14611/J XXIV. GP
Eingelangt am 26.04.2013
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Jarolim, Dr.in Oberhauser, und vieler weiterer Genossinnen und Genossen,
an die Bundesministerin für Inneres,
betreffend die "Anti-Drogenstrategie-Neu" des Innenressorts
Wie dem Bericht zur Suchtmittelkriminalität 2011 des Bundeskriminalamtes sowie zahlreichen Ihrer Aussagen gegenüber Medien zu entnehmen ist, planen Sie eine „Anti- Drogenstrategie-Neu“ umzusetzen. Sie begründen dies in erster Linie damit, dass es einen dramatischen Anstieg „jugendlicher Erstkonsumentinnen und -konsumenten“ gebe, was sich daran ablesen lasse, dass sich die „Anzahl der Drogeneinsteiger bei den 14- bis unter 18- Jährigen von 395 im Jahr 2009 auf 670 im Jahr 2011 beinahe verdoppelt“ habe (vgl. Website BMI, Suchtmittelbericht des BMI).
Aus Ihrem Suchtmittelkriminalitätsbericht geht dazu hervor:
Die Anzahl der gesamten Anzeigen nach SMG ist von 23.853 in 2010 auf 25.892 in 2011 gestiegen. Die Anzahl der angezeigten Personen ist hingegen von 18.751 in 2010 auf 16.450 in 2011 gesunken. (BMI Bericht Seite 33).
Die Darstellung der Altersgruppe der 14 bis unter 18 Jährigen (BMI Bericht Seite 70) zeigt seit 2009 einen leichten, aber kontinuierlichen Rückgang (2009: 1103, 2010: 1045, 2011: 973). In der letzten Abbildung auf Seite 70 des BMI Berichtes wird jedoch grafisch ein Anstieg der „Jugendlichen Erstkonsumenten“ dargestellt, der allerdings infolge Fehlens einer tabellarischen Darstellung der zu Grunde liegenden Zahlen nicht nachvollziehbar ist.
In der Strategie (Fünf-Punkte-Programm) selbst geht es nur am Rande um die Bekämpfung des kriminellen Drogenhandels. Überwiegend werden mit Drogenkonsum assoziierte Gesundheitsthemen angesprochen. Vor allem die Forderung „Weg von Drogenersatzstoffen“, die Kritik an der Qualität der medizinischen Beurteilungspraxis der Gesundheitsbehörden im Rahmen des Suchtmittelgesetzes und die Ankündigung der lückenlosen Beobachtung des Drogenkonsums verdächtiger Drogenkonsumenten und - konsumentinnen über längere Zeiträume mittels Haaranalysen sind vom Gesundheitsministerium und der Fachwelt des Suchtbereichs zurückgewiesen worden. Sie haben damit Kritik an der Einmischung des Polizeiapparates in das Gesundheitswesen provoziert.
Die unterzeichnenden Abgeordneten stellen daher an die Bundesministerin für Inneres
folgende
Anfrage:
1. Sucht ist eine schwere Erkrankung. Auf der Website Ihres Ressorts findet sich eine Definition von „Sucht“ unter der Überschrift „Kriminalprävention“. In Ihrem „Jahresbericht Kriminalitätsprävention 2011“ des Bundeskriminalamtes findet sich der Begriff „Sucht(delikts)prävention“ (S. 17). Halten Sie es für sachgerecht, Erkrankungen in den Kontext von Kriminalität zu stellen?
2. Suchtentwicklung ist nicht nur auf die Wirkung einer Substanz zurückzuführen, sondern beruht auf einem komplexen Ursachen-Wirkungszusammenhang, viele Persönlichkeitsund Umgebungsfaktoren spielen dabei eine Rolle. Sie verwenden auf Ihrer Website die Formel „Erfahrung - Wiederholung - Gewöhnung (Missbrauch)“. Wenn sich Sucht auf diese einfache Formel reduzieren ließe, müsste ein Großteil der Österreicher und Österreicherinnen z.B. an einer Alkoholsucht erkrankt sein.
Basiert dieses Erklärungsmodell auf wissenschaftlichen Grundlagen und wenn ja, auf welchen?
