12417/J XXIV. GP

Eingelangt am 06.07.2012
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Abgeordneten Petra Bayr, GenossInnen an die Bundesministerin für Finanzen (BMF) betreffend Öffentliche Beschaffung nach sozialen, ökologischen und entwicklungspolitischen Kriterien.

Das BIP der EU macht derzeit etwa zwölf Billionen Euro aus, rund 16 Prozent davon entfallen auf das öffentliche Beschaffungswesen. Öffentliche Einrichtungen haben einen erheblichen Anteil an den Gesamtausgaben der Volkswirtschaft eines Landes. In Österreich kauften Bundesbehörden, Länder und Kommunen 2010 Produkte und Dienstleistungen im Wert von rund 886 Mio. Euro ein. Die damit zusammenhängenden Kaufentscheidungen hatten und haben entsprechend großen Einfluss auf das generelle Angebot von Produkten und Dienstleistungen. Fünf Prozent, also umgerechnet circa 44,3 Mio. Euro gingen dabei 2010 an Lieferanten außerhalb Österreichs.

Die Berücksichtigung ökologischer, sozialer und entwicklungspolitischer Kriterien beim Einkauf stellt also eine relevante politische Gestaltungsmöglichkeit dar, die sowohl für die nationalen ökologischen und sozialen Bedingungen, als auch für die internationale Zusammenarbeit gestalterische Kraft entwickeln kann. Ökologische Waren und Dienstleistungen zeichnen sich beispielsweise durch Energieeffizienz, niedrigeren CO2 - Ausstoß (Fuhrpark), umweltfreundlichere Herstellung im Vergleich zu konventionellen Produkten, Bio-Produkte im Lebensmittelbereich usw. aus. Es besteht beispielsweise eine Vielzahl von Umweltzeichen, deren Kriterien zur Spezifikation technischer Anforderungen in einem Ausschreibungsverfahren herangezogen werden können.

Die Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge besteht seit März 2004. Auch die Richtlinie zur Energieeffizienz aus dem Jahr 2006 (2006/32/EG) trägt den Staaten auf, in neun Jahren 9% Energie einzusparen. Dem öffentlichen Sektor kommt nach der Richtlinie eine Vorbildfunktion in Sachen Energieeffizienz zu. Ein Instrument, um dieses Einsparungsziel zu erreichen, soll die öffentliche Beschaffung, also (auch) das Vergabewesen sein: So verlangt die Richtlinie von den Mitgliedstaaten, dass der öffentliche Sektor Energieeffizienzmaßnahmen ergreift, deren Schwerpunkt auf kostenwirksamen Maßnahmen liegt, die in kürzester Zeit zu den umfassendsten Energieeinsparungen führen. [..] Unbeschadet des nationalen und gemeinschaftlichen Vergaberechts [..] erleichtern die Mitgliedstaaten diesen Prozess, indem sie Leitlinien zur Energieeffizienz und zu Energieeinsparungen als mögliches Bewertungskriterium bei der Ausschreibung öffentlicher Aufträge veröffentlichen.“

In der Novelle zum Bundesvergabegesetz von 2012 ist zwar eine teilweise Berücksichtigung von ökologischen Kriterien bei der Vergabe von Aufträgen vorgesehen, allerdings wurden entwicklungspolitische Kriterien bislang noch in keinem Zusammenhang berücksichtigt.


Die Bedeutung einer an entwicklungspolitischen Kriterien ausgerichteten Beschaffung ist jedoch maßgeblich für eine kohärente Politik im Sinne der Entwicklung. Mit einer konsequenten Anwendung einer effizienten, ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Kriterien verpflichteten Beschaffung (d.h. unter anderem entsprechend den Kernarbeitsnormen der ILO, sowie unter Einhalt der Menschenrechte und Umweltmindeststandards) und einem transparenten Informationssystem könnte den Ländern und Kommunen einen vereinfachten Einstieg in ein faires Beschaffungswesen ermöglicht werden.

Aktuell werden weder ausreichend regelmäßige, noch systematische Übersichten über die Anpassung und Entwicklung von Beschaffungs- und Verwaltungsvorgängen nach sozialen und ökologischen Kriterien bereitgestellt. Entsprechende Initiativen finden sich aber auf EU-Ebene (siehe Mitteilung der EU-Kommission vom 25. Oktober 2011 zum Nachhaltigkeitsindex und zur Corporate Social Responsibility).

Von Interesse wären nun aktuelle Zahlen und Erkenntnisse über eventuell bereits bestehende, dahingehende Ansätze beispielsweise auf Verwaltungsebene. Auch Erkenntnisse anderer europäischer Staaten wie der Niederlande oder Großbritanniens sollten geprüft werden, da sie bereits über Erfahrungen verfügen und ein umfangreiches Beschaffungswesen nach sozialen, ökologischen und möglicherweise sogar entwicklungspolitischer Kriterien etabliert haben.

