827 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIV. GP

 

Bericht

des Verfassungsausschusses

über den Gesetzesantrag des Bundesrates (691 der Beilagen) betreffend ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem zur Durchführung des Vertrags von Lissabon das Bundes-Verfassungsgesetz und das Bundesverfassungsgesetz, mit dem besondere Bestimmungen für die Neuermittlung der Verteilung von nach der Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments 2009 zu vergebenden Mandaten durch die Bundeswahlbehörde erlassen werden, geändert werden (Lissabon-Begleitnovelle)

sowie

über den über den Antrag 978/A der Abgeordneten Dr. Josef Cap, Karlheinz Kopf, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem zur Durchführung des Vertrags von Lissabon das Bundes-Verfassungsgesetz und das Bundesverfassungsgesetz, mit dem besondere Bestimmungen für die Neuermittlung der Verteilung von nach der Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments 2009 zu vergebenden Mandaten durch die Bundeswahlbehörde erlassen werden, geändert werden (Lissabon-Begleitnovelle)

 

Der Bundesrat hat den vorliegenden Gesetzesantrag im Sinne des Art. 41 Abs.  1 B-VG am 7. Mai 2010 dem Nationalrat übermittelt.

 

Die Abgeordneten Dr. Josef Cap, Karlheinz Kopf, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Initiativantrag am 24. Februar 2010 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Zu Art. I - Allgemeiner Teil

Der Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (im Folgenden: Vertrag von Lissabon) macht Änderungen des Bundes-Verfassungsgesetzes (B‑VG), insbesondere des Abschnitts B („Europäische Union“) des Ersten Hauptstückes, sinnvoll.

 

–      Mit einem neuen Artikel 23f wird die Zuständigkeit von Nationalrat und Bundesrat betreffend die Wahrnehmung der Rechte von nationalen Parlamenten durch den Vertrag von Lissabon ausdrücklich festgestellt. Zur besseren Information von Abgeordneten, Bundesräten und der österreichischen Öffentlichkeit hat jeder Bundesminister für seinen Zuständigkeitsbereich dem Nationalrat und dem Bundesrat am Beginn jedes Kalenderjahres über die in diesem Jahr zu erwartenden Vorhaben des Rates und der Kommission zu berichten. In diesem Bericht sind in der Regel auch die österreichischen Positionen zu diesen Vorhaben darzustellen.

 

–      Durch den Vertrag von Lissabon – insbesondere durch das Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union sowie durch das Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit (im Folgenden: Subsidiaritätsprotokoll) – wird die Rolle der nationalen Parlamente gestärkt. Dies bedingt die Schaffung von neuen Art. 23g und Art. 23h betreffend die Subsidiaritätsrüge und die Subsidiaritätsklage.

 

         Subsidiaritätsrüge

 

         Alle Entwürfe von Gesetzgebungsakten im Rahmen der Europäischen Union sind dem Nationalrat und dem Bundesrat von der Europäischen Kommission zuzuleiten. Beide Kammern haben das Recht, innerhalb von acht Wochen nach Einlangen eines solchen Entwurfes eine so genannte Subsidiaritätsrüge abzugeben. Nationalrat und Bundesrat haben jeweils eine Stimme und beschließen ihre Rüge mit einfacher Mehrheit. Um die 8-Wochen-Frist einhalten zu können, kann in den Geschäftsordnungen auch vorgesehen werden, dass diese Aufgabe durch den Hauptausschuss des Nationalrates für den Nationalrat oder durch einen zu wählenden Ausschuss des Bundesrates für den Bundesrat übernommen wird.

 

         Der Bundesrat hat dabei die föderalen Elemente wahrzunehmen und muss seinerseits die Landtage unverzüglich über solche Vorhaben unterrichten und hat ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen.

 

         Sollte ein Drittel aller den nationalen Parlamenten zustehenden Stimmen einen Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip rügen, so hat die Kommission ihre Initiative zu überprüfen.

 

         Subsidiaritätsklage

 

         Gegen einen bereits erlassenen Gesetzgebungsakt der Europäischen Union können Nationalrat und Bundesrat innerhalb von zwei Monaten eine so genannte Subsidiaritätsklage an den Europäischen Gerichtshof erheben. Während dem Nationalrat dieses Recht bei allen Gesetzgebungsakten zukommt, steht es dem Bundesrat nur dann zu, wenn die Zuständigkeit der Länder in Gesetzgebung und Vollziehung durch diesen Akt eingeschränkt wird. Diese Beschlüsse werden in Nationalrat und Bundesrat mit einfacher Mehrheit gefasst.

 

         Passerelle (Brückenklausel)

 

–      Der Vertrag von Lissabon sieht so genannte Brückenklauseln und vereinfachte Änderungsverfahren vor. Die österreichische Mitwirkung daran wird in einem neuen Art. 23i geregelt.

 

         Die Brückenklausel bedeutet im Regelfall den Übergang vom Einstimmigkeitserfordernis bzw. von einem besonderen Gesetzgebungsverfahren zur qualifizierten Mehrheit bzw. zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren. Nationalrat und Bundesrat sind schon rechtzeitig vor einer solchen Beschlussfassung im Europäischen Rat zu informieren und müssen eine Beschlussfassung durch das österreichische Mitglied im Europäischen Rat mit 2/3-Mehrheit genehmigen. Auch nach der Beschlussfassung sind neuerlich der Nationalrat und der Bundesrat zu befassen und können mit einfacher Mehrheit die Initiative innerhalb von sechs Monaten ablehnen.

 

–      Die bisherige Säulenstruktur der Europäischen Union wird durch den Vertrag von Lissabon aufgelöst; die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – einschließlich der einen integralen Bestandteil derselben bildenden Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik – und die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen werden damit zu Politikbereichen der Europäischen Union. Dies bedingt Änderungen des diese Bereiche regelnden bisherigen Art. 23f B‑VG, der zu einem neuen Art. 23j wird.

 

–      Der Vertrag von Lissabon erfordert terminologische Anpassungen an geänderte Organbezeichnungen, was insbesondere Art. 23c B‑VG betrifft. Es erscheint zweckmäßig, aus diesem Anlass auch Formulierungsangleichungen an die korrespondierenden Bestimmungen des Vertrags von Lissabon vorzunehmen.

 

–      Schließlich sollen aus gegebenem Anlass dort, wo dies notwendig oder zweckmäßig erscheint, entsprechende Klarstellungen oder Präzisierungen vorgenommen werden.

 

–      Die Detailausführungen über die Verfahren im Nationalrat und im Bundesrat werden jeweils in das Bundesgesetz über die  Geschäftsordnung des Nationalrates und in die Geschäftsordnung des Bundesrates aufzunehmen sein.

Besonderer Teil

 

Soweit im Folgenden Literaturstellen ohne Angabe des Titels des Werks zitiert werden, handelt es sich um Kommentierungen in Korinek/Holoubek (Hrsg.), Bundesverfassungsrecht.

Zu Z 1 (Art. 23c):

Die durch den Vertrag von Lissabon erforderlich werdenden terminologischen Anpassungen in Art. 23c Abs. 1 und 2 B‑VG an geänderte Organbezeichnungen sollen zum Anlass genommen werden, durch eine Neufassung des ganzen Art. 23c B‑VG zu präzisieren, worin die „Mitwirkung der Bundesregierung an der Ernennung“ eigentlich besteht, nämlich in der der Ernennung (durch die Organe der Europäischen Union bzw. die Regierungen der Mitgliedstaaten) zeitlich vorangehenden Erstellung der österreichischen Ernennungsvorschläge, nicht jedoch in einer Mitwirkung am eigentlichen Ernennungsvorgang (vgl. Öhlinger, Art. 23c B‑VG, Rz 3 und 11).

Gemäß Art. 19 Abs. 1 des Vertrags über die Europäische Union (im Folgenden: EUV) in der Fassung des Vertrags von Lissabon ist „Gerichtshof der Europäischen Union“ der Oberbegriff für den Gerichtshof, das Gericht und die Fachgerichte. Die Begriffe „Gerichtshof“ und „Gericht erster Instanz“ in Art. 23c Abs. 1 und 2 B‑VG sollen daher durch den Begriff „Gerichtshof der Europäischen Union“ ersetzt werden. Ferner wird in Art. 13 Abs. 1 EUV die Organbezeichnung „Europäische Kommission“ eingeführt, die daher auch in Art. 23c Abs. 1 und 2 B‑VG verwendet werden soll. Die Reihenfolge, in der die Organe im vorgeschlagenen Art. 23c Abs. 1 genannt werden, entspricht der Systematik des Vertrags von Lissabon.

Da Art. 23c Abs. 1 und 2 B‑VG undifferenziert von „Mitgliedern“ spricht, erhebt sich die Frage, ob damit auch die stellvertretenden Mitglieder des Verwaltungsrates der Europäischen Investitionsbank und die Stellvertreter der Mitglieder des Ausschusses der Regionen gemeint sind. Da der Verwaltungsrat der Europäischen Investitionsbank gemäß Art. 9 Abs. 2 des Protokolls über die Satzung der Europäischen Investitionsbank aus ordentlichen Mitgliedern und stellvertretenden Mitgliedern besteht, sind auch letztere als „Mitglieder“ im Sinne des Art. 23c Abs. 1 und 2 B‑VG anzusehen; sie brauchen daher in dieser Bestimmung nicht gesondert genannt zu werden. Hingegen soll auf die derzeit nur in Art. 23c Abs. 4 erster Satz B‑VG genannten Stellvertreter der Mitglieder des Ausschusses der Regionen auch im vorgeschlagenen Art. 23c Abs. 1 und Abs. 4 zweiter Satz ausdrücklich Bezug genommen werden.

Durch die gegenüber Art. 23c Abs. 2 B‑VG geänderte Reihung der Sätze des vorgeschlagenen Art. 23c Abs. 2 und die Formulierung seines ersten Satzes soll klargestellt werden, dass die Bundesregierung den Nationalrat vor der Herstellung des Einvernehmens mit dem Hauptausschuss über die von ihr beabsichtigte Entscheidung zu unterrichten hat (vgl. Öhlinger, Art. 23c B‑VG, Rz 10). Aus diesem Anlass soll die Formulierung des Art. 23c Abs. 2 erster Satz an die des Art. 23c Abs. 5 B-VG angeglichen werden.

