12664/J XXIV. GP

Eingelangt am 20.09.2012
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Anfrage

 

der Abgeordneten Karl Öllinger, Albert Steinhauser, Petra Bayr, Freundinnen und Freunde an die Bundesministerin für Inneres

betreffend Antisemitismus und Polizei

BEGRÜNDUNG

 

Wir sind bestürzt über die Berichte der letzten Tage, die das Nicht-Einschreiten von ExekutivbeamtInnen im Fall von klar antisemitischen Handlungen und Aussagen beschreiben, die  auch Tatbestände des Verbotsgesetzes erfüllen. Als ein Rabbiner am 30. August  2012  den Schwedenplatz passiert, wird er von einem Fußballfan beschimpft: “Hau ab, du Scheiß-Jude! Juden raus! Heil Hitler!“

Einige Polizisten haben  sich direkt in der Umgebung des Vorfalls aufgehalten und werden von dem Betroffenen auch gebeten, dagegen etwas zu unternehmen, worauf er – laut Gedächtnisprotokoll- zur Antwort bekommt: “Na hörn’s, heut‘ is Fußball!“. Auch weitere BeamtInnen wurden aufgefordert einzuschreiten und auch diese blieben tatenlos. Mindestens über einen Beamten wird berichtet: „Der Polizist stand nur tatenlos daneben und hat gegrinst, laut Aussage des Opfers.“ (HEUTE 04.09.2012)

Das BMI hat lückenlose Aufklärung zugesagt und das Büro für Besondere Ermittlungen (BBE) beauftragt.

Das Problem scheint aber tiefer zu liegen. Uns sind mehrere Situationen bekannt, in denen ExekutivbeamtInnen nicht nur nicht eingeschritten sind, sondern selbst antisemitisch aufgefallen sind. Wir möchten dafür 2 Beispiele bringen:

Beispiel 1) Auschwitz Befreiungsfeier am 27.1.2009, Judenplatz, 1010 Wien

Am 27.1.1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz von Alliierten Truppen befreit. Für viele Tausende Menschen bedeutete das die Rettung vor dem Tod. Wie jedes Jahr begehen diesen Tag mehrere Organisationen als Gedenk- und Feiertag.


So auch am 27.1.2009, als die Jüdische HochschülerInnenschaft, die Israelitische Kultusgemeinde, das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, GoDogma und die Österreichische HochschülerInnenschaft der Universität Wien zu einer Gedenkveranstaltung am Judenplatz in 1010 Wien lud. An der Veranstaltung nahmen ca. 150 Personen teil, darunter VertreterInnen der Bezirksvorstehung und -vertretung, des Jüdischen Museums, der Israelitischen Kultusgemeinde und vieler anderer. Im Umfeld der Veranstaltung waren sieben ExekutivbeamtInnen abgestellt, offenbar zum Schutz. Die VeranstalterInnen berichten, dass sich diese ExekutivbeamtInnen von Anfang an pietätlos verhielten und sich lautlachend Witze erzählten - darunter auch solche über Juden und Jüdinnen, deren „Aussehen“ und Auschwitz. Nach der Veranstaltung wurde von Seiten der VeranstalterInnen dieses Verhalten und die Störung einer Veranstaltung durch die Polizei selbst Ihrem Ministerium, der BPD Wien und der betreffenden Polizeiinspektion zur Kenntnis gebracht.

Beispiel 2) Gedenkveranstaltung zum Novemberpogrom 2011

Am 9. November 1938, von den Nazis „Reichskristallnacht“ genannt, kam es in Wien zu zahlreichen Enteignungen, Plünderungen und Übergriffen auf Juden und Jüdinnen seitens der Wiener Bevölkerung und organisierter NationalsozialistInnen. Jedes Jahr finden im Gedenken daran zahlreiche Veranstaltungen statt. Am 10.11.2011 versammelten sich ca. 250 Personen, um an einem behördlich angemeldeten Gedenkrundgang durch den 6. Wiener Gemeindebezirk teilzunehmen. Die Einsatzleiterin fiel den VeranstalterInnen und TeilnehmerInnen durch permanentes aggressives und störendes Verhalten auf. So unterbrach sie die Redebeiträge und schikanierte TeilnehmerInnen ohne Grundlage. Auch wies sie ihre KollegInnen an, sich mitten in die geschlossene  Gruppe der ZuhörerInnenschaft zu begeben, anstatt außerhalb zu bleiben, und ordnete weiters an, dass ein Beamter sich direkt hinter die RednerInnen stellte, wo er den Ablauf der Veranstaltung massiv beeinträchtigte und die Anwesenden einschüchterte. Eine Station dieses Gedenkrundgangs war auch die Polizeiinspektion Stumpergasse/Schmalzhofgasse, da sich diese in einem 'arisierten' Gebäude befindet, worauf auch eine an der Hausmauer angebrachte Gedenktafel hinweist. Auch hier störte die Einsatzleiterin die Veranstaltung,  sodass der Redebeitrag abgebrochen werden musste. Die Beschwerde der VeranstalterInnen an die Polizeiinspektion Stumpergasse/Schmalzhofgasse wurde nie beantwortet.

