2470 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIV. GP

 

Bericht

des Justizausschusses

über die Regierungsvorlage (2447 der Beilagen): Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht

Die Schaffung eines Einheitlichen Patentgerichts ist neben der Einführung eines einheitlichen Patentschutzes ein zentrales Element einer weitreichenden Reform des europäischen Patentsystems.

Hintergrund ist, dass sich der derzeit fragmentierte Patentmarkt und die beträchtlichen Unterschiede zwischen den nationalen Gerichtssystemen nachteilig auf die Innovation auswirken, insbesondere im Falle von Klein- und Mittelbetrieben (KMU), für die es schwierig ist, ihre Patente durchzusetzen und sich gegen unberechtigte Klagen und Klagen im Zusammenhang mit Patenten, die für nichtig erklärt werden sollten, zu wehren.

Über die Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes mitsamt einem dazugehörigen Streitregelungssystem für das Gebiet der Europäischen Union wird seit Ende der 1950er Jahre diskutiert. Ein Zwischenergebnis war das Gemeinschaftspatentübereinkommen (GPÜ) und ein begleitendes Streitregelungsübereinkommen, wobei das letztere jedoch mangels der notwendigen Anzahl an Ratifikationen nie in Kraft getreten ist.

Auf diese für den Europäischen Binnenmarkt unbefriedigende Situation reagierte die Europäische Kommission im Jahr 2000 mit einem Entwurf für eine Gemeinschaftspatentverordnung. Demgemäß hätte die EU dem Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente (EPÜ) beitreten sollen und das Europäische Patentamt (EPA) hätte neben europäischen Patenten („Patentbündel“, das nach Erteilung in einzelne, nationale Patente zerfällt und in jenen Ländern, in denen es Wirkung entfalten soll, erst unter zumeist hohen Kosten validiert und in der Folge durchgesetzt werden muss) auch Gemeinschaftspatente erteilen sollen. Im Hinblick auf die seit Anbeginn umstrittene Frage, in welche Sprachen ein Patent zu übersetzen sein soll, wurde die Anwendung des Dreisprachenregimes des EPA (Deutsch, Englisch, Französisch) vorgeschlagen. Die parallel dazu geführten Diskussionen betreffend ein Streitregelungssystem sahen die Schaffung eines Gemeinschaftsgerichts für geistiges Eigentum vor. Am 3. März 2003 kam es schließlich zu einer gemeinsamen politischen Ausrichtung, jedoch konnte in der Folge keine Einigung über die Gemeinschaftspatentverordnung erzielt werden, da sich vor allem die darin enthaltenen Übersetzungsregelungen als Stolperstein erwiesen.

Im Jahr 2004 wurde ein Entwurf eines Übereinkommens über die Schaffung eines Streitregelungssystems für europäische Patente (EPLA – „European Patent Litigation Agreement“) vorgelegt. Das EPLA wurde als Ergänzung zum zu schaffenden Gemeinschaftspatentsystem angesehen und das Patentgericht sollte eine erste und zweite Instanz samt Gerichtskanzlei umfassen und alleinige Zuständigkeit für Streitigkeiten im Hinblick auf die Verletzung und Rechtsgültigkeit europäischer Patente haben. Als Gründe für die Errichtung eines gemeinsamen Gerichts wurden unter anderen die Beseitigung der Rechtsunsicherheit, Kostenreduktion und Zeitersparnis genannt. Im Hinblick auf die Sprachenregelung sah der Vorschlag des Streitregelungsübereinkommens – gleich dem Vorschlag über das Gemeinschaftspatent – die drei Amtssprachen des EPA als Verfahrenssprachen vor, von denen gewöhnlich diejenige des Streitpatents für das Verfahren gewählt werden sollte.

Die Projekte EPLA und Gemeinschaftspatent bestanden also vorerst nebeneinander. Die Arbeiten am EPLA wurden jedoch in der Folge zugunsten der Arbeiten am Gemeinschaftspatentübereinkommen unterbrochen.