Während gemäß Art. 263 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung vor dem Vertrag von Lissabon (im Folgenden: EGV) im Ausschuss der Regionen auf Österreich zwölf Mitglieder entfallen, ist die Verteilung der in Hinkunft höchstens 350 Mitglieder des Ausschusses der Regionen auf die Mitgliedstaaten in den Art. 305 ff des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (im Folgenden: AEUV) nicht mehr primärrechtlich determiniert. Dies bedeutet, dass sich die Zahl der auf Österreich entfallenden Mitglieder in Zukunft verändern kann. Für diesen Fall wird im vorgeschlagenen Art. 23c Abs. 4 dadurch Vorsorge getroffen, dass der Österreichische Gemeindebund und der Österreichische Städtebund nicht mehr eine fixe Anzahl von Mitgliedern und Stellvertretern nominieren können, sondern die „sonstigen“ Mitglieder und Stellvertreter, also gegebenenfalls mehr oder weniger als derzeit.

Im Übrigen entspricht die Formulierung des vorgeschlagenen Art. 23c Abs. 3 bis 5 im Wesentlichen der geltenden Rechtslage.

Zu Z 2 (Art. 23d Abs. 2), Z 3 (Art. 23d Abs. 3 erster und zweiter Satz), Z 4 (Art. 23d Abs. 5 erster Satz) und Z 5 (Art. 23e bis Art. 23j):

Zu Art. 23d Abs. 2, Abs. 3 erster und zweiter Satz und Abs. 5 erster Satz und Art. 23e:

Die Änderung dieser Bestimmungen dient vorwiegend terminologischen Anpassungen: Dass der Bund an eine einheitliche Stellungnahme der Länder (vgl. Art. 23d Abs. 2 erster Satz B‑VG) bzw. das zuständige Mitglied der Bundesregierung (nunmehr: der zuständige Bundesminister) an eine Stellungnahme des Nationalrates bzw. Bundesrates (vgl. Art. 23e Abs. 2 erster Satz und Abs. 6 erster Satz B‑VG) gebunden ist, ergibt sich schon daraus, dass er von ihr nur unter bestimmten Voraussetzungen abweichen darf, und braucht daher nicht gesondert gesagt zu werden. Die Verwendung des Begriffes „integrations- und außenpolitische Gründe“ entspricht der einfachgesetzlichen Rechtslage (vgl. das Bundesgesetz über die Errichtung eines Rates für Fragen der österreichischen Integrations- und Außenpolitik, BGBl. Nr. 368/1989, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 30/2008).

In den vorgeschlagenen Art. 23d Abs. 3 zweiter Satz und Art. 23e Abs. 1 erster Satz ist anstatt vom „zuständigen Mitglied der Bundesregierung“ vom „zuständigen Bundesminister“ die Rede. Diese Formulierung entspricht Art. 73 Abs. 2 B‑VG und erscheint auch insofern konsequent, als mit der Verwendung des Begriffes „zuständig“ ohnedies implizit an die Ressortverteilung angeknüpft wird.

Da die Vertretung im Rat auf Ministerebene zu erfolgen hat, kommen als Ländervertreter nur Mitglieder einer Landesregierung in Betracht (vgl. Öhlinger, Art. 23d B‑VG, Rz 21; Schweitzer, Art. 203 EGV, in Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 28. Ergänzungslieferung [2005], Rz 4). Die Formulierung des vorgeschlagenen Art. 23d Abs. 3 erster Satz soll entsprechend angepasst werden. Im Übrigen orientiert sich die vorgeschlagene Neufassung dieses Satzes an Art. 73 Abs. 2 B‑VG.

Obwohl der Begriff „im Rahmen der europäischen Integration“ durch die B‑VG-Novelle BGBl. Nr. 1013/1994 durchwegs durch den Begriff „im Rahmen der Europäischen Union“ ersetzt worden ist, spricht Art. 23d Abs. 5 erster Satz B‑VG infolge eines offenbaren Redaktionsversehens nach wie vor von der Durchführung von Rechtsakten „im Rahmen der europäischen Integration“. Dieses soll nunmehr bereinigt werden. Zum Begriff „Gerichtshof der Europäischen Union“ vgl. die Erläuterungen zu dem in Z 1 vorgeschlagenen Art. 23c.

Nach dem Vertrag von Lissabon werden den nationalen Kammern umfassend auch andere Dokumente direkt von den zuständigen Organen der Europäischen Union zugeleitet: So werden neben Entwürfen von Gesetzgebungsakten zB auch Konsultationsdokumente (Grün-, Weißbücher, Mitteilung, jährliche Rechtssetzungsprogramme; Art. 1 des Protokolls über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union), Legislative Entschließungen (Art. 4 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze und der Verhältnismäßigkeit), Standpunkte des Rates im Gesetzgebungsverfahren (Art. 4 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze und der Verhältnismäßigkeit) und Tagesordnungen, Ergebnisse und Protokolle von Ratstagungen, auf denen der Rat über Entwürfe von Gesetzgebungsakten berät (Art. 5 des Protokolls über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union), übermittelt. Die umfassende Bereitstellung dieser Informationen ermöglicht Nationalrat und Bundesrat eine effektive Ausübung der Mitwirkungsrechte sowie der Vollziehung von Art. 23e B‑VG. In diesem Zusammenhang ist lediglich zur Klarstellung auf den auch in der Literatur weit verstandenen Begriff des „Vorhabens“ in Art. 23e Abs. 1 B‑VG hinzuweisen: Der Bericht des Verfassungsausschusses (58 d.B. XIX. GP) verweist zur näheren Umschreibung des Begriffs „Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union“ auf die Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B-VG über die Mitwirkungsrechte der Länder und Gemeinden in Angelegenheiten der Europäischen Integration, BGBl. Nr. 775/1992. Diese Vereinbarung enthält in Art. 1 Abs. 2 eine demonstrative Aufzählung der von der Informationsverpflichtung umfassten Dokumente. Im Sinne der Ausführungen von Griller (Verfassungsfragen der österreichischen EU-Mitgliedschaft, ZfVR 1995, 89 [103]) sind darunter alle entscheidungsvorbereitende Dokumente zu subsumieren; darunter fallen etwa auch Tagesordnungen, die für die Vorbereitung von Nationalrat und Bundesrat besonders bedeutsam sind.

Der EUV und der AEUV sehen Änderungsverfahren vor, nach denen die Abstimmungsmodalitäten im Rat gewechselt werden können (etwa Art. 31 Abs. 3 EUV [Beschlüsse des Rates im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik gemäß Art. 31 Abs. 2 EUV] und Art. 312 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV [Verordnung des Rates zur Festlegung eines mehrjährigen Finanzrahmens]). Bei derartigen Vorhaben soll der zuständige Bundesminister verpflichtet werden, in jedem Fall den Nationalrat und den Bundesrat so umfassend und rechtzeitig zu unterrichten, dass eine Prüfung und Entscheidung über die Erstattung einer Stellungnahme ermöglicht wird (Artikel 23e Abs. 1a).

Mit dem vorgeschlagenen Art. 23e Abs. 2 sollen die bisher in Art. 23e Abs. 2 bis 4 B‑VG enthaltenen, systematisch zusammengehörigen Regelungen in einer einzigen Bestimmung zusammengefasst werden. Die Formulierung kann dadurch erheblich gestrafft werden. Hervorzuheben ist, dass sich die Bindungswirkung einer Stellungnahme des Nationalrates oder des Bundesrates auch auf einen allfälligen Vertreter des zuständigen Bundesministers gemäß Art. 73 Abs. 2 B‑VG im Rat (anderer Bundesminister oder Staatssekretär) erstreckt.

Entsprechend der Terminologie des Vertrags von Lissabon wird im vorgeschlagenen Art. 23e Abs. 2 erster Satz anstatt von „unmittelbarer Anwendbarkeit“ von „unmittelbarer Geltung“ gesprochen (vgl. insbesondere Art. 288 AEUV). Ferner soll durch die Wendung „Vorhaben …, dessen Durchführung die Erlassung von Bundesgesetzen erfordern würde …,“ klargestellt werden, dass nicht notwendigerweise die gesamte Durchführung „durch Bundesgesetz“ zu erfolgen hat (so die Formulierung des Art. 23e Abs. 2 B‑VG). Das B‑VG spricht im Zusammenhang mit der Inkorporation von Völkerrecht bzw. Gemeinschaftsrecht teilweise von Durchführung (Art. 16 Abs. 4 und 5 sowie Art. 23d Abs. 5 B‑VG) und teilweise von Umsetzung (Art. 23e Abs. 2 und 6 B‑VG). Zwar finden sich beide Begriffe auch in der deutschen Fassung des Vertrags von Lissabon, da aber überwiegend von der Durchführung von Rechtsakten gesprochen wird, soll nunmehr auch im B‑VG einheitlich der Begriff der Durchführung verwendet werden.

Der vorgeschlagene Art. 23e Abs. 2 dritter Satz enthält eine nicht unwesentliche Klarstellung: Wann ein Rechtsakt „eine Änderung des geltenden Bundesverfassungsrechts bedeuten würde“ – so die Formulierung des Art. 23e Abs. 3 zweiter Satz B‑VG –, ist nämlich nicht ohne weiteres klar; insbesondere stellt sich die Frage, ob Art. 23e Abs. 3 B‑VG auch dann anwendbar ist, wenn der fragliche Rechtsakt (nur) Vorrang vor österreichischem Verfassungsrecht hätte: Dies ist wohl zu bejahen (vgl. Öhlinger, Art. 23e B‑VG, Rz 14) und soll daher durch eine dem vorgeschlagenen Art. 23e Abs. 2 erster Satz analoge Formulierung zum Ausdruck gebracht werden. Zur geänderten Terminologie siehe die Erläuterungen zum vorgeschlagenen Art. 23e Abs. 2 erster Satz.

Im vorgeschlagenen Art. 23e Abs. 3 fehlt der in Art. 23e Abs. 5 B‑VG enthaltene – redundante – Begriff „zwingend“. Zur geänderten Terminologie und zur Klarstellung hinsichtlich des Vorrangs des Unionsrechts (vgl. Erklärung Nr. 17 zum Vertrag von Lissabon) siehe die Erläuterungen zum vorgeschlagenen Art. 23e Abs. 2 erster und dritter Satz.

