10098/J XXIV. GP

Eingelangt am 07.12.2011
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Tadler,

und weiterer Abgeordneter

an die Bundesministerin für Finanzen

betreffend Europäischer Stabilitätsmechanismus - ESM

Artikel 125 AEU-Vertrag schließt die Haftung der Europäischen Union sowie deren Mitgliedsstaaten für Verbindlichkeiten durch die No-Bailout-Klausel aus. Als Teil des Vertrags von Maastricht wurde diese Regelung am 7. Februar 1992 als Art. 104b in den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag) aufgenommen. Im Laufe verschiedener Vertragsreformen wurde die Klausel durch den Vertrag von Amsterdam 1999 zunächst in Art. 103 EG-Vertrag und schließlich durch den Vertrag von Lissabon 2009 in Art. 125 AEUV übertragen.

Die Hauptfunktion der Nichtbeistands-Klausel besteht darin, EU-Staaten zu eigenverantwortlicher Haushaltsdisziplin zu bewegen. Sie sollen nicht darauf hoffen können, bei unsolider Haushaltsführung später durch andere EU-Staaten in der Bedienung ihrer Schulden im Notfall unterstützt zu werden. Sie ergänzte damit die im Stabilitäts- und Wachstumspakt festgeschriebenen Verschuldungsgrenzen, die ebenfalls eine potenziell unsolide Haushaltsführung verhindern sollten.

Durch die Finanz- und Wirtschaftskrisen, vor allem durch den volkswirtschaftlichen Einbruch in Griechenland wurde ein Europäischer Stabilisierungsmechanismus eingerichtet, der wechselseitige Kreditgarantien der Euro-Staaten ermöglicht. Die Nichtbeistandsklausel wurde in diesem Zusammenhang so interpretiert, dass sie nur eine automatische Haftung, nicht eine freiwillige Übernahme von Schulden durch andere Staaten (Bailout) ausschließe. Allerdings wurde der Stabilitäts- und Wachstumspakt wiederholt von Mitgliedstaaten verletzt, ohne dass die für diesen Fall vorgesehenen Sanktionen beschlossen wurden.

Griechenland drohte ein Staatsbankrott, der auch für viele weitere Länder der EU finanzielle Nachteile beinhalten würde. Trotz der Nichtbeistandsklausel beschlossen die Staats- und Regierungschefs die Anwendung von Art. 122 Abs. 2 AEU-Vertrag, dem zufolge der Rat auf Vorschlag der Europäischen Kommission beschließen kann, einem Mitgliedstaat, der „aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht ist, [...] unter bestimmten Bedingungen einen finanziellen Beistand der Union zu gewähren.“


Die Entscheidung, ob die Ausnahmeregelung nach Art. 122 anwendbar ist, hängt im Wesentlichen davon ab, worin man die Gründe für die Krise in Griechenland sieht. Befürworter eines Rettungspakets argumentieren, dass das Vorgehen auf den Finanzmärkten die Situation Griechenlands erheblich geschwächt habe. Durch Spekulationen am Markt verschlechterten sich die Kreditkonditionen für das bereits bonitätsschwache Land noch mehr. Diese Entwicklungen entsprächen dem im Artikel formulierten Tatbestand. Gegner des Rettungspakets hingegen sehen die Gründe der Krise bei Griechenlands fehlerhafter Wirtschafts- und Finanzpolitik. Diese Ursachen entzögen sich jedoch nicht der Kontrolle des verschuldeten Landes, sodass die Nichtbeistands-Klausel anzuwenden sei.

Die EU-Mitgliedstaaten und der Internationale Währungsfonds entschieden sich dazu, Griechenland finanziellen Beistand anzubieten. Rechtlich stützen sich die Maßnahme der EU- Mitgliedstaaten darauf, dass die Nicht-Beistands-Klausel nur automatische, aber nicht freiwillige Haftung ausschließe.

Um dieses vertragsrechtliche Problem zu lösen, wurde für den dauerhaften Stabilitätsmechanismus, der ab 2013 in Kraft treten soll, eine Änderung des AEU-Vertrags vereinbart. Dabei soll zwar die Nichtbeistandsklausel unangetastet bleiben, aber Art. 136 AEU-Vertrag um einen Absatz erweitert werden, der ausdrücklich die Einrichtung eines dauerhaften Stabilitätsmechanismus durch die Staaten der Eurozone ermöglicht. Dieser soll aktiviert werden können, um „im Notfall die Stabilität der Eurozone als Ganzes zu sichern“; Finanzhilfen im Rahmen des dauerhaften Stabilitätsmechanismus sollen „strikten Bedingungen unterworfen“ sein.