Anfang Januar 2006 startete der damalige Binnenmarkt-Kommissar Charlie McCreevy eine weitere Initiative, um das Interesse der Mitgliedstaaten am Gemeinschaftspatent auf der Grundlage der politischen Ausrichtung vom 3. März 2003 zu hinterfragen. Es wurde eine öffentliche Konsultation der Nutzer des Systems zur weiteren Vorgangsweise bei der Harmonisierung des Patentsystems durchgeführt. Der Großteil der Mitgliedstaaten bekannte sich darin zum Projekt Gemeinschaftspatent sowie zur gemeinsamen politischen Ausrichtung vom 3. März 2003. Unzufriedenheit wurde insbesondere in Bezug auf zwei Themenbereiche geäußert: die Patentgerichtsbarkeit und die Sprachenregelung (mit der damit zusammenhängenden Problematik hoher Übersetzungskosten).

Anfang April 2007 legte die Europäische Kommission – basierend auf den Ergebnissen der Konsultation – eine Mitteilung zur Vertiefung des Patentsystems in Europa vor. Zur Sprachenfrage wären einige Mitgliedstaaten sogar bereit gewesen, ein Ein-Sprachen-Regime („English only“) zu akzeptieren, während andere wiederum das Drei-Sprachen-Regime bevorzugten. Betreffend die Gerichtsbarkeit kristallisierten sich drei Optionen heraus. Erstens die Schaffung eines Gerichts im Rahmen des EPLA unter den Auspizien der EPO mit Zuständigkeit nur für europäische Patente. Zweitens die Schaffung eines Gerichts im Gemeinschaftsrahmen, das neben dem Gemeinschaftspatent auch für europäische Patente zuständig ist oder drittens die Schaffung eines unabhängigen Gerichts für Gemeinschafts- und europäische Patente, z. B. im Rahmen des EPLA mit dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) als letztinstanzliche Stelle betreffend die Auslegung des Vertrages.

Durch das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Dezember 2009 erfolgte eine Umbenennung des Gemeinschaftspatents in „EU-Patent“ (Unionspatent) bzw. in weiterer Folge in „Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung“. Zudem erwirkte der Vertrag von Lissabon eine Änderung im Gesetzgebungsverfahren. Während Entscheidungen über die Sprachenregelung zu Unionstiteln gemäß Art. 118 Abs. 2 AEUV nach Anhörung des Europäischen Parlaments nach wie vor einstimmig durch den Rat der EU getroffen werden, werden alle anderen Aspekte mit Bezug auf die Schaffung von einheitlichen Titeln zum Schutz von geistigem Eigentum in der EU gem. Art. 118 Abs. 1 AEUV nunmehr mit qualifizierter Mehrheit gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zwischen Rat und Europäischem Parlament beschlossen. Der Rat schlug daraufhin in seinen Schlussfolgerungen Anfang Dezember 2009 vor, die Übersetzungsregelungen im Zusammenhang mit dem EU-Patent zum Gegenstand einer gesonderten Verordnung zu machen. Seither besteht die Reform des Patentsystems aus drei Rechtsakten: einer Verordnung über die Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes, einer Verordnung über die anzuwendenden Übersetzungsregelungen und einem völkerrechtlichen Übereinkommen über ein einheitliches Streitregelungssystem. Alle drei Akte werden als Gesamtpaket angesehen und sollen aufeinander abgestimmt in Kraft treten.

Der Verordnungsvorschlag betreffend die Übersetzungsregelungen schlug vor, dass sich das Sprachenregime für das EU-Patent im Wesentlichen nach dem Drei-Sprachen-Regime des EPA richten soll. Dieses eingeschränkte Sprachensystem war jedoch insbesondere für Italien und Spanien unakzeptabel, weil sie eine Diskriminierung ihrer Sprachen befürchteten. Ende des Jahres 2010 stellte daher der Rat fest, dass eine erforderliche Einstimmigkeit zur Sprachenfrage nicht erreicht werden könne. Daraufhin schlugen die übrigen 25 Mitgliedstaaten den Weg der „Verstärkten Zusammenarbeit“ ein. Die Verstärkte Zusammenarbeit (VZ) ist ein politischer Mechanismus der EU, der erlaubt, dass einzelne Mitgliedstaaten untereinander enger zusammenarbeiten („Europa der zwei Geschwindigkeiten“). Italien und Spanien erhoben daraufhin Klage beim EuGH gegen den Beschluss des Rates über die Ermächtigung zu einer Verstärkten Zusammenarbeit. Diese Klagen wurden jedoch am 16. April 2013 abgewiesen und damit die Frage, ob das Vorgehen der VZ rechtmäßig ist, vom EuGH positiv beantwortet (verb. Rs. C-274/11 und C-295/11, Spanien und Italien gegen Rat, 16. April 2013, noch nicht in amtlicher Slg. veröffentlicht).