Angesichts der Neufassung des Art. 23e erscheint es angebracht, die darin enthaltenen geschäftsordnungsrechtlichen Regelungen in den Schlussteil des Artikels zu transferieren.

Zu 23e Abs. 4 und 23g Abs. 4:

Mit dem vorgeschlagenen Abs. 4 wird  die Grundlage für das (Ausschuss-)Verfahren im Nationalrat nach diesem Artikel geschaffen. Der Geschäftsordnung sollen dabei entsprechend den im Einzelnen noch nicht absehbaren Erfordernissen der parlamentarischen Praxis mehrere Möglichkeiten für die konkrete Ausge­­staltung dieses Verfahrens eingeräumt werden.

Zu Art. 23f:

In diesem Artikel wird in Abs. 1 eine Generalklausel vorgeschlagen, mit der die in den Europäischen Verträgen idF des Vertrags von Lissabon für die Parlamente der Mitgliedstaaten vorgesehenen Zuständigkeiten, wie sie beispielsweise in Art. 12 EUV aufgezählt sind, dem Nationalrat und dem Bundesrat übertragen werden. Inhaltlich umfasst dies insbesondere die direkte Mitwirkung an der Willensbildung und an der Gesetzgebung der Union, weit reichende Rechte auf Information durch die europäischen Organe, Genehmigungsvorbehalte und die Mitwirkung an der parlamentarischen Kontrolle von Europol und Eurojust.

In Abs. 2 werden die Mitglieder der Bundesregierung entsprechend verpflichtet, jährlich einen Vorhabensbericht über das Arbeits- und Legislativprogramm des Rates und der Kommission im Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Ressorts an den Nationalrat und an den Bundesrat zu erstatten. Dieser Bericht soll soweit möglich auch bereits Angaben zur voraussichtlich von Österreich zu vertretenden Position enthalten.

Diese Berichtspflicht entspricht der bereits in den vergangenen Jahren unverbindlich eingehaltenen Praxis und ergänzt die bestehenden Informationspflichten der Bundesregierung, um eine breite Befassung etwa der für die einzelnen Materien zuständigen Ausschüsse mit europäischen Themen sicherzustellen.

Abs. 3 ermächtigt die Geschäftsordnungen, nähere Bestimmungen zu treffen, dies nach Maßgabe der nachfolgenden Artikel, die einen verfassungsgesetzlichen Rahmen für die unionsrechtlich vorgesehenen Instrumente betreffend die Subsidiaritätsprüfung, die Subsidiaritätsklage, die Handhabung von Passerelle-Bestimmungen („Brückenklauseln“) und betreffend bestimmte Genehmigungsvorbehalte schaffen sowie die Teilnahme Österreichs an der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik entsprechend den Änderungen durch den Vertrag von Lissabon regeln.

Zu Art. 23g:

Der vorgeschlagene Art. 23g enthält Bestimmungen über die im Vertrag von Lissabon vorgesehene Mitwirkung der nationalen Parlamente an der Gesetzgebung im Rahmen der Europäischen Union (so genannte Subsidiaritätsrüge).

Art. 6 Unterabsatz 1 erster Satz des Subsidiaritätsprotokolls sieht vor, dass die nationalen Parlamente oder die Kammern eines dieser Parlamente binnen acht Wochen nach dem Zeitpunkt der Übermittlung eines Entwurfs eines Gesetzgebungsakts in den Amtssprachen der Union in einer begründeten Stellungnahme an die Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission darlegen können, weshalb der Entwurf ihres Erachtens nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist (siehe zur Übermittlung der Entwürfe von Gesetzgebungsakten auch das Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union und die Erläuterungen zum vorgeschlagenen Art. 23e Abs. 1 zweiter Satz). Aus Art. 7 Abs. 1 zweiter und dritter Satz des Subsidiaritätsprotokolls ergibt sich, dass dem Nationalrat und dem Bundesrat jeweils eine Stimme im Rahmen der Subsidiaritätsprüfung zukommt. Sowohl der Nationalrat als auch der Bundesrat können somit nach dem vorgeschlagenen Art. 23g Abs. 1 unabhängig von der Vorgehensweise der jeweils anderen Kammer eine begründete Stellungnahme abgeben, wonach der Entwurf eines Gesetzgebungsakts ihres Erachtens nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist. Die begründete Stellungnahme kann in diesem Zusammenhang auch Ausführungen zur Übereinstimmung des Entwurfs mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, zur  Rechtsgrundlage und zum Inhalt des Entwurfs enthalten.

Um dem Nationalrat und dem Bundesrat eine möglichst umfassende Entscheidungsgrundlage zu bieten, wird in Art. 23g Abs. 2 vorgeschlagen, dass ihnen der zuständige Bundesminister auf Verlangen eine Äußerung zur Vereinbarkeit des Entwurfs eines Gesetzgebungsakts mit dem Subsidiaritätsprinzip zu übermitteln hat. Wegen der knappen Fristenlage wird festgelegt, dass diese Äußerung im Regelfall innerhalb von zwei Wochen nach Einlangen des Verlangens beim Bundesminister dem Vertretungskörper vorliegen muss, der das Verlangen gestellt hat.

Art. 6 Unterabsatz 1 letzter Satz des Subsidiaritätsprotokolls sieht weiters vor, dass es dem jeweiligen nationalen Parlament oder der jeweiligen Kammer eines nationalen Parlaments obliegt, gegebenenfalls die regionalen Parlamente mit Gesetzgebungsbefugnissen zu konsultieren. Diese Aufgabe soll durch den vorgeschlagenen Art. 23g Abs. 3 dem Bundesrat übertragen werden, der die Landtage unverzüglich über die Entwürfe zu unterrichten und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben hat. Eine allfällige Stellungnahme eines Landtages hat darzulegen, weshalb ein Entwurf nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist.

Zu Art. 23h:

Der vorgeschlagene Art. 23h enthält Bestimmungen über die Erhebung von Klagen durch die nationalen Parlamente gegen Gesetzgebungsakte im Rahmen der Europäischen Union (so genannte Subsidiaritätsklage).

Art. 8 des Subsidiaritätsprotokolls normiert eine Zuständigkeit des Gerichtshofes der Europäischen Union für Klagen wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts gegen das Subsidiaritätsprinzip. Solche Klagen können von einem Mitgliedstaat erhoben oder „entsprechend der jeweiligen innerstaatlichen Rechtsordnung von einem Mitgliedstaat im Namen seines nationalen Parlaments oder einer Kammer dieses Parlaments übermittelt werden“. Nach dem vorgeschlagenen Art. 23h Abs. 1 und 2 soll der Nationalrat generell zur Erhebung einer Klage zuständig sein, während die Zuständigkeit des Bundesrates zur Erhebung einer Klage auf die in Art. 23e Abs. 6 erster Satz B‑VG (vgl. den vorgeschlagenen Art. 23e Abs. 3) umschriebenen Rechtsakte beschränkt sein soll.

Anders als beim Instrument der Subsidiaritätsrüge soll die Erhebung einer Klage jedenfalls vom Nationalrat oder vom Bundesrat selbst beschlossen werden, sodass nicht wie in dem vorgeschlagenen Art. 23f Abs. 4 und 5 eine Zuständigkeit des Hauptausschusses oder eines Ausschusses des Bundesrates vorgesehen werden kann.

Die Übermittlung der Klage wird nach dem vorgeschlagenen Art. 23h Abs. 3 durch den Bundeskanzler vorgenommen, dem aber keine Ingerenz auf den Inhalt zukommt. Die Festlegung der Übermittlung der Klage durch den Bundeskanzler erfolgt im Hinblick auf seine – sonst inhaltliche – Zuständigkeit zur Vertretung der Republik Österreich vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (siehe Teil 2 Abschnitt A Z 5 fünfter Untertatbestand der Anlage zu § 2 des Bundesministeriengesetzes 1986, Nr. 76, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 3/2009, sowie Art. 10 Abs. 2 der Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B-VG über die Mitwirkungsrechte der Länder und Gemeinden in Angelegenheiten der europäischen Integration, BGBl. Nr. 775/1992).

Zu Art. 23i:

Der vorgeschlagene Art. 23i enthält verfassungsrechtliche Begleitregelungen zu im Vertrag von Lissabon vorgesehenen Änderungen des Gesetzgebungsverfahrens im Rahmen der Europäischen Union (so genannte Passerelle oder Brückenklausel) und zu nationalen Zustimmungserfordernissen zu bestimmten Rechtsakten im Rahmen der Europäischen Union.

Art. 48 Abs. 7 EUV sieht Änderungen des Gesetzgebungsverfahrens durch einen – einstimmig zu fassenden – Beschluss des Europäischen Rates vor, und zwar den Übergang von der Einstimmigkeit zur qualifizierten Mehrheit für Ratsbeschlüsse (Unterabsatz 1) und den Übergang von einem besonderen Gesetzgebungsverfahren zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren für die Erlassung eines Gesetzgebungsakts durch den Rat (Unterabsatz 2). Gemäß Art. 48 Abs. 7 Unterabsatz 3 EUV übermittelt der Europäische Rat eine auf der Grundlage der Unterabsätze 1 oder 2 ergriffene Initiative den nationalen Parlamenten (siehe auch Art. 6 des Protokolls über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union). Wird diese Initiative innerhalb von sechs Monaten nach der Übermittlung von einem nationalen Parlament abgelehnt, so wird der Beschluss nach Unterabsatz 1 oder 2 nicht erlassen.

Die vorgeschlagene Regelung des Art. 23i Abs. 1 beschränkt sich nicht bloß auf die innerstaatliche Ausgestaltung dieses primärrechtlich vorgesehenen Ablehnungsrechts, sondern bindet das österreichische Mitglied im Europäischen Rat schon im Vorfeld.

Für einen entsprechenden Beschluss des Nationalrates und die Zustimmung des Bundesrates sind erhöhte Beschlusserfordernisse vorgesehen. Der unionsrechtlichen und verfassungspolitischen Bedeutung einer solchen Änderung des Gesetzgebungsverfahrens entsprechend wird vorgeschlagen, dass die Beschlüsse des Nationalrates und des Bundesrates von diesen selbst gefasst werden müssen; eine den anderen Mitwirkungsinstrumenten vergleichbare Möglichkeit, in den jeweiligen Geschäftsordnungen zu einer Beschlussfassung durch einen Ausschuss zu ermächtigen, soll demnach nicht bestehen.

