10093/J XXIV. GP
Eingelangt am
07.12.2011
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Gerhard Huber,
Kolleginnen und Kollegen
an Herrn Bundeskanzler Werner Faymann
betreffend die Enteignung der Tiroler Stammliegenschaftsbesitzer
Die Tiroler Landesregierung hat im Sommer 2008 entschieden, geschätzt 18.000 Tirolerinnen und Tiroler, die Anteilsrechte an sogenannten Agrargemeinschaften besitzen, entschädigungslos zu enteignen.
Grundlage dieser Enteignungen ist die Idee, dass auf diese Agrargemeinschaften, an denen diese 18.000 Tirolerinnen und Tiroler beteiligt sind, das Eigentum am Gemeindegut übertragen worden ist und dass dieses Gemeindegut – so der Verfassungsgerichtshof – seine Rechtsnatur nicht geändert hätte. Laut Verfassungsgerichtshof müsse den Ortsgemeinden "Substanzwert" am Eigentum der Agrargemeinschaften zustehen (VfSlg 18.446/2008 ua).
Im Tiroler Oberland, im Wipptal und im Zillertal sowie in Osttirol werden seit 1909 Agrargemeinschaften "reguliert". Rund 100 Jahre lang hat keines der heutigen Mitglieder dieser Agrargemeinschaften oder einer ihrer Rechtsvorgänger jemals etwas vom "Substanzwertanspruch" der Ortsgemeinden gehört oder gesehen. Das Tiroler Unterland ist vom "Substanzwertanspruch" der Ortsgemeinden (noch) nicht betroffen, weil das angebliche Eigentum der Ortsgemeinden schon vor Jahrzehnten und Jahrhunderten in Einzeleigentum aufgeteilt wurde und (derzeit) niemand ernstlich beachsichtigt, "Substanzwert der Ortsgemeinde" gegen Einzeleigentümer geltend zu machen.
Selbst wenn ursprünglich "Substanzwert" der Ortsgemeinden (in Wahrheit ehemaliges "landesfürstliches Obereigentum" und gerade nicht Eigentum der heutigen Ortsgemeinden) in den Agrargemeinschaften stecken sollte, ist das Vertrauen der Tirolerinnen und Tiroler in die staatlichen Agrarbehördenverfahren und in die Parteienübereinkommen, die mit den Ortsgemeinden geschlossen wurden, zu schützen. Das Gemeinschaftseigentum, welches aus rechtsstaatlichen Verfahren seit 1909 hervorgegangen ist, kann nicht weniger schutzwürdig sein, als Einzeleigentum, welches aus der Aufteilung des "Gemeindegutes" im Tiroler Unterland hervorgegangen ist.
In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an den Bundeskanzler der Republik Österreich folgende
Anfrage:
1. Ist Ihnen bekannt, dass sich die Enteignungsmaßnahmen der Tiroler Landesregierung nur gegen die Grundbesitzer im Tiroler Oberland, im Wipptal, im Zillertal und in Osttirol richten, nicht jedoch gegen die Masse der Grundbesitzer im Tiroler Unterland, sodass eine eklatante Ungleichbehandlung der Tirolerinnen und Tiroler anzuprangern ist?
2. Ist Ihnen bekannt, dass diese Enteignungsmaßnahmen, welche zu unzähligen Streitigkeiten in allen betroffenen Tiroler Gemeinden führen, mit einer kleinen Novelle zum Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1951 bereinigt werden können, weil das Verfassungsgerichtshoferkenntnis Slg 18.446/2008 von falschen Prämissen ausgeht, die durch den falschen erstinstanzlichen Agrarbehördenbescheid vom 9.11.2006 in die Welt gesetzt wurden?
3. Ist Ihnen bekannt, warum die Tiroler Landesregierung sich mit aller Kraft dagegen stemmt, dass die entschädigungslose Enteignung der Grundbesitzer im Tiroler Oberland, im Wipptal, im Zillertal und in Osttirol mit dieser Novelle zum Flurverfassungs-Grundsatzgesetz 1951 gestoppt wird?
4. Ist Ihnen bekannt, warum die Tiroler Landesregierung sich mit aller Kraft dagegen stemmt, dass nicht nur die Grundbesitzer im Tiroler Unterland, welche das Gemeindegut vor Jahrzehnten und Jahrhunderten aufgeteilt haben, sondern auch die übrigen Tirolerinnen und Tiroler ihr Eigentum ungeschmälert behalten können?
5. Wären Sie bereit, die entschädigungslose Enteignung der 18.000 betroffenen Tirolerinnen und Tiroler durch eine kleine Novelle zum Flurverfassungs-Grundsatzgesetz zu stoppen, weil das Verfassungsgerichtshoferkenntnis Slg 18.446/2008 von falschen Prämissen ausgeht, die durch den falschen erstinstanzlichen Agrarbehördenbescheid vom 9.11.2006 in die Welt gesetzt wurden? Wenn nein, warum nicht?
6. Ist Ihnen bekannt, dass die Tiroler Landesregierung sich im Glauben befindet, dass die betroffenen Tirolerinnen und Tiroler ihren Grundbesitz vor Jahrzehnten und Jahrhunderten den heutigen Ortsgemeinden gestohlen hätten, sodass die heutigen, entschädigungslosen Enteignungen – sozusagen als "Rückdiebstahl" – moralisch gerechtfertigt wären?
7. Ist die Sichtweise der Tiroler Landesregierung, welche die Privatisierung der historischen Bauernwälder in der Zeit seit 1909 als "Diebstahl" und "Landraub" anprangert, für Sie nachvollziehbar, wenn alle diese Privatisierungen in ordentlichen, rechtsstaatlichen Verfahren durchgeführt wurden, in denen üblicherweise jedes Detail vorab durch Parteienvereinbarung mit den Ortsgemeinden vereinbart war? Wenn ja, warum?
8. Verfügt die Österreichische Bundesregierung über die Möglichkeit, anerkannte Historiker nach Tirol zu vermitteln, welche im Stande wären, die Tiroler Landesregierung über die historischen Eigentumsverhältnisse an den Tiroler Wäldern aufzuklären? Insbesondere darüber aufzuklären, wie das heutige Bundeseigentum an rund 90.000 ha Tiroler Wäldern, wie das Einzeleigentum an Wäldern in Tirol, wie das Waldeigentum der Stifte Wilten und Stams und wie das Eigentum an den Agrargemeinschaftswäldern in Tirol wirklich entstanden ist?
9. Können Sie als Bundeskanzler aller Österreicher hinnehmen, dass 18.000 Österreicherinnen und Österreicher von der Tiroler Landesregierung entschädigungslos enteignet werden, ungeachtet seit Jahrzehnten rechtskräftig abgeschlossener Verfahren? Wenn ja, warum?
10. Wollen Sie Ihre Autorität als Bundeskanzler der Republik Österreich dafür einsetzen, dass die Tiroler Landesregierung die historische Forschung Ernst nimmt, sodass diese Landesregierung die Grundbesitzer von Kematen/Tirol, deren Rechtsvorgänger unter der historisch üblichen Bezeichnung "Gemeinde Kematen" im Jahr 1352(!) als Eigentümer der Kemater Alm anerkannt wurden, auch heute als wahre Eigentümer eben dieser Alm anerkennt?