Zu erwähnen wäre auch noch der 3.6.2011, wo es im Vorfeld des Fußball- Länderspiels Österreich – Deutschland schon  bei der Anreise von Fußballfans im Zug von Salzburg zu antisemitischen und neonazistischen Pöbeleien und Drohungen gekommen ist und die zu Hilfe gerufene Polizei am Wiener Westbahnhof nicht eingeschritten ist, was zu strafrechtlichen Ermittlungen gegen die beteiligten Beamten geführt hat.

Diese Beispiele zeigen, dass offensichtlich manchen BeamtInnen die nötige Ausbildung fehlt, um in Situationen, in denen antisemitische Handlungen gesetzt


werden, adäquat  zu reagieren und bei Verstößen gegen das Verbotsgesetz verhindernd einzuschreiten.  Auch scheinen einige Beamte  selbst antisemitisch  eingestellt zu sein und als Exekutivorgane der Republik antisemitisch bzw. zumindest pietätlos zu handeln.

Der nicht eingreifende Polizist am Schwedenplatz blieb nicht nur passiv, sondern er zeigte durch sein Grinsen, dass er den Charakter der Situation durchaus erkannte. Ähnliches gilt für den Vorfall am Westbahnhof im Juni 2011. BeamtInnen, die an einer Auschwitz-Gedenkveranstaltungen teilnehmen, um sich dort Witze über Juden und Jüdinnen zu erzählen, sind genauso wie jene Beamtin, die einen angemeldeten Stadtrundgang zu Orten des nationalsozialistischen Terrors schikanieren, eine Erinnerung, dass es permanenter Anstrengungen bedarf,  um Antisemitismus erkennen und benennen zu lernen.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Ist nach der Beschwerde betreffend die Auschwitz-Gedenkveranstaltungen am 27.1.2009 ein Disziplinarverfahren gegen den Einsatzleiter eingeleitet worden? Wenn nein: Warum nicht?

2)    Was ergab dieses Verfahren? Wann wurde dieses Verfahren begonnen und beendet?

3)    Was waren die Konsequenzen für den Einsatzleiter?

4)    Gab es Konsequenzen für die anderen ExekutivbeamtInnen die an der Gedenkveranstaltung am 27.1.2009 am Judenplatz abgestellt waren? Wenn ja: Welche? Wenn nein: Warum nicht?

5)    Wurden diese überhaupt befragt/einvernommen? Von welcher Stelle? Wenn nein: Warum nicht?

6)    Gab es für die PI Am Hof Belehrungen, Informationsveranstaltungen, Schulungen o.ä. in Reaktion auf die Verfehlungen?

7)    Sind Sie aus heutiger Sicht der Meinung, dass die Konsequenzen in Anbetracht der Tatsache, dass diese PI den Schutz wichtiger jüdischer Einrichtungen, wie des jüdischen Museums und des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes sicherzustellen hat, ausreichen?

8)    Hat die gleiche Stelle, die der Beschwerde nach der Auschwitz-Gedenkveranstaltungen nachging, die Ermittlungen im Fall des Nicht-Einschreitens am Schwedenplatz über?


9)    Ist Ihnen die Beschwerde betreffend der Einsatzleiterin bei der Gedenkveranstaltung am 10.November 2011 bekannt? Ist nach der Beschwerde ein Disziplinarverfahren gegen die Einsatzleiterin eingeleitet worden? Wenn nein: Warum nicht?

10) Was ergab dieses Verfahren? Wann wurde dieses Verfahren begonnen und beendet? Was waren die Konsequenzen für die Beamtin?

11) Gab es Konsequenzen für die anderen ExekutivbeamtInnen,  die an der Gedenkveranstaltung am 10.November 2011 abgestellt waren? Wurden diese befragt/einvernommen?

