Abweichende persönliche Stellungnahme

gemäß § 42 Abs. 5 GOG

der Abgeordneten Mag. Christiane Brunner und Dr. Gabriela Moser

zum Bericht des Verkehrsausschusses über die Regierungsvorlage (681 der Beilagen): Europäisches Übereinkommen über die Hauptbinnenwasserstraßen von internationaler Bedeutung (AGN) in der Fassung der Änderung vom 15. Oktober 2008

 

Das 1996 unter anderem von Österreich unterfertigte AGN-Wasserstraßen-Abkommen der UN-ECE wird nun 14 Jahre (!) später von der Bundesregierung zur Ratifizierung vorgelegt. Das Abkommen enthält im Kern eine Kategorisierung und Auflistung der europäischen Binnenwasserstraßen und hier für die einzelnen Kategorien technische und betriebliche Vorgaben für Ausbau und zu garantierende Wasserstände.

Im Sinne von Artikel I des AGN „nehmen die Vertragsparteien die Bestimmungen dieses Übereinkommens als koordinierten Plan für die Entwicklung und den Bau eines Binnenwasserstraßennetzes (…) an; sie beabsichtigen, diesen Plan im Rahmen ihrer entsprechenden Programme auszuführen.“

Dieser „Plan“, den Österreich annimmt und künftig auszuführen beabsichtigt, enthält

•       Vorgaben für Wasserstandsverhältnisse an der Donau, die in der Welterberegion Wachau und im EU-rechtlich wie innerstaatlich höchstrangig geschützten Donau-Abschnitt unterhalb Wiens nicht ohne weitergehende Eingriffe „garantiert“ werden können; das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft hielt 2009 in einer offiziellen Stellungnahme sogar fest, dass diese Vorgaben nur in den eingestauten Abschnitten der Donau (!) erfüllbar sind, was letztlich den Bau von Stauhaltungen/Kraftwerken in der Wachau und im Raum Hainburg nahelegen würde.

•       das Dinosaurier-Projekt Donau-Oder-Elbe-Kanal, das in Österreich zuletzt im Dritten Reich („Adolf-Hitler-Kanal“) und in Tschechien und der Slowakei vor allem in stalinistischen Zeiten vorangetrieben wurde und dessen Umsetzung in jeder denkbaren Trassenführung nur unter Zerstörung der international geschützten  Marchauen im Grenzraum Österreich-Slowakei und womöglich zusätzlich auch von Teilen der Donauauen unterhalb Wiens möglich wäre.

Beides ist mit geltendem Landes-, Bundes- und EU-Umwelt- und Naturschutzrecht sowie zahlreichen internationalen Abkommen nicht in Deckung zu bringen. Wegen der völlig ungeklärten, potenziell aber riesigen Kostenfolgen gerade in Zeiten großer Infrastruktur-Einspar-Debatten wären diese Projekte und die Verbindlichmachung eines Abkommens, das sie zumindest befördert, nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch kontraproduktiv.

Das AGN-Abkommen war bereits zum Zeitpunkt seiner Unterzeichnung 1996 in seinem einseitig wasserstraßen- und zudem kanal-orientierten Zugang nicht mehr zeitgemäß. Weiters ist das Abkommen in wesentlichen Begrifflichkeiten in sich widersprüchlich und mehrdeutig. Dass schiffbare Flüsse wie die Donau und hier besonders die wenigen noch verbliebenen freien Fließstrecken auch und vor allem ökologisch von großem Wert sind, wird im Rahmen des AGN-Abkommens völlig ignoriert. Auch dass an einem Fluss mit naturgemäß wechselnder Wasserführung nicht einmal bei lückenlos durchgehendem Einstau irgendwelche Wasserstände „garantiert“ werden können, entzieht sich der AGN-„Logik“.

Sinnvollerweise haben sich die Schiffe an den Verkehrsweg und seine Gegebenheiten anzupassen und nicht umgekehrt. Im AGN und in der Wasserstraßen-Politik der rot-schwarzen und schwarz-blau/orangen österreichischen Bundesregierungen dominiert hingegen ein konträrer Zugang: Die Donau – auf der nicht umsonst die an wechselnde Wasserstände besser angepassten Schubverbände dominieren! – soll baulich an die Bedürfnisse der im niederländisch-deutschen Rhein-Einzugsgebiet und Kanal-Netz dominierenden Motorgüterschiffe angepasst werden. Dieser Zugang von AGN und BMVIT entspricht weder dem realen Bedarf der Schifffahrt noch den ökologischen Erfordernissen.

Das AGN-Abkommen wurde nicht umsonst – anders als die entsprechenden UN-ECE-Abkommen zB für den Straßen- oder Schienenbereich – in mehreren Signatarstaaten weder rasch nach Unterzeichnung (wie an sich üblich) noch in den vielen seitdem vergangenen Jahren ratifiziert. Insbesondere die Nicht-Ratifizierung durch Deutschland, die explizit mit den Widersprüchen zwischen den Ausbau-Vorgaben des AGN-Abkommens und den ökologischen Erfordernissen an der Donau in Bayern begründet ist, sollte hier auch Österreich, das an der Donau in der Wachau und zwischen Wien und der Staatsgrenze bei Bratislava ebenfalls höchstrangige Naturjuwele zu bewahren hat, zu denken geben.

