10987/J XXIV. GP

Eingelangt am 09.03.2012
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Anfrage

des Abgeordneten Kurt Grünewald, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Wissenschaft und Forschung

betreffend Veröffentlichung der Ärztebedarfsstudie

BEGRÜNDUNG

 

Seit vielen Jahren geistert der Begriff „ÄrztInnenmangel“ durch die Medien. So war etwa im Jahr 1997 eine Schlagzeile, Norwegen würde massiv ÄrztInnen aus Österreich abwerben, was durch einen gebotenen "Stundenlohn" von umgerechnet bis zu 950 Schilling brutto durchaus attraktiv klang[1]. Im Jahr 2005 fürchtete die Ärztekammer (ÖÄK) die "möglichen katastrophalen Auswirkungen" auf das österreichische Gesundheitssystem durch einen freien Zugang aller EU-BürgerInnen an Österreichs Universitäten, konkret drohe Österreich in zehn bis 20 Jahren ein eklatanter ÄrztInnenmangel[2]. Im Juli 2011 warnte die ÖÄK vor einem „Landarzt-Sterben“, ein genereller ÄrztInnenmangel in Österreich werde schon allein daraus erwachsen, dass in den nächsten zehn Jahren 37 Prozent der AllgemeinmedizinerInnen und 31 Prozent der FachärztInnen in Pension gehen werden. Außerdem würden schon jetzt mehr als 2.500 österreichische ÄrztInnen in Deutschland und über 300 in Schweden arbeiten[3]. Auch die FPÖ[4] und das BZÖ fordern seit einiger Zeit eine Medizinische Universität Linz, um dem ÄrztInnenmangel entgegen zu wirken.

 


Um den Zugang für österreichische Studierende sicherzustellen, beschloss die Regierung im Februar 2006 die Quotenregelung für Medizinuniversitäten: demnach sind 75 Prozent der Studienplätze für ÖsterreicherInnen, 20 Prozent für EU-BürgerInnen und 5 Prozent für BürgerInnen außerhalb der EU vorgesehen. Am 24. Jänner 2007 kündigte die EU-Kommission ein Verfahren gegen diese Quotenregelung an, welches allerdings im November 2007 für die nächsten fünf Jahre ausgesetzt wurde.

Diese „Gnadenfrist“ wollten bereits frühere WissenschaftsministerInnen (Johannes Hahn, Amtszeit Januar 2007 bis Januar 2010, gefolgt von Beatrix Karl bis zum April 2011) nutzen, um weitere Argumente für die Notwendigkeit einer Quotenregelung zu finden. Beide argumentierten ausschließlich damit, dass Österreich bei Wegfall der Quotenregelung ein ÄrztInnenmangel  drohe, da die meisten deutschen Studierenden nach ihrer Ausbildung zurück nach Deutschland gingen.
Dieser drohende Mangel muss allerdings belegt werden. Daher werden seit 2007 jährlich Zahlen, etwa zu TurnusärztInnen, aufgeschlüsselt nach dem Herkunftsland übermittelt.

Doch: Valide Zahlen, die die Abwanderung deutscher AbsolventInnen belegen, gibt es nach wie vor nicht. Umfragen zeigen zwar, dass 2008 und 2009 jeweils 70 Prozent der Deutschen im letzten Studienjahr ihren Beruf nicht in Österreich ausüben wollen, allerdings wurden nur 21 beziehungsweise 26 Personen befragt - wodurch die Daten, auch laut BMWF, für eine Interpretation nicht ausreichen.

Wissenschafts- und Gesundheitsministerium haben daher im April 2010 bei der ÖBIG[5] eine Studie in Auftrag gegeben, in deren Rahmen der tatsächliche ÄrztInnenbedarf bis Mitte 2011 erhoben werden sollte[6]. Allerdings wird diese Studie, die, nach unserer Einschätzung bereits fertig gestellt wurde, zurück gehalten.

Nachfragen im BMG als auch im BMWF (September 2011) haben ergeben, dass
zum damaligen Zeitpunkt „die Arbeit an der Studie derzeit noch dauere, das Ergebnis im Laufe des Herbsts 2011 zu erwarten“ sei bzw. der „Endbericht noch nicht fertig sei, das ÖBIG arbeite daran, mit einem Abschluss sei bis Ende des Jahres 2011 in jedem Fall zu rechnen“. Die Verzögerung zum ursprünglich anberaumten Termin der Veröffentlichung sei aufgrund „etwas unklarer Daten“, die erst verifiziert werden mussten, wie z.B. Doppelanstellungen, 2. Ordinationen usw., zustande gekommen.
Schon jetzt sei aber ersichtlich, das ein „ÄrztInnenmangel ein regionales Problem“ sei und auch „nur in bestimmten Fachrichtungen“ bestünde.
Es sei in den kommenden 5 Jahren noch kein Mangel zu erwarten, anschließend allerdings könnte es problematisch werden.


Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

1)    Die Ärztebedarfsstudie wurde 2010 in Auftrag gegeben, das Ergebnis war für Mitte 2011 vorher gesagt. Liegt das Ergebnis dieser Studie nun bereits vor? Wenn ja, warum wurde sie bisher nicht veröffentlicht?  Wenn nein, wodurch haben sich die Verzögerungen ergeben? Bis wann ist damit zu rechnen?

 

2)    Wann werden die Ergebnisse der Ärztebedarfsstudie dem Nationalrat zugeführt? Wann werden die Ergebnisse der interessierten Öffentlichkeit präsentiert werden?

 

3)    Wie sieht es mit der ÄrztInnendichte im ländlichen Raum aus? Welche Gebiete sind besonders vom „Landarztsterben“ betroffen? Bitte um Auflistung nach Bundesländern und Bezirken, Frauen- bzw. Männeranteil.