Nach dem vorgeschlagenen Abs. 2 kann der Nationalrat mit Zustimmung des Bundesrates – also jeweils mit einfacher Mehrheit – eine Initiative oder einen Vorschlag innerhalb der unionsrechtlich vorgesehenen Fristen ablehnen, soweit die Möglichkeit der Ablehnung einer solchen Initiative oder eines solchen Vorschlages betreffend den Übergang zur qualifizierten Mehrheit oder zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren unionsrechtlich vorgesehen ist. Wird eine solche Initiative oder ein Vorschlag im Regelfall innerhalb von sechs Monaten nach der Übermittlung von einem nationalen Parlament abgelehnt, so wird der Beschluss nicht erlassen.

Der EUV sieht in Art. 48 Abs. 4 und Art. 49 vor, dass Änderungen der Verträge oder Abkommen betreffend den Beitritt weiterer Staaten der Ratifikation durch alle Mitgliedstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften bedürfen. Dabei handelt es sich um Staatsverträge, durch die die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union geändert werden; diese bedürfen einer Genehmigung des Nationalrates gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 2 B‑VG. In einer Reihe anderer Bestimmungen des EUV und des AEUV wird hingegen das Inkrafttreten von Beschlüssen des Europäischen Rates oder des Rates (bzw. das Inkrafttreten von Bestimmungen, die vom Rat erlassen worden sind) von der Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften abhängig gemacht. Der vorgeschlagene Art. 23i Abs. 3 stellt klar, dass auf solche Beschlüsse Art. 50 Abs. 4 B‑VG sinngemäß anzuwenden ist.

Von der Regelung des vorgeschlagenen Art. 23i Abs. 3 sind insbesondere folgende Bestimmungen des EUV und des AEUV erfasst:

–      Art. 48 Abs. 6 Unterabsatz 2 EUV, wonach ein – einstimmig zu fassender – Beschluss des Europäischen Rates zur Änderung aller oder eines Teils der Bestimmungen des Dritten Teils des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union „erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft“ tritt.

–      Art. 25 Unterabsatz 2 AEUV, wonach vom Rat einstimmig gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren nach Zustimmung des Europäischen Parlaments erlassene Bestimmungen zur Ergänzung der in Art. 20 Abs. 2 aufgeführten Rechte der Unionsbürger „nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft“ treten.

–      Art. 218 Abs. 8 Unterabsatz 2 AEUV, wonach ein einstimmig gefasster Beschluss des Rates über die Übereinkunft über den Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten in Kraft tritt, „nachdem die Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften zugestimmt haben“.

–      Art. 223 Abs. 1 Unterabsatz 2 AEUV, wonach vom Rat einstimmig gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments erlassene Bestimmungen „nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft“ treten. (Inhaltlich handelt es sich dabei um Bestimmungen für die allgemeine unmittelbare Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments nach einem einheitlichen Verfahren in allen Mitgliedstaaten oder im Einklang mit den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen.)

–      Art. 262 AEUV, wonach vom Rat einstimmig gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren nach Anhörung des Europäischen Parlaments erlassene Bestimmungen „nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft“ treten. (Inhaltlich handelt es sich dabei um Bestimmungen, mit denen dem Gerichtshof der Europäischen Union in dem vom Rat festgelegten Umfang die Zuständigkeit übertragen wird, über Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der Anwendung von auf Grund der Verträge erlassenen Rechtsakten zu entscheiden, mit denen europäische Rechtstitel für das geistige Eigentum geschaffen werden.)

–      Art. 311 Unterabsatz 3 AEUV, wonach ein vom Rat einstimmig gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Europäischen Parlaments gefasster Beschluss, mit dem die Bestimmungen über das System der Eigenmittel der Union festgelegt werden, „erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft“ tritt.

–      Art. 40.2. des Protokolls über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank, wonach ein einstimmig zu fassender Beschluss des Europäischen Rates über eine Änderung des Art. 10.2. des Protokolls „erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft“ tritt.

Zu Art. 23j:

Der vorgeschlagene Art. 23j enthält die Nachfolgeregelungen zu Art. 23f B‑VG. In Abs. 1 werden lediglich die Verweise angepasst und eine Angleichung an die gemäß Art. 215 Abs. 1 AEUV möglichen restriktiven Maßnahmen („Wirtschafts- und Finanzbeziehungen“) vorgenommen. Darüber hinaus tritt in Abs. 1 keine Änderung ein.

Mit der Übertragung der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in die Zuständigkeit der Europäischen Union erübrigt sich für diesen Bereich eine Verweisungsbestimmung wie in Art. 23f Abs. 2 B‑VG. Im Zusammenhang mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik waren von dieser Verweisung schon bisher auch solche Beschlüsse erfasst, die keine Durchführung durch die Erlassung von Bundesgesetzen erfordern und die auch nicht auf die Erlassung eines unmittelbar geltenden (nunmehr: anwendbaren) Rechtsaktes gerichtet sind, der Regelungen enthält, die bundesgesetzlich getroffen werden müssten (siehe etwa Öhlinger, Art. 23f B‑VG, Rz 15). Da es auch nach dem Vertrag von Lissabon solche Beschlüsse gibt, sollen diese weiterhin der parlamentarischen Mitwirkung gemäß Art. 23e (nunmehr vorgeschlagener Abs. 2, 4 und 6) unterliegen.

Die Aufzählung der Beschlüsse, hinsichtlich derer Einvernehmen zwischen dem Bundeskanzler und dem für auswärtige Angelegenheiten zuständigen Bundesminister herzustellen ist, wird an die Aufzählung des Art. 43 Abs. 1 EUV angepasst.

Zu Z 6 (Art. 73 Abs. 2):

Terminologische Anpassung bzw. Vereinheitlichung (vgl. bereits Art. 23d Abs. 3 und Art. 142 Abs. 2 lit. c B‑VG).

Zu Artikel 2 (Änderung des Bundesverfassungsgesetzes, mit dem besondere Bestimmungen für die Neuermittlung der Verteilung von nach der Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments 2009 zu vergebenden Mandaten durch die Bundeswahlbehörde erlassen werden)

Das Bundesverfassungsgesetz, mit dem besondere Bestimmungen für die Neuermittlung der Verteilung von nach der Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments 2009 zu vergebenden Mandaten durch die Bundeswahlbehörde erlassen werden, BGBl. I Nr. 32/2009, sieht vor, dass die Bundeswahlbehörde, wenn sich nach der Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments 2009 zufolge des Rechts der Europäischen Union die Anzahl der Sitze im Europäischen Parlament erhöht, die zu vergebenden Mandate auf der Grundlage der Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments 2009 unter Zugrundelegung der veränderten Mandatszahl neu zu ermitteln hat.

Infolge des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon wird sich die Zahl der der Republik Österreich zustehenden Sitze im Europäischen Parlament von (derzeit) 17 auf 19 erhöhen. Art. 11 Abs. 3a der Geschäftsordnung des Parlaments sieht vor, dass die betroffenen Mitgliedstaaten bis zum Inkrafttreten dieser Erhöhung im Einklang mit ihrem nationalen Recht Beobachter benennen können. Durch die vorgeschlagene Regelung soll die innerstaatliche Rechtsgrundlage für die Benennung der Beobachter geschaffen werden. Demnach hat die Bundeswahlbehörde jene Bewerber zu ermitteln, denen bei einer Neuermittlung der Mandate die zusätzlich zu vergebenden Mandate zugewiesen würden. Die Ermittlung dieser Bewerber zum Zweck ihrer Benennung als Beobachter lässt die in § 1 dieses Bundesverfassungsgesetzes vorgesehene Neuermittlung der Mandate unberührt.“

 

Der Verfassungsausschuss hat den gegenständlichen Initiativantrag erstmals in seiner Sitzung am 24. Februar 2010 in Verhandlung genommen. Nach der Berichterstattung durch die Abgeordnete Mag. Sonja Steßl-Mühlbacher hat der Ausschuss gemäß § 40 Abs.1 des Geschäftsordnungsgesetzes des Nationalrates beschlossen, eine Ausschussbegutachtung zum gegenständlichen Verhandlungsgegenstand einzuleiten. Danach wurden die Beratungen vertagt. Die zum Initiativantrag 978/A eingelangten Stellungnahmen können auf der Website des Parlaments, www.parlament.gv.at, eingesehen werden.

 

Die Verhandlungen wurden am 4. Mai 2010 wieder aufgenommen. An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Mag. Christine Muttonen, Mag. Wilhelm Molterer, Dr. Peter Fichtenbauer, Dr. Alexander Van der Bellen, Mag. Ewald Stadler, Mag. Sonja Steßl-Mühlbacher und Mag. Dr. Wolfgang Zinggl. Danach beschloss der Verfassungsausschuss, die Beratungen neuerlich zu vertagen. Die Wiederaufnahme der Verhandlungen erfolgte am 30. Juni 2010. Ferner wurde beschlossen, im Sinn des § 41 Abs. 4 des Geschäftsordnungsgesetzes des Nationalrates den weiteren Beratungen den Gesetzesantrag des Bundesrates (691d.B.) zugrunde zu legen. Über diesen erstattete der Abgeordnete Johann Singer den Bericht. In der Debatte ergriffen die Abgeordneten Mag. Wilhelm Molterer, Dr. Josef Cap, Dr. Alexander Van der Bellen, Mag. Ewald Stadler, Herbert Scheibner und Mag. Christine Muttonen das Wort.

 

Im Zuge der Debatte haben die Abgeordneten Dr. Josef Cap, Mag. Wilhelm Molterer und Dr. Alexander Van der Bellen einen Abänderungsantrag eingebracht, der wie folgt begründet war:

„Zu Artikel 1 (Änderung des Bundes-Verfassungsgesetzes):

Allgemeiner Teil:

Aufgrund des Vertrages von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (im Folgenden: Vertrag von Lissabon) sollen Änderungen des Bundes-Verfassungsgesetzes (B‑VG), insbesondere des Abschnitts B („Europäische Union“) des Ersten Hauptstückes, vorgenommen werden.