In Österreich hingegen sorgte eine primär der ÖVP zuzuzählende Lobby 2006 (unter der Verantwortung des damaligen Staatssekretärs Kukacka) sogar noch dafür, dass nachträglich eine hydrologisch und flussmorphologisch absurde (AK: „nicht nachvollziehbare“) zusätzliche Fußnote in das AGN-Abkommen eingefügt wurde, der zufolge am Oberlauf bestimmter Flüsse wie der Donau in Österreich bestimmte Wasserstände sogar an 300 statt an 240 Tagen des Jahres zu garantieren sind! Gerade in diesen Fluss-Oberläufen ist der Wasserstand durch die wegen geringeren Wasserdargebots unvermitteltere Wirkung von Witterungsschwankungen jedoch naturgemäß weniger homogen als in den Fluss-Unterläufen.

Dieser Widerspruch zeigt den unsachlichen und einseitigen Zugang der handelnden Akteure, denen es anders als stets vorgeschoben offensichtlich um Maximierung der Flussbau-Maßnahmen geht, während die auch im Ausschuss von Regierungs- und BMVIT-Seite heftig strapazierten Argumente der Förderung ökologisch vorteilhafter Transportmodi etc bestenfalls als Feigenblatt zur Durchsetzung dieses Lobby- und Partikulärinteresses missbraucht werden.

Anfang 2009, 13 Jahre nach Unterzeichnung, hat das BMVIT allen Fakten zum Trotz die Ratifizierung des veralteten AGN-Abkommens mit einem Begutachtungsverfahren eingeleitet. In dieser Begutachtung wurde von vielen Seiten teilweise massivste inhaltliche Kritik am Abkommen und an der Absicht zu seiner Ratifizierung geübt. Verwiesen sei auf die Arbeiterkammer, die Umweltanwaltschaft Wien, auf wesentliche Passagen in den Stellungnahmen des Lebensministeriums und der Stadt Wien, sowie auf viele NGOs vom renommierten Forum für Wissenschaft und Umwelt über Umweltdachverband, Virus, WWF bis zum Arbeitskreis Wachau.

Viele gravierende Kritikpunkte wurden in Begutachtung und öffentlicher Debatte geäußert:

•       Umsetzung der Vorgaben nur mit massivsten Eingriffen wie zusätzlichen Stauhaltungen in Wachau und Raum Hainburg möglich (u.a. BMLFUW!)

•       Widerspruch mit Vorgaben des Gemeinschaftsrechts, etwa FFH- und Vogelschutz-Richtlinie sowie Wasserrahmenrichtlinie

•       Widerspruch mit Verpflichtungen Österreichs aus zahlreichen völkerrechtlich und innerstaatlich bindenden internationalen Abkommen, etwa Ramsar-Konvention zum Schutz der Feuchtgebiete (die Donau-March-Thaya-Auen sind eines von weltweit nur vier trilateralen geschützten Feuchtgebieten!), Biodiversitätskonvention (im Jahr der Artenvielfalt!), Berner Konvention, Bonner Konvention, UNESCO-Welterbe-Konvention

•       Widerspruch mit Verpflichtungen, die Österreich zB in der Wachau zur Erhaltung von mit EU-Geld in LIFE-Projekten etc erreichten Verbesserungen zwingen

•       Widerspruch mit Landesrecht im Bereich Naturschutz und Nationalparke

•       Widerspruch zum geltenden gesetzlichen (auch ökologischen) Auftrag der viadonau,

•       fehlender Vorbehalt gegen Unterwerfung unter Schiedsgerichtsentscheidung könnte zum Überstimmen auch bei von Österreich abgelehnten Projekten führen

•       „Primat wirtschaftlicher Interessen verfehlt und nicht begründbar“ (mehrfach)

•       „Interessenskonflikte mit anderen öffentlichen Interessen – insbesondere der Ökologie – sind dabei absehbar“ (BMLFUW)

•       Falscher Ansatzpunkt für Verkehrsverlagerung aufs Schiff – ohne Kostenwahrheit auf der Straße „schlicht wirkungslos“, zudem schiffbaulich „wenig innovativ“ (Arbeiterkammer)

•       Überzogene Tiefen-Ziele (Stadt Wien)

•       Ausbau-Spirale durch explizite AGN-Vorgabe, bei Modernisierung und Neubau von Wasserstraßen größere Abmessungen von Fahrzeugen und Verbänden „mitzuplanen“

•       inhaltliche und begriffliche Unklarheiten und Widersprüche im AGN-Abkommen selbst

•       fehlende bzw. inhaltlich völlig absurde BMVIT-Aussagen zum Thema AGN und Umwelt