Damit ist zu erwarten, dass – zumindest vorerst – innerhalb der Union kein Patent geschaffen wird, das von Anfang an das gesamte Territorium des Europäischen Binnenmarktes umfasst. Vielmehr wird das neu-geschaffene europäische Patent in den an der VZ beteiligten Mitgliedstaaten einheitliche Wirkung entfalten.

Die parallel dazu stattgefundenen Arbeiten am einheitlichen Patentgerichtssystem mündeten zunächst in einem Entwurf eines gemischten Übereinkommens zwischen der EU, ihren Mitgliedstaaten und auch Drittstaaten. Ein solcherart errichtetes Gericht sollte sowohl für künftige EU-Patente, als auch für bereits bestehende, nach dem EPÜ erteilte europäische Patente rechtsprechungsbefugt sein und aus einer Zentralkammer (zuständig u.a. für Patentnichtigkeitsklagen) und mehreren lokalen und regionalen Kammern in den Mitgliedstaaten (zuständig u.a. für Patentverletzungsklagen) bestehen.

Im Jahr 2009 wurde der EuGH um ein Gutachten zur Frage der Vereinbarkeit eines solchen Übereinkommens mit den EU-Verträgen ersucht. Dieses Gutachten Nr. 1/09, Slg. 2011, I-1137 wurde am 8. März 2011 vorgelegt und darin das geplante Übereinkommen als unionsrechtswidrig erklärt. Aus dem Gutachten folgt, dass durch ein internationales Abkommen keine Gerichtsbarkeit geschaffen werden kann, der ausschließliche Zuständigkeit zur Anwendung und Auslegung des Unionsrechts übertragen würde und die somit die Zuständigkeiten der nationalen Gerichte der Mitgliedstaaten einschränkt. Die Vorabentscheidungsbefugnis der nationalen Gerichte bzw. des EuGH bezüglich der Verordnung über das EU-Patent müsse erhalten bleiben. Eine Beteiligung von Drittstaaten an diesem System sei nicht möglich.

In Einklang mit dem EuGH-Gutachten wurde daraufhin im Jahr 2011 ein überarbeiteter Übereinkommensentwurf vorgelegt, der die Errichtung eines Einheitlichen Patentgerichts im Rahmen eines völkerrechtlichen Abkommens zwischen den an der VZ beteiligten Mitgliedstaaten vorsieht (Vertragsmitgliedstaaten), wobei eine Beteiligung jener Mitgliedstaaten, die sich nicht an der VZ beteiligen (also Spanien und Italien) hinsichtlich der auf ihrem Territorium validierten europäischen Patente nach dem EPÜ, nicht jedoch eine Beteiligung von Drittstaaten (wie etwa der Schweiz oder Liechtenstein) möglich sein soll. Das Übereinkommen ist mit den Verordnungen im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes (Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes, ABl Nr. L 361 vom 31.12.2012 S. 1, sowie Verordnung (EU) Nr. 1260/2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes im Hinblick auf die anzuwendenden Übersetzungsregelungen, ABl Nr. L 361 vom 31.12.2012 S. 89) Teil eines Gesamtpakets und steht in Einklang mit dem Unionsrecht. Das mit diesem Übereinkommen zu schaffende Gerichtssystem der Vertragsmitgliedstaaten unterliegt im vollen Umfang dem Unionsrecht und ist für dessen Anwendung und Auslegung zuständig.

In inhaltlicher Hinsicht orientiert sich dieser neue Übereinkommensentwurf an jenen Grundsätzen, die bereits in den vorangehenden Diskussionen der letzten Jahre breite Zustimmung seitens der Mitgliedstaaten fanden, wie etwa die Zuständigkeit des Gerichts sowohl für künftige EU-Patente als auch für bestehende europäische Patente und die Struktur des Patentgerichts in Form einer Zentralkammer, sowie mehreren lokalen und regionalen Kammern und einer zentralen Berufungsinstanz. Für Streitigkeiten aus nationalen Patenten sollen weiterhin die nationalen Rechtsprechungsorgane der Vertragsmitgliedstaaten zuständig sein.

