1340/J XXIV. GP

Eingelangt am 13.03.2009
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ANFRAGE

 

der Abgeordneten Schatz, Freundinnen und Freunde

 

an den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz

 

betreffend fehlerhafte Anrechnung angeblichen PartnerInneneinkommens in der Notstandshilfe wie in der Sozialhilfe

 

 

Beim Vollzug des Arbeitslosenversicherungsrechtes durch das AMS sowie der Sozialhilferegelungen durch die Länder werden Bestimmungen über die Einbeziehung von Einkommen vermeintlicher oder tatsächlicher LebensgefährtInnen zum Nachteil der AntragstellerInnen ausgelegt.

 

Die Fehlerquelle liegt sowohl in der Beurteilung der jeweiligen Lebenssituation durch die Behörde wie auch in der für die AntragstellerInnen nicht eindeutig nachvollziehbare Frage, ob sie in einer Lebensgemeinschaft leben.

 

Bei der Berechnung von Ansprüchen aus der Notstandshilfe und Sozialhilfe senkt ein etwaiges Partnereinkommen die Ansprüche der AntragstellerInnen. Aus diesem Grund werden die Anspruchsberechtigten bei der Antragstellung gefragt, ob sie in einer Lebensgemeinschaft leben. Wird diese Frage bejaht und liegt ein Einkommen der oder des vermeintlichen Partners/Partnerin in der Lebensgemeinschaft vor, reduziert sich der Notstandshilfeanspruch.

 

Diese Vorgangsweise des AMS widerspricht jedoch der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Der VwGH hat erkannt, dass Einkommen anderer in der selben Wohnung lebenden Personen nur dann bei der Berechnung der Höhe von Notstandshilfe- oder Sozialhilfeleistungen einbezogen werden können, wenn der oder die AntragstellerIn gegenüber dieser Person entweder

l        einen Unterhaltsanspruch hat oder

l        tatsächlich Unterhaltsleistung (auch ohne Anspruch) erfolgen.

 

AntragstellerInnen ist die rechtliche Bedeutung der Frage bei deren Beantwortung selbstverständlich nicht bewusst. Sie beantworten subjektiv nicht die Frage, ob sie Unterhaltsansprüche gegen den Partner haben oder von dieser/m tatsächlich finanziell unterstützt werden, sondern eine emotional besetzte Frage: Ja, ich lebe mit einem Menschen zusammen, den ich liebe.

 

Auf diese Weise werden die Ansprüche der AntragstellerInnen in rechtlich nicht vertretbarer Weise verkürzt. Ihnen wird ein Einkommen zugerechnet, das sie gar nicht haben.

 

Es kann nicht vorausgesetzt werden, dass AntragstellerInnen der rechtliche Inhalt einer etwaigen Aussage, sie lebten in einer Lebensgemeinschaft, bewusst ist. Das Wort „Lebensgemeinschaft“ bezeichnet im Verständnis vieler Menschen zuallererst Wohn- und Geschlechtsgemeinschaft, ohne jedoch auf eine Wirtschaftsgemeinschaft abzustellen.

 

Das AMS leistet keinen Beitrag zur Aufklärung der Menschen. In den FAQs des AMS zu Notstandshilfe ist zu lesen: „Ausschlaggebend für die Berücksichtigung des Einkommens Ihres/ Ihrer Lebensgefährten/Lebensgefährtin ist nicht die getrennte Kontenführung, da diese meist auch im Falle einer Ehe vorliegt, sondern es sind vielmehr die Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft maßgebend, die zu einer Verringerung der Lebenskosten führen.“

 

Was also eigentlich eine Lebensgemeinschaft genau ist, wird nicht erläutert und bleibt für die Informationssuchenden somit unverständlich.

 

Auch im Antragsformular selbst wird nur nach dem Vorhandensein einer Lebensgemeinschaft gefragt. Was darunter zu verstehen ist, wird nicht erklärt.

 

Die Vollzugspraxis der Länder entspricht nicht der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.

 

In Vorarlberg etwa müssen AntragsstellerInnen (etwa durch Vorlage von Mietverträgen) beweisen, dass keine Lebensgemeinschaft vorliegt.

In Wien erhebt die Behörde, ob es etwa gemeinsame Kinder gibt oder die beiden Personen bereits zu einem früheren Zeitpunkt an einer gemeinsamen Adresse gemeldet waren.

In Oberösterreich wird grundsätzlich das Bestehen einer Lebensgemeinschaft angenommen, sofern der/die AntragstellerInnen nicht ausdrücklich erklären, nicht in einer solchen zu leben.

 

Auch über das Ermittlungsverfahren hinaus werden in den Bundesländern bisweilen sehr fantasievolle Annahmen getroffen, um die Ansprüche der AntragstellerInnen zu reduzieren: In Kärnten etwa wird bei der Bemessung der Wohnbedarfsbeihilfe grundsätzlich und unabhängig davon, ob eine Lebensgemeinschaft vorliegt oder nicht, ein fiktives Haushaltseinkommen aller in einer Wohnung lebenden Menschen gebildet.

 

Es ist für die AntragstellerInnen ohne unzumutbar hohem Aufwand nicht möglich, zu wissen, welche Frage sie also beantworten.