 

-       Mit einem neuen Art. 23f wird die Zuständigkeit von Nationalrat und Bundesrat betreffend die Wahrnehmung der Rechte von nationalen Parlamenten durch den Vertrag von Lissabon ausdrücklich festgestellt. Zur besseren Information von Abgeordneten, Bundesräten und der österreichischen Öffentlichkeit hat jeder Bundesminister dem Nationalrat und dem Bundesrat am Beginn jedes Jahres über die in diesem Jahr zu erwartenden Vorhaben des Rates und der Kommission zu berichten und die voraussichtlichen österreichischen Positionen zu diesen Vorhaben darzustellen.

-       Durch den Vertrag von Lissabon – insbesondere durch das Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union sowie durch das Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit (im Folgenden: Subsidiaritätsprotokoll) – wird die Rolle der nationalen Parlamente gestärkt. Dies bedingt die Schaffung von neuen Art. 23g und Art. 23h betreffend die Subsidiaritätsrüge und die Subsidiaritätsklage.

 

Subsidiaritätsrüge:

Alle Entwürfe von Gesetzgebungsakten im Rahmen der Europäischen Union sind dem Nationalrat und dem Bundesrat von der Europäischen Kommission zuzuleiten. Beide Kammern haben das Recht, innerhalb von acht Wochen nach Einlangen eines solchen Entwurfes eine so genannte Subsidiaritätsrüge abzugeben. Nationalrat und Bundesrat haben jeweils eine Stimme und beschließen ihre Rüge mit einfacher Mehrheit. Um die achtwöchtige Frist einhalten zu können, sind diese Zuständigkeiten grundsätzlich vom Hauptausschuss des Nationalrates und von einem vom Bundesrat zu wählenden Ausschuss wahrzunehmen.

Der Bundesrat hat die Landtage unverzüglich über Entwürfe von Gesetzgebungsakten zu unterrichten und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Sollte ein Drittel aller den nationalen Parlamenten zustehenden Stimmen einen Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip rügen, so hat die Kommission ihre Initiative zu überprüfen.

 

Subsidiaritätsklage:

Nationalrat und Bundesrat können innerhalb von zwei Monaten beschließen, dass gegen einen bereits erlassenen Gesetzgebungsakt der Europäischen Union eine so genannte Subsidiaritätsklage beim Europäischen Gerichtshof erhoben wird. Diese Beschlüsse werden im Nationalrat und im Bundesrat mit einfacher Mehrheit gefasst.

 

Passerelle (Brückenklausel):

Der Vertrag von Lissabon sieht so genannte Brückenklauseln und vereinfachte Änderungsverfahren vor. Die österreichische Mitwirkung daran wird in Art. 23e und Art. 23i geregelt.

–      Der Vertrag von Lissabon erfordert terminologische Anpassungen an geänderte Organbezeichnungen, was insbesondere Art. 23c B‑VG betrifft. Es erscheint zweckmäßig, aus diesem Anlass auch Formulierungsangleichungen an die korrespondierenden Bestimmungen des Vertrags von Lissabon vorzunehmen.

–      Schließlich sollen aus gegebenem Anlass dort, wo dies notwendig oder zweckmäßig erscheint, entsprechende Klarstellungen oder Präzisierungen vorgenommen werden.

–      Die Detailausführungen über die Verfahren im Nationalrat und im Bundesrat werden jeweils in das Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates und in die Geschäftsordnung des Bundesrates aufzunehmen sein.

 

Besonderer Teil:

Soweit im Folgenden Literaturstellen ohne Angabe des Titels des Werks zitiert werden, handelt es sich um Kommentierungen in Korinek/Holoubek (Hrsg.), Bundesverfassungsrecht.

 

Zu Art. 23c:

Die durch den Vertrag von Lissabon erforderlich werdenden terminologischen Anpassungen in Art. 23c Abs. 1 und 2 B‑VG an geänderte Organbezeichnungen sollen zum Anlass genommen werden, durch eine Neufassung des ganzen Art. 23c B‑VG zu präzisieren, worin die „Mitwirkung der Bundesregierung an der Ernennung“ eigentlich besteht, nämlich in der der Ernennung (durch die Organe der Europäischen Union bzw. die Regierungen der Mitgliedstaaten) zeitlich vorangehenden Erstellung der österreichischen Ernennungsvorschläge, nicht jedoch in einer Mitwirkung am eigentlichen Ernennungsvorgang (vgl. Öhlinger, Art. 23c B‑VG, Rz 3 und 11).

Gemäß Art. 19 Abs. 1 des Vertrags über die Europäische Union (im Folgenden: EUV) in der Fassung des Vertrags von Lissabon ist „Gerichtshof der Europäischen Union“ der Oberbegriff für den Gerichtshof, das Gericht und die Fachgerichte. Die Begriffe „Gerichtshof“ und „Gericht erster Instanz“ in Art. 23c Abs. 1 und 2 B‑VG sollen daher durch den Begriff „Gerichtshof der Europäischen Union“ ersetzt werden. Ferner wird in Art. 13 Abs. 1 EUV die Organbezeichnung „Europäische Kommission“ eingeführt, die daher auch in Art. 23c Abs. 1 und 2 B‑VG verwendet werden soll. Die Reihenfolge, in der die Organe im vorgeschlagenen Art. 23c Abs. 1 genannt werden, entspricht der Systematik des Vertrags von Lissabon.

Da Art. 23c Abs. 1 und 2 B‑VG undifferenziert von „Mitgliedern“ spricht, erhebt sich die Frage, ob damit auch die stellvertretenden Mitglieder des Verwaltungsrates der Europäischen Investitionsbank und die Stellvertreter der Mitglieder des Ausschusses der Regionen gemeint sind. Da der Verwaltungsrat der Europäischen Investitionsbank gemäß Art. 9 Abs. 2 des Protokolls über die Satzung der Europäischen Investitionsbank aus ordentlichen Mitgliedern und stellvertretenden Mitgliedern besteht, sind auch letztere als „Mitglieder“ im Sinne des Art. 23c Abs. 1 und 2 B‑VG anzusehen; sie brauchen daher in dieser Bestimmung nicht gesondert genannt zu werden. Hingegen soll auf die derzeit nur in Art. 23c Abs. 4 erster Satz B‑VG genannten Stellvertreter der Mitglieder des Ausschusses der Regionen auch im vorgeschlagenen Art. 23c Abs. 1 und Abs. 4 zweiter Satz ausdrücklich Bezug genommen werden.

Durch die gegenüber Art. 23c Abs. 2 B‑VG geänderte Reihung der Sätze des vorgeschlagenen Art. 23c Abs. 2 und die Formulierung seines ersten Satzes soll klargestellt werden, dass die Bundesregierung den Nationalrat vor der Herstellung des Einvernehmens mit dem Hauptausschuss über die von ihr beabsichtigte Entscheidung zu unterrichten hat (vgl. Öhlinger, Art. 23c B‑VG, Rz 10).

Während gemäß Art. 263 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung vor dem Vertrag von Lissabon (im Folgenden: EGV) im Ausschuss der Regionen auf Österreich zwölf Mitglieder entfallen, ist die Verteilung der in Hinkunft höchstens 350 Mitglieder des Ausschusses der Regionen auf die Mitgliedstaaten in den Art. 305 ff des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (im Folgenden: AEUV) nicht mehr primärrechtlich determiniert. Dies bedeutet, dass sich die Zahl der auf Österreich entfallenden Mitglieder in Zukunft verändern kann. Für diesen Fall wird im vorgeschlagenen Art. 23c Abs. 4 dadurch Vorsorge getroffen, dass der Österreichische Gemeindebund und der Österreichische Städtebund nicht mehr eine fixe Anzahl von Mitgliedern und Stellvertretern nominieren können, sondern die „sonstigen“ Mitglieder und Stellvertreter, also gegebenenfalls mehr oder weniger als derzeit.

Im Übrigen entspricht die Formulierung des vorgeschlagenen Art. 23c Abs. 3 bis 5 im Wesentlichen der geltenden Rechtslage.

 

Zu Art. 23d Abs. 2, Art. 23d Abs. 3 erster und zweiter Satz, Art. 23d Abs. 5 erster Satz und Art. 23e bis Art. 23k:

 

Zu Art. 23d Abs. 2, Abs. 3 erster und zweiter Satz und Abs. 5 erster Satz und Art. 23e:

Die Änderung dieser Bestimmungen dient vorwiegend terminologischen Anpassungen: Dass der Bund an eine einheitliche Stellungnahme der Länder (vgl. Art. 23d Abs. 2 erster Satz B‑VG) bzw. das zuständige Mitglied der Bundesregierung (nunmehr: der zuständige Bundesminister) an eine Stellungnahme des Nationalrates bzw. Bundesrates (vgl. Art. 23e Abs. 2 erster Satz und Abs. 6 erster Satz B‑VG) gebunden ist, ergibt sich schon daraus, dass er von ihr nur unter bestimmten Voraussetzungen abweichen darf, und braucht daher nicht gesondert gesagt zu werden. Die Verwendung des Begriffes „integrations- und außenpolitische Gründe“ entspricht der einfachgesetzlichen Rechtslage (vgl. das Bundesgesetz über die Errichtung eines Rates für Fragen der österreichischen Integrations- und Außenpolitik, BGBl. Nr. 368/1989, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 30/2008).

In den vorgeschlagenen Art. 23d Abs. 3 zweiter Satz und Art. 23e ist anstatt vom „zuständigen Mitglied der Bundesregierung“ vom „zuständigen Bundesminister“ die Rede. Diese Formulierung entspricht Art. 73 Abs. 2 B‑VG und erscheint auch insofern konsequent, als mit der Verwendung des Begriffes „zuständig“ ohnedies implizit an die Ressortverteilung angeknüpft wird.

Da die Vertretung im Rat auf Ministerebene zu erfolgen hat, kommen als Ländervertreter nur Mitglieder einer Landesregierung in Betracht (vgl. Öhlinger, Art. 23d B‑VG, Rz 21; Schweitzer, Art. 203 EGV, in Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 28. Ergänzungslieferung [2005], Rz 4). Die Formulierung des vorgeschlagenen Art. 23d Abs. 3 erster Satz soll entsprechend angepasst werden. Im Übrigen orientiert sich die vorgeschlagene Neufassung dieses Satzes an Art. 73 Abs. 2 B‑VG.

