11544/J XXIV. GP

Eingelangt am 15.05.2012
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Abgeordneten Dr.in Gabriela Moser, Freundinnen und Freunde an die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie

betreffend mögliche Befangenheit von Sachverständigen und GutachterInnen: Fortsetzung Nr.2 - Causa UVP-Änderungsverfahren S 10 Mühlviertler Schnellstraße Süd

 

Bereits im Jahr 2011 musste anhand konkreter Schienen- und Straßenprojekte der untragbar großzügige Umgang des BMVIT mit Fragen der Befangenheit von Sachverständigen und GutachterInnen in Verfahren zu Infrastrukturprojekten des Bundes in Parlamentarischen Anfragen aufgezeigt werden.

 

Mittlerweile laufen in diesem Zusammenhang laut Medienberichten (zB Kurier 12.2.2012) nach einer anonymen Sachverhaltsdarstellung auch Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Wien.

 

Erneut mussten nun in einem Straßen-UVP-Verfahren (S 10 Mühlviertler Schnellstraße, Änderungsverfahren wegen Projektänderungen im Abschnitt 1, GZ. BMVIT-314.410/0065-IV/ST-ALG/2011) im Zuge der mündlichen Verhandlung am 12.04.2012 von Seite betroffener AnrainerInnen insgesamt acht (!) Sachverständige unter Vorlage von entsprechendem Beweismaterial als befangen abgelehnt werden.

 

Zahlreiche behördlich herangezogene Sachverständige arbeiteten bzw. arbeiten nämlich offensichtlich „nebenbei“ auch laufend privatwirtschaftlich für die ASFINAG. Diese wirtschaftlichen Beziehungen, um nicht zu sagen Abhängigkeiten und Verpflichtungen stehen einer unbefangenen Beurteilung von Anliegen ebendieses Antragstellers offenkundig und krass im Weg.

Auch davon unabhängig scheint die Auswahlpraxis der Sachverständigen im Einzelfall zweifelhaft.

 

Es handelt sich um ein Änderungsverfahren, in dem es – um ein Beispiel näher herauszugreifen – unter anderem um ca. 350.000 m3 Tunnelausbruch des ca 4,5 km langen Tunnels Götschka geht. Diese sollen nun statt auf der bereits in einem vorherigen Verfahren genehmigten, geeigneten Anschüttungsfläche auf anderen, landwirtschaftlich genutzten Flächen abgelagert werden dürfen. Dabei handelt es sich um wesentliche hofnahe Weideflächen einer Landwirtschaft; der Verlust von mehreren Hektar Fläche würde eine existenzbedrohende Reduktion des Viehbestandes erzwingen.


Diese nun mit entsprechend „zielführenden“ Gutachter- und Sachverständigenbeiträgen forcierte Lösung wäre im Vergleich zur bisherigen, bereits genehmigten Lösung für Natur und Anrainer nachteilig, für die ASFINAG bzw. die Errichter aber die nächstgelegene und damit kostengünstigste Möglichkeit, den Tunnelausbruch im wahrsten Sinn des Wortes „billig“ los zu werden.

 

Dazu wurde unter anderem als Sachverständiger im humanmedizinischen Bereich für Umweltmedizinische Aspekte ein Facharzt für Hygiene beschäftigt, dessen gerichtliche Beeidung oder Zertifizierung in Zweifel steht. Zudem ist das Fachgebiet Hygiene nicht geeignet, nachteilige Folgen für Menschen zu beurteilen. Einen – geeigneten – Gutachter aus dem Bereich der Umweltmedizin wollte man offensichtlich nicht bestellen. In Bereichen wie Lärmschutz, Verkehr, Verkehrssicherheit, Landschaft/Lebensräume/Naturschutz, Wasser, Gewässer, Boden/Landwirtschaft, Geologie wurden als Sachverständige ASFINAG-Serienauftragnehmer für die „unbefangene“ Begutachtung einer Projekteinreichung ihres Brötchengebers beschäftigt. Auch tauchen bereits in der Parl. Anfrage 8740/J XXIV.GP erwähnte Serien-Auftragnehmer teilweise fragwürdiger Qualifikation wieder auf, auch in koordinierender Rolle. Mit dem bei einem Autobahnprojekt nicht gerade nebensächlichen Bereich Klima und Luftschadstoffe wurde erneut ein wiederholt durch originelle fachliche Ansichten auffällig gewordener Sachverständiger beschäftigt, der unter anderem meint, dass

·         neue hochrangige Straßen nichts (!) zur Klimagas-Emission (CO2) beitragen,

·         lokale Emissionen die Luftqualität (!) und das Klima nicht verändern,

·         Lärmschutzwände (!) die Schadstoffsituation verbessern,

·         Schadstoffemissionen den Sauerstoffgehalt der Luft nicht verändern,

·         eine durch die Verlagerung großräumiger Verkehrsströme ausgelöste Verdopplung des Verkehrsaufkommens samt verdoppeltem Schwerverkehrsanteil (d.h. Vervierfachung des Schwer-LKW-Aufkommens) dennoch keine Zusatzbelastung im unmittelbar benachbarten Sanierungsgebiet gemäß IG-L, durch das dieser Verkehr zu- bzw. abgeführt werden muss, bringen.