3. Die von Ihnen veröffentlichte „Anti-Drogenstrategie“ bezieht sich größtenteils auf suchtspezifische, dem Gesundheitswesen zuzuzählende Themen (Suchtprävention, Sekundärprävention, medizinische Beurteilung von Drogenkonsum bzw. Drogenmissbrauch durch die Gesundheitsbehörden, Sucht- einschließlich Substitutionstherapie). Welche wissenschaftliche und praktische Fachexpertise liegt dem zu Grunde und steht dafür im Personalstand Ihres Ressorts zur Verfügung?
4. Die Darstellung der Anzeigenentwicklung in Ihrem Bericht zur Suchtmittelkriminalität wirft Fragen auf:
4.1. Wie konnte die Polizei im Rahmen der Aufnahme einer Anzeige feststellen, ob es sich bei den Anzeigen um „Drogeneinsteigerlnnen“ handelt?
4.2. Wie konnte die Polizei im Rahmen der Aufnahme einer Anzeige feststellen, ob es sich bei den Anzeigen um „Erstkonsumentinnen oder -konsumenten“ handelt?
4.3. Wie sind „Drogeneinsteigerlnnen“ und „Erstkonsumentinnen oder -konsumenten“ im BMI definiert?
4.4. Welche Kriterien gibt es dafür, ob eine Person seitens der Polizei als „Drogeneinsteigerln“ oder „Erstkonsumentin“ klassifiziert wird?
4.5. Wie ist der Anstieg der Anzahl der gesamten Anzeigen nach SMG von 2010 auf 2011 bei gleichzeitigem Sinken der Anzahl der angezeigten Personen in diesem Zeitraum zu erklären? Welche Parameter haben sich in welcher Weise verändert? (Tatbestände, Substanzen, etc.)
4.6. Welche Zahlen werden in der Tabelle bzw. der Grafik nach Altersgruppen auf Seite 70 dargestellt? (Anzeigen oder Personen?)
Betreffend die Altersgruppe der 14 bis 18 Jährigen:
4.7. Wie ist das kontinuierliche Sinken der Zahlen in der Altersgruppe der 14 bis unter 18 Jährigen von 2009 bis 2011 bei einem gleichzeitigen Anstieg der Anzahl der 14 bis unter 18 jährigen jugendlichen Erstkonsumentinnen und -konsumenten (BMI Bericht Seite 70) in diesem Zeitraum zu erklären? Welche Parameter haben sich in welcher Weise verändert? (Tatbestände, Substanzen, etc.)
4.8. Wie hoch war die Anzahl der Anzeigen und der angezeigten Personen in absoluten Zahlen in den Jahren 2000 bis 2012, aufgeschlüsselt nach Jahren, Tatbeständen, Substanzen, Bundesländern und Bezirksverwaltungsbehörden in dieser Altersgruppe?
4.9. Wie viele der angezeigten Personen in dieser Altersgruppe waren erstmals angezeigte Personen pro Jahr?
4.10. Wie viele der angezeigten Personen in dieser Altersgruppe waren mehrfach angezeigte Personen pro Jahr?
4.11 .Aufgrund welcher Tatbestände und Substanzen, gegliedert nach Jahren,
Bundesländern und Bezirksverwaltungsbehörden, wurden die Erstanzeigen in dieser Altersgruppe erstattet?
4.12. Aufgrund welcher Tatbestände und Substanzen, gegliedert nach Jahren, Bundeländern und Bezirksverwaltungsbehörden, wurden die Anzeigen bei den wiederholt Angezeigten in dieser Altersgruppe erstattet?
4.13. Wie ist bei den bereits mehrfach angezeigten Personen dieser Altersgruppe die Verteilung nach Tatbeständen und Substanzen? (Cluster nach Häufigkeit der Anzeigen pro Person)
5. Ist Ihnen bekannt, dass über Beschluss des Ministerrates seit 1997 ein beim Bundesministerium für Gesundheit angesiedelter Mechanismus für die Koordination in Drogenangelegenheiten zwischen den Bundesministerien und den Ländern eingerichtet ist, das Bundesdrogenforum, welches halbjährlich Zusammentritt?
6. Teilen Sie die dem Ministerratsbeschluss 1997 zugrundegelegte Anforderung einer koordinierten Vorgehensweise aller mit drogen- und suchtpolitischen Fragen betroffenen Stellen?