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher an die Bundesministerin für Finanzen (BMF) folgende

Anfrage:

1.       Welche Informationen liegen dem BMF darüber vor, inwiefern Konsummuster in den Industrieländern schädlich für eine nachhaltige Entwicklung in Entwicklungsländern sind?

2.       Verfügt das BMF über konkrete Zahlen und/oder Studien über entwicklungsschädliche Effekte von österreichischer und europäischer öffentlicher Beschaffung in Entwicklungsländern?

 

a)    Wenn ja, was sind die Ergebnisse im Detail, und welche Maßnahmen wurden ergriffen, um diese Effekte zu vermindern?

b)    Wenn nein, warum liegen diese Erkenntnisse nicht vor, und was unternimmt die Bundesregierung, um diese Erkenntnisse zu erlangen?

 

3.       Welche Zielkonflikte bestehen zwischen den Entscheidungsgrundlagen der öffentlichen Beschaffung in Österreich und entwicklungspolitischen Zielsetzungen der internationalen Gemeinschaft?

4.       Welche Formen von Kohärenzprüfungen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung, die die Auswirkungen der öffentlichen Beschaffung mit einbeziehen, unternimmt das BMF, bzw. die BBG, haben sie bereits unternommen und planen sie zu unternehmen?

5.    Welche Maßnahmen unternimmt das BMF, um im Rahmen der bestehenden Gesetze den Ausbau und die Weiterentwicklung einer an ökologischen, sozialen und entwicklungspolitischen Kriterien orientierten Beschaffung in den Bundesministerien, der BBG, dem Bundeskanzleramt und in nachgeordneten Behörden flächendeckend, österreichweit einzuführen und umzusetzen?


6.       Welche Bundesministerien haben in der Weiterentwicklung der öffentlichen Beschaffung jeweils bezüglich ökologischer und sozialer Kriterien bzw. deren entwicklungspolitischer Relevanz die Federführung?

7.       Welche Bundesministerien werden

a.    in welchem Umfang und

b.    mit welchen Kompetenzen in die Weiterentwicklung dieser Kriterien mit einbezogen?

8.         Welche weiteren Standards bzw. Verwaltungsvorschriften für alle oder einzelne Bundesministerien bestehen, die sich hinsichtlich sozialer und ökologischer Kriterien auf das Vergaberecht beziehen, oder diese ergänzen?

9.         Wie werden diese (siehe Frage 8) Verwaltungsvorschriften weiterentwickelt, und wie wird deren Einhaltung jeweils kontrolliert?

10.      Ist eine institutionalisierte und regelmäßige Weiterentwicklung bestehender Kriterien für eine soziale und ökologische Beschaffung des BMF, bzw. der BBG vorgesehen, und wie wird sich diese laufend auf aktuelle Entwicklungen hinsichtlich der Angebots- und Produktionssituation beziehen?

11.      In welchem Umfang, über welche Medien und zu welchen Themen informieren das BMF, bzw. die BBG über die Beschaffungspraxis in Bundesministerien und nachgeordneten Behörden, bzw. über die Anwendung von sozialen und ökologischen Kriterien in der Beschaffung allgemein?

12.      In welcher Weise kommunizieren das BMF, bzw. die BBG ihre Pläne zur Anwendung von sozialen und ökologischen Kriterien in der Beschaffung gegenüber Vertreterinnen und Vertretern von Produzentenländern, in denen unzureichende Arbeits- und Produktionsbedingungen herrschen?

13.      Über welche Maßnahmen welchen Umfangs, in welchen Ländern und zu welchen Produktgruppen unterstützt die Bundesregierung die Wirtschafts- und Handelsstrukturen in Entwicklungs- und Schwellenländern, damit diese Zugang zu Zertifizierungsprozessen erhalten?

14.      In welcher Form und über welche Strukturen plant das BMF in der Entwicklungszusammenarbeit bei einer verstärkt an sozialen und ökologischen Kriterien orientierten Beschaffung die Perspektive der Wirtschaft - zwecks Abstimmung möglicher einheitlicher Standards - einzubeziehen?

15.      Welche Ziele und Interessen verfolgt das BMF gegenüber den Beitrittskandidaten zum Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen der Welthandelsorganisation (Albanien, China, Georgien, Jordanien, Kirgisien, Moldau, Oman und Panama)? Stehen diese Ziele nach Auffassung des BMF im Einklang mit den Plänen zur Anwendung von sozialen und ökologischen Kriterien in der Beschaffung im Inland?

16.      Inwieweit unterscheidet sich das Beschaffungsmanagement des BMF, bzw. der BBG vom Managementsystem in den Niederlanden, Großbritannien und den skandinavischen Ländern hinsichtlich der Berücksichtigung von sozialen und ökologischen Kriterien?