 

4)    Die Quotenregelung an den österreichischen Medizin-Unis ist ein Auslaufmodell. Auch Sie sprachen im Mai 2011 von einem ÄrztInnenmangel ab 2016[7]. Nur mit diesem Argument konnte die EU-Kommission bisher überzeugt werden, dass ohne eine derartige Regelung mittelfristig massive Probleme in der Gesundheitsversorgung auftreten würden. Mit welchem Argument agierten Sie in den letzten Monaten und derzeit, wo die Studie ja noch nicht vorliegt?

 

5)    Wann werden die konkreten Verhandlungen mit der EU-Kommission über die Quotenregelung, die im November 2012 ausläuft, geführt werden? Wie optimistisch sind Sie, dass Ihrer Argumentation „einleuchten“ wird[8], zusammen mit den Ergebnissen der Ärztebedarfsstudie?

 

6)    Welche weiteren Argumente, neben den Ergebnissen der Studie, werden die EU-Kommission von einer weiteren Ausnahmeregelung für Österreich überzeugen[9]?


7)    Welche unmittelbaren Konsequenzen hätte ein nachweislicher ÄrztInnenmangel? Wenn die Ärztebedarfsstudie dringende erforderliche zusätzliche Ausbildungsplätze für MedizinerInnen in Österreich feststellt, bis wann werden die entsprechenden Studien-/ Ausbildungsplätze geschaffen werden? Wo werden diese Plätze geschaffen werden? Mit welchen Kosten ist zu rechnen?

 

8)    Von welchen „methodischen Interpretationsschwierigkeiten“ zwischen den PartnerInnen der ÄrztInnenmangel-Studie war die Rede, als kürzlich eine ExpertInnendiskussion[10] im Parlament stattfand?

 

9)    Wie viele in Österreich ausgebildete ÄrztInnen arbeiten in Deutschland und anderen EU-Staaten? Bitte um Auflistung nach Staatsbürgerschaft, EU-Staat, Frauen- und Männeranteil.

 

10)  Gibt es bereits Informationen über die Validität des EMS Tests in Österreich, der die Studieneignung für ein Medizinstudium feststellen soll? Auch BildungspsychologInnen[11] plädieren für alternative Zugangschancen und sprechen von Optimierungsbedarf, weil bei Weiten nicht alle Anforderungen und PatientInnenbedürfnisse an die ÄrztInnenschaft mit einem Test, der medizinisch-naturwissenschaftliches Grundverständnis, räumliches Vorstellungsvermögen oder den Umgang mit Zahlen abprüft, erfasst werden können. Sind die „Guten“ beim Aufnahmetest tatsächlich die „Guten“ beim Studienabschluss, die „besseren“ ÄrztInnen? Ist hier eine Evaluierung geplant? Wenn ja, ab wann? Wenn nein, warum nicht?

 



[1] APA0063 5 CA 0160  So, 13.Apr 1997 Norwegen sucht Ärzte - auch aus Österreich. Utl.: Derzeit über 900 Planstellen unbesetzt.

 

[2] OTS0100 5 II 0671 NAW0001 CI Di, 10.Mai 2005. Ärztekammer warnt vor freiem Universitätszugang für alle EU-Bürger. Utl.: Gefährliche Auswirklungen auf das Gesundheitssystem befürchtet.

 

[3] APA0088 5 II 0437 CI  Mi, 06.Jul 2011. Ärztekammer warnt vor "Landarzt-Sterben". Utl.: Hausarzt-Modell als Ausweg propagiert.

 

[4] APA0261 5 II 0327 CI Mi, 23.Nov 2011. FPÖ warnt vor drohendem Ärztemangel.Utl.: Karlsböck und Belakowich-Jenewein fordern dringend Gegenmaßnahmen.

 

[5] http://www.goeg.at/ Gesundheit Österreich GmbH

 

[6]  http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/archiv/59451_Auf-der-Suche-nach-dem-Aerztemangel.html

[7] APA0493 5 II 0413 XI Di, 31.Mai 2011. Medizin-Quote: Töchterle sieht sehr große Chance auf Verlängerung. Utl.: Bis 2015 - Minister will umfassende Lösung wegen erwartetem Ansturm in anderen Fächern.

 

[8] "Ich bin ganz optimistisch, dass unsere Argumentation einleuchtet", sagte Töchterle. "Wir können nicht jetzt, sondern erst 2015 ein Urteil darüber bilden, ob diese Quotenregelung zurecht besteht oder nicht. Deshalb ist die Chance, die Verlängerung bis 2015 zu bekommen, sehr sehr groß." Aus Sicht der Bundesregierung sei die Quotenregelung gerechtfertigt. "Wir sehen das an kleineren Beispielen", so Töchterle, "dass Leute nicht am Studienort bleiben, sondern wieder zurückkehren. Das ist unser Hauptargument: Wir müssen die ärztliche Versorgung in Österreich sicherstellen".

 

[9] APA0268 5 II 0251 CI/XI Di, 21.Feb 2012. Medizin-Quote - Töchterle: "In guten Gesprächen" mit EU-Kommission. Utl.: Minister hat "sehr gute" Argumente für Ausnahmeregelung -  Sollen mit Studie belegt werden.

 

[10] http://www.unzensuriert.at/content/006232-Aerztestudie-scheitert-Interpretationsschwierigkeiten

 

[11] APA0184 5 II 0518 XI Siehe APA0126/21.01  Fr, 21.Jän 2011. Medizinstudium: Bildungspsychologin für alternative Zugangschance. Utl.: Etwa für Pflegepersonen - Optimierungsbedarf bei derzeitigen Tests.