10178/J XXIV. GP

Eingelangt am 20.12.2011
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Anfrage

 

des Abgeordneten Kurt Grünewald, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Gesundheit

betreffend Burnout Belastung von ÄrztInnen

BEGRÜNDUNG

 

Mehr als die Hälfte der ÄrztInnen[1] in Österreich sind aktuell Burnout gefährdet- erschreckende 54 Prozent der Befragten befinden sich bereits in unterschiedlichen Phasen des Burnouts. Deutliche bis schwere Symptome haben rund 30 Prozent. Dies hat eine kürzlich veröffentlichte Studie im Auftrag der Ärztekammer (ÖÄK) ergeben, an der sich österreichweit insgesamt 6.249 ÄrztInnen beteiligten.

Nachtdienste und Notarzttätigkeit belasten zusätzlich zum bereits oft aufreibenden Arbeitsalltag und verschärfen das Burnout Risiko. So gibt es auf Chirurgischen Abteilungen bis zu neun Nachtdienste im Monat. Es gibt ÄrztInnen, die auf 15 Nachtdienste im Monat kommen, dazu kommen teilweise noch Notarztdienste. Während es früher in Nachtdiensten auch Ruhephasen gab, so sind solche Dienste heute vielfach Volldienste[2]. Eine Entlastung speziell für die SpitalsärztInnen, die auch mehr Qualität für die PatientInnen bringt, wäre dringend notwendig.

Bereits im Mai 2011 veröffentlichten die Betriebsräte der Medizinischen Universitäten Wien, Innsbruck und Graz gemeinsam folgenden Brief[3]:

„Mit 60 Stunden pro Woche im Halbjahresschnitt arbeitet keine Berufsgruppe so viel wie SpitalsärztInnen. Im Zuge des wirtschaftlichen Drucks kürzen nun einzelne Krankenanstalten, allen voran die Medizinischen Universitäten Wien und Graz, die Anzahl der anwesenden ÄrztInnen im Nachtdienst. In den letzten Jahren ist es durch ein Versorgungsdefizit im Bereich der niedergelassenen ÄrztInnen an Wochenenden oder in Nachtzeiten zu einem massiven Ansturm auf die Notfallambulanzen der Universitätskliniken gekommen. Die massive Zunahme der Arbeitsbelastung im Nachtdienst wird durch die neue Burnout–Studie der österreichischen Ärztekammer bestätigt. Die geplante Einschränkung der Zahl der im Nachtdienst anwesenden ÄrztInnen führt dazu, dass Arbeitsbereitschaftsdienste zu Nachtschichtarbeiten werden,   was   zu  unzumutbaren   Arbeitsbedingungen   führt. Diese  Umwandlung von Journaldiensten mit Ruhezeiten zu durchgehenden Schichtdiensten wird von  den Krankenanstalten ohne Rücksicht auf das ärztliche Personal und die PatientInnen gebilligt. Das nächtliche Durcharbeiten ist gesundheitsgefährdend, wie eine Studie der Medizinischen Universität Innsbruck ergeben hat.  Da Belastungen durch 25 Stunden-Schichtdienst auch für PatientInnen mit Risiken verbunden sind, empfehlen wir dringend von radikalen Sparmaßnahmen Abstand zu nehmen.“

Die damals begonnene Debatte um Kürzungen der Nachtdienste[4] am AKH zeigt die Problematik: Die ÄrztInnen stellt die Medizinische Universität (Med Uni), also der Bund, das Pflegepersonal und der laufende Betrieb wird von der Stadt Wien finanziert. Das Budget des Wissenschaftsministerium für die Med Uni ist eingefroren, Rektor Schütz hatte daher in einem Brief an die KlinikleiterInnen des AKH angekündigt, die derzeit 172 Nachtdiensträder müssten aufgrund der angespannten finanziellen Situation „deutlich reduziert“ werden. Das sei insbesondere in der Notfallaufnahme, der Chirurgie und Anästhesie, in der Kinderklinik, aber auch in der Unfallchirurgie "schlichtweg unmöglich", ließ ÄrztInnenvertreter Thomas Szekeres ausrichten. In diesen Abteilungen herrschten jetzt bereits prekäre Zustände. Ursprünglich gab es im AKH 230 Diensträder, in den vergangenen Jahren wurden die Nachtdienste auf 172 gesenkt. Auch für den ärztlichen Leiter des AKH, Reinhard Krepler, ist eine Reduktion der Dienste ausgeschlossen, ohne schwerwiegende Auswirkungen für die PatientInnen.

