2459/J XXIV. GP
Eingelangt am 17.06.2009
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DRINGLICHE ANFRAGE
der Abgeordneten Lunacek, Freundinnen und Freunde
an den Herrn Bundeskanzler
betreffend den dringend notwendigen ökologisch-sozialen Umbau Europas und die Unvereinbarkeit dieser Reformen mit einer zweiten Amtszeit von Kommissionspräsident Barroso sowie mehr Transparenz in der österreichischen Europapolitik
Im Juli endet die Amtsperiode der Europäischen Kommission unter dem derzeitigen Präsidenten José Manuel Barroso. Beim Abendessen des Europäischen Rates am 18. Juni soll laut Protokoll des Ausschusses der Ständigen Vertreter vom 11. Juni 2009 die Nominierung von José Manuel Barroso für die nächste Amtszeit erfolgen. Dafür ist die qualifizierte Mehrheit im Europäischen Rat notwendig.
„EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso soll laut Außenminister Spindelegger noch im Juli offiziell für eine zweite Amtszeit nominiert werden. Der EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag spricht Barroso das Vertrauen aus, die nächste Kommission zu führen. Anschließend konsultiert der Rat die Fraktionschefs des neu gewählten EU-Parlaments. Zeichnet sich dabei eine Zustimmung für Barroso ab, soll der Rat den Portugiesen formell nominieren, bevor er dann vom Parlament bestätigt wird. Für die Nominierung Barrosos sei aber ein Rundlaufverfahren ausreichend, sagte Spindelegger“, (FOCUS, 15.06.2009)
Kommissionspräsident Barroso hat als verlängerter Arm des Europäischen Rates
eindrucksvoll belegt, dass seine politischen Vorstellungen in keiner Weise geeignet sind, die Europäische Union vor dem Hintergrund von Wirtschafts- und Klimakrise in eine sozial gerechte, ökologische, demokratische und krisensichere Zukunft zu führen.
Der Kandidat José Manuel Barroso hält einer genauen Überprüfung nicht stand. Zu oft hat er sich seiner Verantwortung entzogen und die Kommission von der "Hüterin der Verträge" zum Instrument der dominantesten Mitgliedstaaten und der einflussreichsten Industrien degradiert. Seine Maßnahmen waren verspätete Reaktionen auf die Finanz- und Wirtschaftskrise, zu der er zuvor selbst beigetragen hat. Immer wieder hat die Kommission den Interessen des uneingeschränkten Handels und des Big Business Vorrang vor Umwelt, sozialen Fragen und den BürgerInnen Europas gewährt.
Europa braucht jetzt keinen „Weiter-wie-bisher“-Kommissionspräsidenten. Europa braucht eine/n Kommissionspräsidenten/in und eine Kommission mit Mut und Weitblick, die zentrale Reformprojekte entschlossen in Angriff nehmen:
Barrosos Nominierung für eine weitere Amtszeit als Präsident der Europäischen Kommission wurde bereits von der politischen Familie der Europäischen Volkspartei und von verschiedenen Regierungschefs unterstützt. Im Europäischen Parlament formiert sich unterdessen aussichtsreicher Widerstand gegen eine weitere Amtszeit Barrosos. Nicht nur Daniel Cohn-Bendit, Fraktionschef der Grünen im EP, auch der Spitzenkandidat der SPÖ Hannes Swoboda, haben sich mehrfach klar gegen eine zweite Amtszeit von Barroso als Kommissionspräsident ausgesprochen. Daniel Cohn-Bendit wie auch Martin Schulz, Fraktionschef der SozialdemokratInnen im EP,und Graham Watson, Fraktionschef der Liberalen im EP, treten gegen eine Entscheidung im Juli und für eine Entscheidung in Sachen Kommissionspräsident erst nach dem irischen Referendum über den Lissabon-Vertrag ein. Dies würde die demokratische Glaubwürdigkeit der Union in den Augen der BürgerInnen stärken, da das Europaparlament durch den Lissabon-Vertrag eine stärkere Rolle bei der Bestellung von KommissionspräsidentIn und Kommission erhält.