 

Angesichts eines sich glücklicherweise (wenn auch leider zu langsam) ändernden Rollenbildes von Frauen in unserer Gesellschaft ist etwa nicht nur denkbar, sondern auch wahrscheinlich, dass eine Reihe von finanziellen und organisatorischen Notwendigkeiten im Zusammenwohnen und Zusammenleben von Menschen zwar gemeinschaftlich erledigt werden, die anfallenden Kosten jedoch unabhängig von den jeweiligen Einkünften der Einzelpersonen zu gleichen Teilen aufgebracht werden. Aus einer solchen Form des Zusammenlebens mag sich zwar eine Lebensgemeinschaft im Sinne einer Wohn- und Geschlechtsgemeinschaft ergeben, keinesfalls jedoch eine Wirtschaftsgemeinschaft, da von keiner Seite finanzielle Leistungen an die andere erfolgen.

 

Es steht der Behörde nicht zu, willkürliche Annahmen über die Gestaltung der Lebenszusammenhänge von Menschen zu treffen und daraus rechtliche Folgen abzuleiten, die einzig auf die Schaffung oder Verstärkung von Abhängigkeiten abzielen und auf diese Weise ein Bild von Lebensgemeinschaften zur Grundllage ihrer Gesetzesauslegung und ihres Vollzugs zu machen, das nicht nur nicht der Realität entspricht, sondern auch noch eine ganz spezifische – nämlich nicht partnerschaftliche – Form der Lebensgemeinschaft propagiert und erzwingt.

 

Die Lösung des Problems ist höchst einfach: Das AMS muss die allgemeine Frage nach dem Vorliegen einer Lebensgemeinschaft durch zwei Fragen ersetzen bzw. diese ergänzen:

l        Haben Sie gegenüber Ihrem Mitbewohner/Ihrer Mitbewohnerin einen Unterhaltsanspruch?

l        Trägt Ihr Mitbewohner/Ihre Mitbewohnerin regelmäßig zu ihrem Lebensunterhalt bei?

 

Wird eine der beiden Fragen bejaht, liegt ein einzuberechnendes Einkommen vor, ansonsten nicht.

 

Eine der Judikatur entsprechende Administration der Bestimmungen über Lebensgemeinschaften in den Sozialhilferegelungen durch die Länder betrifft auch den Vollzug des Bundes, da nur eine rechtlich einwandfreier Vollzug die Umsetzung einer 15a-Vereinbarung zur Mindestsicherung durch die Länder gewährleistet.

 

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

 

1.   Auf welche Weise werden Sie sicherstellen, dass die Regelung über die Berücksichtigung etwaiger Einkommen von LebensgefährtInnen bei der Berechnung der Notstandshilfe zukünftig unter Beachtung der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs erfolgt?

2.   Werden Sie dafür sorgen, dass im Verfahren zur Ermittlung der Höhe der Notstandshilfe zukünftig ausdrücklich danach gefragt wird, ob ein Unterhaltsanspruch gegenüber MitbewohnerInnen besteht oder MitbewohnerInnen  regelmäßig zum Lebensunterhalt des oder AntragstellerIn beitragen?

3.   Sieht der mit acht Bundesländern akkordierte Entwurf einer zwischen Bund und Ländern zu schließenden Vereinbarung nach Art. 15a BVG betreffend die Mindestsicherung Bestimmungen hinsichtlich der Anrechnung von Einkommen etwaiger in der selben Wohnung lebenden Menschen vor?

4.   Wenn ja: Wie lauten diese?

5.   Wenn nein: Warum nicht?

6.   Auf welche Weise ist sichergestellt, dass die Länder die Anrechnung von Einkommen von MitbewohnerInnen/LebensgefährtInnen in einer in der Judikatur des VwGH entsprechenden Weise erfolgt?

7.   Haben Sie Kenntnis von der Vollzugspraxis der einzelnen Bundesländer betreffend die Anrechnung von Einkommen angeblicher oder tatsächlicher LebensgefährtInnen?

8.   Wenn nein: Warum eigentlich nicht?

9.   Bitte stellen Sie dar, in welcher Form AntragstellerInnen in den einzelnen Bundesländern auf die juristische Bedeutung des Wortes „Lebensgemeinschaft“ hingewiesen werden?

10.             Bitte stellen Sie dar, wie in den einzelnen Bundesländern bei der Berechnung des Sozialhilfeanspruchs bzw. verwandter, in den Sozialhilferegelungen vorgesehener Leistungen im Fall von MitbewohnerInnen/LebensgefährtInnen vorgegangen wird.

11.             Im Zuge der öffentlichen Debatte zu diesem Thema fand sich in den Medien ein Hinweis darauf, dass im Sozialministerium daran gedacht werde, dieses Problem bei der Implementierung der Mindestsicherung zu berücksichtigen. Wie wird dies passieren?

12.             Werden Sie veranlassen, dass die Darstellung des Wortes Lebensgemeinschaft auf er Homepage des AMS in einer Art und Weise geändert wird, wie sie für potentielle AntragstellerInnen nachvollziehbar und – der Judikatur des VwGH folgend – verständlich ist?