10592/J XXIV. GP
Eingelangt am 15.02.2012
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Birgit Schatz, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz
betreffend Mikrokredit, ein neues Allheilmittel für Beschäftigung und gegen Armut ?
Das Mikrokreditprogramm, Kleinstkredite für Arbeitslose und finanziell schwach ausgestattete Menschen hat auch in Österreich Einzug gehalten. Seit 1.6.2011 existiert eine bis zum 31.5.2013 befristete für ganz Österreich gültige „Mikrokredit-Richtlinie“ des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (BGBI. Nr. 317/2009). Vorangegangen sind der Richtlinie mehrere AMS-Pilotprojekte seit 2010. Das nun gültige Mikrokreditmodell ist eine Kooperation zwischen dem BMASK, der ÖSB consulting, dem AWS (Austria Wirtschafts Service), der Erste Bank sowie der Wiener Städtischen Versicherung. Wobei die ÖSB consulting für die Beratung der KreditnehmerInnen und BMASK, AWS, Erste Bank und Wiener Städtische für die Kreditvergabe und Abwicklung zuständig sind. Die Zielgruppe des Kreditprogramms sind „beschäftigungslose und von Beschäftigungslosigkeit bedrohte Personen, atypisch beschäftigte Personen, formal selbstständige Personen, am Beschäftigungsmarkt benachteiligte Personen und von Armut betroffene und bedrohte Personen“. Pro Person werden maximal 12500 Euro, sowie für Personengemeinschaften bis zu 25 000 Euro vergeben und das über eine Laufzeit von maximal 5 Jahren. Laut Richtlinie sind die Kredite zum bei der Zusage geltenden Quartalszinssatz (EURIBOR-Durchschnittswert) verfügbar, allerdings mit einem über die gesamte Laufzeit festem Zinssatz.
Mikrokredite sollen Menschen zu einem besseren Leben verhelfen, so zumindest die ursprüngliche Idee als diese in den 1980er Jahren zunächst in „Entwicklungsländern“ und später auch in „Industrieländern“ sich verbreiteten. Doch die „Gier der Banken“ gefährdet das Modell, das zeigen bereits Erfahrungen auf internationaler Ebene (Tageszeitung „Der Standard“ 6.3.2008). Die Banken profitieren von den Zinsen, wie auch von der staatlichen Förderung von Mikrokrediten. Generell gilt: je mehr Mikrokredite, desto höher auch die Zinsen. Mittlerweilen ist sogar der Erfinder des Models, Muhammad Yunus selbst, zu einer der größten KritikerInnen geworden (Interview in der Tageszeitung „Der Standard“, 30.01.2012). Erfahrungen zeigen,
dass Mikrokredite nur dann gut zur Armutsbekämpfung beitragen, wenn die KreditnehmerInnen gut beraten und begleitet werden. Ansonsten profitieren vor allem die Banken von der Integration armer Menschen in die Geldwirtschaft. ExpertInnen schätzen, dass sich nur rund ein Drittel aller KreditnehmerInnen über einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren aus der Armut herausarbeiten kann (Tageszeitung „Der Standard“, 6.3.2008). Wer es nicht schafft, sich aus der Armut herauszuarbeiten, ist nach der Inanspruchnahme eines Mikrokredits, womöglich noch dazu verschuldet, in einer schlimmeren Lage als zuvor.
Laut Richtlinie und Homepage des Mikrokreditprogramms des BMASK wird ausschließlich telefonisch beraten und das nur rund um die Antragsstellung und Kreditabwicklung. Unternehmensgründung braucht jedoch unserer Ansicht nach wesentlich mehr Unterstützung, wie zum Beispiel durch das AMS-GründerInnenprogramm. Sonst besteht gerade bei dieser Zielgruppe die Gefahr in eine Verschuldungsspirale zu geraten. Allerdings befindet sich der Großteil der genannten Zielgruppe nicht in AMS Betreuung.