Obwohl der Begriff „im Rahmen der europäischen Integration“ durch die B‑VG-Novelle BGBl. Nr. 1013/1994 durchwegs durch den Begriff „im Rahmen der Europäischen Union“ ersetzt worden ist, spricht Art. 23d Abs. 5 erster Satz B‑VG infolge eines offenbaren Redaktionsversehens nach wie vor von der Durchführung von Rechtsakten „im Rahmen der europäischen Integration“. Dieses soll nunmehr bereinigt werden. Zum Begriff „Gerichtshof der Europäischen Union“ vgl. die Erläuterungen zu dem in Z 1 vorgeschlagenen Art. 23c.

Nach dem Vertrag von Lissabon werden den nationalen Kammern umfassend auch andere Dokumente direkt von den zuständigen Organen der Europäischen Union zugeleitet: So werden neben Entwürfen von Gesetzgebungsakten z.B. auch Konsultationsdokumente (Grün-, Weißbücher, Mitteilungen, jährliche Rechtssetzungsprogramme; Art. 1 des Protokolls über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union), Legislative Entschließungen (Art. 4 des Subsidiaritätsprotokolls), Standpunkte des Rates im Gesetzgebungsverfahren (Art. 4 des Subsidiaritätsprotokolls) und Tagesordnungen, Ergebnisse und Protokolle von Ratstagungen, auf denen der Rat über Entwürfe von Gesetzgebungsakten berät (Art. 5 des Protokolls über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union), übermittelt. Die umfassende Bereitstellung dieser Informationen ermöglicht Nationalrat und Bundesrat eine effektive Ausübung der Mitwirkungsrechte sowie der Vollziehung von Art. 23e B‑VG. In diesem Zusammenhang ist lediglich zur Klarstellung auf den auch in der Literatur weit verstandenen Begriff des „Vorhabens“ in Art. 23e Abs. 1 B‑VG hinzuweisen: Der Bericht des Verfassungsausschusses (58 d.B. XIX. GP) verweist zur näheren Umschreibung des Begriffs „Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union“ auf die Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B-VG über die Mitwirkungsrechte der Länder und Gemeinden in Angelegenheiten der Europäischen Integration, BGBl. Nr. 775/1992. Diese Vereinbarung enthält in Art. 1 Abs. 2 eine demonstrative Aufzählung der von der Informationsverpflichtung umfassten Dokumente. Im Sinne der Ausführungen von Griller (Verfassungsfragen der österreichischen EU-Mitgliedschaft, ZfVR 1995, 89 [103]) sind darunter alle entscheidungsvorbereitenden Dokumente zu subsumieren; darunter fallen etwa auch Tagesordnungen, die für die Vorbereitung von Nationalrat und Bundesrat besonders bedeutsam sind.

Der EUV und der AEUV sehen Änderungsverfahren vor, nach denen die Abstimmungsmodalitäten im Rat gewechselt werden können (vgl. etwa Art. 31 Abs. 3 EUV [Beschlüsse des Rates im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik gemäß Art. 31 Abs. 2 EUV] und Art. 312 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV [Verordnung des Rates zur Festlegung eines mehrjährigen Finanzrahmens]). Bei derartigen Vorhaben soll der zuständige Bundesminister nach dem vorgeschlagenen Art. 23e Abs. 2 verpflichtet werden, in jedem Fall den Nationalrat und den Bundesrat so umfassend und rechtzeitig zu unterrichten, dass eine Prüfung und Entscheidung über die Erstattung einer Stellungnahme ermöglicht wird. Nicht zur Anwendung gelangt diese Bestimmung bei einer Initiative gemäß Art. 48 Abs. 7 des Vertrags über die Europäische Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon, für die der vorgeschlagene Art. 23i Abs. 1 eine Sonderregelung enthält.

Mit dem vorgeschlagenen Art. 23e Abs. 3 sollen die bisher in Art. 23e Abs. 2 bis 4 B‑VG enthaltenen, systematisch zusammengehörigen Regelungen in einer einzigen Bestimmung zusammengefasst werden. Die Formulierung kann dadurch erheblich gestrafft werden. Hervorzuheben ist, dass sich die Bindungswirkung einer Stellungnahme des Nationalrates oder des Bundesrates auch auf einen allfälligen Vertreter des zuständigen Bundesministers gemäß Art. 73 Abs. 2 B‑VG im Rat erstreckt.

Die bisherige Formulierung, die eine bindende Stellungnahme zu einem Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union, „das durch Bundesgesetz umzusetzen ist oder das auf die Erlassung eines unmittelbar anwendbaren Rechtsaktes gerichtet ist, der Angelegenheiten betrifft, die bundesgesetzlich zu regeln wären“ ermöglichte, soll mit dem vorgeschlagenen Art. 23e Abs. 3 B-VG vereinfacht werden. Es soll nicht notwendig sein, jedes Vorhaben im Einzelnen daraufhin zu prüfen, ob die darin enthaltenen Bestimmungen unter Beachtung der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs unmittelbar anwendbar sind. Gleichzeitig soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon nicht nur eine Einschränkung, sondern auch eine Ausweitung der Regelungsmöglichkeiten des nationalen Gesetzgebers durch Rückübertragung von Kompetenzen denkbar ist. Die vorgeschlagene Formulierung stellt daher auf alle verbindlichen Rechtsakte ab (vgl. Art. 288 AEUV), die sich auf die Erlassung von Bundesgesetzen auswirken. In Hinblick auf Vorhaben mit bundesverfassungsrechtlichen Auswirkungen soll weiterhin eine besondere Bindungswirkung eintreten.

Im vorgeschlagenen Art. 23e Abs. 4 fehlt der in Art. 23e Abs. 5 B‑VG enthaltene – redundante – Begriff „zwingend“. Durch Art. 23e Abs. 4 zweiter und dritter Satz wird für die Stellungnahmen des Bundesrates dieselbe Bindungswirkung vorgesehen, wie sie in Art. 23e Abs. 3 dritter und vierter Satz für die Stellungnahmen des Nationalrates zu Vorhaben, die entweder die Erlassung bundesverfassungsgesetzlicher Bestimmungen erfordern würde oder Regelungen enthält, die nur durch solche Bestimmungen getroffen werden könnten, vorgesehen ist.

 

Zu Art. 23f:

In diesem Artikel wird in Abs. 1 eine Generalklausel vorgeschlagen, mit der die im EUV, im AEUV und in den diesen Verträgen beigegebenen Protokollen für die Parlamente der Mitgliedstaaten vorgesehenen Zuständigkeiten, wie sie beispielsweise in Art. 12 EUV aufgezählt sind, dem Nationalrat und dem Bundesrat übertragen werden. Es handelt sich dabei um eine dynamische Verweisung auf diese Verträge und Protokolle (vgl. demgegenüber die statischen Verweisungen des Art. 23i Abs. 1 und Art. 23j Abs. 1 bis 3). Inhaltlich umfassen diese Zuständigkeiten insbesondere die direkte Mitwirkung an der Willensbildung und an der Gesetzgebung der Union, weit reichende Rechte auf Information durch die europäischen Organe, Genehmigungsvorbehalte und die Mitwirkung an der parlamentarischen Kontrolle von Europol und Eurojust.

In Abs. 2 werden die Mitglieder der Bundesregierung entsprechend verpflichtet, jährlich einen Vorhabensbericht über das Arbeits- und Legislativprogramm des Rates und der Kommission an den Nationalrat und an den Bundesrat zu erstatten. Dieser Bericht soll auch Angaben über die voraussichtliche österreichische Position zu diesen Vorhaben enthalten.

Diese Berichtspflicht entspricht der bereits in den vergangenen Jahren unverbindlich eingehaltenen Praxis und ergänzt die bestehenden Informationspflichten der Bundesregierung, um eine breite Befassung etwa der für die einzelnen Materien zuständigen Ausschüsse mit europäischen Themen sicherzustellen.

Nach dem vorgeschlagenen Abs. 3 sollen über die im Abschnitt B des Ersten Hauptstückes vorgesehenen Unterrichtungsverpflichtungen (vgl. die vorgeschlagenen Art. 23e Abs. 1 und 2 und Art. 23f Abs. 2) hinaus weitere Unterrichtungsverpflichtungen gegenüber dem Nationalrat und dem Bundesrat, aber auch gegenüber anderen Körperschaften (z.B. Sozialpartner) geschaffen werden. Solche Unterrichtungsverpflichtungen werden durch Bundesgesetz, zum Beispiel durch ein EU-Informationsgesetz, vorgesehen. In diesen Vorschriften können auch Regelungen über den Zugang zu Dokumenten getroffen werden.

Durch den vorgeschlagenen Abs. 4 sollen der Nationalrat und der Bundesrat ermächtigt werden, im Sinne des im Vertrag von Lissabon vorgesehenen aktiven Beitrags der nationalen Parlamente zur guten Arbeitsweise der Union (vgl. Art. 12 EUV) ihren Wünschen an die Organe der Europäischen Union zu Vorhaben, insbesondere betreffend die Gesetzgebung und Anwendung des Rechts der Europäischen Union in Mitteilungen Ausdruck zu geben. Diese Ermächtigung geht über die im Vertrag von Lissabon vorgesehenen Instrumente hinaus. Solche Mitteilungen können daher  auch allgemeine politische Ausführungen enthalten.

Die Bestimmungen des Art. 52 Abs. 1 B-VG bleiben parallel dazu weiterhin in vollem Umfang bestehen und gelten nach wie vor auch sinngemäß für die Tätigkeiten der Mitglieder der Bundesregierung als Mitglieder des Europäischen Rates bzw. Rates.

 

Zu Art. 23g:

Der vorgeschlagene Art. 23g enthält Bestimmungen über die im Vertrag von Lissabon vorgesehene Mitwirkung der nationalen Parlamente an der Gesetzgebung im Rahmen der Europäischen Union (so genannte Subsidiaritätsrüge).

