10529/J XXIV. GP

Eingelangt am 03.02.2012
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Anfrage

 

der Abgeordneten Kurt Grünewald, Tanja Windbüchler-Souschill, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Gesundheit

betreffend Kinderhospiz- und Palliativversorgung

BEGRÜNDUNG

 

Hospiz- und Palliativversorgung hat die Verbesserung der Lebensqualität von unheilbar kranken und sterbenden PatientInnen sowie ihrer Angehörigen zum Ziel. Ein Sterben in Würde, mit kompetenter und umfassend interdisziplinärer Betreuung und Begleitung, muss für alle, die es brauchen, flächendeckend verfügbar sein. Dazu bekennt sich auch die österreichische Bundesregierung im aktuellen Regierungsprogramm[1]. Bereits 2004 hatten sich alle Parteien darauf geeinigt, bis 2012 eine flächendeckende, bedarfsgerechte und einheitliche Versorgung sicherzustellen, doch die Umsetzung hinkt beschämend stark hinterher.

Glücklicherweise konnte in den letzten Jahren die Lebensqualität für zahlreiche sterbende Menschen erheblich verbessert werden. Aber: Nicht nur ältere oder alte Menschen sterben. Auch Kinder und Jugendliche, die von lebensverkürzenden unheilbaren Erkrankungen betroffen sind, sowie deren Familien, müssen rechtlichen Anspruch auf eine adäquate pädiatrisch-spezialisierte und den Bedürfnissen dieser Altersgruppe gerecht werdende Palliativversorgung und Sterbebegleitung haben. Kinder werden aber in den Versorgungsplänen nach wie vor nicht wirklich abgebildet. Dies zeigt u.a. die folgende Grafik, die aus dem Bericht „Hospiz-und Palliativversorgung/Begleitung 2009“ entnommen wurde.

Wir wissen: Schwerstkranke Kinder und Jugendliche sind in Österreich nicht ausreichend versorgt. Ihre Familien stoßen oft an der Grenze der psychischen, physischen und finanziellen Belastung. Es braucht daher stationäre, mobile und teilstationäre Einrichtungen, in denen bestausgebildete Menschen arbeiten, um Leid und Schmerzen zu verringern.

Was unterscheidet Kinderhospiz- und Palliativarbeit von der mit erwachsenen Menschen?

„Erwachsenenhospize“ stehen ihren Gästen explizit nur für die finale Lebensphase offen. Kinderhospizarbeit  ist und muss „mehr“ sein, ein unterstützendes Angebot für die gesamte Familie, das sich vom Zeitpunkt der Diagnose oft über viele Jahre bis zum Tod des Kindes und darüber hinaus erstrecken muss. Aus der speziellen Situation ergeben sich eigene Bedarfsstrukturen, die sich nicht einfach mit einem auf die letzte Lebensphase von Erwachsenen zielenden Angebot decken. Die jungen PatientInnen, die „austherapiert“ aus dem Krankenhaus entlassen werden, haben Eltern und Geschwister. Vom Zeitpunkt der Diagnose der lebensbegrenzenden Erkrankung an können in manchen Fällen  Jahre vergehen. Die Familien, in erster Linie die Mütter, haben oft weder Frei- noch Erholungsräume. Durch die tödlich verlaufende Erkrankung ergibt sich eine permanente Belastung des Familiengefüges. Hilfe im Umgang mit dieser Situation muss geboten werden, da die Pflege und Betreuung vorwiegend im häuslichen Bereich erfolgt. Auch speziell nach dem Tod des jungen Familienmitglieds ist dringend Unterstützung für die trauernden Angehörigen vonnöten. Univ. Prof. Dr. Boris Zernikow, Inhaber des weltweit einzigen Lehrstuhls für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativmedizin in Deutschland, machte kürzlich auf  Untersuchungen[2] über die weitreichenden Folgen aufmerksam, wonach 60% der Geschwister nicht ausreichend betreut werden, den Tod des Geschwisters nicht gut verarbeiten können.


 

Es darf nicht sein, dass die Familien zusätzlich zur psychischen Belastung in finanzielle Notsituationen, bis hin zur Armut, kommen, auch, weil der Rechtsanspruch auf Familienhospizkarenzen nicht gegeben ist. Es darf auch nicht sein, dass betroffene Familien ausschließlich auf Spenden und ehrenamtlich tätige Menschen, die es zum Glück gibt und die oft in Vereinen organisiert sind, angewiesen sind.

