1523/J XXIV. GP

Eingelangt am 31.03.2009
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ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Werner Neubauer

und weiterer Abgeordneter

 

an die Bundesministerin für Inneres

 

betreffend „Christian Kerbler – Mörder des Südtiroler Freiheitskämpfers Luis Amplatz“

 

 

Christian Kerbler, geboren 1940 in Hall i. Tirol, wurde am 21. Juni 1971 von dem Schwurgericht in Perugia in Abwesenheit zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt. Am 9. Juni 1972 bestätigte das Berufungsgericht das Urteil. Am 14. Jänner 1973 wurde dann die letztinstanzliche Verurteilung Kerblers rechtskräftig.

 

„Im Dezember 1976 wurde Christian Kerbler unter dem Aliasnamen Christian Eschenberg in London wegen Ladendiebstahls in einer Drogerie festgenommen und es wurde seine wahre Identität festgestellt.

Nun stand von italienischer Seite zu befürchten, dass Österreich die Auslieferung verlangen könnte. Bei einem Verfahren in Österreich hätte Kerbler die steuernde und auftraggebende Rolle der Bozner Quästur (Polizeidirektion), der Carabinieri und des italienischen militärischen Geheimdienstes SIFAR enthüllen können.

Aber auch eine Auslieferung an Italien hätte die Konsequenz haben können, dass Kerbler - um seine Haut zu retten - noch in London über die Hintermänner ausgepackt und um politisches Asyl angesucht hätte.

Daher informierte der Chef der italienischen Nachrichtendienste umgehend die wichtigsten Regierungsmitglieder in Rom über die möglichen Konsequenzen einer Auslieferung Kerblers an Österreich oder an Italien und es erfolgte umgehend eine italienische Intervention in London.

 

Darauf hin wurde Kerbler von den britischen Behörden wieder auf freien Fuß gesetzt, tauchte - mutmaßlich mit italienischer Hilfe - wieder unter und verschwand.“

(Bericht von Christoph Franceschini "Die Verjährung der Strafe" in der "Neuen Südtiroler Tagezeitung" vom 26. Juni 2003)

 

Ob Österreich damals von der Verhaftung Kerblers in London überhaupt informiert worden war, ist nicht bekannt.

 

Am 18. Juni 1991 berichtete die Bozner italienische Tageszeitung "Alto Adige", dass sich Christian Kerbler wahrscheinlich in Durban in Südafrika aufhalte. Am 15. November 1991 berichtete die Südtiroler Tageszeitung "Dolomiten", dass ein in Durban lebender 57 Jahre alter Südafrikaner namens Richard Kaplan in Wahrheit der gesuchte Kerbler sein könnte. Kaplan habe gegenüber Journalisten erklärt, dass er ein in Durban geborener Südafrikaner sei, sich aber zu Beginn der Sechzigerjahre lange in Europa aufgehalten habe. Er sei, so sagte er, aber nicht der gesuchte Christian Kerbler.

 

Es kam trotz der Veröffentlichungen in den genannten Bozner Zeitungen zu keinen amtlichen Untersuchungen und zu keinem italienischen Auslieferungsbegehren.  Auch von österreichischen Nachforschungen oder einem Auslieferungsbegehren ist nichts bekannt.

 

Da eine nicht verbüßte Strafe in Italien nach 30 Jahren verjährt, ist Kerbler seit dem 14. Jänner 2003 in Italien zwar ein verurteilter Mörder, aber ein freier Mann.

 

Vorgeschichte:

 

In den frühen Morgenstunden des 6. September 1964 wird in einer Almhütte auf der Brunner Mahder oberhalb Saltaus in Südtirol Luis Amplatz erschossen und ein Mordversuch an Jörg Klotz unternommen, der dabei schwer verletzt wird.

Klotz und Amplatz befanden sich in Begleitung eines Österreichers namens Christian Kerbler, welcher nach heutigem Wissen ein Agent des italienischen militärischen Geheimdienstes SISMI war.

 

Der Mörder Christian Kerbler wurde am 21. Juni 1971 von dem Schwurgericht in Perugia in Abwesenheit zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt. Am 9. Juni 1972 bestätigte das Berufungsgericht das Urteil. Am 14. Jänner 1973 wurde dann die letztinstanzliche Verurteilung Kerblers rechtskräftig.

