14721/J XXIV. GP

Eingelangt am 14.05.2013
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Abgeordneten Dr. Harald Walser, Freundinnen und Freunde an die Bundesministerin für Inneres

betreffend Staatsbürgerschaftsprüfung neu

BEGRÜNDUNG

 

Mit Datum 24.4.2013 wurde die neue Lernunterlage für die Staatsbürgerschaftsprüfung online gestellt. Die nunmehr vorliegende Lernunterlage ist sowohl inhaltlich als auch sprachlich eine deutliche Verbesserung gegenüber der – noch immer gültigen und unisono kritisierten – alten Vorlage.

Dennoch bleiben seitens von ExpertInnen in der Vergangenheit geäußerte Bedenken und Kritiken bestehen.

1. Die vom Gesetzgeber verlangten Sprachkenntnisse für StaatsbürgerschaftswerberInnen sind, soferne zukünftig nicht das „fast track“-Verfahren gewählt wird, auf Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER) nachzuweisen.

Dieser definiert sich folgendermaßen:

„Kann die Hauptpunkte verstehen, wenn klare Standardsprache verwendet wird und wenn es um vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. geht. Kann die meisten Situationen bewältigen, denen man auf Reisen im Sprachgebiet begegnet. Kann sich einfach und zusammenhängend über vertraute Themen und persönliche Interessengebiete äußern. Kann über Erfahrungen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben und zu Plänen und Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben.“ (http://www.goethe.de/z/50/commeuro/303.htm)

Zusammenfassend geht es im Niveau B1 um die aktive und passive Verwendung von Alltagssprache.


Auch die neue Lernunterlage weist teilweise in Strukturen, aber vor allem im Wortschatz Elemente auf, die über das Niveau B1 hinausreichen und in das Niveau C1 bis C2 gehen, da es sich vielfach um Verwendung von Fachsprache handelt. Darauf hat der ÖDaF u.a. in seiner Stellungnahme vom 11.6.2012 ausdrücklich hingewiesen. In der Beantwortung der Stellungnahme räumt auch das BM.I ein: „Ziel muss es zweifellos sein, den Staatsbürgerschaftswerbern die für die Prüfung relevanten Inhalte in zeitgemäßer und interessanter Form näherzubringen und insbesondere auch die von Ihnen angesprochenen sehr wichtigen sprachlichen Aspekte entsprechend zu berücksichtigen. Auch vor diesem Hintergrund wird daher derzeit das aktuelle Skriptum einer kritischen Analyse unterzogen.“

Der „Unabhängige Expertenrat“ formuliert dazu im Integrationsbericht 2012:

 „Dabei müssen die dem Staatswesen zugrundeliegenden und erst verständlich zu machenden rechts- kulturellen Entwicklungen in motivierender und sprachlich angemessener Weise dargeboten werden.“

Es wurde in der Lernunterlage sichtlich der Versuch unternommen, das Sprachniveau möglichst niedrig zu gestalten, die gesetzlichen Vorgaben des inhaltlichen Niveaus lassen jedoch eine Behandlung auf B1 nicht zu. Viele in der Lernunterlage enthaltenen Begriffe sind in der Wortschatzliste, wie sie etwa in „Profile Deutsch“ für B1 angeführt wird, nicht enthalten.

2. Wie (auch) Univ. Prof. Dr. Heinz Fassmann im Vorwort zur neuen Lernunterlage ausführt, hat sich die Staatsbürgerschaftsprüfung am Niveau des Lehrplans für Geschichte und Sozialkunde 4. Klasse HS zu orientieren.

Festzuhalten ist, dass sich der Gesetzestext im §10a, Abs. 4a StbG auf den Lehrplan des Jahres 2008 (also auf die jüngste Novellierung des Lehrplans) bezieht, im §10a, Abs. 6, Z 1 und 2 jedoch noch auf den Lehrplan in der vorangegangenen Fassung.

Das StbG bezieht sich also auf zwei verschiedene Fassungen des Lehrplans.