Beispielhaft und wenig überraschend wurde in zwei parlamentarischen Gesundheitsausschüssen (November 2010, März 2011) unsere  Anträge betreffend Schaffung eines Rechtsanspruchs auf Betreuung durch Hospiz- und Palliativeinrichtungen, 1303/A(E) sowie Aufbau und Finanzierung von Hospiz-/ Palliativbetreuung für Kinder und Jugendliche, 1301/A(E), von der Regierung mit der Begründung vertagt, dass Österreich, was Sterbebegleitung und Palliativmedizin betrifft, der internationalen Entwicklung zwar lange hinterher gehinkt sei, die Situation sich mittlerweile aber gebessert habe, die Versorgungsdichte eben „regional sehr unterschiedlich“ sei[3]. Es folgte auch ein Hinweis auf den Kindergesundheitsdialog, der seit seinem Start im Frühjahr 2010 immer wieder „vorgeschoben“ wird, um nicht aktiv werden zu müssen.

Ein Auszug von der Homepage des BMG dazu:

In Österreich leben 1,7 Millionen Menschen unter 19 Jahren. Diese Kinder und Jugendlichen haben keine Lobby, wir müssen Verantwortung für sie mitübernehmen. Es ist Aufgabe der Politik, die Versorgungsqualität für Kinder zu optimieren, Defizite in der Kindergesundheit aufzuzeigen und Lösungen dafür zu finden", so Gesundheitsminister Alois Stöger am Mittwoch (28.04.2010) beim Start des "Kindergesundheitsdialogs", dessen Ziel es ist, gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Praxis und Politik bis Sommer des nächsten Jahres eine Strategie zur nachhaltigen Verbesserung der Gesundheit aller Kinder in Österreich zu entwickeln. Kindergesundheit hängt in hohem Maße von der Beziehung zu den Eltern und von sozialen Faktoren ab[4].

Die Kindergesundheitsstrategie, die aus dem Dialog heraus entstanden ist, wurde Ende September 2011 präsentiert. Sie enthält viele gute Ansätze und Vorschläge, auch Maßnahmen und Ziele sind formuliert, etwa Ziel 19:

Daran ist erkenntlich, dass sich die Verantwortlichen durchaus der Problematik bewusst sind.

Wie in vielen anderen Bereichen kann auch hier Deutschland als Vergleich dienen. 1998 wurde das erste deutsche stationäre Kinderhospiz errichtet, der erste deutsche ambulante Kinderhospizdienst wurde eröffnet. Vorbild war hier, wie auch bei der Hospizbewegung allgemein, Großbritannien, wo das weltweit erste Kinderhospiz in Oxford bereits 1982 eröffnet wurde.

In Deutschland gibt es zwischenzeitlich einige Kinderhospize und sogar ein Kindertageshospiz[5]. Dieses steht Kindern und ihren Familien 365 Tage im Jahr zur Verfügung. Hier eine Übersicht über die spezialisierten Einrichtungen in Deutschland[6]:

 

Der „Bundesverband Kinderhospiz[7]“ schätzt, dass in Anlehnung an in Großbritannien erfasste Daten in Deutschland etwa 22.500 Kinder und Jugendliche betroffen sind, jährlich etwa 5.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene an einer lebensbegrenzenden Erkrankung sterben. Umgerechnet auf Österreich wären das etwa 500 Kinder im Jahr.

Ambulante Kinderhospizarbeit bietet den betroffenen Familien in erster Linie Unterstützung durch ehrenamtliche HelferInnen, die systematisch geschult und supervisorisch begleitet werden. Die Aufgaben, die hier geleistet werden, sind u.a.: Zeit mit dem erkrankten Kind bzw. den Geschwistern verbringen, GesprächspartnerIn für die Familie sein, alltagspraktische Tätigkeiten übernehmen, Freiraum etwa für die Eltern schaffen, u.v.m. Darüber hinaus wird professionelle Hintergrundberatung nach Bedarf angeboten.

