1905/J XXIV. GP

Eingelangt am 30.04.2009
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ANFRAGE

 

der Abgeordneten Gartelgruber, Mühlberghuber
und weiterer Abgeordneter

 

an den Bundesminister für für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz
betreffend Maßnahmen zur Verbesserung der Situation wirtschaftlich, obsorge-technisch, gesundheitlich und gewaltspezifisch gefährdeter Kinder und Jugendlicher

 

Die Tiroler Tageszeitung berichtet in ihrer Ausgabe vom 17.03.2009 davon, dass allein im Bundesland Tirol rund 8.200 Kinder und Jugendliche dringend zu behandelnde psychische Störungen aufweisen. Depressionen, Ängste, psychiatrische Störungen, Alkohol- und Drogenprobleme würden auch bei ihnen ansteigen: So sei Suizid  bei den 10- bis 19-Jährigen die zweithäufigste Todesursache nach Unfällen. Schon 11.670 Fünf- bis Neunjährige erhielten 2007 in Österreich Stimmungsaufheller verordnet - 20 Prozent mehr als 2006. Für Zehn- bis 19-Jährigen gab es 71.000 Verschreibungen.

Nach einer EU-Statistik aus dem Jahr 2007 leiden 20% aller  8- 18-Jährigen an einer psychischen Erkrankung, darunter sind 5%  schwer erkrankt und brauchen eine Behandlung, 10% davon sind chronisch erkrankt. Auch Angststörungen (Schulangst, Sozialphobie) sind ein  bedeutender Faktor: 10,4% weisen aggressiv- dissoziale Störungen, 7,5% depressive und hyperkinetische Störungen auf. Nur jeder 6. Schüler Österreichs bewertet seine subjektive Gesundheit mit gut – sehr gut.

Weiters brachte die Statistik zutage, dass 34% der 11-jährigen und 43% der 15- jährigen Burschen sowie 40% der 11-jährigen und 60% 15-jährigen Mädchen  an Müdigkeit, Erschöpfung, Kopfschmerz etc. leiden.

Die Statistik sprach ebenso davon, dass gewalttätiges Verhalten und schlechte Leistungen oft im Zusammenhang mit schlechtem Schulklima stünden. Zudem beeinflusse der sozioökonomische Status der Familie den Gesundheitszustand von Kindern. (gesundheitsschädigendes Verhalten ist bei sozial benachteiligten Familien höher)

Ebenfalls im Jahr 2007 haben die Jugendrotkreuz-Gesellschaften aus Deutschland, Schweiz, Luxemburg und Österreich gemeinsam eine Studie zur Jugendsituation in Auftrag gegeben. Diese „Delphi-Studie“ war Basis für eine zweijährige Kampagne unter dem Titel „Deine Stärken. Deine Zukunft. Ohne Druck“. Die Ergebnisse für Österreich waren zutiefst alarmierend: So fürchteten sich 52% der 6 bis 14jährigen sich vor einem Sittlichkeitsverbrechen, 40% hatten große Angst vor der Zukunft.


 

71 % der Jugendlichen waren der Meinung, dass Aussehen in Zukunft wichtiger sein wird als Charakter. Drei Viertel gaben an, dass der größte Druck in ihrem Leben durch die Schule entsteht und die hohe Erwartungshaltung der Eltern sie massiv unter Druck setzt. Wird dieser Druck zu groß, reagieren Jugendliche häufig mit Aggression, Depression oder Rückzug vor der Außenwelt. Diese Phänomene können in Form von Koma-Trinken, Magersucht oder gewalttätigen Auseinandersetzungen täglich beobachtet werden.

Eine aktuelle Studie des Salzburger Armutsforschers und Theologen Clemens Sedmak belegt außerdem, dass etwa 10.000 Kinder allein im Bundesland Tirol in Armut leben. Armut sei demnach auch die Unfähigkeit, Identität im öffentlichen Raum aufzubauen und aufrechtzuerhalten, weil man dafür entsprechende Kleidung, Auftreten und auch Schutz braucht. Kinder, die wohlbehütet aufwachsen, würden hingegen Selbstvertrauen haben und studieren können sowie generell auch viel leichter Arbeit bekommen. Arme Kinder würden nicht gefördert und wüssten oft nicht einmal, wo ihre Begabungen liegen. Armut mache außerdem krank - durch laute und schimmelige Wohnungen, schlechte Ernährung, wenig Sport, Übergewicht und schlechte Zähne.

Mit 15.800 Euro liege das mittlere jährliche Haushaltseinkommen in Tirol um 3,4 Prozent unter dem Österreich-Schnitt. In Familien sei das Geld noch knapper: Trotz berücksichtigter Transferleistungen (z.B. Kindergeld) liege es um 3000 € und bei Alleinerzieherinnen sogar um 6000 Euro darunter.