17.   Welche Vorbildfunktion in der Beschaffung sieht das BMF mit Blick auf kommunale und Länderverwaltungen?


18.      In wie vielen Beschaffungsstellen von Bundesministerien, Bundeskanzleramt, Bundesbeschaffung und nachgeordneten Behörden sind wie viele Personen tätig, die explizit Kenntnisse von der Aufnahme und Bewertung sozialer, ökologischer oder entwicklungspolitisch relevanter Kriterien in Vergabe-/Beschaffungsvorgängen haben?

19.      In welcher Form und mit welchem Aufwand hat das BMF, bzw. die BBG die zuständigen Mitarbeiter auf Bundes- bzw. Länderebene und Gemeindeebene in den vergangenen zehn Jahren bezüglich öffentlicher Beschaffung geschult, und welchen Anteil nahm dabei das Thema der sozialen, ökologischen und entwicklungspolitischen Kriterien ein?

20.      Hat die BBG ökologische, soziale und entwicklungspolitische Zielmarken für ihre Beschaffung formuliert (wie beispielsweise in den Niederlanden: 100 Prozent sozialökologische öffentliche Beschaffung bis 2010), und wenn ja, wie lauten diese, und wenn nicht, aus welchen Gründen wurde auf konkrete Ziele - oder auf ein konkretes Ziel - verzichtet?

21.      In welchen Bundesunternehmen bzw. Unternehmen mit Beteiligung des Bundes wurde eine an ökologischen und sozialen Kriterien sowie entwicklungspolitischen Zielsetzungen orientierte Beschaffung eingeführt, in welchen Unternehmen ist dies aus welchen Gründen nicht erfolgt, und wie werden die laufenden Beschaffungsvorgänge bezüglich dieser Kriterien in den Unternehmen vom BMF, bzw. von der BBG kontrolliert?

22.      In welchem Umfang wurde in welchen der zuvor genannten Unternehmen in den Jahren 2009 und 2010 eine ökologischen und sozialen Kriterien folgende sowie sich an entwicklungspolitischen Zielsetzungen orientierende Beschaffung umgesetzt (bitte jeweils nach den einzelnen Unternehmen aufschlüsseln und in absoluten und relativen Zahlen die Beschaffungen nach sozialen und ökologischen Kriterien angeben)?

23.      Welche Hindernisse sieht das BMF, bzw. die BBG aktuell bezüglich einer flächendeckenden Einführung einer Beschaffung nach ökologischen und sozialen Kriterien, sowie entwicklungspolitischen Zielsetzungen in allen Bundesunternehmen und Unternehmen mit Beteiligung des Bundes?

24.      Hat das BMF Malinahmen gesetzt, um Unternehmen des Bundes, solche mit Bundesbeteiligung und private Unternehmen bezüglich des Themas ökologischer, sozialer und entwicklungspolitischer Beschaffung miteinander zu vernetzen?

a.   Wenn ja, inwiefern genau?

b.   Wenn nein, werden solche Angebote, so sie von unabhängigen Organisationen durchgeführt werden, von der Bundesregierung in welchem Umfang gefördert?

25.      In welchen Strukturen (Gremien, Arbeitsgruppen etc.) tauschen sich das BMF, bzw. die BBG grundsätzlich zum Thema öffentliche Beschaffung hinsichtlich sozialer, ökologischer und entwicklungspolitischer Kriterien jeweils intern, mit der Wirtschaft, den Beschaffungsstellen von Ländern und Kommunen, sowie Institutionen anderer europäischer Staaten bzw. der EU aus?

26.   In welcher Form und in welchem Umfang unterstützt das BMF, Bundesländer und Kommunen bei der Anwendung von sozialen und ökologischen Standards in der Beschaffung?


27.      Ist der Aufbau einer "Bieterdatenbank" vorgesehen, in welcher zur Unterstützung der Vergabestellen Anbieter aufgenommen werden, deren Produkte sozialen und ökologischen Kriterien gerecht werden? Wenn nicht, warum nicht?

28.      Mittels welcher zur Bieterdatenbank alternativen Möglichkeiten kann die Bundesregierung im Rahmen ihrer Kompetenzen allen öffentlichen Beschaffungsstellen Zugang und Überblick zu Produkten verschaffen, die sozialen und ökologischen Kriterien gerecht werden?

29.      Durch welche Nachweise, Siegel und welche Art der Bietererklärung gegenüber der BBG kommen die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation zum Tragen, und über welche Verwaltungsvorschriften konkretisiert das zuständige Ministerium diese Berücksichtigung der Kernarbeitsnormen, die für alle aktuellen Beschaffungsvorgänge gelten sollten?

30.      Welche Siegel oder Zertifikate für soziale und ökologische Kriterien mit entwicklungspolitischem Bezug haben Ministerien, Bundeskanzleramt, nachgeordnete Behörden und BBG in den Jahren 2009 und 2010 in der Beschaffung anerkannt, und somit die über das Siegel oder Zertifikat nachgewiesenen sozialen oder ökologischen Kriterien bei der zugehörigen Vergabeentscheidung berücksichtigt?