In stationären Hospizen werden die erkrankten Kinder mit Ihren Angehörigen aufgenommen, und von multiprofessionellen Teams, bestehend u.a. aus pädagogisch geschulten MitarbeiterInnen, Familien- und TrauerbegleiterInnen und Ehrenamtlichen, unterstützt. Die Einrichtungen stehen jederzeit mit KinderärztInnen, Kinderkliniken, Schmerz- und anderen TherapeutInnen, SeelsorgerInnen  in Kontakt.

In Österreich ist die Pflege und Betreuung eines sterbenden Kindes außerhalb von Krankenanstalten Privatsache und somit auch privat zu zahlen. Streng genommen gibt es kein eigens definiertes Palliativbett für Menschen unter 18 Jahren. Die Mitbetreuung an Einrichtungen für Erwachsene ist aber nicht an die speziellen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen bzw. deren Familien angepasst. Es gibt derzeit nur Teilangebote, etwa für onkologisch erkrankte Kinder oder für Schmerztherapie. Problematisch ist auch, dass die Rechtssicherheit für medizinische HelferInnen nicht eindeutig gegeben ist. Die Finanzierung der notwendigen Leistungen muss langfristig im Regelgesundheitssystem verankert werden, um die Armutsgefährdung betroffener Familien möglichst zu verhindern. Auch ist ein Rechtsanspruch auf Familienhospizkarenz unbedingt notwendig.

Österreichweit gibt es derzeit ein einziges stationäres Kinderhospiz[8], für € 3.000 pro Woche und Familie werden Unterkunft, Verpflegung und die gesamte therapeutisch-pädagogische Begleitung geboten. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für den Aufenthalt grundsätzlich nicht. Ein Tageshospiz, welches ermöglicht, dass schwerkranke Menschen solange wie möglich in ihrer häuslichen Umgebung bleiben können, ist nicht verfügbar.

Gäbe es nicht Vereine wie z.B. Kinderhospiz Netz[9] oder den MOKI-Kärnten[10], die medizinische Pflege und kompetente Betreuung von schwerstkranken Kindern und Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr zu Hause in gewohnter Umgebung ermöglichen, wäre die Situation noch trister. Leider scheiterte bisher die Errichtung eines weiteren Kinderhospizes am Geld[11].

Erfreulicherweise ist der Dachverband Hospiz Österreich auch im Bereich Kinder und Jugendliche aktiv. So gab es Ende November 2011 das dritte österreichweite Vernetzungstreffen für Kinderhospizarbeit und Pädiatrische Palliative Care. Die ersten beiden Treffen wurden vom Verein Kinderhospiz Netz organisiert. Über 40 TeilnehmerInnen waren der Einladung des Dachverbands gefolgt. Ein weiteres Vernetzungstreffen im Frühjahr 2012 ist geplant, um die Art der weiteren Zusammenarbeit genau zu bestimmen[12].

Es gäbe viel zu tun, dazu sind zuerst Erhebungen notwendig, um den bundesweiten Bedarf feststellen zu können.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Warum gibt es noch keine Bedarfserhebung in Österreich?

2)    Laut der Info auf der Homepage des Dachverbands Hospiz (Veranstaltung  zum Internationalen Hospiz- und Palliative Care Tag 2011 am 8. Oktober 2011) müsse im Bereich der Kinder und Jugendlichen der Bedarf noch erhoben, Standards definiert und  ein Konzept und Empfehlungen erarbeitet werden. Im Kindergesundheitsdialog war der Bereich Kinderhospizarbeit ebenfalls Thema. Wann ist mit der Bedarfsstudie zu Palliativpflege und Hospizarbeit für Kinder und Jugendliche für Österreich zur rechnen? Wann ist mit einem Konzept zu rechnen?

3)    Kennen Sie die Standards, die in der Studie "Standards der pädiatrischen Palliativversorgung in Europa" im Jahr 2007 von der Task Force Paediatric Palliative Care of European Association for Palliative Care als IMPaCCT-Statement veröffentlicht wurden?

4)    Wann wird es an regionale Gegebenheiten und Besonderheiten angepasste Standards, angelehnt an die eben genannte Studie, von den AutorInnen als „minimale Standards“ bezeichnet, in Österreich geben?

5)    Der Kindergesundheitsdialog ist abgeschlossen,  die Kindergesundheitsstrategie wurde veröffentlicht. Wie ist der Stand der Umsetzung der Empfehlungen diesbezüglich? Wird sich in absehbarer Zeit etwas ändern? Wann werden die Betroffenen merken, dass sich hier Verbesserungen eingestellt haben?

