1203/J XXIV. GP

Eingelangt am 10.03.2009
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

A N F R A G E

 

 

der Abgeordneten Mag. Ewald Stadler, Gerald Grosz

Kolleginnen und Kollegen

 

an die Bundesministerin für Justiz betreffend das Verfahren wegen fahrlässiger Tötung gegen den Ministerpräsidenten von Thüringen Dieter Althaus

 

Am  3. März 2009 wurde der Ministerpräsident des deutschen Bundeslandes Thüringen, Dieter Althaus, vom zuständigen Einzelrichter des Bezirksgerichtes Irdning wegen fahrlässiger Tötung einer Skifahrerin zu einer Geldstrafe von 33.000 Euro und 5000 Euro Schmerzengeld verurteilt, dies in einem beispiellosen „Eilverfahren“, in Abwesenheit des Beschuldigten und ohne rechtzeitige Bekanntmachung in der Öffentlichkeit, womit diese faktisch von dem Prozess ausgeschlossen wurde.

 

Die Strafprozessordung sieht zwar in § 427 Abs.1 die Möglichkeit einer Hauptverhandlung in Abwesenheit des Beschuldigten vor, dies jedoch bei der Rechtsfolge der sonstigen Nichtigkeit des Verfahrens nur, wenn der Beschuldigte zuvor bereits einvernommen wurde. Dies ist im gegenständlichen Falle jedoch nicht geschehen!

 

Gem. § 447 StPO ist der § 427 leg. cit. auch auf Verfahren vor den Bezirksgerichten anzuwenden, sofern in den folgenden Bestimmungen nicht anderes normiert ist. Demnach sind sowohl die Bestimmungen des § 451 leg. cit., wie auch diejenigen des § 455 leg. cit. im lex specialis-Verhältnis  zu § 427 leg. cit. zu interpretieren, soweit sich ein Widerspruch auftut. Ansonsten sind beide Bestimmungen vor dem Hintergrund des § 427 intrasystematisch zu interpretieren.

 

Daraus ergibt sich, dass zwar der Angeklagte Althaus sich in der Hauptverhandlung gem. § 455 Abs. 3 leg. cit. von seinem Machthaber vertreten lassen konnte, und dass somit gem. § 451 Abs. 3 leg. cit. in dem dort vorgesehenen beschleunigten Verfahren vorgegangen hätte werden dürfen, wenn der Beschuldigte Althaus gem. § 427 Abs. 1 zuvor einvernommen worden wäre.

 

Der – Ihnen gegenüber weisungsgebundene – Vertreter der Anklage hat im Sinne der Bestimmung des § 451 Abs. 3 leg. cit. der von der Verteidigung beantragten Vorgehensweise offenkundig die gesetzlich erforderliche Zustimmung erteilt. Aufgrund des enormen medialen Interesses an dem Fall und der Implikationen, die aus der Stellung des Beschuldigten als deutscher Spitzen-Politiker hervorgehen, ist die gegenständliche Causa zweifelsfrei als Berichtssache zu behandeln (gewesen). Der Anklagevertreter hätte somit vor dem Erteilen seiner gesetzlich erforderlichen Zustimmung zum beschleunigten Vorgehen an Ihr Ministerium einzuberichten gehabt.


Abgesehen von der sich ergebenden Nichtigkeitsfolge des Verfahrens gegen Althaus erscheint das Vorgehen auch in anderer Hinsicht rechtlich problematisch, wie etwa der Strafrechtler Alois Birklbauer im Standard vom 5.2.2009, S. 31, ausführt.

 

Demnach hat das – wie oben ausgeführt aus anderen Gründen bereits rechtswidrige - Vorgehen des Anklägers und des Einzelrichters de facto zudem die Öffentlichkeit vom Strafverfahren ausgeschlossen, was gegen einen ehernen Grundsatz im  Strafverfahren verstößt: den Grundsatz der Öffentlichkeit, die nur ausnahmsweise und nur in gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Fällen ausgeschlossen werden darf.

Birklbauer spricht in diesem Zusammenhang im genannten Artikel zutreffend von „Tricks“, und von einem „Makel der fehlenden Transparenz des Verfahrens“, sowie von einer gleichheitswidrigen Verletzung des Prinzips der „Sichtbarkeit der Justiz“.

 

Ferner verweist Birklbauer zurecht auf den im Strafverfahren geltenden Grundsatz der Findung der materiellen Wahrheit, welcher wohl dann in der Tat verletzt ist, wenn der Beschuldigte weder zur Sache persönlich einvernommen wird noch persönlich vor dem erkennenden Gericht erscheint und aussagt. Durch das persönliche Nichterscheinen des Beschuldigten wird zudem ein weiterer Grundsatz des Strafverfahren verletzt, nämlich der Grundsatz der Unmittelbarkeit.

 

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

A N F R A G E

 

1) Ist es richtig, dass der Beschuldigte niemals persönlich einvernommen wurde?

 

2) Wenn ja, warum nicht?

 

3) Welche strafprozessrechtlichen Konsequenzen  - einer allfälligen Nichtigkeit - ergeben sich daraus?

 

4) Hat der zuständige Anklagevertreter in dieser Gerichtssache vor seiner Zustimmung gem.

§ 451 Abs. 3 StPO einberichtet – wenn ja, an wen?

 

5) Was wurde hierauf veranlasst?

 

6) Welche dienstrechtlichen Konsequenzen ergeben sich für den zuständigen Anklagevertreter aus der allfälligen Unterlassung einer Einberichtung und aus der gesetzwidrigen Zustimmung zum Eilverfahren?

 

7) Welche dienstrechtlichen Konsequenzen ergeben sich für den zuständigen Richter aus seiner gesetzwidrigen Vorgehensweise?

 

8) Aus welchem Grund, wurde der Prozesstermin erst eine Stunde vor Prozessbeginn bekanntgegeben?

 

9) Ist der Eindruck richtig, dass mit dieser fragwürdigen Vorgehensweise die gesamte Öffentlichkeit unter Verletzung des diesbezüglichen Verfahrensgrundsatzes de facto ausgeschlossen werden sollte?


 

10) Wie rechtfertigen Sie die eklatante Verletzung der erwähnten Prinzipien des Strafverfahrens, nämlich der Öffentlichkeit, der Sichtbarkeit der Justiz und der Unmittelbarkeit im konkreten Fall?