7. Haben Sie veranlasst, dass das Bundesdrogenforum oder die Bundesdrogenkoordination vom Vertreter Ihres Ressorts vor der medialen Präsentation Ihrer „Anti-Drogenstrategie“ zum Zweck der vorbereitenden Meinungsbildung über Ihr 5-Punkte-Programm und Aufbereitung der Ergebnisse für die betroffenen politischen Entscheidungsträger befasst wurde? Wenn nein, warum nicht?
8. Halten Sie eine kohärente, zwischen den maßgeblichen Zentralstellen und den Ländern abgestimmte Herangehensweise in drogenpolitischen Fragen für zielführend? Wenn nein warum nicht?
9. Anlässlich der Präsentation Ihrer Anti-Drogenstrategie und in weiterer Folge kritisierten Sie, dass „nur 5 von 100 Patienten tatsächlich den Ausstieg schaffen“ und leiten daraus ihre Forderung „Weg von Drogenersatzstoffen“ ab. Die Suchtmedizin beurteilt aber Fälle schwerer Opioid Abhängigkeit infolge der Grunderkrankungen und Probleme, die zur Suchtentwicklung geführt haben, als chronisch rezidivierende Erkrankung, bei der die Option einer erfolgreichen Entwöhnung oft nicht absehbar und die arzneimittelgestützte Langzeitbehandlung die Therapie der Wahl ist. Wie stehen Sie dazu?
10. Was genau verstehen Sie in Ihrer Kritik, dass „nur 5 von 100 Patienten tatsächlich den Ausstieg schaffen“ unter „Ausstieg“?
11. Auf welche fachliche Expertise in Ihrem Ressorts gründen Sie Ihre Kritik an niedrigen „Ausstiegs“raten und die damit im Zusammenhang erhobene Forderung „Weg von Drogenersatzstoffen“?
12. Nachdem zunächst Ihre Forderung „Weg von Drogenersatzstoffen“ auf vehemente Kritik in medizinischen Fachkreisen gestoßen war, haben Sie die Forderung relativiert und statt dessen ein Verbot morphinhaltiger Arzneimittel in der Substitutionsbehandlung gefordert, und mit einen Anstieg der Anzeigen wegen Missbrauchs dieser Arzneimittel und Sicherstellungen dieser Arzneimittel auf dem Schwarzmarkt begründet. Wie hoch war die Zahl der Anzeigen und der angezeigten Personen jeweils in den Jahren 2002 bis 2012, aufgeschlüsselt nach Jahren, Tatbeständen, Art der Substitutionsmittel, Bundesländern und Bezirksverwaltungsbehörden, Altersgruppen?
12.1. Wie hoch war die sichergestellte Menge (Stückzahl) an Substitutionsmitteln, ausgewiesen nach den verschiedenen Wirkstoffen (Methadon, Buprenorphin, Morphin) und aufgeschlüsselt nach Jahren (2009 bis 2012), Bundesländern und Bezirksverwaltungsbehörden?
12.2. Wie hoch war die durchschnittliche Menge (bei Tabletten/Kapseln: Stückzahl) an sichergestellten Substitutionsmitteln pro Sicherstellung?
12.3. Wie viele Sicherstellungen hat es gegeben (aufgeschlüsselt nach Substitutionsmitteln, Bundesländern und Bezirksverwaltungsbehörden) bei denen mehr als 99 Stück dieser Arzneimittel pro Sicherstellung aufgegriffen wurden?
13. Die Sucht- und Drogenkoordination Wien initiierte 2008 ein Kooperationsprojekt das 2011 auf ganz Wien ausgeweitet wurde und wonach die Wiener Polizei ihrer Pflicht zur Übermittlung der Anzeigen wegen vorschriftswidrigem Umgang mit Substitutionsmitteln (Verkauf, Kauf auf dem Schwarzmarkt) an die Gesundheitsbehörde beschleunigt nachkommt, sodass diese gezielt auf eine Änderung von Verschreibungsmodalitäten einwirken oder Opioid abhängige Verdächtigte, wenn sie noch nicht in Behandlung stehen, einer solchen zuführen kann. Durch die verstärkte Tätigkeit der Polizei im Rahmen dieses Projektes konnten betroffene Personen einer Behandlung zugeführt werden oder deren Behandlung sicherer gemacht werden. Nachdem die Aufmerksamkeit der Exekutive im Rahmen dieses Projektes erstmals gezielt auch auf den öffentlichen illegalen Handel mit Substitutionsmittel gerichtet war, stieg naturgemäß auch die Anzahl der Anzeigen in diesem Bereich (Kontrolldelikt).
