3586/J XXIV. GP

Eingelangt am 05.11.2009
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ANFRAGE

 

der Abgeordneten Dr. Spadiut

Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Gesundheit

betreffend Verpfuscht und vertuscht - Verschlusssache Medizin

 

Die Primarärzte der niederösterreichischen Spitäler bekamen im Frühling 2009 unerwartet Post von der Landeskliniken-Holding. Zunächst mussten sie unterschreiben, dass sie die Informationen, die sie nun bekämen, weder mit Mitarbeitern noch mit Kollegen und auch nicht mit Menschen außerhalb der Kliniken besprechen dürften. Im Gegenzug dazu, erhielten sie Zugang zum „Masterplan Gesundheit 2015/2020“, der vom internationale Beraterkonzern Roland Berger Strategy Consultants für die Spitalsmanager in St. Pölten erstellt wurde.

 

Die Abteilungsleiter der 27 Landeskliniken Niederösterreichs bekamen präsentiert, was die Berater an Daten über die bestehende Situation zusammengetragen hatten, mit folgenden Konsequenzen und Handlungsbedarf:

Das Papier zeigt auf, welche Frequenzen an Eingriffen und Untersuchungen tatsächlich an allen Standorten der Holding mit den 27 Häusern und rund 19.000 Mitarbeitern erforderlich wären, um die medizinische Qualität und die Versorgung in den Häusern optimal anzubieten bzw. überhaupt zu gewährleisten. Das bedeutet, auf einen Nenner gebracht, ein Verschieben der meisten Kompetenzen und Tätigkeitsfelder bis 2020 vor allem in den Bereichen sämtlicher chirurgischer Interventionen sowie ein Straffen der an den Standorten tatsächlich noch zu erbringenden Leistungen.

 

Vorangegangen ist dieser, von der Landeskliniken-Holding eilig in Auftrag gegebenen Studie nämlich eines, Kenntnis über die tatsächliche Situation, auch dokumentiert in dem  Buch „Verschlusssache Medizin“ von Wissenschafts-Journalist Kurt Langbein. Dieser stellt Qualitätsprobleme, Behandlungsfehler durch zu geringe Fallzahlen, falsch eingesetzte Arzneimittel oder die Übermüdung von Spitalsärzten in Niederösterreich mit allen Folgen für Patientinnen und Patienten anschaulich dar und erläutert und analysiert diese mit Hilfe von Betroffenen. In dieses Buch haben interne Berichte aus den Jahren 2005 bis 2007 der Qualitätssicherung der Niederösterreichischen Landesholding genauso Eingang gefunden wie Vergleiche mit anderen Ländern, die beispielhaft um weniger „geheimniskrämerische“ Art und Weise, als in den offiziellen Studien zu Todesursachen von Patienten nach Operationen erstellen ließen.

Aber auch der Bereich der Pharmaindustrie wird in diesem Buch unter die Lupe genommen und unter der Prämisse „Medizin für Aktionäre“ von der Seite derer, die mit Medikamenten und Impfstoffen jährliche Renditen bis zu 35% des Umsatzes erzielen, betrachtet - und die steigenden Gesundheitskosten und Sinnhaftigkeit der Medikationspraxis hinterfragt.

 


Die im September 2009 von der niederösterreichischen Patienten- und Pflegeanwaltschaft herausgegeben Broschüre: "Wenn etwas schief geht, Kommunizieren und Handeln nach einem Zwischenfall", soll zwar Mitarbeitern von niederösterreichischen Krankenhäusern im Fall eines Fehlers helfen, das Richtige zu tun, hilft jedoch nicht, die Ursachen zu beseitigen. Die Beseitigung dieser Ursachen ist nur mit einer effizienten Versorgungsstruktur, mit adäquaten Fallzahlen und einem, an die Situation angepassten, Qualitätsmanagement möglich.

 

Im Lichte des, im Koalitionsabkommen für den Bereich Gesundheit gesetzten Rahmens: „Zur Steigerung der Effizienz muss eine gemeinsame Strategie, Planung und Steuerung des Gesundheitswesens erfolgen“ und der schlichten Empfehlung einer „Verpflichtung zum Ökonomiegebot in allen Bereichen“ des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger in seinem Reformpapier und der Tatsache, dass moderne Medizin einen immer höheren Spezialisierungsgrad aufweist, der Mindestzahlen an Patienten erfordert um Eingriffe überhaupt routiniert durchführen zu können sowie einer überfälligen osterreichweiten Gesundheitsreform stellen die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für Gesundheit folgende

ANFRAGE

 

  1. Sind Ihnen oder Ihrem Ressort die Berichte des Chirurgen Dr. Franz Stöger, ehemaliger Chefkonsulent für Qualitätssicherung der NÖ- Landeskliniken-Holding zum Thema Patientensicherheit und Zwischenfälle in chirurgischen Abteilungen bekannt? Wenn ja, wie lauten diese?

 

  1. Wie viele Behandlungsfehler wurden im Code-System des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger in den Jahren 2006, 2007 und 2008, gelistet nach allen eingerichteten Codes, unter der Rubrik „unerwünschte Ereignisse“, „Komplikationen bei chirurgischen Eingriffen und medizinischer Behandlung“, sowie „Vergiftungen durch Arzneimittel, Drogen und biologisch aktive Substanzen“, geordnet nach Krankenanstalten, jeweils registriert?

 

  1. Wie oft wurde in den Jahren 2006, 2007 und 2008 der Code „unerwünschte Ereignisse“ als Begründung für eine erneute Behandlung im Spittal, geordnet nach Krankenanstalten, jeweils angegeben?

 

  1. Wie hoch waren die Kosten für die Behandlungen dieser Patienten deren Spitalsaufenthalt als Folge eines „unerwünschten Ereignisses“ ausgewiesen wurden, geordnet nach Krankenanstalten, jeweils in den Jahren 2006, 2007 und 2008?

 

  1. Wie lauten die im österreichischen „Strukturplan Gesundheit“ für verschiedene Eingriffe formulierten Mindestfallszahlen, die an einer Klinik oder Abteilung notwendig sind um beste Qualität zu gewährleisten und eine Vergleichbarkeit mit Kliniken in anderen Ländern herzustellen?

 

  1. Wie hoch ist die Zahl der an Österreichischen Krankenanstalten tatsächlich durchgeführten Eingriffe analog zu den für verschiedene Eingriffe formulierten Mindestfallszahlen, geordnet nach Krankenanstalten?

 

  1. Mit welcher Begründung dürfen diese Eingriffe an den Krankenanstalten, die diese Zahlen nicht erreichen - geordnet nach Krankenanstalten - weiterhin trotzdem durchgeführt werden?

 

  1. Gibt es Sanktionen für die Krankenanstalten, die diese Mindestfallzahlen nicht erreichen, wenn ja, welche und wie viele Sanktionen wurden bisher verhängt? Wenn nein, warum nicht?

 

  1. Halten Sie Sanktionen zum Schutz der Patienten nicht für erforderlich oder welche Maßnahmen werden Sie setzen um ihre Einführung sicherzustellen?

 

  1. Haben Sie vor eine Angleichung der tatsächlich durchgeführten Eingriffe an die Mindestfallzahlen durchzuführen, wenn nein, warum nicht?

 

  1. Gibt es Übergangsfristen, um einen korrekten Zustand analog zu den Mindestfallzahlen herzustellen, wenn ja bis wann?

 

  1. Planen Sie, wie von Experten bereits beinahe täglich moniert, strukturbereinigende Maßnahmen im österreichischen Gesundheitswesen, wenn ja welche, wenn nein, warum nicht?