 

Tat-Hergang:

Luis Amplatz und Jörg Klotz übernachten mit Christian Kerbler auf der Brunnermahdern über Saltaus. In der Nacht vom 6. auf den 7. September 1964, um 2:30 Uhr schießt Christian Kerbler auf die schlafenden Freiheitskämpfer. Zuerst schießt er dreimal auf Amplatz, dann dreimal auf Klotz. Amplatz ist sofort tot. Klotz bekommt einen Schuss in die Brust und einen ins Gesicht. Der 3. Schuss geht fehl. Georg Klotz flieht, mit einem Steckschuss und einer Gesichtsverletzung barfuss, einen Gewaltmarsch von 42 Stunden über die Schwarzscharte (2.862 m) nach Österreich.

Christian Kerbler stellt sich in St. Leonhard der Polizei.

Laut Polizeibericht kann der Mörder fliehen. Bis heute ist Christian Kerbler auf der Flucht, bzw. untergetaucht. Der Mörder hat seine Strafe nie abgesessen, da er durch den italienischen Geheimdienst gedeckt wird.

Der Mörder ist noch immer auf freiem Fuß. Der in Abwesenheit in Perugia wegen des Mordes zu 22 Jahren Gefängnis verurteilte Spitzel Christian Kerbler war in London festgenommen und freigelassen worden, weil der italienische Auslieferungsantrag zu spät gestellt worden war. Dann wurde er angeblich in Südafrika gesichtet - eine Überprüfung der betreffenden Person brachte allerdings keine Klarheit. Angeblich wird Kerbler immer noch international gesucht.

DER SPIEGEL 44/1964 vom 28.10.1964, Seite 128

„In Südtirol ist ihm der Tod gewiss, in Österreich ist er zur Zeit der meistgesuchte Mann, der bundesdeutsche Verfassungsschutz soll ihn finden: Christian Kerbler, 24, aus Hall in Tirol, dringend verdächtig, Luis Amplatz, den verwegensten der Südtiroler Terroristen-Führer, am 7. September auf der Südtiroler Alm "Brunner Mahder" im Schlaf ermordet zu haben (SPIEGEL 38/1964).

Der Mordverdächtigte, von Österreichs und Italiens Presse in Südamerika, Australien oder Sizilien vermutet, war auf seiner Flucht in der Bundesrepublik untergetaucht.

Das österreichische Innenministerium bat am 14. Oktober die Kölner Verfassungsschutz-Zentrale, Christian Kerbler aufzuspüren. Damit soll seine Auslieferung und gerichtliche Verfolgung ermöglicht werden.

Christian Kerbler war ein Spitzenmann jenes 600 Agenten starken Netzes, mit dem Italien die Südtiroler Terroristen (österreichisch: "Bumser") beobachtet.

Christian Kerbler und sein Bruder Franz, 27, hatten eine Sonderaufgabe: Als Photoreporter getarnt, sollten sie die seit April in Wien internierten Chef-Bumser Luis Amplatz und Georg Klotz zu Filmaufnahmen über Terroraktionen nach Südtirol locken und sie dann lebendig, nötigenfalls aber auch tot in die Hände der Italiener bringen. Ihr Lohn: die Kopfprämien für Amplatz und Klotz, insgesamt 16 Millionen Lire (100 000 Mark).

Nun war Christian Kerbler mit den beiden Chef-Bumsern allein. Er stieg wenige Stunden nach der Rückkehr von Klotz ins Taldorf Saltaus, um Proviant zu kaufen. Dort wurde er, so berichteten Saltaus-Bewohner, von einem schwarzen Fiat 1800 mit Mailänder Kennzeichen erwartet und unterhielt sich kurz mit dem Fahrer. Am 6. September vormittags kehrte er auf den Brunner Mahder zurück.

Bei seiner Rückkehr hatten sich Klotz und Amplatz entschlossen, ihre im nahen Sarntal geplanten Anschläge zu verschieben und nach Österreich zurückzukehren. Der Feuerüberfall auf Klotz, Aufklärungsflüge von Hubschraubern und starke Truppenbewegungen im Passeiertal hatten sie vorsichtig werden lassen. Sie verschoben ihren Aufbruch jedoch auf den nächsten Tag. Das wurde Amplatz zum Verhängnis.

