausschusses
über die Regierungsvorlage (2404 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem zum internationalen Rechtsschutz Erwachsener das Außerstreitgesetz, die Jurisdiktionsnorm, das IPR-Gesetz und das Gerichtsgebührengesetz geändert werden (Erwachsenenschutz-Gesetz – ErwSchG)
Österreich beabsichtigt, das Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen (in der Folge: Übereinkommen) zu ratifizieren. Dieses Übereinkommen regelt unter anderem die Anerkennung und Vollstreckung von Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens Erwachsener, die aufgrund einer Beeinträchtigung oder der Unzulänglichkeit ihrer persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage sind, ihre Interessen zu schützen (in der Folge: Maßnahme). Für das Verfahren zur selbstständigen Anerkennung oder Vollstreckbarerklärung sowie für das Verfahren zur Durchsetzung von Maßnahmen verweist das Übereinkommen auf nationales Recht. Um insoweit eine reibungslose Anwendung des Übereinkommens sicher zu stellen, soll das österreichische Recht um besondere Verfahrensregelungen zur Anerkennung, Vollstreckbarerklärung und Vollstreckung ausländischer Maßnahmen ergänzt werden. Gleichzeitig sollen Regelungen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über die Sachwalterschaft für behinderte Personen aus Staaten, die nicht Vertragsstaaten des Übereinkommens sind und mit denen auch kein einschlägiger bilateraler Vertrag besteht, geschaffen und § 15 IPRG an die neue Rechtslage angepasst werden.
Nach dem Übereinkommen werden Maßnahmen in allen Vertragsstaaten anerkannt, ohne dass es eines besonderen Anerkennungsverfahrens bedürfte (vgl. Art. 1 Abs. 1, Art. 22; Artikel ohne weitere Bezeichnung sind in der Folge solche des Übereinkommens). Art. 23 gibt Parteien aber auch die Möglichkeit, die selbstständige Anerkennung einer Maßnahme zu beantragen. Das Verfahren dazu richtet sich nach dem Recht des ersuchten Staates (Art. 23). Nach Art. 25 Abs. 1 können im Ursprungsstaat vollstreckbare Maßnahmen in anderen Vertragsstaaten für vollstreckbar erklärt werden. Vertragsstaaten wenden dazu ein einfaches und schnelles Verfahren an (Art. 25 Abs. 2).
Besondere Regelungen zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Schutzmaßnahmen für Erwachsene gibt es derzeit in Österreich nicht. Es ist daher unklar (vgl. 6 Ob 218/02f; zuletzt Graf-Schimek, Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Sachwalterschaftssachen, iFamZ 2009, 309), ob auf diese Entscheidungen die §§ 79 ff. EO oder die Regelungen des AußStrG über die Anerkennung ausländischer Entscheidungen (die §§ 91a ff. und §§ 112 ff. AußStrG) analog anzuwenden sind. Mit dem vorliegenden Gesetzesvorhaben soll ein eigenes Verfahren zur selbstständigen Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von Maßnahmen ausländischer Gerichte geschaffen und damit das Übereinkommen durchgeführt werden. Die Regelungen sollen grundsätzlich auch für Verfahren zur selbstständigen Anerkennung von Entscheidungen über die Sachwalterschaft für behinderte Personen aus Nichtvertragsstaaten gelten. Weder die Anerkennung von Entscheidungen aus Vertragsstaaten, noch die Anerkennung von Entscheidungen aus Nichtvertragsstaaten setzt eine ausdrückliche Anerkennung in einem selbstständigen Anerkennungsverfahren voraus; eine Person, die ein rechtliches Interesse daran hat, kann eine solche ausdrückliche Anerkennung aber in beiden Fällen beantragen.