Im November 2011 kommt die neue Horrormeldung für das AKH: 180 der derzeit rund 1.500 Dienststellen sollen gestrichen bzw. nicht nachbesetzt[5] werden. 24 Nachtdiensträder werden eingespart. 2011 ist demnach ein Minus von 9 Mio. Euro zu erwarten, wobei sich der Abgang 2012 auf 18 Mio. Euro verdoppeln werde, hieß es. Ab 2013 droht nach Angaben der Ärzte ein jährliches Budgetloch von 30 Mio. Euro. Der „Kollaps“ des AKH sei damit vorprogrammiert. Die Forderung nach einer Abgeltung des finanziellen Aufwandes richtet sich vor allem an Wissenschaftsminister Töchterle. Im BMWF wird jedoch betont: "Durch die Leistungsvereinbarung und das Globalbudget ist die Finanzierung der Medizinischen Universität bis Ende 2012 gesichert. Unter anderem enthält es zusätzliche 15 Mio. Euro speziell für zusätzliche Ärztestellen". Über die Höhe des Universitätsbudgets ab 2013 sei der Minister "in guten Verhandlungen" für eine Hochschul-Milliarde und damit auch für zusätzliche Mittel für die Med-Uni.

Wir hoffen, dass er Recht behält.

 

Szekeres warnt aber auch davor, dass die Anzahl der medizinischen Eingriffe zurückgefahren werden müsse: "Wir rechnen mit einer Reduktion der OP-Kapazitäten um 30 Prozent[6]." Dies würde auch die "entsprechende Verlängerung" der Wartezeiten zur Folge haben. "Auch die Notfallaufnahme wird nur mehr eingeschränkt funktionsfähig sein", so die Befürchtung.

Laut APA Meldung[7] vom 12.12. 2011 sind zwei der wichtigsten Player in diesem Fall, BM Töchterle und die Wiener Gesundheitsstadträtin Wehsely, zu einem Gespräch zusammengetroffen. Es sei die Hoffnung, dass „eine Lösung des Finanzstreits mit der Medizin-Universität verkündet werde“, sagte Wehsely am Rande einer Pressekonferenz. Dass es auch Vereinbarungen zur künftigen Betriebsstruktur des Spitals geben wird, erscheint hingegen ausgeschlossen.

 

 Aber auch im niedergelassenen Bereich ist Burnout ein Thema. Speziell die Arbeit als ÄrztIn und UnternehmerIn sind eine besondere Belastung, Journaldienste und Rufbereitschaft erweisen sich als Risikofaktoren, überbordende Bürokratie und Dokumentation sind weitere Mitverursacher von Stress und Burnout.

Der Verlust des PatientInnenkontakts gilt als eine der Hauptquelle von Fehldiagnosen. Mit verantwortlich sind Stress und Zeitmangel, manche ÄrztInnen sind massiv überfordert. Ein 15-jähriger Vorarlberger verlor kürzlich infolge eines medizinischen Behandlungsfehlers[8] seinen linken Unterschenkel. Durchblutungsstörungen wurden zu spät erkannt, um das Bein zu retten. Nach einer Sachverhaltsdarstellung durch die Vorarlberger Krankenhausbetriebsgesellschaft ermittelt die Staatsanwaltschaft, der betroffene Mediziner hat Selbstanzeige erstattet. Zwei medizinische Ereignisse beunruhigten Anfang 2011 in Kärnten[9]: Der Tod einer Schülerin auf einer Intensivstation und ein im Krankenhaus übersehener Halswirbelbruch, der glücklicherweise später entdeckt wurde. "70 Prozent der Vorwürfe über Fehler und Falschbehandlungen werden durch Kommunikationsfehler zwischen PatientInnen und Ärzten ausgelöst", so der Kärntner Patientenanwalt Erwin Kalbhenn in derselben Zeitungsmeldung.