Daher richten die unterzeichneten Abgeordneten an die Bundesministerin für Finanzen nachstehende

Anfrage:

1.  Wie sehen Sie die geplante Umsetzung des ESM-Vertrages im österreichischen Recht im Hinblick auf eine Volksabstimmung wobei Kanzler Faymann, der bekanntlich vor der letzten Wahl das Versprechen abgegeben hat, sämtliche grundlegende Änderungen des EU-Rechtes in Österreich einer Volksabstimmung zu unterziehen?

2.                  Handelt es sich bei dem Europäischen Stabilitätsmechanismus Ihrer Meinung nach um eine grundlegende Änderung des EU-Rechts?

3.                  Wein nein, warum nicht? (Bitte um genaue Definition und Ausformulierung warum dies keine grundlegende Änderung darstellt)

4.                  Wie Definieren Sie die No-Bailout-Klausel in Artikel 125 AEU-Vertrag im Zusammenhang mit EFSF und ESM.

5.                  Gemäß Artikel 5 ESM-Vertrag ernennt jedes ESM-Mitglied ein Mitglied des Gouverneursrates. Welche Mitglieder des Gouverneursrates hat die Österreichische Bundesregierung diesbezüglich namhaft gemacht? (Bitte um Auflistung der von der Bundesregierung ernannten Mitglieder bzw. deren Mitarbeiterstab)

6.                  Gemäß Artikel 8 ESM-Vertrag verpflichten sich die ESM - Mitglieder bedingungslos und unwiderruflich ihre Einlage auf das Stammkapital zu leisten; können sie garantieren, dass ein Ausstieg aus dem ESM-Vertrag zukünftiger österreichischer Regierungen möglich ist, oder sind daran zukünftige österreichische Regierungen gebunden?

7.                  Das genehmigte Stammkapital des ESM beträgt 700 Mrd. Euro. Können Sie ausschließen, dass dieses Stammkapital erhöht wird?

8.                  Laut ESM-Vertrag wird das Stammkapital in eingezahlte Anteile und abrufbare Anteile unterteilt. Wie hoch belaufen sich die einzuzahlenden Anteile und abrufbare Anteile Österreichs an diesem ESM-Vertrag?

9.                  Sind Ihres Wissens Sanktionsmechanismen bei nicht fristgerechtem nachkommen des Kapitalabrufes vorgesehen?

10.           Auf welchen Zeitraum erstreckt sich diese Frist?

11.           Die ESM-Mitglieder verpflichten sich unwiderruflich und uneingeschränkt, ihren Beitrag zum genehmigten Stammkapital zu leisten. Wie definieren und interpretieren Sie dabei den Vertragstext im Hinblick auf "unwiderruflich und uneingeschränkt"?

12.           Der Gouverneursrat kann beschließen, das genehmigte Stammkapital zu verändern (Artikel 10 ESM-Vertrag). Das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass beliebige Nachforderungen am Stammkapital seitens des ESM gefordert werden können. Können Sie diesen Umstand ausschließen? (Wäre eine solche Nachforderung Ihrer Meinung nach zulässig, ohne dass sich der nationale Gesetzgeber damit befasst?)

13.           Artikel 17 ESM-Vertrag sieht vor, dass der ESM Anleihen an den Kapitalmärkten aufnehmen kann. Diesbezüglich setzt der ESM geeignete Mittel des Risikomanagements, welche "regelmäßig" vom Direktorium überprüft werden. Wie sieht ein solches Risikomanagement aus – hat die österreichische Bundesregierung diesbezüglich ein Überprüfungsinstitut?

14.           Verluste des ESM sind nach dem ESM-Vertrag zu begleichen. Ist diesbezüglich eine Überprüfung durch nationale Regierungen geplant? Wenn nein, warum nicht?

15.           Der ESM und dessen Mitglieder besitzen gemäß Artikel 27 ff ESM eine uneingeschränkte Rechts- und Geschäftsfähigkeit, Immunität von gerichtlichen Verfahren hinsichtlich ihrer in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen und Unverletzlichkeit hinsichtlich ihrer amtlichen Schriftstücke und Unterlagen. Wie sehen Sie diesen Umstand im Hinblick auf die politische Verantwortung in der österreichischen Bundesverfassung von Regierungsmitgliedern?

16.           Kann der ESM und deren Mitglieder Ihrer Meinung nach, für Verfehlungen geklagt oder von nationalen Parlamenten zur Verantwortung gezogen werden?

17.           Sind amtliche Schriftstücke und Unterlagen des ESM öffentlich zugänglich oder/und durch nationale Parlamente überprüfbar? Wenn nein, warum nicht?

18.           Weder der Gouverneursrat noch das zu installierende Direktorium werden nach den Regeln einer Wahl gewählt, obwohl Unmengen an Steuergeldern dafür locker gemacht werden! Wie sehen Sie diesen Umstand im Hinblick auf die Demokratie und Rechtssicherheit?