10906/J XXIV. GP

Eingelangt am 01.03.2012
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Anfrage

 

der Abgeordneten Tanja Windbüchler-Souschill, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz

betreffend Begleitung schwerstkranker Kinder (Familienhospizkarenz)

 

BEGRÜNDUNG

 

Hospiz- und Palliativversorgung hat die Verbesserung der Lebensqualität von unheilbar kranken und sterbenden PatientInnen sowie ihrer Angehörigen zum Ziel. Ein Sterben in Würde, mit kompetenter und umfassend interdisziplinärer Betreuung und Begleitung, muss für alle, die es brauchen, flächendeckend verfügbar sein. Dazu bekennt sich auch die österreichische Bundesregierung im aktuellen Regierungsprogramm[1]. Bereits 2004 hatten sich alle Parteien darauf geeinigt, bis 2012 eine flächendeckende, bedarfsgerechte und einheitliche Versorgung sicherzustellen, doch die Umsetzung hinkt beschämend stark hinterher.

Glücklicherweise konnte in den letzten Jahren die Lebensqualität für zahlreiche sterbende Menschen erheblich verbessert werden. Aber: Nicht nur ältere oder alte Menschen sterben. Auch Kinder und Jugendliche, die von lebensverkürzenden unheilbaren Erkrankungen betroffen sind, sowie deren Familien, müssen rechtlichen Anspruch auf eine adäquate pädiatrisch-spezialisierte und den Bedürfnissen dieser Altersgruppe gerecht werdende Palliativversorgung und Sterbebegleitung haben. Kinder werden aber nach wie vor nicht wirklich abgebildet. Dies zeigt u.a. die folgende Grafik, die aus dem Bericht „Hospiz-und Palliativversorgung/Begleitung 2009“ entnommen wurde. Hier wird die Altersverteilung der PatientInnen in Palliativstationen gezeigt.


Wir wissen: Schwerstkranke Kinder und Jugendliche sind in Österreich nicht ausreichend versorgt. Ihre Familien sind oft an der Grenze der psychischen, physischen und finanziellen Belastung. Es braucht daher stationäre, mobile und teilstationäre Einrichtungen, in denen bestausgebildete Menschen arbeiten, um Leid und Schmerzen zu verringern.

Was unterscheidet Kinderhospiz- und Palliativarbeit von der mit erwachsenen Menschen?
„Erwachsenenhospize“ stehen ihren Gästen explizit nur für die finale Lebensphase offen. Kinderhospizarbeit  ist und muss „mehr“ sein, ein unterstützendes Angebot für die gesamte Familie, das sich vom Zeitpunkt der Diagnose oft über viele Jahre bis zum Tod des Kindes und darüber hinaus erstrecken muss. Aus der speziellen Situation ergeben sich eigene Bedarfsstrukturen, die sich nicht einfach mit einem auf die letzte Lebensphase von Erwachsenen zielenden Angebot decken. Die jungen PatientInnen, die „austherapiert“ aus dem Krankenhaus entlassen werden, haben Eltern und Geschwister. Vom Zeitpunkt der Diagnose der lebensbegrenzenden Erkrankung an können in manchen Fällen  Jahre vergehen. Die Familien, in erster Linie die Mütter, haben oft weder Frei- noch Erholungsräume. Durch die tödlich verlaufende Erkrankung ergibt sich eine permanente Belastung des Familiengefüges. Hilfe im Umgang mit dieser Situation muss geboten werden, da die Pflege und Betreuung vorwiegend im häuslichen Bereich erfolgt. Auch speziell nach dem Tod des jungen Familienmitglieds ist dringend Unterstützung für die trauernden Angehörigen vonnöten. Univ. Prof. Dr. Boris Zernikow, Inhaber des weltweit einzigen Lehrstuhls für Kinderschmerztherapie und Pädiatrische Palliativmedizin in Deutschland, machte kürzlich auf  Untersuchungen[2] über die weitreichenden Folgen aufmerksam, wonach 60% der Geschwister nicht ausreichend betreut werden, den Tod des Geschwisters nicht gut verarbeiten können.