Von einer "sonst nie gekannten bleiernen Müdigkeit" befallen (so Klotz später zur österreichischen Polizei), krochen die beiden Terroristen am 6. September abends in ihre Schlafsäcke. Christian Kerbler lag zwischen Klotz und Amplatz im Heu. Er hatte den beiden, so mutmaßte die "Tiroler Tageszeitung", Schlafmittel in das Essen gemischt.

Um 2.30 Uhr früh knallten Schüsse durch die Einstiegluke. Amplatz starb durch drei Kugeln aus einer Beretta -Pistole, Kaliber neun Millimeter.

Der hochschnellende Klotz wurde durch zwei Schüsse verletzt. Das Reservemagazin entglitt dem Schützen in der Dunkelheit, er hetzte davon.

Gegen fünf Uhr früh stolperte ein junger Mann, zerschunden und völlig entnervt, ins Wirtshaus von Saltaus. Er hatte eine leer geschossene Beretta -Pistole bei sich und wurde auf eigenen Wunsch in die nahe Alpini-Station geführt.

Das Bozener Polizei-Hauptquartier gab bekannt: Der Beretta-Besitzer - "Peter Hofmann, 25, Medizinstudent aus Österreich" - sei bei der nächtlichen Überstellung von Meran nach Bozen entsprungen.

Die Wirtsleute von Saltaus identifizierten Peter Hofmann an Hand von Bildern zweifelsfrei als Christian Kerbler. Ein Militärhubschrauber holte den toten Amplatz von der Alm. Der angeschossene Klotz war barfuss entkommen und von Helfern über die Grenze nach Nordtirol geschleust worden. Im Gebirgsort Sölden verhafteten ihn österreichische Gendarmen.

Hofmann-Kerbler war nicht - wie die Bozener Polizei angegeben hatte - von einem Militär-Jeep in Richtung Bozen, sondern von einem schwarzen italienischen Pkw in die entgegengesetzte Richtung gefahren worden: an die Schweizer Grenze.

Aus der Schweiz flog Kerbler zu Freunden nach London. Von dort reiste er über Holland in die Bundesrepublik. Im holländischen Eindhoven lebt Roms bisher erfolgreichster Südtirol-Agent, Anton Stötter (SPIEGEL 20/1964).

 

Kerblers Grenzübertritte gingen glatt vonstatten. Neben einem belgischen Personalausweis führte er mehrere Blankopässe der österreichischen Staatsdruckerei mit den laufenden Nummern 544 723 bis 544 730 mit sich.

 

Für Mitte September bestellte Kerbler unter dem Namen Gert Prossler im Hotel "Bären" im Schwarzwälder Schützendorf Hornberg ein Zimmer. Er kam nicht.

Stuttgarter Kriminalbeamte, mittlerweile informiert, warteten vergebens auf Kerbler. Sie sollten ihn verhaften und nach Österreich abschieben. Der Grund: Christian Kerbler ist seit dem 28. Oktober 1963 in der Bundesrepublik unerwünschter Ausländer. Er hatte ohne Aufenthaltsgenehmigung und von "nicht kontrollierbaren Einkünften" (Münchner Polizei) in Bayern gelebt und war daher ausgewiesen worden.

Als die Stuttgarter Beamten Wartestellung bezogen, ließ Regierungsrat Walter Kriese von der Grenzkontrolldirektion in Koblenz die Grenzpolizeiinspektion im bayrischen Kiefersfelden verständigen, mit der Überstellung Kerblers sei am 19. oder 20. September zu rechnen. Die Kiefersfelder Grenzer teilten dies der österreichischen Grenzpolizei in Kufstein mit.

Am 23. September wurden die Österreicher ungeduldig und drängten die Deutschen. Die Station Kiefersfelden fragte bei Kerbler-Ankündiger Kriese zurück, dieser wandte sich an das Innenministerium in Bonn.

Höcherls Amt teilte mit: Kerbler sei nicht im "Hotel Bären" erschienen, es handle sich um einen Irrtum, der Gesuchte halte sich überhaupt nicht in der Bundesrepublik auf.

Diese Ansicht nährte Kerbler. Er ließ österreichische Diplomaten in Bonn telephonisch ("Guten Tag, mein Name ist Trollberg") wissen, Christian Kerbler sei am 18. September von Amplatz -Freunden zwischen Bregenz und Lindau erschossen und in den Bodensee versenkt worden.

Die erhoffte Publizität blieb jedoch aus. Die Mär vom Tod im Bodensee musste in der ersten Oktoberwoche nochmals verbreitet werden. Diesmal durch einen anonymen Anruf bei der Austria-Presse-Agentur in Wien.