13.1. Kennen Sie dieses Projekt? Wie beurteilen Sie dieses Projekt? Ist Ihnen die Anzahl der Anzeigen und der angezeigten Personen, die im Rahmen dieses Projekts erstattet wurden, bekannt und wenn ja, wie hoch ist diese (aufgeschlüsselt nach Jahren, Tatbeständen, Art der Substitutionsmittel, Alter, Herkunft der Angezeigten nach Bundesländern)?
13.2. Halten Sie diesen Ansatz für eine geeignete Maßnahme, dem unkontrollierten Umgang mit Substitutionsmedikamenten im Behandlungsbereich gezielt zu begegnen?
14. Sie haben in Ihrer „Anti-Drogenstrategie“ angekündigt, „in einem Pilotprojekt bei ausgewählten Gesundheitsbehörden Haar- statt Harnuntersuchungen durchzuführen, allerdings war der Berichterstattung in der Folge sukzessive Unterschiedliches zu entnehmen (bei Gesundheitsbehörden, bei Verkehrskontrollen bzw. zur Erhöhung der Verkehrssicherheit, allgemeine „Personenkontrollen, auf freiwilliger Basis bei Führerscheinentzug). Was genau ist das Ziel (sind die Ziele) des Projektes? Was bedeutet freiwillig?
15. Welche Fachexperten Ihres Ressorts oder externe Experten haben Sie bei Ausarbeitung Ihrer Strategie, Haaranalysen einzusetzen um "jungen Menschen aus der Drogenspirale zu helfen" herangezogen?
16. Welche wissenschaftlichen Nachweise liegen dieser Überlegung zu Grunde?
17. Welche chemischen Laboratorien in Österreich sind in der Lage und dafür ausgewiesen, derartige Haaranalysen nach dem Stand der Wissenschaft durchzuführen?
18. Welche chemischen Laboratorien werden von Ihrem Ressort für die Durchführung der Haaranalysen herangezogen? Wer ist Eigentümer dieser Labors? Wer trägt die Kosten für derartige Haartests? In welcher Höhe sind bisher Kosten angefallen?
19. Welche Behörden führen die angekündigten Projekte (Analysen) bereits durch? In welchem sachlichen (Gesundheitswesen, Kraftfahrwesen, ...) und örtlichen Zuständigkeitsbereich/en (Regionen) liegen diese Pilotprojekte?
20. Auf welche Rechtsgrundlagen stützen Sie diese Maßnahmen bzw. Pläne bezüglich der Haaranalysen in jedem der sachlichen Zuständigkeitsbereiche, in denen Ihr Ressort diese Haaranalyseprojekte veranlasst?
21. Die österreichische Drogenpolitik bekennt sich seit Jahrzehnten zu einer zwischen Drogennachfrage und Drogenangebot differenzierten Lösungsstrategie, das Prinzip „Helfen statt Strafen“ wurde sukzessive ausgebaut. Bisher bestand dahingehend ein breiter parteiübergreifender Konsens. Wie stehen Sie zu diesem Prinzip, wonach der Drogennachfrage mit einer breiten Maßnahmenpalette gesundheitsorientierter Maßnahmen begegnet wird, dem gegenüber aber der kriminelle, insbesondere der organisierte Drogenhandel mit dem Mitteln der Strafverfolgung bekämpft werden soll?
22. Ist Ihnen bekannt, dass das Gesundheitsministerium in Entsprechung des Regierungsprogrammes für die XXIV GP Anfang 2011 eine auf zwei Jahre angelegte Studie unter Einbindung von ExpertInnen aus allen relevanten Bereichen initiiert hat, auf deren Grundlage der Bundesminister für Gesundheit die im Regierungsübereinkommen vorgesehene nationale Suchtpräventionsstrategie mit besonderem Augenmerk auf Kinder und Jugendliche vorzulegen beabsichtigt, die die suchtpolitische Ausrichtung für die kommenden Jahre vorgeben soll?
23. Wenn ja, sehen Sie die Herangehensweise des Gesundheitsministers, diese Strategie auf einem breiten Fachkonsens zu gründen, als zielführend an, insbesondere auch im Hinblick auf ihre Umsetzung?
24. Werden Sie eine auf breitem Fachkonsens gründende Suchtpräventionsstrategie des Gesundheitsministers unterstützen?