6)    Wie hoch ist die Anzahl der betroffenen Kinder und Jugendlichen, die ohne Unfälle, Suizid, Gewalt, vor dem 18. Lebensjahr versterben? Bitte um Zahlen für die Jahre 2007 – 2011, aufgeschlüsselt nach Lebensjahren (unter 1 Jahr, 1-9, 10-18 Jahre).

7)    Was waren die Todesursachen der lebenslimitierenden Erkrankungen der unter Punkt 1) aufgelisteten Personen nach Erkrankungsgruppen (Stoffwechsel- oder Krebserkrankung, andere seltene Erkrankungen, Geburtstrauma, etc.)?

8)    Wie hoch ist die durchschnittliche Lebenserwartung zwischen Diagnose und Tod (je nach genannter Todesart). Wann (wie lange vor dem Tod) wurde die kurative Therapie bei den unter Punkt 1) und 2) genannten Verstorbenen eingestellt?

9)    Im Endausbau der abgestuften Hospiz und Palliativversorgung sind ca. 400 Betten geplant. Wurden hier Kinder und Jugendliche berücksichtigt? Wenn Ja, mit wie vielen Plätzen? Wo sind diese Plätze (Aufschlüsselung nach Bundesland)?

10)  Wie viele spezialisierte Angebote für Kinder und Jugendliche gibt es bundesweit? Wie viele davon sind mobil? Bitte um Auflistung nach Bundesland.

11)  Wie viele stationäre und mobile Einrichtungen für Kinder bräuchte es, um den Bedarf zu decken, an wie viele Stellen könnte angedockt werden?

12)  Wann ist mit einer flächendeckenden Versorgung mit spezialisierten mobilen Kinderhospiz- und Palliativteams zu rechnen? Wie hoch schätzen Sie den Bedarf pro Bundesland?

13)  Wie viele Personen sind in spezialisierten Kinderpalliativteams beschäftigt? Wie viele davon sind KinderärztInnen, KinderkrankenpflegerInnen? Wie viele der involvierten Personen sind ehrenamtlich tätig?

14)  Sind Tageshospizstätten geplant? Wenn ja, bis wann und wie viele? Wenn nein, warum nicht?

15)  Gibt es Betreuungskonzepte für die Familie, speziell auch für  möglichst „niederschwellige“ Nachbetreuung? Wenn ja, in welcher Form? Wenn nein, warum nicht?

16)  Welche Informationen existieren über Geschwister – Erhebung: Anzahl, Alter, Nachbetreuung, „Langzeitunterstützung“? Gibt es psychotherapeutische Angebote? Wenn nein, warum nicht?

17)  Sind Pilotprojekte in den Reformpools angedacht? Wenn ja, wann ist damit zu rechnen? Wenn nein, warum nicht?

18)  Soll es in Zukunft Professuren für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativmedizin geben? Wenn ja, ab wann? Wenn nein, warum nicht?

 



[1] Quelle: Kapitel: Soziales - Optimale Infrastruktur nach den Wünschen der Betroffenen, S. 104, www.austria.gv.at/DocView.axd?CobId=19542

[2] Internationaler Hospiz und Palliative Care Tag, 8. Oktober 2011

 

[3] Parlamentskorrespondenz Nr. 854 vom 04.11.2010

 

[4] http://www.bmg.gv.at/home/Schwerpunkte/Praevention/Eltern_und_Kind/Kindergesundheitsdialog

[5]Tages-Kinderhospiz Kinderleben: Unterstützung rund um die Uhr. Dtsch Arztebl 2011; 108(42): A-2200. http://www.aerzteblatt.de/archiv/110414/Tages-Kinderhospiz-Kinderleben-Unterstuetzung-rund-um-die-Uhr

 

[6] http://www.bundesverband-kinderhospiz.de/index.cfm?objectid=18EA3735-E018-036D-7A7180B89F4B6907

 

[7] www.bundesverband-kinderhospiz.de

 

[8] http://www.sterntalerhof.at/

 

[9] www.kinderhospiz.at

 

[10] http://www.moki-kaernten.at

 

[11] http://www.kleinezeitung.at/kaernten/2854528/zu-wenig-geld-fuer-kinderhospiz.story

[12] http://www.hospiz.at/