Im Jahr 2011 schließlich präsentierte die Europäische Kommission zwei Verordnungsentwürfe zur Umsetzung der VZ im Patentbereich (EU-Patent-Verordnung und Verordnung über die Übersetzungsregelungen), welche im Wesentlichen jenen Kompromissvorschlägen entsprachen, die außer für Italien und Spanien für alle Mitgliedstaaten akzeptabel gewesen waren. Im Juni 2011 einigte man sich in einer allgemeinen Ausrichtung des Rates auf diese beiden Verordnungsentwürfe. Zu diesem Zeitpunkt entbrannte jedoch ein Streit um die Frage über die Zuteilung des Sitzes der Zentralkammer des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts, woraufhin das Europäische Parlament seine Abstimmung über die Verordnungsvorschläge im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes vorerst auf Eis legte (Stichwort „Gesamtpaket“).

Im Juni 2012 fanden die Staats- und Regierungschefs im Rahmen des Europäischen Rates zu einer Einigung in der Streitfrage des Sitzes der Zentralkammer des Einheitlichen Patentgerichts. Der „Haupt“-Sitz wurde Frankreich (Paris) zugesprochen, daneben sollen allerdings auch in Deutschland (München) und dem Vereinigten Königreich (London) Niederlassungen errichtet werden. Die Rechtsprechung soll nach technischen Gebieten auf alle drei Stellen aufgeteilt werden.

Im Dezember 2012 erfolgte schließlich die formelle Annahme der beiden Verordnungen zum einheitlichen Patentschutz durch das Europäische Parlament und den Rat. Am 19. Februar 2013 erfolgte am Rande des Rates für Wettbewerbsfähigkeit die Unterzeichnung des vorliegenden Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht („Unified Patent Court“ – UPC) durch 24 der derzeit 27 Mitgliedstaaten. Bulgarien folgte kurz darauf als 25. Unterzeichnerstaat. Polen erwägt die Unterzeichnung zu einem späteren Zeitpunkt. Das Übereinkommen soll am 1. Jänner 2014 oder vier Monate nach jenem Tag in Kraft treten, an dem mindestens 13 der Unterzeichnerstaaten die Ratifikations- oder Beitrittsurkunde hinterlegt haben werden, wozu die drei Unterzeichnerstaaten mit der höchsten Anzahl von europäischen Patenten im Jahr vor dem Jahr der Unterzeichnung gehören müssen, also Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich. Das Inkrafttreten ist darüber hinaus an die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl Nr. L 351 vom 20.12.2012 S. 1, sowie an die Geltung der Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 gekoppelt.

Das Übereinkommen wurde am 19. Februar 2013 von Österreich unterzeichnet.

Der gegenständliche Staatsvertrag hat gesetzändernden bzw. gesetzesergänzenden Charakter und bedarf daher gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 1 B-VG der Genehmigung durch den Nationalrat.

Der Staatsvertrag hat nicht politischen Charakter und ist der unmittelbaren Anwendung im innerstaatlichen Rechtsbereich zugänglich, sodass eine Erlassung von Gesetzen gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 4 B-VG nicht erforderlich ist.

Eine Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 2 B-VG ist nicht erforderlich, da keine Angelegenheiten, die den selbständigen Wirkungsbereich der Länder betreffen, geregelt werden.

Der Staatsvertrag ist in deutscher, englischer und französischer Sprache abgefasst, wobei jeder Text gleichermaßen authentisch ist.

 

Der Justizausschuss hat den gegenständlichen Staatsvertrag in seiner Sitzung am 19. Juni 2013 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligte sich im Anschluss an die Ausführungen der Berichterstatterin Abgeordnete Mag. Sonja Steßl-Mühlbacher der Abgeordnete Mag. Albert Steinhauser.

Bei der Abstimmung wurde mit Stimmenmehrheit (dafür: S, V, F, dagegen: G, B) beschlossen, dem Nationalrat die Genehmigung des Abschlusses dieses Staatsvertrages zu empfehlen.

 

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Justizausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle beschließen:

Der Abschluss des Staatsvertrages: Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (2447 der Beilagen) wird gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 1 B-VG genehmigt.

Wien, 2013 06 19

                    Mag. Sonja Steßl-Mühlbacher                                           Mag. Peter Michael Ikrath

                                 Berichterstatterin                                                                          Obmann