2928/J XXIV. GP
Eingelangt am 01.09.2009
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der Abgeordneten Mag. Johann Maier
und GenossInnen
an den Bundesminister für Finanzen
betreffend „Mehrwertsteuerbetrug: Gebrauchtfahrzeughandel - Fingierte „Ketten-
oder Karussellgeschäfte"
100 Mrd. Euro ist jene Summe, die Schätzungen zufolge jährlich durch
innergemeinschaftlichen Umsatzsteuerbetrug (Missing Trader Intra Community Fraud) an den
nationalen Finanzbehörden vorbeigeschleust wird.
In Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gibt es eine höchst lukrative Form von
„Mehrwertsteuerbetrug" nämlich in der Form von Ketten- und Karussellgeschäften. Der
1.Strafsenat des deutschen Bundesgerichtshofes hat am 30.April 2009 dazu eine
grundsätzliche Entscheidung getroffen und in dieser Entscheidung u.a. nachstehende
Beschreibung dieses Betrugsmusters vorgenommen:
Im Einzelnen ging der Angeklagte gemeinsam mit den Mitangeklagten wie folgt vor
(Auszug aus dieser Entscheidung):
„Der ursprüngliche Halter des jeweiligen Gebrauchtfahrzeugs, der dieses verkaufen wollte,
erstellte für Firmen, die zum Schein als unmittelbarer Käufer des Gebrauchtfahrzeugs
auftraten (Erstankäufer), eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis über einen Teil des
tatsächlichen Kaufpreises. Der verbleibende Rest des Kaufpreises wurde bar gezahlt, ohne
dass dieser Teilbetrag versteuert wurde.
Der Erstankäufer stellte einem Zwischenhändler eine Scheinrechnung mit
Umsatzsteuerausweis aus, wobei der dort angeführte Nettobetrag über dem Kaufpreis lag,
der tatsächlich - als Rechnungsbetrag zuzüglich Schwarzgeldbetrag - an den letzten Halter
des Fahrzeuges gezahlt worden war. Der Zwischenhändler erstellte seinerseits für die J.
GmbH eine Rechnung, in der er einen nochmals höheren Nettopreis sowie die darauf
anfallende Umsatzsteuer auswies. Die J. GmbH veräußerte die Fahrzeuge sodann, nachdem
sie teilweise durch das Unternehmen instand gesetzt worden waren, im Inland oder – weit
überwiegend - in das Ausland. Die Lieferungen ins Ausland waren umsatzsteuerfrei.
Einzelne Geschäfte wichen insoweit von dem dargestellten Grundmuster ab, als der
ursprüngliche Halter des Fahrzeuges eine Rechnung an ein in einem anderen Mitgliedstaat
der Europäischen Gemeinschaft ansässiges Scheinunternehmen ausstellte, in der
entsprechend § 4 Nr. 1 Buchst, a UStG keine Umsatzsteuer ausgewiesen wurde. Parallel dazu
wurde eine Lieferkette in Deutschland fingiert, nach der das identische Fahrzeug von einer
Scheinfirma an einen Zwischenhändler und von diesem an die J. GmbH verkauft wurde. In
anderen Fällen trat ein ansonsten als Zwischenhändler fungierendes Unternehmen
unmittelbar als Käufer gegenüber dem ursprünglichen Halter der Fahrzeuge auf. In weiteren
Fällen wurden die Teile des Kaufpreises, die von dem ursprünglichen Halter nicht versteuert
wurden, durch Scheinrechnungen über den - tatsächlich nicht erfolgten - Verkauf von
Ersatzteilen verschleiert.
Allen Geschäften war gemeinsam, dass tatsächlich der ursprüngliche Halter des jeweiligen
Gebrauchtfahrzeugs mit Geldern bezahlt wurde, die die J. GmbH dem Zwischenhändler zur
Verfügung gestellt hatte, der diese an die Verkäufer weiterleitete. Die Fahrzeuge wurden
jeweils direkt an die J. GmbH geliefert. Die Entscheidung über den Ankauf eines Fahrzeuges
und den zu zahlenden Preis traf in allen Fällen jeweils der Angeklagte J., der für die J.
GmbH handelte.
Die J. GmbH versteuerte die aus ihren Lieferungen resultierenden Umsätze im Inland.
