4251/J XXIV. GP

Eingelangt am 19.01.2010
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ANFRAGE

 

des Abgeordneten Walser, Korun, Freundinnen und Freunde

 

an die Bundesministerin für Inneres

 

betreffend Lernunterlage zum Staatsbürgerschaftstest

 

 

 

Die Lernunterlage zur Vorbereitung auf die Staatsbürgerschaftsprüfung „Überblick über die demokratische Ordnung und Geschichte Österreichs“ steht auf der Homepage des BM.I. zum Download. In der Einleitung wird darauf hingewiesen, dass die Lernunterlage unter Mitwirkung von „Experten aus Lehre und Forschung“ sowie durch „Historiker und Erwachsenenbildner“ erstellt wurde. Bei näherer Durchsicht der zum Selbststudium gedachten Lernunterlage muss die tatsächliche Expertenbeteiligung aufgrund gravierender inhaltlicher Mängel jedoch in Frage gezogen werden. So ist die Lernunterlage auf einem sprachlichen Niveau verfasst, das stellenweise weit über dem für die verpflichtende Deutschprüfung vorausgesetzten Niveau (A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen) liegt. Es ist somit für die Zielgruppe über weite Strecken unverständlich. Weiters ist das darin abgebildete Faktenwissen über Österreichs Geschichte so bruchstückhaft, dass für historisch nicht vorgebildete Personen ein Verstehen unmöglich wird. Der didaktische Ansatz wie auch die Auswahl historischer Ereignisse und deren Erklärungen sind fachlich nicht vertretbar und entsprechen eher dem Forschungsstand der 50er und 60er Jahre als dem aktuellen. Epochen und Themen der österreichischen Geschichte sind aus fachlicher Sicht nicht nachvollziehbar kursorisch dargestellt, Kernthemen der gegenwärtigen Geschichtsforschung und Geschichtsvermittlung wie der Austrofaschismus oder die Täterrolle im Nationalsozialismus werden völlig ausgespart. Somit stellt die Lernunterlage eine Ansammlung willkürlich aneinandergereihter, historisch verzerrter Daten dar, die ein zentrales Anliegen, nämlich ein Verständnis für die Gegenwart zu erzielen, nicht gewährleisten können. Diese Lernunterlage soll nun die Voraussetzung sein für die Einbürgerung von MigrantInnen – und somit deren Basiswissen zur österreichischen Kultur und Geschichte prägen. Die auf die Zielgruppe nicht abgestimmte Sprache übersteigt zudem das geforderte Deutschniveau und könnte somit auch als reine Schikane für die StaatsbürgerschaftswerberInnen interpretiert werden. Für die Entwicklung eines zeitgemäßen politischen Bewusstseins scheint diese Lernunterlage daher untauglich, wenn nicht sogar kontraproduktiv, zu sein.

 


 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE:

 

  1. Welche ExpertInnen welcher Ressorts und Einrichtungen nahmen an der Erstellung der Lernunterlage teil? Wir ersuchen um namentliche Nennung insbesondere der ExpertInnen aus „Lehre und Forschung“ sowie „HistorikerInnen und ErwachsenenbildnerInnen“.

 

  1. Welcher pädagogische/didaktische Ansatz wurde für diese Lernunterlage gewählt?

 

  1. Welcher historische Ansatz wurde für diese Lernunterlage gewählt und auf welche wissenschaftlichen Publikationen kann sie sich stützen?

 

  1. Wurde das Sprachniveau der Lernunterlage vor deren Veröffentlichung auf das Niveau A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens überprüft?

       a)  Falls ja, wie genau?

       b)  Falls nein, weshalb nicht?

       c) Falls nein, wie gedenken Sie das Sprachniveau der Lernunterlage so

anzupassen, dass diese auch für MigrantInnen auf dem Sprachniveau A2  lesbar und verständlich wird?

 

  1. Wurde die Lernunterlage vor Veröffentlichung von und mit MigrantInnen getestet?

a) Falls nein, weshalb nicht?

b) Falls ja, was waren die konkreten Rückmeldungen? Wie wurden diese eingearbeitet?

            

  1. Wie bringen Sie das Ziel der Lernunterlage, nämlich das „kausale, multiperspektivische Verstehen gegenwartsrelevanter wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, politischer und kultureller Phänomene [zu] ermöglichen“ (Anlage I zu BGBl II Nr. 134/2000), in Einklang mit dem Inhalt, der sich aus bruchstückhaften Aufzählungen und monokausalen Erklärungen zusammensetzt?