Art. 6 Unterabsatz 1 erster Satz des Subsidiaritätsprotokolls sieht vor, dass die nationalen Parlamente oder die Kammern eines dieser Parlamente binnen acht Wochen nach dem Zeitpunkt der Übermittlung eines Entwurfs eines Gesetzgebungsakts in den Amtssprachen der Union in einer begründeten Stellungnahme an die Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission darlegen können, weshalb der Entwurf ihres Erachtens nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist (siehe zur Übermittlung der Entwürfe von Gesetzgebungsakten auch das Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union und die Erläuterungen zum vorgeschlagenen Art. 23e Abs. 2). Aus Art. 7 Abs. 1 zweiter und dritter Satz des Subsidiaritätsprotokolls ergibt sich, dass dem Nationalrat und dem Bundesrat jeweils eine Stimme im Rahmen der Subsidiaritätsprüfung zukommt. Sowohl der Nationalrat als auch der Bundesrat können somit nach dem vorgeschlagenen Art. 23g Abs. 1 unabhängig von der Vorgehensweise der jeweils anderen Kammer eine begründete Stellungnahme abgeben, wonach der Entwurf eines Gesetzgebungsakts ihres Erachtens nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist. In der Begründung einer solchen Stellungnahme kann es erforderlich sein, auch Ausführungen zur Übereinstimmung des Entwurfes mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip oder zur Rechtsgrundlage des Entwurfes aufzunehmen.

Um dem Nationalrat und dem Bundesrat eine möglichst umfassende Entscheidungsgrundlage zu bieten, wird in Art. 23g Abs. 2 vorgeschlagen, dass ihnen der zuständige Bundesminister auf Verlangen eine Äußerung zur Vereinbarkeit des Entwurfs eines Gesetzgebungsakts mit dem Subsidiaritätsprinzip zu übermitteln hat. Wegen der knappen Fristenlage wird festgelegt, dass diese Äußerung im Regelfall innerhalb von zwei Wochen nach Einlangen des Verlangens beim Bundesminister dem Vertretungskörper vorzulegen ist, der das Verlangen gestellt hat. In der parlamentarischen Praxis haben die Bundesministerien derartige Äußerungen regelmäßig auch dann vorgelegt, wenn dem „Verlangen“ kein formeller Beschluss des Ausschusses, sondern lediglich der Konsens der parlamentarischen Klubs zugrunde lag.

Art. 6 Unterabsatz 1 letzter Satz des Subsidiaritätsprotokolls sieht weiters vor, dass es dem jeweiligen nationalen Parlament oder der jeweiligen Kammer eines nationalen Parlaments obliegt, gegebenenfalls die regionalen Parlamente mit Gesetzgebungsbefugnissen zu konsultieren. Diese Aufgabe soll durch den vorgeschlagenen Art. 23g Abs. 3 dem Bundesrat übertragen werden, der die Landtage unverzüglich über die Entwürfe zu unterrichten und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben hat. Eine allfällige Stellungnahme eines Landtages hat darzulegen, weshalb ein Entwurf nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist. Auf Anregung der Länder wird vorgesehen, dass der Bundesrat die Stellungnahmen der Landtage bei der Beschlussfassung einer begründeten Stellungnahme zu erwägen und die Landtage über solche Beschlüsse zu unterrichten hat.

 

Zu Art. 23h:

Der vorgeschlagene Art. 23h enthält Bestimmungen über die im Vertrag von Lissabon vorgesehene Erhebung von Klagen der Mitgliedsstaaten im Namen der nationalen Parlamente gegen Gesetzgebungsakte im Rahmen der Europäischen Union (so genannte Subsidiaritätsklage).

Art. 8 des Subsidiaritätsprotokolls normiert eine Zuständigkeit des Gerichtshofes der Europäischen Union für Klagen wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts gegen das Subsidiaritätsprinzip. Solche Klagen können von einem Mitgliedstaat erhoben oder „entsprechend der jeweiligen innerstaatlichen Rechtsordnung von einem Mitgliedstaat im Namen seines nationalen Parlaments oder einer Kammer dieses Parlaments übermittelt werden“. Nach Art. 23h Abs. 1 sollen der Nationalrat und der Bundesrat unabhängig voneinander beschließen können, dass gegen einen Gesetzgebungsakt im Rahmen der Europäischen Union Klage wegen Verstoßes gegen das Subsidiaritätsprinzip erhoben wird.

Anders als bei der Subsidiaritätsrüge muss ein solcher Beschluss jedenfalls vom Nationalrat oder vom Bundesrat selbst gefasst werden; eine Zuständigkeit des Hauptausschusses (oder eines anderen Ausschusses) des Nationalrates oder eines Ausschusses des Bundesrates zur Entscheidung über eine Klage kann in der jeweiligen Geschäftsordnung nicht vorgesehen werden. In den Geschäftsordnungen sollte jedenfalls eine Ausschussvorberatung vorgesehen werden.

Ein Beschluss zur Klageerhebung soll inhaltlich die formellen Voraussetzungen der Satzung (vgl. deren Art. 21) bzw. der Verfahrensordnung (vgl. deren Art. 38) des Europäischen Gerichtshofs an eine Klageschrift erfüllen. Die Übermittlung der Klageschrift wird nach dem vorgeschlagenen Art. 23h Abs. 2 B-VG durch das Bundeskanzleramt vorgenommen, dem aber keine Ingerenz auf den Inhalt der Klageschrift zukommt. Das Bundeskanzleramt hat jenes Organ, das die Erhebung der Klage beschlossen hat – also den Nationalrat oder den Bundesrat –, über den Fortgang des Verfahrens zu informieren. Nähere Bestimmungen darüber sollten im EU-Informationsgesetz (Art. 23f Abs. 3 B-VG neu) vorgesehen werden.

Die Festlegung der Übermittlung der Klage durch das Bundeskanzleramt erfolgt im Hinblick auf dessen Zuständigkeit zur Vertretung der Republik Österreich vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (vgl. auch Teil 2 Abschnitt A Z 5 fünfter Untertatbestand der Anlage zu § 2 des Bundesministeriengesetzes 1986, Nr. 76, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 3/2009, sowie Art. 10 Abs. 2 der Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B-VG über die Mitwirkungsrechte der Länder und Gemeinden in Angelegenheiten der europäischen Integration, BGBl. Nr. 775/1992). Demnach obliegt die Prozessvertretung dem Bundeskanzleramt.

 

Zu Art. 23i:

Der vorgeschlagene Art. 23i enthält verfassungsrechtliche Begleitregelungen zu im Vertrag von Lissabon vorgesehenen Änderungen des Gesetzgebungsverfahrens im Rahmen der Europäischen Union (so genannte Passerelle oder Brückenklausel) und zu nationalen Zustimmungserfordernissen zu bestimmten Rechtsakten im Rahmen der Europäischen Union.

Art. 48 Abs. 7 EUV sieht Änderungen des Gesetzgebungsverfahrens durch einen – einstimmig zu fassenden – Beschluss des Europäischen Rates vor, und zwar den Übergang von der Einstimmigkeit zur qualifizierten Mehrheit für Ratsbeschlüsse (Unterabsatz 1) und den Übergang von einem besonderen Gesetzgebungsverfahren zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gemäß Art. 294 AEUV für die Erlassung eines Gesetzgebungsakts durch den Rat (Unterabsatz 2). Gemäß Art. 48 Abs. 7 Unterabsatz 3 EUV übermittelt der Europäische Rat eine auf der Grundlage der Unterabsätze 1 oder 2 ergriffene Initiative den nationalen Parlamenten (siehe auch Art. 6 des Protokolls über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union). Wird diese Initiative innerhalb von sechs Monaten nach der Übermittlung von einem nationalen Parlament abgelehnt, so wird der Beschluss nach Unterabsatz 1 oder 2 nicht erlassen.

Die vorgeschlagene Regelung des Art. 23i Abs. 1 beschränkt sich nicht bloß auf die innerstaatliche Ausgestaltung dieses primärrechtlich vorgesehenen Ablehnungsrechts, sondern bindet das österreichische Mitglied im Europäischen Rat schon im Vorfeld.

Für einen entsprechenden Beschluss des Nationalrates und die Zustimmung des Bundesrates sind erhöhte Beschlusserfordernisse vorgesehen. Auf Grund der unionsrechtlichen und verfassungspolitischen Bedeutung einer solchen Änderung des Gesetzgebungsverfahrens entsprechend wird vorgeschlagen, dass die Beschlüsse vom Nationalrat und vom Bundesrat  selbst gefasst werden müssen; eine Zuständigkeit des Hauptausschusses (oder eines anderen Ausschusses) des Nationalrates oder eines Ausschusses des Bundesrates zur Entscheidung kann in der jeweiligen Geschäftsordnung nicht vorgesehen werden. Eine Vorberatung im jeweiligen Ausschuss erscheint jedoch sinnvoll.

Nach dem vorgeschlagenen Abs. 2 kann der Nationalrat mit Zustimmung des Bundesrates – also jeweils mit einfacher Mehrheit – eine Initiative oder einen Vorschlag innerhalb der unionsrechtlich vorgesehenen Fristen ablehnen, soweit für die nationalen Parlamente die Möglichkeit der Ablehnung einer solchen Initiative oder eines solchen Vorschlages betreffend den Übergang zur qualifizierten Mehrheit oder zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren unionsrechtlich vorgesehen ist. Wird eine solche Initiative oder ein Vorschlag im Regelfall innerhalb von sechs Monaten nach der Übermittlung von einem nationalen Parlament abgelehnt, so wird der Beschluss nicht erlassen.

Der EUV sieht in Art. 48 Abs. 4 und Art. 49 vor, dass Änderungen der Verträge oder Abkommen betreffend den Beitritt weiterer Staaten der Ratifikation durch alle Mitgliedstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften bedürfen. Dabei handelt es sich um Staatsverträge, durch die die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union geändert werden; diese bedürfen einer Genehmigung des Nationalrates gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 2 B‑VG gemäß dem in Art. 50 Abs. 4 B-VG festgelegten Verfahren. In einer Reihe anderer Bestimmungen des EUV und des AEUV wird hingegen das Inkrafttreten von Beschlüssen des Europäischen Rates oder des Rates (bzw. das Inkrafttreten von Bestimmungen, die vom Rat erlassen worden sind) von der Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften abhängig gemacht.

In Art. 311 AEUV wird analog Art. 6 Abs. 4 ex-EGV bestimmt, dass sich die Europäische Union mit den erforderlichen Mitteln ausstattet, um ihre Ziele zu erreichen und ihre Politik durchführen zu können („Eigenmittelbeschluss“). Nach Anhörung des Europäischen Parlaments legt der Rat einstimmig das System der Eigenmittel der Union durch Beschluss fest. Darin können auch neue Kategorien von Eigenmitteln eingeführt werden. Dieser Beschluss tritt erst nach Genehmigung durch die Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft.