Umsätze aus Auslandslieferungen und inner gemeinschaftlichen Lieferungen wurden als
solche deklariert. Die sich aus den Rechnungen der Zwischenhändler ergebende Vorsteuer
wurde nach §15 UStG abgezogen. Auch die als Zwischenhändler auftretenden Unternehmen
erklärten die Umsätze, die in ihren Rechnungen an die J. GmbH ausgewiesen wurden, und
führten die ausgewiesene Umsatzsteuer ab. Von der daraus resultierenden Zahllast wurde die
Vorsteuer abgezogen, die sich aus den Rechnungen ergab, die den Zwischenhändlern von den
als Erstankäufer auftretenden Scheinfirmen ausgestellt worden waren. Demgegenüber
erklärten die Erstankäufer die in den Rechnungen an die Zwischenhändler ausgewiesenen
Umsätze nicht und führten die dort ausgewiesene Umsatzsteuer, die sich auf knapp 570.000,--
Euro belief auch nicht ab.
Der Angeklagte J. machte in den Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 1997 bis 2001
und in den Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate März, April, Juni, Juli und Oktober
2002 für die J. GmbH die Vorsteuer aus den Rechnungen der Zwischenhändler geltend. Diese
belief sich auf etwas mehr als 665.000,-- Euro.
Nach Auffassung des Landgerichts wurde insoweit durch die Abgabe falscher
Umsatzsteuererklärungen Umsatzsteuer in einer Gesamthöhe von 433.900,-- Euro
hinterzogen, die bei der Strafzumessung zu Grunde zu legen sei. Bei diesem Betrag handelt es
sich um die jeweilige Umsatzsteuer, die auf den Anteil des Kaufpreises entfiel, der
unversteuert an den ursprünglichen Halter des jeweiligen Fahrzeugs gezahlt wurde. Diesen
berechnete die Strafkammer, indem sie den Nettobetrag der Ausgangsrechnung des
ursprünglichen Halters an die Erstankäufer von dem Nettobetrag der Rechnung, die dieser
den Zwischenhändlern ausstellte, subtrahierte. Demgegenüber sah die Straßeammer die
Umsatzsteuer, die in den Rechnungen der Erstankäufer an die Zwischenhändler und in den
Rechnungen der Zwischenhändler an die J. GmbH ausgewiesen wurde, nicht als
strafzumessungsrelevanten Hinterziehungsschaden an. Bei einer Verurteilung wegen
Vergehen nach § 370 AO sei im Rahmen der Strafzumessung "nach Sinn und Zweck der
Vorschrift nur auf die Verkürzung solcher Steuersummen abzustellen, die bei
ordnungsgemäßem Verhalten von vornherein an den Fiskus abzuführen gewesen wären..... ".
Die unterzeichneten Abgeordneten richten an den Bundesminister für Finanzen nachstehende
Anfrage:
1. Sind dem
Ressort in Österreich sogenannte „Ketten- und
Karussellgeschäfte" zur
Steuerhinterziehung
bekannt?
2.
Wie viele Fälle von „Ketten- und
Karussellgeschäften" wurden dem Ressort in den Jahren
2005, 2006, 2007 und 2008 bekannt (Aufschlüsselung auf Jahre)?
Wie hoch wurde bzw. wird der jährliche Schaden geschätzt?
3. Sind dem
Ressort die im Einleitungstext beschriebenen „Ketten- und
Karussellgeschäfte"
mit Kfz zur Steuerhinterziehung in
Europa und Österreich bekannt?
4. Wie viele Fälle
von „Ketten- und Karussellgeschäften" mit Kfz, die
Österreich betreffen
sind dem Ressort 2005, 2006, 2007 und 2008 bekannt geworden
(Aufschlüsselung auf
Jahre)?
Wie hoch wurde bzw. wird der jährliche Schaden geschätzt?
5.
In wie vielen Fälle kam es in diesen Jahren deswegen zu
Finanzstrafverfahren und zu
gerichtlichen
Verurteilungen (Aufschlüsselung auf Jahre)?
6. Welche Rechtsprechung liegt in Österreich zu „Ketten- und Karussellgeschäften" vor?
7.
In wie vielen Fällen gab es in diesen Jahren einen
grenzüberschreitenden Bezug?
In
wie vielen Fällen wurden dabei Rechnungen an Scheinunternehmen im Ausland
ausgestellt
(Aufschlüsselung auf Jahre)?
8.
Wie wird zur Bekämpfung von „Ketten- und
Karussellgeschäften" zu Zwecken der
Steuerhinterziehung
mit anderen EU-Mitgliedsstaaten zusammengearbeitet?
9.
Sehen auch Sie Probleme in Österreich bei dieser
Betrugsbekämpfung, da für die
Aufdeckung
die Finanzbehörden und für die Strafverfolgung Bundespolizei und
Justiz
zuständig
sind?
Wenn ja, worin liegen diese und wie können sie beseitigt werden?