Das deutsche Magazin "Der Spiegel" liefert weiters Hinweise, dass immer mehr Medizingeräte und SpezialistInnen bei immer weniger Zeit für PatientInnen die Gefahr von Fehldiagnosen erheblich verstärken[10]: Wenn die PatientIn wirklich angehört wird (Anamnese), sind 9 von 10 Diagnosen korrekt. Fünf Prozent der routinemäßigen Autopsien offenbaren, dass dem Tod eine Fehldiagnose vorausgegangen ist. Über die Zahlen von Todesfällen nach Pannen bei der Diagnose gibt es nur Schätzungen.

Im Buch Verschlusssache Medizin[11], welches 2009 für große Aufregung sorgte, wurde die Qualitätssicherung in Spitälern massiv kritisiert. Speziell die Arbeitsrealität von SpitalsärztInnen,  wie etwa die üblichen Wochenarbeitszeiten von bis zu 72 und mehr Stunden, würde zu erheblichen Gesundheitsbelastungen und zu deutlich erhöhten Risiken für PatientInnen führen.

Die Arbeitszeit von Spitalsärzten soll nun endlich deutlich reduziert werden[12]. Das sieht eine Novelle zum Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz (KA-AZG) vor, über die das für Arbeitszeiten zuständige Sozialministerium mit den Ländern als größte Spitalserhalter verhandelt. Die letzte KA-AZG Novelle 2010 und ist mit 1. November 2010 in Kraft getreten. Darin wurde unter anderem eine Flexibilisierung der wöchentlichen Ruhezeit auf betrieblicher Ebene ermöglicht und geregelt[13].

 

Das große Problem ist allerdings nach wie vor, dass gegen das KA-AZG, obwohl seit fast 15 Jahren in Kraft, immer noch verstoßen wird[14]. So gesehen wäre endlich für die lückenlose Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes zu sorgen. Notfalls müssen die Strafen bei Verstößen drastisch erhöht werden. In letzter Konsequenz könnte ignoranten Krankenanstalten die Ausbildungsberechtigung entzogen werden.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

  1. Wie hoch ist die Anzahl, auch als Prozentsatz, von Fehldiagnosen an österreichischen Spitälern? Falls noch keine konkreten Zahlen vorhanden sind, bis wann werden diese Zahlen erhoben werden? Wie hoch sind die Schätzungen? Bitte um Aufschlüsselung nach Spitälern und Bundesland.

 

  1. Wie hoch ist die Anzahl von Fehldiagnosen, die durch Autopsien bekannt werden? Bitte um Aufschlüsselung nach Spitälern und Bundesland.

 

  1. Wie viele Todesfälle nach Fehldiagnosen gibt es in Österreich gesamt? Schätzungen für die USA gehen von 80.000 Menschen aus, die nach „Diagnosepannen“ versterben. Falls keine Zahlen bekannt sind: Warum nicht? Bis wann werden Sie diese Zahlen erheben lassen? Wie hoch sind die Schätzungen? Bitte um Aufschlüsselung nach Spitälern und Bundesland.

 

  1. Wie hoch sind die – bekannten oder geschätzten - Folgekosten für Mehrfachbehandlungen aufgrund von Fehldiagnosen? Bitte um Aufschlüsselung nach Bundesland und Jahr (ab 2005).

 

  1. Wie viele Kunstfehlerprozesse werden jährlich aufgrund von Fehldiagnosen abgewickelt? Bitte um Aufzählung sowie Aufschlüsselung nach Bundesland und Jahr (ab 2005).