Das Übereinkommen überlässt die – allfällige – Regelung der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über Erwachsenenschutzmaßnahmen aus Nichtvertragsstaaten dem nationalen Recht. Ob die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung solcher Entscheidungen die Gegenseitigkeit im Sinn des § 79 Abs. 2 EO voraussetzt, ist umstritten. Diese Gegenseitigkeit fordert 6 Ob 218/02f (kritisch: Graf-Schimek, Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Sachwalterschaftssachen, iFamZ 2009, 309). Dagegen ist eine solche Gegenseitigkeit weder nach der Regelung zur Umsetzung der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (im Folgenden: Brüssel IIa-Verordnung), ABl. Nr. L 338 vom 23.12.2003 S. 1, in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2116/2004, ABl. Nr. L 367 vom 14.12.2004 S.1) im Bereich der Obsorge und des Besuchsrechts sowie der Ehescheidungen (§§ 97 ff., 112 ff. AußStrG) erforderlich noch nach den Regelungen über die Anerkennung von Adoptionsentscheidungen (§§ 91a ff. AußStrG). In Verfahren über die Anerkennung von ausländischen Adoptionsentscheidungen hatte der Oberste Gerichtshof bereits vor Inkrafttreten der §§ 91a ff. AußStrG erkannt, dass für die Anerkennung von Entscheidungen, die den Personenstand betreffen, Gegenseitigkeit nicht erforderlich ist (RIS Justiz RS0111346). Ausgehend davon sollen auch die vorgeschlagenen §§ 131a ff. AußStrG – über das Übereinkommen hinausgehend – grundsätzlich auch auf Entscheidungen über die Sachwalterschaft für behinderte Personen aus Nichtvertragsstaaten anzuwenden sein. Diese Entscheidungen können daher anerkannt werden, auch wenn es an der Anerkennungsgegenseitigkeit fehlt. Das Übereinkommen hat einen weiten Anwendungsbereich. Es umfasst (soweit nicht die Ausnahmen des Art. 4 greifen) alle Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens Erwachsener, die „aufgrund einer Beeinträchtigung oder der Unzulänglichkeit ihrer persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage sind, ihre Interessen zu schützen“ (Art. 1 Abs. 1). Dies können auch Maßnahmen sein, die funktionell über die Sachwalterbestellung für behinderte Personen nach österreichischem Recht und die damit zusammenhängenden Fragen hinausgehen. Für eine solche weitgehende, dem Übereinkommen vergleichbare Anerkennung von Entscheidungen aus Nichtvertragsstaaten besteht keine praktische Notwendigkeit. Die Regelungen über die Anerkennung von Entscheidungen aus Nichtvertragsstaaten sollen daher in zwei Punkten hinter der des Übereinkommens zurückbleiben: Zum Ersten sollen nur Entscheidungen anerkannt werden können, die Maßnahmen anordnen, abändern oder aufheben, die funktionell der österreichischen Sachwalterschaft für behinderte Personen und den in diesem Zusammenhang auftretenden Fragen entsprechen. Der Begriff der Entscheidung über die Sachwalterschaft für behinderte Personen wird in § 131a Abs. 2 AußStrG näher determiniert. Zum Zweiten soll die Anerkennung solcher Entscheidungen insofern an strengere Voraussetzungen geknüpft sein, als - im Unterschied zu Art. 22 Abs. 1 lit. b - die Anerkennung auch wegen der Verletzung des rechtlichen Gehörs des Erwachsenen selbst in dringenden Fällen (§ 131b Abs. 2 Z 2 AußStrG) versagt werden kann.
Das österreichische Sachwalterschaftsrecht sieht – mit Ausnahme der Vermögensverwaltung und verfahrensleitender Verfügungen im Sinn des § 79 Abs. 1 AußStrG – grundsätzlich keine vollstreckbaren Entscheidungen vor. Soweit nach österreichischem Recht Maßnahmen zum Schutz der Person des Erwachsenen vollstreckt werden können und müssen, sind sie in Sondergesetzen geregelt (z. B. Heimaufenthaltsgesetz, Unterbringungsgesetz). Der 9. Abschnitt des AußStrG (Verfahren über die Sachwalterschaft für behinderte Personen) kennt daher keine dem § 110 AußStrG vergleichbare Bestimmung über die Durchsetzung von Maßnahmen zum Schutz Erwachsener. Es gilt daher die Grundregel des § 80 AußStrG, wonach Entscheidungen grundsätzlich nach der Exekutionsordnung zu vollstrecken sind.