Den Verantwortlichen ist durchaus die Problematik bewusst: Der Kindergesundheitsdialog startete im Frühjahr 2010, ein Auszug von der Homepage des BMG dazu:


In Österreich leben 1,7 Millionen Menschen unter 19 Jahren. Diese Kinder und Jugendlichen haben keine Lobby, wir müssen Verantwortung für sie mitübernehmen. Es ist Aufgabe der Politik, die Versorgungsqualität für Kinder zu optimieren, Defizite in der Kindergesundheit aufzuzeigen und Lösungen dafür zu finden", so Gesundheitsminister Alois Stöger am Mittwoch (28.04.2010) beim Start des "Kindergesundheitsdialogs", dessen Ziel es ist, gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Praxis und Politik bis Sommer des nächsten Jahres eine Strategie zur nachhaltigen Verbesserung der Gesundheit aller Kinder in Österreich zu entwickeln. Kindergesundheit hängt in hohem Maße von der Beziehung zu den Eltern und von sozialen Faktoren ab[3]..

In Österreich ist die Pflege und Betreuung eines sterbenden Kindes außerhalb von Krankenanstalten Privatsache und somit auch privat zu zahlen. Streng genommen gibt es kein eigens definiertes Palliativbett für Menschen unter 18 Jahren. Die Mitbetreuung an Einrichtungen für Erwachsene ist aber nicht an die speziellen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen bzw. deren Familien angepasst. Es gibt derzeit nur Teilangebote, etwa für onkologisch erkrankte Kinder oder für Schmerztherapie. Problematisch ist auch, dass die Rechtssicherheit für medizinische HelferInnen nicht eindeutig gegeben ist. Die Finanzierung der notwendigen Leistungen muss langfristig im Regelgesundheitssystem verankert werden, um die Armutsgefährdung betroffener Familien möglichst zu verhindern. Auch ist ein Rechtsanspruch auf Familienhospizkarenz unbedingt notwendig.

Österreichweit gibt es derzeit ein einziges stationäres Kinderhospiz[4], für € 3.000 pro Woche und Familie werden Unterkunft, Verpflegung und die gesamte therapeutisch-pädagogische Begleitung geboten. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für den Aufenthalt grundsätzlich nicht. Ein Tageshospiz, welches ermöglicht, dass schwerkranke Menschen solange wie möglich in ihrer häuslichen Umgebung bleiben können, ist leider gar keines verfügbar.

Gäbe es nicht Vereine wie z.B. Kinderhospiz Netz[5] oder den MOKI-Kärnten[6], die medizinische Pflege und kompetente Betreuung von schwerstkranken Kindern und Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr zu Hause in gewohnter Umgebung ermöglichen, wäre die Situation noch trister. Leider scheiterte bisher die Errichtung eines weiteren Kinderhospizes am Geld[7].


Die psychische, physische und finanzielle Belastung für Familien, die Kinder mit lebensverkürzenden Erkrankungen betreuen, ist enorm. Die ganze Familie, inklusive der Geschwisterkinder, hat hier enormen Begleitungs- und Betreuungsbedarf. Dazu kommt, dass Familien zusätzlich zur psychischen Belastung in finanzielle Notsituationen, bis hin zur Armut, kommen. Es darf nicht sein, dass betroffene Familien ausschließlich auf Spenden und ehrenamtlich tätige Menschen, die es zum Glück gibt und die oft in Vereinen organisiert sind, angewiesen sind.

 

 

Mit 1.7.2002 trat die Familienhospizkarenz in Kraft. Von 2002 bis Mitte 2004 wurde vom damaligen Bundeministerium für Wirtschaft und Arbeit das SOFFI Institut beauftragt die Familienhospizkarenz zu evaluieren. Auf der Homepage des zuständigen Ministeriums findet sich der Link zur Kurzfassung: http://www.bmask.gv.at/cms/site/attachments/8/4/8/CH2154/CMS1232548197832/evaluierungfhkkurzfassung.pdf

In der Kurzfassung der Studie wird darauf hingewiesen, dass bis Ende 2004 insgesamt 1159 Personen Familienhospizkarenz in Anspruch genommen haben. 56% davon begleiteten Eltern/Schwiegereltern, rund 20 % Partnerinnen/Partner und rund 20% Kinder. Weiters weist die Studie daraufhin, dass die Familienhospizkarenz zu 84% von Frauen in Anspruch genommen. 97% aller InanspruchnehmerInnen geht in Vollkarenz.