Letzteres gibt immerhin die Möglichkeit, einige in der Anfragebeantwortung 8642/AB unbeantwortet gebliebenen Fragen durch erneute Fragestellung womöglich doch noch einer Beantwortung zuzuführen.

 

Offen bleibt, wie alle diese – wiederholten! – Missstände mit der Beantwortung der erwähnten Anfrage zusammenpassen sollen. Diese Antwort (8642/AB) lautete: „Als Sachverständige in Straßen-UVP-Verfahren werden nur in ihrem Fachbereich bestens qualifizierte Fachleute herangezogen, wobei größtes Augenmerk auf die Unbefangenheit (…) gelegt wird.“

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Inwiefern kann ein Facharzt ohne gerichtliche Zertifizierung oder Beeidung als Sachverständiger (und ohne inhaltliche Sachkenntnis im entscheidenden Bereich Umweltmedizin), dem zudem grundlegende rechtliche Eckpunkte des Wirkens von Sachverständigen fremd zu sein scheinen, für das verfahrensgegenständliche Fachgebiet Humanmedizin „bestens qualifiziert“ für ein UVP-Verfahren über ein hochrangiges Straßenbauprojekt sein?


2)    Inwiefern können Experten verschiedener Fachgebiete, die durch Jahre laufend bezahlte Aufträge für die ASFINAG, die ASFINAG Baumanagement oder die ASG (deren Rechtnachfolgerin die ASFINAG ist) abwickelten und abwickeln, teilweise in wirtschaftlich existenz- und damit abhängigkeitsbegründendem Umfang, als Sachverständige im Sinne des AVG und der Judikatur (vgl. Verwaltungsgerichtshof, VwSlg 7106 A/1967) unbefangen über Projekte dieser ihrer „Brötchengeber“ befinden?

3)    Inwiefern wurde angesichts dieser Fakten bei der Heranziehung dieser Sachverständigen konkret „größtes Augenmerk auf die Unbefangenheit gelegt“?

4)    Von konkret wem in Ihrem Haus wurde im Fall des UVP-Änderungsverfahrens S 10 Süd a) „größtes Augenmerk auf die Unbefangenheit“ der UVP-Sachverständigen gelegt und b) entsprechend über deren konkrete Beschäftigung in diesem Verfahren entschieden?

5)    Welche Bediensteten Ihres Hauses wurden im Rahmen der in der Begründung erwähnten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zum Thema „befangene Gutachter“ bereits einvernommen?

6)    Teilen Sie bzw. Ihr Ressort die von BMVIT-Auftragnehmern in Sachverständigenrolle in Straßen-UVP-Verfahren vertretene Position, dass neue hochrangige Straßen nichts (!) zur Emission von Klimagasen wie CO2 beitragen? Wenn ja, bitte um nähere Erläuterung. Wenn nein: Warum werden Vertreter derart origineller Fachmeinungen vom BMVIT als Serien-Sachverständigte beschäftigt?

7)    Teilen Sie bzw. Ihr Ressort die von BMVIT-Auftragnehmern in Sachverständigenrolle in Straßen-UVP-Verfahren vertretene Position, dass lokale Emissionen die Luftqualität (!) und das Klima nicht verändern? Wenn ja, bitte um nähere Erläuterung. Wenn nein: Warum werden Vertreter derart origineller Fachmeinungen vom BMVIT als Serien-Sachverständigte beschäftigt?

8)    Teilen Sie bzw. Ihr Ressort die von BMVIT-Auftragnehmern in Sachverständigenrolle in Straßen-UVP-Verfahren vertretene Position, dass Lärmschutzwände (!) die Schadstoffsituation verbessern? Wenn ja, bitte um nähere Erläuterung. Wenn nein: Warum werden Vertreter derart origineller Fachmeinungen vom BMVIT als Serien-Sachverständigte beschäftigt?

9)    Teilen Sie bzw. Ihr Ressort die von BMVIT-Auftragnehmern in Sachverständigenrolle in Straßen-UVP-Verfahren vertretene Position, dass Schadstoffemissionen den Sauerstoffgehalt der Luft nicht verändern? Wenn ja, bitte um nähere Erläuterung. Wenn nein: Warum werden Vertreter derart origineller Fachmeinungen vom BMVIT als Serien-Sachverständigte beschäftigt?

10) Teilen Sie bzw. Ihr Ressort die von BMVIT-Auftragnehmern in Sachverständigenrolle in Straßen-UVP-Verfahren vertretene Position, dass eine durch die Verlagerung großräumiger Verkehrsströme ausgelöste Verdopplung des Verkehrsaufkommens samt verdoppeltem Schwerverkehrsanteil (d.h. Vervierfachung des Schwer-LKW-Aufkommens) dennoch keine Zusatzbelastung im unmittelbar benachbarten Sanierungsgebiet gemäß IG-L bringen werde, durch das dieser Verkehr zu- bzw. abgeführt werden muss? Wenn ja, bitte um nähere Erläuterung. Wenn nein: Warum werden Vertreter derart origineller Fachmeinungen vom BMVIT als Serien-Sachverständigte beschäftigt?