 

  1. Wie viele Beschwerden aufgrund von Fehldiagnosen werden österreichweit von der PatientInnenanwaltschaft bearbeitet? Bitte auch Aufschlüsselung nach Bundesland und Jahr (ab 2005).

 

  1. Wie lange dauert ein durchschnittlicher ÄrztInnen-/PatientInnenkontakt in Österreich? Bitte um Trennung von niedergelassenem und Spitalsbereich.

 

  1. Sehen Sie durch die E-Health Strategie das Problem eines weiteren Verlustes des PatientInnenkontakts, wenn die „Technik wichtiger als der Mensch“ wird? Kann dies eine zusätzliche Quelle von Fehldiagnosen sein?

 

  1. Burnout ist ein wichtiges und immer größer werdendes Problem auch in der ÄrztInnenschaft. Welche Maßnahmen zur Burnout-Prävention haben Sie bereits gesetzt? Welche Maßnahmen werden Sie künftig setzen, wann wird die Umsetzung derselben evaluiert werden?

 

  1. Wie hoch sind die Kosten, die aufgrund von Fehlzeiten (Krankenstand, Überstunden) von ÄrztInnen an Spitälern entstehen? Bitte um Aufschlüsselung nach Bundesland.

 

  1. Werden Sie Gespräche mit dem Wissenschaftsminister suchen, um Ihm die Problematik näher zu bringen?

 



[1] http://www.aerztekammer.at/presseaussendungen/-/asset_publisher/gR8t/content/id/73573

[2] APA0295 5 CI 0483 Do, 14.Apr 2011 Studie: Die Hälfte der Ärzte Burn-out-belastet

[3] http://ug02.wordpress.com/  MedUni-Betriebsräte: Journaldienstkürzungen an Uni-Klinike gefährden PatientInnen. Veröffentlicht am

 

[4] http://derstandard.at/1304551412911/Wien-AKH-Stadt-will-nicht-fuer-Bund-einspringen

 

[5] APA0235 5 II 0238 CI Mo, 14.Nov 2011. Wiener AKH: Ärzte warnen vor "Kollaps". Utl.: Stellen- und Dienstreduktionen durch Einsparungen im Uni-Budget befürchtet

 

[6] APA0324 5 II 0512 CI F. APA0235/14.11Mo, 14.Nov 2011. Wiener AKH: Ärzte 2 - Um 30 Prozent weniger Operationen möglich. Utl.: Protestmaßnahmen geplant - Töchterle: Gesicherte Finanzierung bis Ende 2012.

 

[7] APA0227 5 II 0308 CI Mo, 12.Dez 2011

Wiener AKH: Stadt und Bund treffen sich zu Gespräch

 

[8] APA0303 5 CI 0408 Di, 10.Mai 2011: 15-Jähriger verlor wegen Behandlungsfehlers Unterschenkel

[9] http://www.kleinezeitung.at/kaernten/sanktveit/sankt_veit_an_der_glan/2674663/medizin-dem-diagnose-pruefstand.story

[10] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-76862475.html

[11] Kurt Langbein: Verschlusssache Medizin - Wie sie uns krank macht, wer davon profitiert und wie Sie das System überleben. 2009, Ecowin Verlag. ISBN-10: 3902404736 ISBN-13: 9783902404732

 

[12] APA0241 5 II 0307 CI/WI Mo, 08.Aug 2011. Arbeitszeit von Spitalsärzten soll reduziert werden

Utl.: Einzelne Dienste nur noch 25 statt 32 Stunden - Sozialministerium will neues Gesetz noch heuer beschließen - Gespräche mit Ländern - Pühringer aus Kostengrüngen dagegen.

 

[13] Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2010. Kommentar - Dr. Lukas Stärker, stellvertretender Kammeramtsdirektor der Österreichischen Ärztekammer.

[14] OTS0100 5 II 0224 FMB0002  Di, 09.Aug 2011. Grünewald begrüßt Ärztekammer-Vorschlag: Reduktion längst überfällig Utl.: PatientInnen dürfen nicht weiter von übermüdeten Ärzten gefährdet werden.