Wie wenig Bedeutung Bundeskanzler Faymann hingegen der Rolle des Präsidenten der Europäischen Kommission beimisst, zeigen seine Aussagen vom 10.06.2009 in der ORF-Sendung ZIB 2:
„Der Kommissionspräsident und auch der Kommissar ist vergleichbar unserer Verwaltung, die politischen Entscheidungen treffen die Regierungschefs oder Minister bei den Ratssitzungen oder eben das EU-Parlament. (…) Und daher finde ich diese Frage, wer wird Kommissionspräsident, die ist nicht so wichtig wie die Frage, wer verbietet die Spekulation mit Wasser, wer verbietet die Spekulation mit Energie, wer sorgt dafür, dass wir nicht dasselbe wieder aufbauen, was gerade in der Wirtschaft zusammengebrochen ist?“
Der Bundeskanzler hat offenbar Europa bis heute nicht verstanden.
Die Kommission überwacht die Einhaltung des EU-Rechts und gilt damit als "Hüterin der Verträge", und sie ist wichtige Akteurin im Gesetzgebungsverfahren. Damit überhaupt ein Rechtsakt auf europäischer Ebene zustande kommt, bedarf es eines Vorschlags der Kommission: Insofern ist die Kommission auch entscheidend für die europäischen Antworten auf die von Faymann genannten Themen. Die Wahl des/der KommissionspräsidentIn ist also ohne Zweifel die wichtigste europapolitische Personalentscheidung, die die breitestmögliche politische Legitimationsbasis dringend benötigt.
Auch in der Frage des/der österreichischen EU-Kommissars/in prägen Desinteresse und Intransparenz die Vorgangsweise der Bundesregierung.
Im Europäischen Parlament haben sich die Mitglieder der EU-Kommission vor ihrer Bestätigung einem Hearing und einem Zustimmungsvotum zu stellen. Ein ähnlich transparenter und nachvollziehbarer Entscheidungsprozess und eine echte parlamentarische Mitwirkung sollten auch auf nationaler Ebene eine Selbstverständlichkeit sein. Das sehen die österreichischen Regierungsparteien offenbar anders. Obwohl etwa SPÖ-Klubobmann Josef Cap in der ORF-Sendung im Zentrum vor wenigen Tagen signalisierte, dass ein Hearing möglicher KandidatInnen für den Posten des österreichischen Kommissars auch für die SPÖ vorstellbar sei, will sich die Bundesregierung offenbar hinter verschlossenen Türen nach nicht nachvollziehbaren großkoalitionären Kriterien auf eine/n KandidatIn für den/die österreichischen KommissarIn einigen und diese/n dann im Hauptausschuss „abnicken“ lassen. Diese intransparente Vorgangsweise ist wenig geeignet, das schwindende Vertrauen der Bevölkerung in die EU-Institutionen zu stärken.
Ein Trauerspiel ist schließlich das Verhalten von SPÖ und ÖVP in Sachen Rederecht von EU-Abgeordneten im Plenum des österreichischen Nationalrats. Im Wahlkampf von den Spitzenkandidaten Swoboda und Strasser wie auch von Otmar Karas noch vollmundig eingefordert und schließlich von SPÖ und ÖVP zugesagt, fallen die Regierungsparteien wenige Tage nach der EU-Wahl um und wollen nichts mehr davon wissen. SPÖ und ÖVP wollen offenbar keine lebendigen europäischen Debatten durch ein Rederecht für EU-Abgeordnete und EU-KommissarInnen ins Plenum des österreichischen Parlamentes hereinholen.
Daher richten die unterfertigten Abgeordneten an den Bundeskanzler folgende
ANFRAGE
In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung dieser Anfrage unter Verweis auf § 93 Abs.1 GOG verlangt.