Nach den Art. 22 ff. sind jedoch Maßnahmen zum Schutz Erwachsener, die in einem Vertragsstaat getroffen wurden, in allen anderen Vertragsstaaten grundsätzlich anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären. Es ist durchaus denkbar, dass solche Entscheidungen Maßnahmen zum Schutz der Person des Erwachsenen anordnen, die zwangsweise durchgesetzt werden können und müssen. Eine dem § 110 AußStrG vergleichbare Regelung für die Vollstreckung von Maßnahmen zum Schutz Erwachsener ist daher sinnvoll und notwendig. Da diese nur für die Vollstreckung ausländischer Entscheidungen gilt, soll sie in den Abschnitt 9a (§ 131g AußStrG) des AußStrG und nicht in den 9. Abschnitt des AußStrG aufgenommen werden.
Nach den §§ 126 und 128 Abs. 1 AußStrG hat das Gericht zum Schutz des Rechtsverkehrs bestimmte Verständigungs- und Auskunftspflichten. Das gleiche Informations- und Schutzbedürfnis besteht, wenn eine vergleichbare ausländische Entscheidung in Österreich in einem selbstständigen Verfahren anerkannt (oder nicht anerkannt) wird und Wirkungen in Österreich entfaltet. Der Schutz der Verkehrskreise soll nicht davon abhängen, ob ein inländisches oder ein ausländisches Gericht mit Wirkungen für Österreich über eine Sachwalterschaft entscheidet. Daher sollen diese Verständigungspflichten auch bei Anerkennung, Nichtanerkennung oder Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Sachwalterentscheidung in einem selbstständigen Verfahren bestehen (§ 131c Abs. 6 AußStrG).
Art. 14 bestimmt, welches Recht für die Durchführung einer Maßnahme gilt: „Wird eine in einem Vertragsstaat getroffene Maßnahme in einem anderen Vertragsstaat durchgeführt, so bestimmt das Recht dieses anderen Staates die Bedingungen, unter denen sie durchgeführt wird.“ (Zu solchen Bedingungen würde etwa das Erfordernis einer gerichtlichen Genehmigung einer Vertretungshandlung des Sachwalters zählen.) Art. 14 gilt aber nur dann, wenn die Maßnahme von einem Vertragsstaat angeordnet wird und in einem Vertragsstaat durchgeführt wird. Wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, also etwa eine Maßnahme in einem Nichtvertragsstaat oder eine Maßnahme eines Nichtvertragsstaats in einem Vertragsstaat (Österreich) durchgeführt werden soll, wäre das für solche Durchführungsbedingungen maßgebende Recht nicht nach Art. 14 oder Art. 13 zu bestimmen, sondern nach nationalem Kollisionsrecht. Aus Praktikabilitätsgründen wird die Aufnahme einer dem Art. 14 entsprechenden Regelung vorgeschlagen, die unabhängig davon gilt, ob die Maßnahme in einem Vertrags- oder Nichtvertragsstaat durchgeführt wird oder getroffen wurde. Unter einer Maßnahme ist hier nicht (nur) eine nach dem Übereinkommen getroffene Entscheidung gemeint. § 15 Abs 2 IPRG gilt auch (und insbesondere) für die Durchführung von Maßnahmen, die ein Gericht setzt, das nicht an die Verweisungsnormen des Übereinkommens gebunden ist und ein anderes Recht anwendet als das nach dem Übereinkommen maßgebende.
Der Justizausschuss hat die gegenständliche Regierungsvorlage in seiner Sitzung am 19. JUNI 2013 in Verhandlung genommen. Im Anschluss an die Ausführungen der Berichterstatterin Abgeordnete Mag. Ruth Becher wurde der in der Regierungsvorlage enthaltene Gesetzentwurf einstimmig beschlossen.
Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Justizausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf (2404 der Beilagen) die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.
Wien, 2013 06 19
Mag. Ruth Becher Mag. Peter Michael Ikrath
Berichterstatterin Obmann