Eine Kenntnisnahme und Klärung seitens des Gesetzgebers wäre aber insofern von Bedeutung, als dass mit der letzten Novellierung des Lehrplans einige grundlegende Änderungen vollzogen wurden, nämlich weg von einer Stofforientierung hin zum Prinzip des kompetenzorientierten Lernens (Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bereitschaften). Überdies erfolgte eine Umbenennung des Faches in Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung, was auch in den Lehrzielen und Inhalten zum Ausdruck kommt.

Der Lehrplan findet – bis auf Teile der Lehrstoffabgrenzung – in der Umsetzung der Staatsbürgerschaftsprüfung, wie sie in der Lernunterlage neu „Mein Österreich“ und im dort angeführten beispielhaften Fragenkanon formuliert ist, de facto keine Anwendung. Das gilt sowohl für die Lehrplanfassung von 2000 als auch für jene von 2008.


Die Bildungs- und Lehraufgabe wird seitens des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK) im Lehrplan wie folgt definiert:

„Der Unterricht in Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung beschäftigt sich mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunftsperspektiven. Er leistet somit einen wichtigen Beitrag zur Orientierung der Schülerinnen und Schüler in Zeit und Raum, zur Identitätsfindung in einer pluralistisch verfassten Gesellschaft sowie zur Entwicklung selbständigen Denkens und Handelns. Kontroverse Interessen in Geschichte und Politik sind im Unterricht ebenso kontrovers darzustellen. (...) Der Vermittlung von historischen und politischen Kompetenzen ist besondere Beachtung zu schenken. Das Kennenlernen verschiedener Modelle menschlichen Zusammenlebens in Vergangenheit und Gegenwart soll zu Verständnis der eigenen Situation und Toleranz gegenüber dem Anderen führen.“ (Lehrplan „Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung“, 2008).

Der Lehrplan betont mehrfach die Bedeutung einer Berücksichtigung der spezifischen Lebenshintergründe der Lernenden und definiert eine Reihe von Anknüpfungspunkten, die für die Zielgruppe der Staatsbürgerschaftsprüfung von besonderer Relevanz wären:

„Der Unterricht soll Einblick in die Geschichte und Politik unterschiedlicher räumlicher Dimensionen sowie ihrer Vernetzungen geben, um die Herausbildung einer reflektierten und (selbst)reflexiven Identität zu ermöglichen. Dabei sind besonders Interkulturelles und Globales Lernen in den Unterricht mit einzubeziehen. (...) Schulung multiperspektivischer Betrachtungsweise als Bestandteil eines kritischen historischen und politischen Bewusstseins (...) Die Auseinandersetzung mit Religionen, Weltanschauungen und ethischen Normen verstärkt die Fähigkeit zu differenzierter Einschätzung von gesellschaftlichen und kulturellen Phänomenen.“ (Lehrplan „Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung“, 2008).

Gefordert wird also die Vermittlung eines historischen Wissens, das gegenwartsbezogen, kontextualisiert, vergleichend, exemplarisch, multiperspektivisch, fächerübergreifend, zur kritischen Reflexion anregend und handlungsorientiert ist. Methodisch sind geeignete Zugänge wie etwa die Anwendung unterschiedlicher Sozialformen, entdeckendes und projektorientiertes Lernen zu wählen.

In der geltenden Staatsbürgerschaftsprüfungs-Verordnung ist nochmals der Bezug zum Lehrplan enthalten, jedoch diesmal auch explizit mit einem Hinweis auf den methodisch-didaktischen Ansatz:

„Die Prüfungsstoffabgrenzung I dient als Leitfaden für die inhaltliche und methodische Vermittlung der Grundkenntnisse der demokratischen Ordnung und der Geschichte Österreichs. Sie hat sich inhaltlich und methodisch-didaktisch am Lehrplan der 4. Klasse Hauptschule für den Unterrichtsgegenstand ‚Geschichte und Sozialkunde’ zu orientieren.“


Der Expertenrat nennt die Ziele der neuen Staatsbürgerschaftsbroschüre

„relevantes Wissen über das österreichische Staatswesen im Licht seiner historischen Entwicklung zu liefern, aber gleichzeitig dazu zu motivieren, sich mit diesem Wissensschatz positiv auseinanderzusetzen. Dazu muss Österreich als eine Geschichte und eine Gegenwart erzählt werden, die fasziniert, als ein schicksalhaftes, von gleichermaßen erschütternden wie begeisternden Momenten geprägtes Gemeinwesen, das zum heutigen liberal-solidarischen Rechtsstaat als Mitglied der Europäischen Union gefunden hat.“ (Integrationsbericht 2012)

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1. Wie rechtfertigen Sie jene Passagen in der Lernunterlage neu (und auch in den Fragen), die das Sprachniveau B1 überschreiten? Auf welche gesetzlichen Grundlagen stützt sich hierbei das Bundesministerium für Inneres?