12) Hat die gleiche Stelle, die der Beschwerde nach dem Novemberpogrom-Rundgang nachging, die Ermittlungen im Fall des Nicht-Einschreitens am Schwedenplatz über?

13) Werden BeamtInnen, die einmal antisemitisch aufgefallen sind oder über die es dementsprechende Beschwerden gab, auch weiterhin und in Zukunft bei Gedenkveranstaltungen oder ähnlichen Veranstaltungen eingesetzt ?

14) Glauben Sie, dass diese etwa auch den Schutz von jüdischen Einrichtungen garantieren könnten?

15) Gibt es Kurse für PolizistInnen zum Thema Antisemitismus bzw. NS- Wiederbetätigung? Wenn nein: Warum nicht? Wenn ja: In welchem Ausmaß und für wen?

16) Sind diese verpflichtend?

17) Sind diese nach antisemitischen Vorfällen oder Beschwerden verpflichtend? Wenn nein: Warum nicht?

18) Wie viele ExekutivbeamtInnen haben solche Kurse in den letzten 5 Jahren belegt ( Bitte nach Jahren und Bundesland aufschlüsseln) ?

19) Wie viele ExekutivbeamtInnen  waren zur Teilnahme verpflichtet? Wie viele nahmen freiwillig teil?

20) Sind solche Kurse auch Teil der Grundausbildung? Wenn nein: Warum nicht? An welchen Instituten oder Ausbildungsstätten werden diese angeboten?

21) Gibt es innerhalb der Exekutive Infomaterial, dass über das Thema Antisemitismus aufklärt und sensibilisiert, etwa Broschüren, Poster, usw.? Wenn nein: Warum nicht?

22) Gibt es Kurse für PolizistInnen zum Thema Nationalsozialismus? Wenn nein: Warum nicht? Wenn ja: In welchem Ausmaß und für wen?

23) Sind diese verpflichtend?


24) Wie viele ExekutivbeamtInnen haben solche Kurse in den letzten 5 Jahren belegt?  Bitte nach Jahren und Bundesland aufgeschlüsselt auszuführen.

25) Wie viele ExekutivbeamtInnen nahmen freiwillig daran teil? Wie viele verpflichtend?

26) Sind solche Kurse auch Teil der Grundausbildung? Wenn nein: Warum nicht? An welchen Instituten oder Ausbildungsstätten werden diese angeboten?

27) Wie viele ExekutivbeamtInnen nahmen in den letzten fünf Jahren an Informationsveranstaltungen an Orten des nationalsozialistischen Terrors und der nationalsozialistischen Vernichtung, etwa in Mauthausen, Ebensee, Hartheim, Gugging, o.ä. teil? (Bitte nach Jahren und Bundesland aufschlüsseln).

28) Erleichtert der institutionelle Einbau der Abteilung IV/7 in Ihr Ministerium solche Informationsveranstaltungen und Besuche?

29) Gab es im Falle des Vorfalls vom 3.6.2011 (Westbahnhof Wien)  disziplinarrrechtliche Ermittlungen gegen beteiligte Beamte? Wenn ja, mit welchem Ergebnis ? Wenn nein, warum nicht?

30) Wie lautet der vorläufige Erkenntnisstand  des BBE bzw. des BMI bezüglich des Vorfalls vom 30. September 2012?

31) Sind die nichteinschreitenden Beamten vom 30.8.2012 mittlerweile ausgeforscht worden und wenn ja, werden gegen sie dienst- , disziplinar – und strafrechtliche Schritte eingeleitet?

33)  Gibt es, ausgehend von diesem oder vorherhergehenden Vorfällen, eine Instruktion oder eine andere  Maßnahme,  über die Exekutivbeamte zum Thema Antisemitismus belehrt bzw. sensibilisiert werden?

34) Werden – wie das beispielsweise in Großbritannien seit längerem der Fall ist – den Beamten Informationen über die Geschichte und das tägliche – auch rituelle - Leben der jüdischen Gemeinde in Österreich angeboten, damit ein besseres Verständnis für deren Sicherheitsbedürfnis und ihre rituellen Bedürfnisse herrscht?

35) Sind Ihnen weitere als in dieser Anfrage aufgeführte Beschwerden über antisemitische Äußerungen oder Antisemitismus tolerierendes Verhalten von Exekutivbeamten bekannt. Wenn ja,  welche und wie wurde mit diesen umgegangen?