•       fehlende Angaben zu den potenziellen Kostenfolgen der Umsetzung des Abkommens

•       fehlende Berücksichtigung der realen Verkehrsentwicklung (insbes. im Güterverkehr sinkend) und Kapazitätsauslastung (ca. 10%) auf der Donau, die keinerlei Ausbaubedarf erkennen lässt

Mit der einzigen Ausnahme des Vorbehalts gegen die Schiedsgerichts-Unterwerfung blieb diese Kritik jedoch unberücksichtigt und der Begutachtungstext unverändert. Insbesondere wurde die fehlende Auseinandersetzung mit ökologischen Aspekten und Konsequenzen einer AGN-Ratifizierung - wie u.a. von der Wiener Umweltanwaltschaft dringend eingefordert - nicht nachgeholt, obwohl ein Jahr Zeit dafür gewesen wäre. Die Regierungsvorlage hat in ihren Erläuterungen zum Thema Umwelt weiterhin nur Pauschalaussagen ohne sachliche Grundlage zu bieten, bleibt also völlig einseitig umweltvergessen. Die Widersprüche zwischen dem Abkommen von 1996 und den seitdem in Kraft getretenen innerstaatlichen wie internationalen Umwelt-Vorgaben blieben ungeklärt. Hingegen erfolgten anderweitige Ergänzungen in den Erläuterungen, so ein inhaltlich verfehlter Verweis auf das in der UVP feststeckende Flussbauliche Gesamtprojekt (FGP) an der Donau unterhalb Wiens, dessen überzogene Ausbauziele offenbar via AGN gerechtfertigt werden sollen.

Für den Ausschuss haben die Grünen daher eine Expertenanhörung angeregt und durchgesetzt. In der Ausschuss-Diskussion des Ausschusses mit Dr. Gerhard Heilingbrunner vom Umweltdachverband wurde die insbesondere in ökologischer Hinsicht formulierte Kritik bestätigt. Seitens der fachlichen und politischen BMVIT-VertreterInnen und der Regierungsfraktionen wurde dieser fachlichen und rechtlichen Kritik im wesentlichen ausschließlich entgegengehalten, dass die Ratifizierung, mit der das AGN immerhin ein Bundesgesetz wird, nur ein Symbol oder Bekenntnis pro Binnenschiff sei und das Abkommen nur Empfehlungen beinhalte. Zu den Widersprüchen zu geltendem Recht wurde behauptet, dass das künftig im Gesetzesrang stehende AGN „keinen Einfluss“ habe. (Dass die etwas widersprüchlichen, aber meist mit 2,50m bezifferten Wassertiefen-Angaben im AGN in korrekter begrifflicher Interpretation letztlich einem Ausbauziel von 3,00 bis 3,20 Meter entsprechen, hat der federführende BMVIT-Fachmann in seinem ausführlichen Statement im Verkehrsausschuss jedoch explizit bestätigt.)

Abgesehen von der Frage, wozu ein angeblich derart wirkungs- und folgenloses Abkommen dann nun unbedingt mit 14-jähriger Verzögerung ratifiziert werden muss, dokumentieren diese Wortspenden die Ahnungslosigkeit der regierungsseitig handelnden Akteure in rechtlicher Hinsicht. Der Verweis u.a. des Ausschussvorsitzenden (Abg. Heinzl/SPÖ) darauf, dass zB der Donau-Oder-Elbe-Kanal weder im GVP noch im NAP noch im Regierungsübereinkommen enthalten sei, geht rechtlich ebenso ins Leere, da alle drei anders als das AGN-Abkommen den Charakter eines rechtlichen Nullums haben und für Mittelfristprojekte ein Regierungsprogramm mit Ablaufdatum 2013 auch politisch völlig irrelevant ist. Übersehen wird auch, dass in der Slowakei gerade aktuell konkrete Kanal-Pläne für die March im Zusammenhang mit einem von chinesischen Investoren betriebenen Logistik-Großprojekt im Raum Malacky nahe der österreichischen Grenze am Tapet sind.

Eine im Ministerrat behandelte und den Fraktionen vor den Ausschussberatungen übermittelte, dann aber nicht eingebrachte Ausschussfeststellung, offensichtliche heftige Meinungsunterschiede der Regierungsfraktionen im Ausschuss und die insbesondere bei ÖVP-Vertretern offensichtlich gewordene Schwierigkeit, zwischen Lobbying pro FGP und Argumentation zur Sache AGN zu unterscheiden, zeigt, dass diese Regierungsvorlage selbst auf Regierungsseite weit von einer eventuellen Beschlussreife entfernt ist.

Die Grünen halten die Ratifizierung des AGN-Abkommens aus den zahlreichen erwähnten, inhaltlichen und rechtlichen Kritikpunkten für völlig verfehlt und auch im Hinblick auf die angeblich ökologisch motivierte künftige Europäische Donauraumstrategie für das maximal falsche Signal zur falschen Zeit.

 

Die Grünen lehnen die AGN-Ratifizierung daher mit Nachdruck ab.