Es stellt sich auch die Frage, warum die als „Beihilfen“ und „Förderungen“ bezeichneten Mikrokredite überhaupt verzinst werden. Sie sollen Menschen aus der Armut helfen, nicht aber eine Möglichkeit bieten, aus der Armut Profit zu schlagen. Auch im österreichischen Modell steckt daher womöglich die Gefahr eines Einstiegs in die Schuldenspirale und Bankenförderung. Zusätzlich ist zu überlegen, ob die Förderung der Unternehmensgründung die einzig sinnvolle Kreditvergabe für Arme darstellt, oder ob beispielsweise auch andere Investitionen wie in die eigene Gesundheit (z.B. Zahnersatz) oder Wohnsituation gefördert werden sollten, Investitionen, die oft wichtige Voraussetzungen schaffen, wieder einer Erwerbsarbeit nachgehen zu können, sich also in den Arbeitsmarkt zu reintegrieren.
Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende
1) Wie viele Personen haben das neue Programm gemäß der Richtlinie des BMASK (BGBI. Nr. 317/2009) bereits in Anspruch genommen und aus welchen der genannten Zielgruppen stammen diese Personen?
2) Über welche Bildungsabschlüsse verfügen die in Frage 1 genannten Personen?
3) In welchen Branchen haben die in Frage 1 und 2 genannten Personen gegründet?
4) Welche Inhalte hat die telefonische Beratung der ÖSB consulting genau? Wie viele BeraterInnen sind dafür eingesetzt? Gibt es zusätzliche geförderte, begleitende Beratungs- oder Kursangebote? Wenn ja welche ? Und wer bietet diese an?
5) Schildern Sie die diesbezügliche Rolle des AMS (Frage 4). Werden maßgeschneiderte Kurse angeboten? Wie werden jene Zielgruppen unterstützt, die nicht in AMS-Betreuung sind (z.B. bereits selbstständige Personen, atypisch Beschäftigte und am Arbeitsmarkt benachteiligte Personen)? Wie erfährt diese Zielgruppe überhaupt vom Mikrokreditprogramm?
6) In der Richtlinie heißt es „Die Verwendung des Kredits und die Kreditwürdigkeit werden genau überprüft und bei Zahlungsschwierigkeiten auf die individuelle Situation der FördernehmerInnen eingegangen und die Rückzahlungsverpflichtung unter Berücksichtigung der aktuellen Armutsgrenze sowie unter Berücksichtigung einer etwaigen zukünftig wieder verbesserten Einkommenssituation angepasst“. Was bedeute das im konkreten Fall? Was passiert, wenn jemand den Kredit nicht zurückzahlen kann? Ist ein Schuldenerlass, und wenn ja unter welchen Bedingungen, möglich?
7) Gibt es eine Kreditausfallshaftung und wenn ja, wer bezahlt diese?
8) Wie hoch sind die jeweiligen Kreditfinanzierungsanteile des BMASK, des AWS, der Erste Bank und der Wiener Städtischen im Modell der Richtlinie? Wird sich an den jeweiligen Anteilen in den nächsten Jahren etwas verändern bzw. sind Veränderungen geplant? Wer übernimmt die Kosten bei Zahlungsunfähigkeit der KreditnehmerInnen?
9) Wird die neue ausgeweitete Förderungsschiene „Mikrofinanzierung und soziales Unternehmertum“ (Vorschlag für ein Programm der Europäischen Union für sozialen Wandel und soziale Innovation) der EU auch in Österreich stärker genützt werden? Wenn ja, wie und in welchem Ausmaß ist dies geplant?
10) Was spricht dagegen, solche Kredite auch für Investitionen in die eigene Gesundheit (beispielsweise Zahnersatz) oder Wohnsituation zu vergeben?
11) Wenn Kredite „Beihilfen“ und „Förderungen“ genannt werden, warum sind sie dann nicht wenigstens zinsfrei? Wie wird der Aspekt der „Beihilfe“ oder „Förderung“ erfüllt?
12) Ist eine Evaluierung des Programms geplant? Wenn ja, wann ist eine solche geplant und wie wird diese genau aussehen? Wer übernahm die Kreditausfallshaftung?
13) Wie viele Personen haben Kredite in den AMS-Pilotprogrammen in Anspruch genommen? Nennen Sie die höchsten Bildungsabschlüsse dieser Personen. Handelte es sich dabei um ausschließlich vorher beim AMS als arbeitslos gemeldete Personen?
14) Wie viele der in Frage 13 genannten Personen konnten den Kredit nicht zurückzahlen und warum nicht? Was waren die Folgen?
15) In welchen Branchen wurde gegründet? Und wie viele Firmen der geförderten Kleinunternehmen aus Frage 13 und 14 bestehen noch heute?