 

  1. Aus welchen pädagogischen bzw. wissenschaftlichen Gründen wurden zentrale Begriffe der österreichischen Zeitgeschichte, wie der Austrofaschismus, gänzlich aus der Lernunterlage ausgespart?

 

  1. Aus welchen pädagogischen bzw. wissenschaftlichen Gründen wurde die Täterrolle Österreichs im Nationalsozialismus gänzlich aus der Lernunterlage herausgelassen?

 

  1. Aus welchen Gründen finden sich in der Lernunterlage Erklärungen, die indirekt die Opferthese (Österreich als Opfer des Nationalsozialismus) – so z.B. wird verallgemeinernd für Verbrechen des Nationalsozialismus von „den Deutschen“, „Hitler“ und „den Nationalsozialisten“ gesprochen – stützen?

  1. Wie kommt es, dass man in der Lernunterlage bei Konzentrationslagern von „so genannten Konzentrationslagern“ (S.42) spricht?

 

  1.  Gedenken Sie, die historisch fehlerhafte bzw. schlicht unwahre Aussage „Kaiser Karl I. verzichtete […] auf den Thron und ging ins Exil“ (S.41) zu ändern?

       a) Falls nein, weshalb nicht?

       b) Falls ja, bis wann und wie wird diese Änderung aussehen?

 

  1. Gedenken Sie, die historisch fehlerhafte bzw. schlicht unwahre Aussage „Später, im Jahre 1960, schlossen sich auf dem wirtschaftlichen Gebiet neutrale europäische Staaten zur Europäischen Freihandelszone („EFTA“) zusammen“ (S. 45) zu ändern?

a) Falls nein, weshalb nicht?

b) Falls ja, bis wann und wie wird diese Änderung aussehen?

      

  1. Gedenken Sie, die historisch fehlerhafte bzw. schlicht unwahre Aussage in Bezug auf die Staatsvertragsverhandlungen in Moskau im April 1955 „Auf dieser Konferenz wurde der österreichische Staatsvertrag formuliert“ (S. 46) zu ändern?

       a) Falls nein, weshalb nicht?

       b) Falls ja, bis wann und wie wird diese Änderung aussehen?

 

  1. Gedenken Sie, die historisch fehlerhafte bzw. schlicht unwahre Aussage „Der Sozialpartnerschaft gehören vor allem die Wirtschaftskammer Österreich, die Arbeiterkammern, die Landwirtschaftskammern, die Gewerkschaften und die Industriellenvereinigung an“ (S. 50) zu ändern?

      a) Falls nein, weshalb nicht?

      b) Falls ja, bis wann und wie wird diese Änderung aussehen?

 

  1. Gedenken Sie, die fehlerhafte bzw. schlicht unwahre Aussage „Deshalb gibt es in vielen Ländern Minderheiten. Diese Minderheiten sprechen eine andere Sprache als das Staatsvolk und haben auch andere Sitten und Gebräuche“ (S. 52) zu ändern – da die Minderheiten ja Angehörige des Staatsvolks sind?

a) Falls nein, weshalb nicht?

b) Falls ja, bis wann und wie wird diese Änderung aussehen?

 

  1. Gedenken Sie, Testfragen wie „Woran erkennt man UNO-Soldaten?“ (S. 47) mit der intendierten Antwort „an den blauen Helmen“ zu ändern – da Fragen dieser Art völlig irrelevant für eine Integrationsförderung sind?

a) Falls nein, weshalb nicht?

b) Falls ja, bis wann und wie wird diese Änderung aussehen?

 

  1. Ist eine Evaluierung der Lernunterlage und des Staatsbürgerschaftstests in Bezug auf Tauglichkeit zur Integrationsförderung und eine Überarbeitung der Lernunterlage sowie des Tests bzw. der Testform geplant?

a) Falls nein, weshalb nicht?

b) Falls ja, bis wann und unter der Einbindung welcher ExpertInnengruppen?

 

18.Ist es sinnvoll, StaatsbürgerschaftswerberInnen Kenntnisse abzuverlangen, die angesichts der Fehler in der Lernunterlage selbst ExpertInnen" des BM.I. nicht vorweisen können?