Es klappte, die österreichische Gendarmerie unternahm mit deutscher und Schweizer Beteiligung eine aufwendige Suche im Bodensee - ohne Erfolg.

Wenige Tage später erhielten Tiroler Politiker von deutschen Freunden einen neuen Tip: Christian der Tote halte sich in Hannover auf. Darauf ersuchte Wien - nachdem Interpol ein Fahndungsersuchen abgelehnt hatte - den bundesdeutschen Verfassungsschutz um Mitarbeit. In Hannover wurde Christian Kerbler nicht gefunden. Bruder Franz, der im Linzer Gefängnis die Anklage wegen Beihilfe zum Amplatz-Mord erwartet, zur österreichischen Polizei: "Der Christian ist in Sicherheit!"

Nachdem Kerbler über Münchner Mittelsmänner dem Wiener "Express" erfolglos die Geschichte des "wahren Peter Hofmann" hatte anbieten lassen, tauchte er in Zürich auf. Ein katholischer Priester vermittelte ihn an die Züricher Presseagentur "metro press".

Im Züricher "Hotel Elite" beteuerte er Metro-press-Chef Werner Schollenberger gegenüber seine Unschuld.

Schollenberger ("Er ruft mich nur in der Nacht an") stellte den Kontakt zu einer Zeitschrift her, zu der Kerbler nach eigenen Angaben "ausgezeichnete Beziehungen" hat: Burdas "Bunte Illustrierte".

"Bunte"-Chefredakteur Theodor Kleiber und Serien-Chef Claus-Jürgen Frank trafen sich mit Christian Kerbler nach eigenen Angaben nicht, wie von Südtiroler Terroristen vermutet, im Burda-Verlagsort Offenburg; sie flogen mit einer Burda-Privatmaschine "nach Westen, aber nicht in die Schweiz" (Kleiber).

"Irgendwo in Europa vertraute er sich der 'Bunten' an", meldete das Bilderblatt. Kerbler, "ein Bündel Angst" (Kleiber), bestritt, Verrat und Mord begangen zu haben.

Tiroler Amplatz-Freunde glauben Christian Kerbler kein Wort. Ende vergangener Woche brach von Innsbruck eine Suchmannschaft auf. Die Information, Kerbler sei in einen der Benelux-Staaten retiriert, tat das Kerbler -Kommando als Zweckmeldung ab. Die Tiroler sind überzeugt, daß sich der Vielgesuchte in der nächsten Umgebung Münchens aufhält.“

 

 

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten an die Bundesministerin für Inneres folgende

 

 

Anfrage:

 

1.     Gibt es einen internationalen Haftbefehl gegen Herrn Christian Kerbler?

 

2.     Wenn nein, werden Sie den geschilderten Fall prüfen und in der Folge einen internationalen Haftbefehl erwirken?

 

3.     Wenn nein, warum nicht? Der Täter war bzw. ist österreichischer Staatsbürger!

 

4.     Hat sich etwas an der Gesetzgebung geändert, wonach Mord nach unserer Rechtsprechung nicht verjährt?

 

5.     Gibt es Hinweise, wo sich der rechtskräftig verurteilte Mörder aufhält?

 

6.     Wurde die Republik Österreich von England davon in Kenntnis gesetzt, als im Dezember 1976 Herr Christian Kerbler in London verhaftet wurde?

 

7.     Wenn ja, in welcher Form und was hat die Republik aufgrund dieser Information veranlasst?

 

8.     Wenn nein, worauf ist dies zurückzuführen?

 

9.     Hat Österreich die Auslieferung  Christian Kerblers beantragt?

 

10. Ist Österreich seit 1976 jemals an der Auffindung Christian Kerblers aktiv geworden?

 

11. Wenn ja, in welcher Form?

 

12. Ist der Republik Österreich bekannt, dass es im Juni und November 1991 Spuren von Christian Kerbler nach Südafrika gab?


 

13. Gab es zu diesem Zeitpunkt (1991) österreichische Nachforschungen oder ein Auslieferungsbegehren?

 

14. Was hindert die Republik Österreich, Christian Kerbler, der seit dem 14. Jänner 2003 in Italien zwar ein verurteilter Mörder, aber ein freier Mann ist, international suchen zu lassen?