12721/J XXIV. GP

Eingelangt am 05.10.2012
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Anfrage

 

der Abgeordneten Christiane Brunner, Freundinnen und Freunde an den/die Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend

betreffend Braunkohle-Geschäfte der VERBUND AG in der Türkei

BEGRÜNDUNG

 

Die VERBUND AG gehört zu 51 Prozent der Republik Österreich. Im Oktober 2010 wurde eine Erhöhung des Grundkapitals der VERBUND AG um eine Milliarde Euro beschlossen. Der Bund hat sich daran mit 510 Millionen Euro aus Steuergeldern beteiligt. Weitere staatliche Gelder kamen von den Energieversorgern verschiedener Bundesländer. Die Kapitalerhöhung wurde damit begründet, den Ausbau der Wasserkraft beschleunigen zu wollen. Investitionen in Höhe von 2,5 Mrd. Euro sollten ermöglicht werden, die volkswirtschaftlichen Gesamteffekte von rund 5 Mrd. Euro bewirken würden. Einer Studie des Industriewissenschaftlichen Instituts (IWI) zufolge sollten direkt 37.000, indirekt sogar 92.500 neue Arbeitsplätze entstehen.

Tatsächlich hat der VERBUND seit 2010 erhebliche Mittel in den Bau von Kraftwerken mit fossilen Brennstoffen im In- und Ausland investiert:

-      In der Türkei plant die VERBUND-Tochter Enerji SA den Bau des Braunkohlekraftwerks und –tagebaus in Tufanbeyli. Die Investitionsentscheidung wurde im November 2010 getroffen, also unmittelbar nach der Kapitalerhöhung.[1] In der Halbjahrespräsentation 2012 wurde angekündigt, 750 Millionen Euro in den Bau des Kraftwerks zu investieren.[2]

-      In Mellach (Steiermark) ist heuer ein Gaskraftwerk mit 832 MW Leistung in Betrieb gegangen. Der Bau kostete 550 Mio. Euro.

-      In Toul in Frankreich ist ein Gaskraftwerk mit 413 MW im Bau, das noch heuer in Betrieb genommen werden soll.

-      In Italien hat die VERBUND-Tochter Sorgenia 2010, 2011 und 2012 Gaskraftwerke mit jeweils 800 MW Leistung in Betrieb genommen.

-      Sorgenia plant zudem die Förderung von Öl und Gas aus unkonventionellen Lagerstätten: Ölschiefer in Portugal und Schiefergas in Polen.

Im Halbjahresbericht 2012 spricht VERBUND selbst mehrfach von einem „schwierigen Marktumfeld“ für Gaskraftwerke in Europa und einer „ungünstigen Preisrelation von Gas- zu Strompreisen. Daher fordert der Vorstandsvorsitzende Wolfgang Anzengruber, dass die „überzogene Förderung von Wind- und Sonnenenergie“ überdacht werden solle, weil diese „die gesamte Energieversorgung in Europa“ gefährden würde (Kleine Zeitung, 24.07.2012). Anzengruber macht sich außerdem für ein Quotenmodell anstelle der derzeitigen Förderungen für Wind- und Sonnenstrom stark.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

1)    In welchem Zusammenhang steht die Investitionsentscheidung für das Braunkohlekraftwerk und –tagebau Tufanbeyli im November 2010 mit der Kapitalerhöhung im Oktober 2010? Können Sie ausschließen, dass die Investitionsentscheidung eine unmittelbare Folge der Kapitalerhöhung war?

2)    Die internationale Strategie der VERBUND AG wurde in den letzten Jahren mehrmals geändert. Medienberichten zufolge verhandelt Verbund über einen Verkauf seiner Beteiligung in der Türkei. Auch ein Rückzug aus Frankreich und Italien wird diskutiert. Hat das Wirtschaftsministerium seine Verpflichtungen als Eigentümer zu strategischen Ausrichtung und Aufsicht ausreichend wahrgenommen?

3)    Welche Informationen liegen dem Wirtschaftsministerium über das Braunkohlekraftwerk und –tagebau in der Türkei vor? Wie sind der aktuelle Stand und der weitere Zeitplan?

4)    In Österreich wurde der Braunkohleabbau 2005 eingestellt. Wie bewerten Sie den Bau von Kohlekraftwerken durch staatliche österreichische Unternehmen im Ausland?

5)    Hätte ohne die genannten Investitionen in fossile Kraftwerke die Kapitalerhöhung 2010 geringer ausfallen oder vermieden werden können?

6)    Wie nimmt das Wirtschaftsministerium sein Rechte und Pflichten als Eigentümer wahr, die nationalen und internationalen Energie- und Klimaziele durch die Investitionen des VERBUND umzusetzen?

7)    Welche Auswirkungen auf die europäischen und internationalen Klimaschutzziele haben die Investitionen in fossile Kraftwerke von VERBUND?

8)    Welche Auswirkungen auf die österreichischen Klimaschutzziele hat die Kapitalerhöhung bisher bewirkt? Welche Auswirkungen werden noch erwartet? Wird dadurch der Kauf von Klimaschutzzertifikaten vermieden?

9)    Welche volkswirtschaftlichen Effekte in Österreich hat die Kapitalerhöhung bisher bewirkt? Welche Effekte werden noch erwartet?

10) Welche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in Österreich hat die Kapitalerhöhung bisher bewirkt? Wie viele Arbeitsplätze sind bei VERBUND durch die Kapitalerhöhung bisher entstanden? Wie viele Arbeitsplätze werden noch erwartet? Wie viele Arbeitsplätze sind dadurch indirekt entstanden?

11) Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung unternommen, um einen drohenden Arbeitskräftemangel abzuwenden, falls tatsächlich die versprochenen 92.000 Fachkräfte benötigt würden?

12) Eine europaweit höhere Nachfrage nach Gas hat auch Einfluss auf die Gaspreise und die Versorgungssicherheit in Österreich. Welchen Szenarien werden für beides angenommen? Wird durch den Bau neuer Gaskraftwerke die Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen reduziert?

13) Teilen Sie die Ansicht, dass Wind- und Sonnenenergie in Österreich oder anderen EU-Staaten in überzogenem Maße gefördert werden?

14) Teilt Sie die Ansicht, dass Wind- und Sonnenenergie die Energieversorgung in Europa gefährdet?

15) Wie bewertet Sie die Forderung nach einem Quotenmodell anstelle einer Einspeisevergütung?

16) Wie hat sich der Energiemix und die spezifischen Treibhausgasemissionen von VERBUND in Erzeugung, Handel und Stromabsatz in den letzten Jahren verändert?

17) Wie wird sich der Energiemix und die spezifischen Treibhausgasemissionen in Erzeugung, Handel und Stromabsatz durch realisierte oder in Planung befindliche Kraftwerke bis 2015 und 2020 verändern?

 



[1] EnerjiSA, 2012: „Tufanbeyli Thermal Power Plant Livelihood Restoration Plan(LRP)“, S. 96
Download: http://www.enerjisa.com.tr/en-US/Generation/OurProjects/Pages/Thermal.aspx

[2] Verbund Company Presentation, Results First Half 2012