Das spiegelt sich auch bei der Klientel der Caritas-Sozialberatung in Innsbruck wider: 1.742 Personen (100 mehr als 2007) wurden voriges Jahr in 3.700 Kontakten beraten, in 2.300 Fällen gab es auch finanzielle Hilfe. Betroffen waren 1.476 mitbetreute Kinder, davon 327 Haushalte mit einem Kind, 243 mit zwei und 116 mit drei Kindern. Sieben Familien hatten sogar sechs Kinder. Hauptsächlich geht es dabei um Rückstände bei Stromrechnungen, Betriebskostennachzahlungen und darum, dass am 25. nichts mehr im Kühlschrank ist. Vor allem Alleinerzieherinnen müssen so minimal kalkulieren, dass nichts passieren darf: Reparaturen, Schulskikurs, Wien-Woche oder selbst die gesunde Jause seien nicht drin. Als neue Klientel in Folge der Krise kommen bereits Untere Mittelschicht-Familien dazu, für die Haus- oder Wohnungskreditraten wegen Kurzarbeit bzw. Kündigung unbezahlbar werden.

Wie drastisch die Situation für Kinder und Jugendliche ausfällt zeigt auch – die vermutlich für alle Bundesländer repräsentative – Tatsache, dass die Jugendwohlfahrt in Tirol im vergangenen Jahr 2.600 Gefährdungsmeldungen (Tendenz stark steigend) registriert. In neun von zehn Fällen musste gehandelt werden. Vernachlässigung, Gewalt und sexueller Missbrauch beschäftigen laut Abteilungsvorständin Silvia Rass-Schell die Sozialarbeiter am meisten.

Im Durchschnitt sind etwa 10% aller Schüler in Österreich laufend Opfer von Mobbing, während 10% regelmäßige Täter sind. Die Breite der Angaben zur Anzahl der Opfer ist allerdings sehr schwankend, es wurden große Unterschiede zwischen einzelnen Schulklassen festgestellt wurden. Das bedeutet, es kommt in manchen Klassen sehr häufig, in anderen sehr selten zu Mobbingvorfällen. Das Mobbing erfolgt heute auch mittels Einsatz neuer Medien wie Handy oder Computer. Beispiele: Anrufe, SMS, MMS, E-Mails, Bilder, Fotos, Videoclips oder Einträge (auch Bilder, Fotos oder Videoclips) auf Homepages, in Foren oder Chaträumen, deren Inhalt das Opfer kränkt, verletzt oder „fertig macht".

Eine Studie der Welt-Gesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 2007 zeigt, dass Kinder an den österreichischen Schulen im internationalen Vergleich verhältnismäßig häufig Täter bzw. Opfer von "Bullying", also psychischer oder physischer Gewalt, werden. Demnach werden 14 Prozent der elfjährigen Mädchen und 20 Prozent der elfjährigen Burschen zwei- bis dreimal im Monat Opfer von "Bullying". Bei den 13-Jährigen sind es 17 (Mädchen) bzw. 23 Prozent (Burschen) und bei den 15-Jährigen zehn (Mädchen) bzw. 15 Prozent. Damit liegt Österreich jeweils im Vorderfeld der 35 verglichenen Staaten.

Stark im Steigen sind auch die Mobbing-Fälle. Schulpsychologen sprechen hier von einer "schleichenden Gefahr" in den Schulen: Gerade bei Mobbing ist es so, dass diese Phänomene von Lehrern lange Zeit nicht bemerkt werden. Das macht es auch so schwer, effizient damit umzugehen.

Auch von Gewalt und Missbrauch an bzw. von Kindern und Jugendlichen ist immer häufiger die Rede: So sei das Geschäft mit dem Tausch und Handel von pädophilem Material in den vergangenen fünf Jahren um 150 Prozent gewachsen. Die Zahl der pädophilen Bilder im Internet sei um 400 Prozent gestiegen. Das geht aus einem unlängst veröffentlichten Dossier des italienischen Kinderschutzverband "Telefono Arcobaleno" hervor. 3.000 Kinder seien allein im vergangenen Jahr Opfer dieses Geschäfts geworden.

Bei all diesen Problematiken zeigt sich stets der immer wiederkehrende Zusammenhang von selben Armut, psychischen Erkrankungen und Suchtverhalten sowie Vernachlässigung und Gewalt.

 

In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz nachstehende

 

Anfrage:

1. Welche Maßnahmen sind seitens der Bundesregierung geplant, um sicherzustellen, dass alle Kinder und Jugendlichen in Österreich im Bedarfsfall den gleichen Zugang  zu psychologischer, psychotherapeutischer und psychiatrischer Hilfe bekommen?

2. Welche Kostenanteile werden seitens der österreichischen Krankenkassen jeweils für die Inanspruchnahme von psychologischer, psychotherapeutischer und psychiatrischer Hilfe durch Kinder und Jugendliche ersetzt (bitte nach Bundesländern aufschlüsseln)?

3. Erachten Sie eine Kontingentierung von kassengestützten Psychotherapie-Plätzen, wie sie etwa seitens der Tiroler Gebietskrankenkasse durchgeführt wird, für sachlich sinnvoll?

4. Wenn ja, mit welcher Begründung?

5. Welche anderen Krankenkassen führen die unter Pkt. 3 angeführte Kontingentierung ebenfalls durch?

6. Welche Maßnahmen sind seitens der Bundesregierung geplant, um die Stellung von Kindern und Jugendlichen, die Opfer von Gewalt, sexuellem Missbrauch und Kinderpornographie wurden, in rechtlicher, finanzieller und therapeutischer Hinsicht zu verbessern?

7. Welche konkreten Maßnahmen werden seitens der Bundesregierung gesetzt, um Gewalt und sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen in der Familie vorzubeugen?

8. Wie gestaltet sich insbesondere die Aufsicht bzw. Betreuung von „Risiko“-Familien?