Mit der vorgeschlagenen Formulierung wird eine eigene ausdrückliche Bestimmung geschaffen und sichergestellt, dass Eigenmittelbeschlüsse des Rates der Genehmigung von Nationalrat und Bundesrat jeweils mit 2/3-Mehrheit bedürfen, wenn dadurch neue Kategorien von Eigenmitteln eingeführt werden. Andere Eigenmittelbeschlüsse bedürfen der Genehmigung durch den Nationalrat unter sinngemäßer Anwendung des Art. 50 Abs. 1 Z 1 B-VG mit einfacher Mehrheit. Der Verweis auf Art. 23e Abs. 2 stellt klar, dass für Eigenmittelbeschlüsse die besonderen Informationspflichten nach diesem Artikel sinngemäß Anwendung finden.

Der vorgeschlagene Art. 23i Abs. 4 stellt klar, dass auf sonstige Beschlüsse des Europäischen Rates oder des Rates, die erst nach Zustimmung der Mitgliedsstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft treten, Art. 50 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden ist.

Von der Regelung des vorgeschlagenen Art. 23i Abs. 4 sind insbesondere folgende Bestimmungen des EUV und des AEUV erfasst:

–      Art. 48 Abs. 6 Unterabsatz 2 EUV, wonach ein – einstimmig zu fassender – Beschluss des Europäischen Rates zur Änderung aller oder eines Teils der Bestimmungen des Dritten Teils des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union „erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft“ tritt.

–      Art. 25 Unterabsatz 2 AEUV, wonach vom Rat einstimmig gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren nach Zustimmung des Europäischen Parlaments erlassene Bestimmungen zur Ergänzung der in Art. 20 Abs. 2 aufgeführten Rechte der Unionsbürger „nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft“ treten.

–      Art. 218 Abs. 8 Unterabsatz 2 AEUV, wonach ein einstimmig gefasster Beschluss des Rates über die Übereinkunft über den Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten in Kraft tritt, „nachdem die Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften zugestimmt haben“.

–      Art. 223 Abs. 1 Unterabsatz 2 AEUV, wonach vom Rat einstimmig gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments erlassene Bestimmungen „nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft“ treten. (Inhaltlich handelt es sich dabei um Bestimmungen für die allgemeine unmittelbare Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments nach einem einheitlichen Verfahren in allen Mitgliedstaaten oder im Einklang mit den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen.)

–      Art. 262 AEUV, wonach vom Rat einstimmig gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren nach Anhörung des Europäischen Parlaments erlassene Bestimmungen „nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft“ treten. (Inhaltlich handelt es sich dabei um Bestimmungen, mit denen dem Gerichtshof der Europäischen Union in dem vom Rat festgelegten Umfang die Zuständigkeit übertragen wird, über Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der Anwendung von auf Grund der Verträge erlassenen Rechtsakten zu entscheiden, mit denen europäische Rechtstitel für das geistige Eigentum geschaffen werden.)

–      Art. 40.2. des Protokolls über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank, wonach ein einstimmig zu fassender Beschluss des Europäischen Rates über eine Änderung des Art. 10.2. des Protokolls „erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft“ tritt.

Im Sinne der Transparenz wird in Art. 23i Abs. 5 festgehalten, dass Beschlüsse des Nationalrates bzw. Bundesrates nach Art. 23i Abs. 1, 2, 3 oder 4, welche Beschlüsse des Europäischen Rates oder Rates genehmigen bzw. ablehnen, im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen sind, sofern dies nicht bereits ohnehin auf Grund anderer Bestimmungen zu erfolgen hätte.

 

Zu Art. 23j:

Der vorgeschlagene Art. 23j enthält die Nachfolgeregelungen zu Art. 23f B‑VG, mit denen die verfassungsrechtliche Grundlage für die österreichische Mitwirkung an der gemeinsamen europäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik an die neuen Bestimmungen nach dem Vertrag von Lissabon angepasst wird. In Abs. 1 werden die Verweise angepasst und eine Angleichung an die gemäß Art. 215 Abs. 1 AEUV möglichen restriktiven Maßnahmen („Wirtschafts- und Finanzbeziehungen“) vorgenommen. Gleichzeitig soll auf die mehrfach in diesem Vertrag verankerten Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen hingewiesen werden. In diesem Zusammenhang wird auch generell an die Erläuterungen zur Regierungsvorlage betreffend den Vertrag von Lissabon (417 d.B. XXIII. GP) erinnert, die unter anderem festhalten:

„Die bereits bestehende breite Palette an Missionen (sog. „Petersbergaufgaben“), die die Union im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) außerhalb der Union im zivilen, militärischen und humanitären Bereich zur Friedenssicherung, Konfliktverhütung und Stärkung der internationalen Sicherheit durchführen kann, wird bestätigt. […]

Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates schulden die anderen Mitgliedstaaten im Einklang mit Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung. Aufgrund seiner verfassungsrechtlich verankerten Neutralität wurde von österreichischer Seite besonderes Augenmerk auf diese Bestimmung gelegt. Letztlich gewährleistet die Formulierung, dass die Hilfeleistungspflicht den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Mitgliedstaaten unberührt lässt, dass die Verpflichtung Österreichs aus dem Bundesverfassungsgesetz über die Neutralität Österreichs, BGBl. Nr. 1955/211, respektiert wird und die österreichische Neutralität auch durch den Vertrag von Lissabon gewahrt bleibt. Österreich wird auch in Zukunft selbst darüber entscheiden können, ob sowie auf welche Weise Unterstützung geleistet wird.“

Mit der Übertragung der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in die Zuständigkeit der Europäischen Union erübrigt sich für diesen Bereich eine Verweisungsbestimmung wie im bisherigen Art. 23f Abs. 2 B‑VG. Im Zusammenhang mit der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik waren von dieser Verweisung schon bisher auch solche Beschlüsse erfasst, die keine Durchführung durch die Erlassung von Bundesgesetzen erfordern und die auch nicht auf die Erlassung eines unmittelbar geltenden oder verbindlichen Rechtsaktes gerichtet sind, der Regelungen enthält, die bundesgesetzlich getroffen werden müssten (siehe etwa Öhlinger, Art. 23f B‑VG, Rz 15). Da es auch nach dem Vertrag von Lissabon solche Beschlüsse gibt, sollen diese weiterhin der parlamentarischen Mitwirkung gemäß Art. 23e (nunmehr vorgeschlagener Abs. 3 und 5) unterliegen.

Die Aufzählung der Beschlüsse, hinsichtlich derer Einvernehmen zwischen dem Bundeskanzler und dem für auswärtige Angelegenheiten zuständigen Bundesminister herzustellen ist, wird an die Aufzählung des Art. 43 Abs. 1 EUV angepasst.

 

Zu Art. 23k:

Mit dem vorgeschlagenen Art. 23k wird die Grundlage für das (Ausschuss-)Verfahren im Nationalrat geschaffen. Durch das Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates kann die Wahrnehmung der Zuständigkeiten nach den genannten Artikeln entsprechend den Erfordernissen der parlamentarischen Praxis geregelt werden. Der Hauptausschuss soll diese Zuständigkeiten aber auch selbst einem eigenen ständigen Unterausschuss übertragen können.

Der Bundesrat soll seine Zuständigkeiten nach den genannten Artikeln in der Geschäftsordnung des Bundesrates ebenso einem Ausschuss übertragen können.

 

Zu Art. 73 Abs. 2:

Terminologische Anpassung bzw. Vereinheitlichung (vgl. bereits Art. 23d Abs. 3 und Art. 142 Abs. 2 lit. c B‑VG).

 

Zu Artikel 2 (Änderung des Bundesverfassungsgesetzes, mit dem besondere Bestimmungen für die Neuermittlung der Verteilung von nach der Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments 2009 zu vergebenden Mandaten durch die Bundeswahlbehörde erlassen werden)

Das Bundesverfassungsgesetz, mit dem besondere Bestimmungen für die Neuermittlung der Verteilung von nach der Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments 2009 zu vergebenden Mandaten durch die Bundeswahlbehörde erlassen werden, BGBl. I Nr. 32/2009, sieht vor, dass die Bundeswahlbehörde, wenn sich nach der Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments 2009 zufolge des Rechts der Europäischen Union die Anzahl der Sitze im Europäischen Parlament erhöht, die zu vergebenden Mandate auf der Grundlage der Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments 2009 unter Zugrundelegung der veränderten Mandatszahl neu zu ermitteln hat.

Infolge des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon wird sich die Zahl der der Republik Österreich zustehenden Sitze im Europäischen Parlament von (derzeit) 17 auf 19 erhöhen. Art. 11 Abs. 3a der Geschäftsordnung des Parlaments sieht vor, dass die betroffenen Mitgliedstaaten bis zum Inkrafttreten dieser Erhöhung im Einklang mit ihrem nationalen Recht Beobachter benennen können. Durch die vorgeschlagene Regelung soll die innerstaatliche Rechtsgrundlage für die Benennung der Beobachter geschaffen werden. Demnach hat die Bundeswahlbehörde unverzüglich jene Bewerber zu ermitteln, denen bei einer Neuermittlung der Mandate die zusätzlich zu vergebenden Mandate zugewiesen würden. Die Ermittlung dieser Bewerber zum Zweck ihrer Benennung als Beobachter lässt die in § 1 dieses Bundesverfassungsgesetzes vorgesehene Neuermittlung der Mandate unberührt.“

 

Bei der Abstimmung wurde der Gesetzentwurf in der Fassung des oben erwähnten Abänderungsantrages der Abgeordneten Dr. Josef Cap, Mag. Wilhelm Molterer und Dr. Alexander Van der Bellen mit Stimmenmehrheit angenommen.

 

Der Antrag 978/A der Abgeordneten Dr. Josef Cap, Karlheinz Kopf, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem zur Durchführung des Vertrags von Lissabon das Bundes-Verfassungsgesetz und das Bundesverfassungsgesetz, mit dem besondere Bestimmungen für die Neuermittlung der Verteilung von nach der Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments 2009 zu vergebenden Mandaten durch die Bundeswahlbehörde erlassen werden, geändert werden (Lissabon-Begleitnovelle) gilt als miterledigt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verfassungsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem angeschlossenen Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Wien, 2010 06 30

                                  Johann Singer                                                              Dr. Peter Wittmann

                                    Berichterstatter                                                                            Obmann