Vom Zeitpunkt der Diagnose der lebensbegrenzenden Erkrankung an können in manchen Fällen  jedoch Jahre vergehen. Die Familienhospizkarenz gewährt jedoch auch aktuell nur die maximale Dauer von 3 + 3 Monaten und für die Begleitung von Kindern 5 + 4 Monaten.

Auf der Homepage des zuständigen BMASK findet sich dazu unter http://www.bmask.gv.at/cms/site/liste.html?channel=CH0657 „Familienhospizkarenz“ folgender Eintrag:
Im Zuge einer Evaluierung zeigte sich, dass sich die Dauer der Familienhospizkarenz als guter Kompromiss zwischen den Interessen der Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen hinsichtlich des Schutzes vor Überforderung und Rückkehr auf den Arbeitsplatz bewährt hat. Da bei Kindern bestimmte Therapieformen insbesondere in der Tumorbehandlung länger als ein halbes Jahr dauern, wurde eine Verlängerung bei der Begleitung schwersterkrankter Kinder auf insgesamt maximal neun Monate vorgesehen. Ebenso wurde die Inanspruchnahme der Sterbebegleitung auch für Wahl- und Pflegeeltern ermöglicht. Des Weiteren kann nunmehr Familienhospizkarenz auch für Stiefkinder und Kinder des/der Lebensgefährten/in verlangt werden. Neu ist weiters, dass Familienhospizkarenz auch für eingetragene Partner bzw. eingetragene Partnerinnen und unter bestimmten Voraussetzungen auch für deren Kinder verlangt werden kann.“


Schon damals hat die Studie von SOFFI ergeben, dass 72% der Befragten das Befristungsmodell zu knapp bemessen sehen. Davon haben wiederum 79% angegeben, dass sie sich eine Verlängerung auf 12 Monate wünschen würden.

Es gäbe viel zu tun, dazu sind zuerst Erhebungen notwendig, um den bundesweiten Bedarf feststellen zu können.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Wie viele InanspruchnehmerInnen der Familienhospizkarenz für die Begleitung in den Jahren 2009, 2010 und 2011 gab es insgesamt, mit der Bitte um Auflistung nach Bundesland bzw. sonstiger SV-Träger, Bezugsdauer und wie viele davon haben Kinder betreut?

2)    Wie viele der Familienhospizkarenz-InanspruchnehmerInnen haben davon einmalig angesucht, wie viele eine Verlängerung beantragt und wie viele davon haben vorzeitig die Karenz beendet? Mit der Bitte um Auflistung nach betreuten Personen und Alter – mdj. Kinder und Erwachsene – in den Jahren 2009, 2010 und 2011.

3)    ArbeitnehmerInnen haben die Möglichkeit ihre Arbeitszeit ändern zu lassen, um Betreuung und Beruf auch langfristig zu vereinen.  Wie viele InanspruchnehmerInnen in den Jahren 2009, 2010 und 2011 gab es insgesamt, mit der Bitte um Auflistung nach Bundesland bzw. sonstiger SV-Träger, Bezugsdauer und wie viele davon haben Kinder und Jugendliche betreut?

4)    Laut Recherche haben  im Jahr 2009 603 Menschen Familienhospizkarenz in Anspruch genommen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Bundes- u. LandesbeamtInnen sowie diejenigen, die im Rahmen der FHK ihre Arbeitszeit reduziert haben, nicht eingerechnet sind. Alleine die Caritas hat im Jahr 2009 in Niederösterreich und Wien gemeinsam 1.152 Menschen betreut. Wie erklärt das zuständige Ministerium diesen Umstand? Wie hoch ist die Diskrepanz zwischen der Zahl der Familienhospizkarenz-InanspruchnehmerInnen und den tatsächlichen Betreuungsfällen? Welche Erhebungen gibt es? Gibt es von Seiten des BMASK Erhebungen über die Zahl der AntragstellerInnen und die Zahl der tatsächlichen Betreuungsfälle? Wenn ja, bitte um Beilegung, wenn nein, wieso nicht?