 

2. Welche Fassung des Lehrplans liegt nun der Staatsbürgerschaftsprüfung zugrunde, die Fassung 2000 (zuletzt geändert 2003) oder die Fassung 2008?

 

a.    Falls die Fassung 2000: Warum wird nicht die Fassung 2008 verwendet, die der Gesetzgeber für die Schulen festgelegt hat?

b.    Falls die Fassung 2008: Wo liegt die im Lehrplan festgelegte Kompetenzorientierung in der Staatsbürgerschaftsprüfung?

 

3. Welche konkreten Maßnahmen werden gesetzt, dass die im Lehrplan Geschichte/Politische Bildung 4. Kl. HS/AHS (oder Geschichte und Sozialkunde 4. Kl. HS) genannten inhaltlichen und didaktisch-methodischen Ziele umgesetzt werden?

 

4. Auf welche wissenschaftlichen Referenzen greift die neue Staatsbürgerschaftsprüfung bezüglich Sinnhaftigkeit, (Miss-)Erfolge, Resultate von Einbürgerungstests im Allgemeinen (internationale wissenschaftliche Diskussion) und im Besonderen in Österreich zurück? Welche wissenschaftlichen Studien wurden der Staatsbürgerschaftsprüfung neu zugrunde gelegt?[1] 

5. Die VerfasserInnen der oben genannten Studien lehnen Einbürgerungstests entweder generell ab oder qualifizieren wertebasierte Fragen praktisch durchgehend als illiberal. Wie rechtfertigt das BM.I die auch in den Forschungsarbeiten immer wieder diskutierte Problematik, dass der Staat vorgibt, mit dem Test grundsätzlich liberale Ziele anzustreben (Kennenlernen von Rechten und Pflichten, Schutz der Menschenrechte, Vorbereitung auf Partizipationsmöglichkeiten etc.), dies jedoch mit illiberalen Mitteln, u.a. Prüfungen, verfolgt? Wie ist diese Vorgangsweise mit den methodisch-didaktischen Grundsätzen von Politischer Bildung in Einklang zu bringen?


6. Welche ExpertInnen aus den Bereichen der Fachdidaktik aus den Fächern Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung und dem Bereich DaF/DaZ wurden hinzugezogen? (Univ.-Prof. Dr. Roman Sandgruber ist der einzige in der Lernunterlage genannte Experte für Geschichte, er ist jedoch kein Fachdidaktiker!)

7. In der jetzt gültigen Fassung der Lernunterlage wurde der Fragenkanon mit den korrekten Antworten publiziert. In der nunmehr vorliegenden Fassung ist dies offensichtlich nicht mehr vorgesehen. Was sind die Gründe dafür?

8. Wie wird sich der zukünftige Fragenkanon zusammensetzen: Werden dies immer gleich bleibende Fragen sein? Falls nein, weshalb nicht?

9. Im Ö1-Morgenjournal vom 26.4. 2012 wurde der Pressesprecher des Bundesministeriums für Inneres, Karlheinz Grundböck, zitiert, der meinte, der zukünftige Test gehe in Richtung „Dialog über demokratische Werte“. Wo ist in der neuen Fassung der Staatsbürgerschaftsprüfung irgendein Ansatz eines Dialogs festzumachen?



[1] Siehe hiezu: Rainer Bauböck, Christian Joppke, (Hg.): How Liberal are Citizenship Tests? San Domenico di Fiesole 2010. Unter: http://eudocitizenship.eu/docs/RSCAS_2010_41.pdf

Liav Orgad: Creating New Americans: The Essence of Americanism under the Citizenship Test. In: Houston Law Review, Vol. 47, 5/2011, 1227-1297. Unter: http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1586531