5)    Wie viele Familienhospizkarenz-InanspruchnehmerInnen haben nach Beendigung dieser ihre Arbeitsstelle verlassen müssen, um weiterhin für das schwerstkranke Familienmitglied sorgen zu können? Mit der Bitte Beilegung mit Auflistung der mdj. Betreuungspersonen. Wenn Sie dies nicht wissen, wieso gibt es keine diesbezüglichen Erhebungen?

6)    Wie viele Kinder und Jugendliche mit lebensverkürzenden Erkrankungen in Österreich werden von der Familie betreut pro Jahr?


7)    Welche Projekte – wie z.B. mobiles Hospiz, multiprofessionelle Teams zur Betreuung und Begleitung von Familien – fördert das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz jährlich und in welcher Höhe?

8)    Gibt es Erhebungen von Seiten des Sozialministeriums, in wie fern Familienhospizkarenz-InanspruchnehmerInnen von Armut bedroht sind?
Wenn ja, bitte um Beilegung. Wenn nein, wieso nicht?

9)    Welche Informationen existieren über Geschwister von schwerstkranken betreuten Kindern und Jugendlichen? – Erhebung: Anzahl, Alter, Nachbetreuung, „Langzeitunterstützung“? Gibt es psychotherapeutische Angebote? Wenn nein, warum nicht? Welche Rolle hat hier das Bundessozialamt?

10)  Gibt es Betreuungskonzepte für die gesamte Familie, speziell auch für  möglichst „niederschwellige“ Nachbetreuung? Wenn ja, in welcher Form? Wenn nein, warum nicht?

11) Die Familienhospizkarenz gewährt aktuell nur die maximale Dauer von 3 + 3 Monaten und für die Begleitung von Kindern 5 + 4 Monaten. Ist mit einer Änderung der Bezugsdauer in den nächsten Jahren zu rechnen? Wenn ja, welche Änderungen sind geplant. Wenn nein, wieso nicht, wenn schon die SOFFI Studie aus dem Jahr 2005 klar zum Ausdruck bringt, dass die gesamte Dauer zu kurz bemessen ist.

12)  Das BMASK und das BMWFJ sind zuständig für Familienhospizkarenz und Familienhospizkarenz-Härteausgleich. Gibt es hier Bestrebungen die Verwaltung der Familienhospizkarenz zusammen zu bringen bzw. den Verwaltungsaufwand zu bündeln? Wie viele Steuermittel würden sich durch Zusammenlegung in ein Ministerium erspart werden? Welches Ministerium wäre hier als zentrale Stelle gefordert?

13)  Die Evaluation der Familienhospizkarenz des SOFFI Institut, veröffentlicht 2005, findet sich nur als Kurzform auf der Homepage des Ministeriums. Über 7 Jahre ist diese Studie alt. Wird es eine neuerliche Evaluation geben? Wenn ja, wann und in welchem Umfang? Wenn nein, wieso nicht? Mit der Bitte um Beilegung der gesamten Studie aus dem Jahr 2005.



[1] Quelle: Kapitel: Soziales - Optimale Infrastruktur nach den Wünschen der Betroffenen, S. 104, www.austria.gv.at/DocView.axd?CobId=19542

[2] Internationaler Hospiz und Palliative Care Tag, 8. Oktober 2011

 

[3] http://www.bmg.gv.at/home/Schwerpunkte/Praevention/Eltern_und_Kind/Kindergesundheitsdialog

[4] http://www.sterntalerhof.at/

[5] www.kinderhospiz.at

 

[6] http://www.moki-kaernten.at

 

[7] http://www.kleinezeitung.at/kaernten/2854528/zu-wenig-geld-fuer-kinderhospiz.story